Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IV 107



106 IV 107

35. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. August 1980 i.S. N.
gegen Direktion der Justiz des Kantons Zürich (Staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Art. 37bis Ziff. 1 Abs. 1, 39 Ziff. 3 Abs. 2; 397bis Abs. 1 lit. f
StGB; Art. 4 VStGB. Halbgefangenschaft.

    Die Kantone dürfen von der Halbgefangenschaft Verurteilte
ausschliessen, die in den letzten fünf Jahren vor der neuen Verurteilung
eine Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe verbüssten.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Für Gefängnisstrafen von nicht mehr als drei Monaten
sind gemäss Art. 37bis Ziff. 1 Abs. 1 StGB die Bestimmungen über
die Haft anwendbar. Bei der Regelung der Haftstrafe enthält das
Gesetz in Art. 39 Ziff. 3 Abs. 2 StGB einen kurzen Hinweis auf die
Möglichkeit der Beschäftigung ausserhalb der Haftanstalt (Halbfreiheit
bzw. Halbgefangenschaft, vgl. BGE 99 Ib 45 ff.): "Wenn es die Umstände
rechtfertigen, kann er ausserhalb der Anstalt mit Arbeit beschäftigt
werden, die ihm zugewiesen wird."

    In Art. 397bis Abs. 1 lit. f StGB wird der Bundesrat ermächtigt,
ergänzende Bestimmungen aufzustellen über den Vollzug der Haftstrafen
(und Einschliessungsstrafen) "in der Form, dass der Verurteilte nur die
Freizeit und die Nacht in der Anstalt zu verbringen hat". Der Bundesrat
hat von dieser Befugnis in Art. 4 der Verordnung 1 zum StGB (VStGB 1)
Gebrauch gemacht. Danach ist den Kantonen gestattet, für Haftstrafen und
kurze (wie Haft zu vollziehende, Art. 37bis StGB) Gefängnisstrafen den
Vollzug in der Form der Halbgefangenschaft einzuführen. Abs. 3 von Art. 4
VStGB 1 umschreibt die Halbgefangenschaft folgendermassen:

    "Beim Vollzug in der Form der Halbgefangenschaft setzt der Verurteilte
   beim Strafantritt seine bisherige Arbeit oder eine begonnene Ausbildung
   ausserhalb der Anstalt fort und verbringt nur die Ruhezeit und die
   Freizeit in der Anstalt."

    b) Der Beschwerdeführer will aus diesen bundesrechtlichen
Vorschriften ableiten, den Kantonen stehe es zwar frei, die Möglichkeit der
Halbgefangenschaft einzuführen oder nicht, wenn aber die Halbgefangenschaft
eingeführt werde, dann habe kraft Bundesrecht jeder, der eine Haft-
oder eine kurze Gefängnisstrafe verbüssen müsse, Anspruch auf diese
Vollzugsform, ein Ermessen bei der Anwendung könne den kantonalen
Vollzugsbehörden nicht zustehen, insbesondere aber könne die Tatsache
der Verbüssung einer Freiheitsstrafe in den letzten fünf Jahren nicht
als Ausschlussgrund statuiert werden.

    Diese Argumentation ist nicht stichhaltig. Die Halbgefangenschaft
ist ein Versuch, die Nachteile kurzer Freiheitsstrafen (Verlust der
Arbeitsstelle) nach Möglichkeit zu vermeiden. Die Kantone werden, wie
in der Beschwerde ausdrücklich anerkannt wird, nicht verpflichtet,
diese Vollzugsform einzuführen, sondern es wird ihnen lediglich
gestattet, bei Haftstrafen und kurzen Gefängnisstrafen an die Stelle
des herkömmlichen Freitheitsentzuges die sogenannte Halbgefangenschaft
treten zu lassen. Diese wesentliche Vollzugserleichterung ist vom
Kanton, der sich grundsätzlich zu ihrer Einführung entschliesst,
nach den praktischen Möglichkeiten und Erfordernissen zu regeln, wie
dies für analoge Erleichterungen im Laufe des ordentlichen Vollzugs
von Zuchthaus- und Gefängnisstrafen in Art. 37 Ziff. 3 Abs. 3 StGB
ausdrücklich vorgeschrieben ist. Dabei ist selbstverständlich das Gebot
der Rechtsgleichheit zu beachten; willkürliche, sachlich nicht vertretbare
Unterscheidungen und Einschränkungen sind unzulässig. Das Bundesrecht
gewährt aber den Kantonen einen weiten Ermessensspielraum, in welchem sie
die den konkreten Verhältnissen angepasste Ordnung der Voraussetzungen und
der Durchführung der Halbgefangenschaft treffen können (vgl. BGE 102 Ib
137: Beschränkung der Halbgefangenschaft auf Freiheitsstrafen bis zu einem
Monat). Abgesehen von den aus der Vollzugsform sich ergebenden Bedingungen
- wie feste Arbeitsstelle im Einzugsbereich eines Gefängnisses, von welchem
aus organisatorisch die externe Beschäftigung möglich ist, Fehlen jeder
Flucht- oder Gemeingefährlichkeit - darf ein Kanton bei der Auswahl der
für diese milde Vollzugsform in Betracht fallenden Verurteilten auch das
Vorleben und die konkrete Erfolgsaussicht der Vollzugsart in sachlicher
Weise in Betracht ziehen. Der Ausschluss der Rückfälligen, die in den
letzten fünf Jahren eine Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe verbüsst haben,
liegt in der Linie dieser Erwägungen. Die Beschränkung auf Erstmalige
lässt sich unter dem Aspekt der Erfolgsaussicht, aber auch im Hinblick
auf die Kontakte innerhalb der für die Halbgefangenschaft geeigneten
Abteilung begründen. Es handelt sich hier auf jeden Fall um ein sachliches
Kriterium, das nicht gegen Bundesrecht verstösst. Der Bundesgesetzgeber,
der den Kantonen die völlige Freiheit lässt, die Halbgefangenschaft
überhaupt nicht einzuführen, untersagt damit auch nicht, diese milde
Vollzugsform grundsätzlich auf Verurteilte zu beschränken, die erstmals
in den Vollzug kommen, und jene auszuschliessen, die in den letzten fünf
Jahren vor der neuen Verurteilung eine Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe
verbüssten. Wohl wäre im vorliegenden Fall auch vertretbar, dass die
1976 in Halbgefangenschaft verbüsste Gefängnisstrafe von einem Monat der
neuerlichen Gewährung der Halbgefangenschaft nicht entgegenstehen soll;
aber ein bundesrechtlicher Anspruch auf die erneute Anwendung dieser
Vollzugsart besteht nicht.