Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IV 125



106 IV 125

40. Urteil des Kassationshofes vom 2. Mai 1980 i.S. W. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 181 StGB.

    1. Begriff der Androhung. Es ist nicht erforderlich, dass der Täter
seine Androhung eines ernstlichen Nachteils tatsächlich auch wahrmachen
kann; es genügt, wenn der Eintritt des Übels nach der Darstellung des
Täters als von seinem Willen abhängig erscheint (E. 2).

    2. Voraussetzungen der Rechtswidrigkeit der Nötigung (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 20. März 1976 verkaufte Sch. dem A. einen Personenwagen
"Alfa Romeo", Jahrgang 1970, zum Preis von Fr. 3'900.--. Entgegen der
Zusicherung im Kaufvertrag war das Fahrzeug nicht mit dem serienmässigen
1750 ccm-Motor,
   sondern mit einem 1300 ccm-Motor ausgerüstet. Es stellte sich in
   der Folge
heraus, dass einer der Vorbesitzer des Wagens den Motor ausgewechselt
hatte. Sch., dem dies nicht bekannt gewesen war, erklärte sich auf
Begehren des A. hin zum kostenlosen Einbau eines 1750 ccm-Motors bereit;
lediglich über den genauen Zeitpunkt des Einbaus konnten sich die Parteien
nicht einigen.

    In der Folge nahm sich W. der Sache an. Mit Schreiben vom 5. und
10. Mai teilte er Sch. mit, dass A. vom Kaufvertrag zurücktrete und die
Rückleistung der Anzahlung von Fr. 1'200.-- verlange. W. berichtete im
"Gross-Anzeiger" (St. Gallen) über den Vorfall, ohne allerdings Namen
zu nennen. Die "Ostschweizer AZ" behandelte daraufhin die Angelegenheit
ebenfalls und erwähnte dabei den Namen Sch. Auch mit den für die Sendung
"Kassensturz" des Schweizer Fernsehens Verantwortlichen setzte sich
W. in Verbindung. Am 31. Mai 1976 sandte W. dem Sch. eine Rechnung,
in welcher er neben der Rückleistung der Anzahlung von Fr. 1'200.--
Fr. 102.-- für die von ihm eingeholte "Expertise S." und Fr. 310.--
"Umtriebsentschädigung W." verlangte. Am 6. September 1976 reichte
Sch. beim Bezirksamt Rorschach Strafanzeige gegen W. wegen Erpressung,
eventuell Nötigung ein. Sch. führte aus, W. habe ihn anlässlich einer
Besprechung am 3. September 1976 aufgefordert, innerhalb einer Woche für
seine Umtriebe etc. Fr. 500.-- zu bezahlen, ansonsten er sich gezwungen
sehe, ihn, Sch., in der Fernsehsendung "Kassensturz", die demnächst
über den Autooccasionshandel berichten werde, namentlich zu erwähnen;
am 6. September 1976 habe W. seine Forderung und die Drohung erneuert.

    B.- Am 10. November 1977 verurteilte die Gerichtskommission Rorschach
W. wegen vollendeten Nötigungsversuchs zu einer bedingt vorzeitig
löschbaren Busse von Fr. 500.--. Eine gegen dieses Urteil eingereichte
Berufung wies das Kantonsgericht St. Gallen am 15. Januar 1979 ab.

    C.- W. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Kantonsgerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung des
Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Staatsanwaltschaft
des Kantons St. Gallen hat innert Frist keine Gegenbemerkungen eingereicht.

    D.- Eine von W. gegen das Urteil des Kantonsgerichts eingereichte
kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wegen Aktenwidrigkeit und willkürlicher
Beweiswürdigung wies das Kassationsgericht des Kantons St. Gallen am
5. Oktober 1979 ab.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Soweit eingangs der Beschwerde verschiedene tatsächliche
Feststellungen der Vorinstanz als unrichtig bemängelt werden, ist auf
das Rechtsmittel nicht einzutreten. Kritik an der Sachdarstellung des
Kantonsgerichts ist im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde unzulässig
(Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Der Kassationshof ist an die tatsächlichen
Feststellungen der kantonalen Behörden gebunden (Art. 277bis BStP);
verbindlich sind daher unter anderem deren Feststellungen, dass Sch. und
A. sich über den unentgeltlichen Einbau eines 1750 ccm-Motors geeinigt
hätten und dass Sch. die Forderung des W. von Fr. 500.-- zu keinem
Zeitpunkt anerkannt habe.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer bestreitet, Sch. einen ernstlichen Nachteil
angedroht zu haben. Er habe Sch. für den Fall der Nichteinlösung seines
Versprechens betreffend die Zahlung von Fr. 500.-- die Meldung des
Sachverhalts beim "Kassensturz" in Aussicht gestellt. Doch habe er
auf die Ausstrahlung und Gestaltung einer solchen Fernsehsendung und
auf die namentliche Erwähnung des Sch. keinen Einfluss gehabt, weshalb
es sich bei seinem Vorgehen um eine blosse Warnung und nicht um eine
Androhung im Sinne von Art. 181 StGB gehandelt habe. Ob sein Hinweis auf
Sch. einen anderen Eindruck gemacht habe, sei irrelevant. Massgebend sei,
ob er bei objektiver Betrachtungsweise Einfluss auf die Fernsehsendung
habe nehmen können. Das sei nicht der Fall gewesen. Zudem kämen nach
Art. 181 nur Drohungen in Betracht, die eine verständige Person in
der Lage des Betroffenen motivieren könnten. Sch. sei jedoch in seiner
Tätigkeit im Autooccasionshandel an rauhe Sitten gewöhnt. Dem sei im
Sinne einer Relativierung des angedrohten Nachteils Rechnung zu tragen. So
gesehen aber könne die Warnung nie den Stellenwert gehabt haben, den die
Vorinstanz ihr beimesse. Tatsächlich habe sich Sch. durch das Verhalten
des Beschwerdeführers denn auch in keiner Weise beeindrucken lassen.

    a) Es trifft zu, dass eine blosse Warnung dem Erfordernis der Androhung
eines ernstlichen Nachteils im Sinne von Art. 181 StGB nicht genügt. Zwar
sagt gleicherweise ein Übel voraus, wer warnt und wer droht. Der Warnende
kündigt indes ein künftiges Übel an, das unabhängig von seinem Willen
eintritt; der Drohende erklärt dagegen, er werde das Übel bewirken
(SCHWANDER, Das schweizerische StGB, Nr. 628 b). Der Eintritt des
Übels muss also, mit anderen Worten, als vom Willen des Täters abhängig
hingestellt werden (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Bd. I,
2. Aufl., 1978, S. 92). Dass diese Abhängigkeit tatsächlich bestehe,
ist jedoch nicht nötig. Es genügt, wenn nach der Darstellung des Täters
der Eintritt des Nachteils als von seinem Willen abhängig erscheint. Mehr
verlangt das Gesetz nicht, denn schon in diesem Falle kann die Drohung
geeignet sein, die freie Willensbildung und Willensbetätigung des
Betroffenen zu beeinträchtigen (s. auch BGE 79 IV 63/64). Gerade diese
Freiheit aber ist das durch Art. 181 StGB geschützte Rechtsgut.

    b) Im vorliegenden Fall hing es objektiv zwar nicht vom Willen des
Beschwerdeführers ab, ob eine Fernsehsendung über den Occasionshandel
ausgestrahlt und dabei der Name Sch. genannt werde. Die Vorinstanz
stellt jedoch verbindlich fest, der Beschwerdeführer habe bei Sch. den
Eindruck erweckt, er könne Einfluss darauf nehmen, dass der Fall in
eine Sendung aufgenommen werde. Damit hat er den Eintritt des Übels
als von seinem Willen abhängig hingestellt, den Nachteil also im Sinne
des Art. 181 StGB angedroht. Dass diese Drohung geeignet war, eine
verständige Person in der Lage des Sch. zu motivieren, liegt nach den
Ausführungen des Kantonsgerichtes zweifelsfrei auf der Hand. Für einen im
Occasionshandel mit Autos tätigen Geschäftsmann wäre es sehr nachteilig
gewesen, wenn von ihm im Fernsehen gesagt worden wäre, er habe einem
Kunden ein Fahrzeug verkauft, dessen Motor durch einen solchen geringerer
Leistung ausgewechselt worden war, was dem Käufer nicht bekanntgegeben
worden sei. Die Androhung eines solchen Nachteils ist nach seinem
objektiven Ausmass geeignet, den Betroffenen in seiner Handlungsfreiheit
wesentlich zu beeinträchtigen (BGE 105 IV 122, 101 IV 48, 96 IV 62, 81
IV 105). Dass Sch. sich nicht hat beeinflussen lassen, ändert nichts.
Die subjektive Widerstandskraft des Opfers spielt entgegen der Meinung
des Beschwerdeführers keine Rolle. Wo sich dieses aus irgendeinem Grunde
nicht einschüchtern lässt, liegt ein Versuch der Nötigung vor (BGE 101
IV 48 sowie bezüglich der Erpressung BGE 79 IV 64), und nur ein solcher
wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt. Würde man das Vorliegen einer
Nötigungshandlung stets verneinen, wenn das Opfer sich durch sie nicht
beeinflussen liess, dann wäre eine Bestrafung wegen versuchter Nötigung
gar nicht möglich. Dass es aber bei diesem Delikt keinen strafbaren
Versuch geben könne, behauptet der Beschwerdeführer zu Recht selber nicht.

    c) Unbehelflich ist auch der in diesem Zusammenhang erhobene
Einwand, wonach es normalerweise kein Nachteil im Rechtssinne sei,
wenn tatsächliche oder vermeintliche öffentliche Missstände bei der
Presse als dem zuständigen Organ der öffentlichen Meinung anhängig
gemacht würden. Diese Überlegung kann gegebenenfalls für die Frage nach
der Widerrechtlichkeit der Drohung von Belang sein (s. BGE 101 IV 302),
nicht aber für diejenige nach dem angedrohten Nachteil. Eine Mitteilung
an das Fernsehen kann rechtmässig sein, ihre Ausstrahlung durch das Medium
aber dennoch den Betroffenen sehr ernsthaft schädigen.

Erwägung 3

    3.- W. bestreitet sodann die Rechtswidrigkeit der Drohung.

    a) Unrechtmässig ist eine Nötigung, wenn das Mittel oder der
Zweck unerlaubt ist oder wenn das Mittel zum erstrebten Zweck nicht im
richtigen Verhältnis steht oder wenn die Verknüpfung zwischen einem an
sich zulässigen Mittel und einem erlaubten Zweck rechtsmissbräuchlich
oder sittenwidrig ist (BGE 105 IV 123 mit Verweisungen). Letzteres trifft
insbesondere zu, wenn zwischen dem Gegenstand der Drohung und demjenigen
der Forderung kein sachlicher Zusammenhang besteht.
   b) Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz die Rechtswidrigkeit
der Nötigung einerseits in der sachfremden Verknüpfung von Mittel und
Zweck und anderseits in der Unverhältnismässigkeit des Mittels erblickt.

    Geht man von dem im angefochtenen Urteil verbindlich festgestellten
Sachverhalt aus, dann bestand in der Tat zwischen der Drohung, die
Sache im "Kassensturz" zur Sprache zu bringen, und der Forderung von
Fr. 500.-- kein unmittelbarer sachlicher Zusammenhang. In der fraglichen
Fernsehsendung hätte nach der Androhung des Beschwerdeführers das Gebaren
des Sch. als Occasionshändler dargestellt werden sollen, der ein Auto mit
einem schwächeren als dem im Fahrzeugausweis aufgeführten Motor verkauft
hatte. Insoweit aber hatten sich Sch. und der Käufer nach der verbindlichen
Feststellung der Vorinstanz geeinigt gehabt, indem der erstere den
Austausch des Motors zugesichert hatte; einzig über den Einbautermin war
man noch nicht einig geworden, was der vorgenannten Feststellung entgegen
der Meinung des Beschwerdeführers nicht widerspricht. Die geltend gemachte
Forderung von Fr. 500.-- stellt demgegenüber einen Pauschalbetrag für
angebliche Auslagen des Beschwerdeführers für eine von ihm eingeholte
Expertise und andere Umtriebe dar und war nach den Feststellungen
der Vorinstanz bestritten und keineswegs liquid; es handelte sich bei
dieser Forderung also nicht etwa um einen Ersatzanspruch des Käufers
für den Minderwert des Kaufgegenstandes. Die Vorinstanz hat daher einen
unmittelbaren sachlichen Zusammenhang zwischen dem Sachverhalt, der im
Fernsehen androhungsgemäss dargestellt werden sollte, und der Forderung
von Fr. 500.-- mit Recht verneint. Die Nötigung war somit mangels eines
rechtsgenüglichen Zusammenhangs zwischen Mittel und Zweck rechtswidrig.
Sie war es auch deswegen, weil die Nachteile, welche Sch. durch die
Fernsehsendung entstanden wären, unverhältnismässig viel grösser gewesen
wären als der Vorteil (Umgehung der Risiken eines Zivilprozesses), den der
Beschwerdeführer mit der Drohung erwirken wollte. Dass schliesslich W.
vorsätzlich gehandelt hat, wurde im angefochtenen Urteil ausdrücklich
festgestellt.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten
ist.