Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IV 115



106 IV 115

37. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. April 1980 i.S.
Schawinski gegen Bourgknecht (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 173 StGB. Üble Nachrede; Wahrheitsbeweis.

    1. Im Gegensatz zum Gutgläubigkeitsbeweis kann der Wahrheitsbeweis sich
auf Umstände stützen, die dem Täter erst nach der eingeklagten Äusserung
bekannt werden oder sich aus einer späteren Abklärung ergeben (Erw. 2a).

    2. Der Wahrheitsbeweis für die Behauptung oder Verdächtigung, jemand
habe ein Delikt begangen, ist grundsätzlich durch eine entsprechende
Verurteilung zu erbringen (Erw. 2 b-e).

Sachverhalt

    A.- (Gekürzt.) Roger Schawinski, damals Chefredaktor der Tageszeitung
"Tat", hat die Verantwortung übernommen für die einem Artikel des
Journalisten Christian Fehr auf der Titelseite der "Tat" vom 30. Juni
1977 vorangestellte grosse Überschrift:

    "Ständerat Jean-François Bourgknecht in der Steuerfalle: Sitzt im

    Ständerat ein Steuerbetrüger?"

    B.- Auf Klage Bourgknechts wurde Schawinski vom Bezirksgericht Zürich
am 12. Juni 1979 der üblen Nachrede schuldig erklärt und zu einer Busse
von Fr. 200.-- verurteilt. Das Obergericht bestätigte am 7. November 1979
den Schuldspruch und erhöhte die Busse auf Fr. 600.--.

    C.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Schawinski Aufhebung des
obergerichtlichen Urteils und Rückweisung der Sache zur Aktenergänzung
und Neubeurteilung. Er rügt, die Vorinstanz habe zu Unrecht eine Bindung
des Strafrichters an die Einstellung des Steuerstrafverfahrens angenommen
und durch die Ablehnung des beantragten Aktenbeizugs den Wahrheitsbeweis
unter Verletzung von Art. 173 Ziff. 2 StGB praktisch ausgeschlossen.

    Bourgknecht beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Schawinski bestreitet nicht, dass er mit dem massiven Vorwurf
des Steuerbetrugs eine ehrverletzende Verdächtigung geäussert hat,
für welche er mit den ihm damals zur Verfügung stehenden Unterlagen
(insbesondere Entscheid der Steuerrekurskommission Fribourg vom 4. März
1977) den Gutgläubigkeitsbeweis im Sinne von Art. 173 Ziff. 2 StGB nicht
erbringen kann. Er macht jedoch sinngemäss geltend, mit Hilfe der im
kantonalen Verfahren angerufenen, von der Vorinstanz nicht zugelassenen
Beweismittel wäre der Wahrheitsbeweis möglich.

Erwägung 2

    2.- a) Während der Entlastungsbeweis in der Form des
Gutgläubigkeitsbeweises nur durch den Nachweis von Tatsachen und Umständen
erbracht werden kann, welche der Täter im Zeitpunkt der inkriminierten
Äusserung kannte, ist es möglich, dass der Wahrheitsbeweis sich auf
Umstände stützt, die dem Täter erst nachträglich bekannt geworden sind
oder sich im Laufe einer spätern Abklärung (Strafverfahren, amtliche
Untersuchung) ergeben. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass ein Täter
den Gutgläubigkeitsbeweis für den Zeitpunkt seiner Äusserung nicht zu
erbringen vermag, weil er aufgrund geringer Anhaltspunkte eine massive
Verdächtigung verbreitete, dass aber der zu leichtfertig geäusserte
Verdacht sich nachher als zutreffend erweist und der Täter sich somit
durch den Wahrheitsbeweis entlasten kann (vgl. BGE 102 IV 182 E. 1c).

    b) Im vorliegenden Fall hat sich Schawinski damit abgefunden, dass
er den Gutgläubigkeitsbeweis nicht zu erbringen vermag. Er ist jedoch
der Auffassung, durch Dokumente, welche das Ergebnis der inzwischen
durchgeführten Abklärungen enthalten sollen, könne er den Wahrheitsbeweis
erbringen. In diesem Sinne hat er im Berufungsverfahren vor Obergericht
folgende Anträge gestellt:

    - Es sei der Beschluss der kantonalen Steuerrekurskommission Fribourg
vom 25. November 1977 durch den Ankläger bzw. die Steuerrekurskommission
zu edieren.

    - Es sei der Bericht des Sekretärs der Geschäftsprüfungskommission
des Nationalrats beizuziehen, bzw. von dieser Geschäftsprüfungskommission
zu edieren.

    - Es seien die Akten über das Strafverfahren gegen den Ankläger wegen
versuchter Steuerhinterziehung von der Wehrsteuerverwaltung des Kantons
Fribourg zu edieren.

    Das Obergericht hat den Beizug dieser Akten abgelehnt. Es geht in
seinem Entscheid davon aus, dass der Wahrheitsbeweis für die Behauptung
oder den Verdacht eines Deliktes in der Regel nur durch die Verurteilung
des Verdächtigten wegen Begehung dieses Deliktes erbracht werden könne;
bei Freispruch, Einstellung des Verfahrens oder Verzicht auf die Einleitung
einer Strafuntersuchung (mangels ausreichender Verdachtsgründe) durch die
zuständige Instanz sei es nicht möglich, in einem Ehrverletzungsprozess
durch abweichende Würdigung der Untersuchungsergebnisse den Wahrheitsbeweis
für die Begehung des Deliktes doch zu leisten. Aufgrund dieser Erwägung
hat das Obergericht den Beizug weiterer Akten als unbehelflich betrachtet,
weil damit der Wahrheitsbeweis nicht zu erbringen sei.

    c) Der Vorinstanz ist zuzustimmen. Der Wahrheitsbeweis für die
Behauptung oder Verdächtigung, es habe jemand ein Delikt begangen, ist
grundsätzlich durch eine entsprechende Verurteilung zu erbringen. Welche
Ausnahmen allenfalls von dieser Regel zu machen sind (wenn etwa ein
Strafverfahren nicht oder nicht mehr durchgeführt werden kann), braucht
im vorliegenden Fall nicht erörtert zu werden. Der gegen Jean-François
Bourgknecht geäusserte Verdacht von Steuerdelikten konnte von den
zuständigen Behörden untersucht und beurteilt werden. Es wurden Abklärungen
vorgenommen, doch erfolgte unbestrittenermassen keine Verurteilung; die
zuständigen Instanzen kamen offenbar zum Schluss, ein steuerrechtlicher
Straftatbestand sei nicht erfüllt. Bezüglich der kantonalen Steuern
wurde nie eine eigentliche Strafuntersuchung eingeleitet. Das von der
Eidg. Steuerverwaltung angeordnete Verfahren wegen versuchter Hinterziehung
der Wehrsteuer wurde durch Verfügung vom 31. Oktober 1978 eingestellt. Der
Wahrheitsbeweis für Steuerdelikte ist also nicht erbracht.

    Der für die Beurteilung einer Ehrverletzungsklage zuständige
Richter hat nicht zu überprüfen, ob jene Behörden, welche nach
der Kompetenzordnung die gegen den Ehrverletzungskläger erhobenen
Anschuldigungen untersuchen und beurteilen müssen, ihrer Aufgabe gerecht
wurden oder ob eventuell das behauptete Delikt entgegen der formellen
Erledigung doch als bewiesen zu betrachten sei. Er darf und muss in
dieser Frage auf den Entscheid der zuständigen Instanz abstellen. Dass
dem wegen der ehrverletzenden Verdächtigung oder Bezichtigung Beklagten
bei der amtlichen (strafrechtlichen) Untersuchung die wegen seiner
Äusserung gegen die von ihm kritisierte Person geführt wird, keine
Parteistellung zukommt, ist rechtsstaatlich nicht zu beanstanden. Die
Tatsache, dass ein Aussenstehender (als Privatmann oder als Journalist)
einen Verdacht geäussert oder Vorwürfe erhoben hat, verschafft ihm
keine besondere Position in einer durch seine Äusserung ausgelösten
Untersuchung. Wird er wegen übler Nachrede ins Recht gefasst, so kann er
sich allenfalls schon mit dem Gutgläubigkeitsbeweis gänzlich entlasten,
sofern der Entlastungsbeweis zulässig ist (Art. 173 Ziff. 2/3 StGB). Er
hat aber nicht darüber hinaus eine Sonderstellung bei der Ermittlung der
Wahrheit. Erweist sich seine aufgrund schwacher Anhaltspunkte gemachte
Äusserung schliesslich als wahr, so kommt ihm das zugut. Führt die
amtliche Untersuchung nicht zur Verurteilung des von ihm Beschuldigten,
so kann er nicht im Rahmen des Wahrheitsbeweises gemäss Art. 173 Ziff. 2
StGB die Überprüfung der Entscheidung der zuständigen Behörden durch den
Ehrverletzungsrichter verlangen. Wie gerade das vorliegende Verfahren
zeigt, hätte die vom Beschwerdeführer Schawinski vertretene Auffassung
zur Folge, dass im Ehrverletzungsprozess unter Umständen Freisprüche und
Einstellungsbeschlüsse von Behörden anderer Kantone zu überprüfen wären,
wobei eine abweichende Auffassung des Ehrverletzungsrichters sich aber
selbstverständlich formell nur im Ehrverletzungsprozess auswirken könnte
und die Rechtskraft der vorangehenden Entscheidungen nicht berühren
würde. Aus Art. 173 Ziff. 2 StGB lässt sich kein solcher Anspruch des
Beklagten auf Überprüfung der die ehrverletzende Äusserung betreffenden
Entscheidungen zuständiger Behörden ableiten.

    d) Ist der Wahrheitsbeweis für Verdacht oder Behauptung eines
Deliktes aber im Prinzip nur durch die Verurteilung zu leisten, so hat
die Vorinstanz den beantragten Beizug von Akten mit Recht abgelehnt;
denn aus diesen weitern Unterlagen könnten sich höchstens neue Indizien
für den Verdacht von Steuerdelikten entnehmen lassen; an der Tatsache,
dass die zuständigen Behörden den Nachweis eines Steuerstraftatbestandes
nicht für erbracht hielten, wäre damit nichts zu ändern und somit ein den
Beschwerdeführer entlastender Wahrheitsbeweis nicht zu erbringen. Die
gerügte Ablehnung von Beweisanträgen verletzt daher Art. 173 Ziff. 2
StGB nicht.

    e) In der Nichtigkeitsbeschwerde wird auf BGE 101 IV 296 Bezug
genommen. In jenem Fall ging es jedoch nicht um die Frage, ob ein nach der
inkriminierten Äusserung ergangener Entscheid (Einstellungsbeschluss) trotz
des anderslautenden Dispositivs als Wahrheitsbeweis für die behauptete
Begehung eines Deliktes dienen könne, sondern zu urteilen war dort
über die Tragweite und Bedeutung eines im Leitpunkt der inkriminierten
Äusserung dem Täter bekannten Einstellungsbeschlusses. Die Frage, ob ein
Täter ernsthafte Gründe hatte, seine Verdächtigungen erneut vorzubringen,
obschon in der Sache bereits ein Verfahren geführt und eingestellt worden
war, unterscheidet sich klar von dem hier zu beurteilenden Problem der
Zulässigkeit einer selbständigen Überprüfung der Strafbarkeit eines
Verhaltens durch den Ehrverletzungsrichter, unabhängig vom Entscheid des
zur Strafverfolgung zuständigen Organs. Aus BGE 101 IV 296, der vorwiegend
den Gutgläubigkeitsbeweis betrifft, lassen sich keine Schlüsse für den
vorliegenden Fall (Wahrheitsbeweis) ziehen. Die oben dargelegte Auffassung
steht nicht im Widerspruch zu den Erwägungen jenes Entscheides.