Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 II 272



106 II 272

54. Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. Dezember 1980 i.S. K. gegen
T.(Berufung) Regeste

    Adoption, internationales und intertemporales Recht.

    Eine vor dem 1. April 1973 im Ausland ausgesprochene und in der
Schweiz anerkannte einfache Adoption ändert ihren Charakter durch das
Inkrafttreten des neuen schweizerischen Adoptionsrechts nicht.

    Das Adoptivkind behält daher sein Erbrecht gegenüber seinem in der
Schweiz verstorbenen leiblichen Vater (E. 1).

    Art. 214 Abs. 3 ZGB.

    Die ehevertragliche Zuweisung des Vorschlags an den überlebenden
Ehegatten unterliegt der Herabsetzung, soweit die Pflichtteilsrechte der
Nachkommen verletzt sind (E. 2; Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Der am 4. Februar 1976 verstorbene Albert K. hinterliess als
gesetzliche Erben seine zweite Ehefrau Hedwig sowie die 1940 geborene
Tochter Valeria aus seiner ersten geschiedenen Ehe. Diese Tochter war am
27. Februar 1947 in Mailand durch den italienischen Staatsangehörigen
Alessandro J. nach italienischem Recht adoptiert worden. Das damals
geltende italienische sah wie das frühere schweizerische Adoptionsrecht
weder einen Verlust des bisherigen Bürgerrechts noch auch den Untergang des
bisherigen Kindesverhältnisses zu den leiblichen Eltern vor. Die Adoption
wurde von den schweizerischen Behörden anerkannt und im Familienregister
der Heimatgemeinde der Tochter eingetragen. Eine Änderung dieser Eintragung
im Sinne einer Unterstellung unter das neue italienische Adoptionsrecht,
das seit 1967 unter bestimmten Bedingungen auch eine Volladoption kennt,
oder unter das neue schweizerische Adoptionsrecht ist nicht erfolgt. Am
16. Januar 1971 heiratete Valeria J. den italienischen Staatsangehörigen
Silvano T., wobei sie die Erklärung abgab, das Schweizerbürgerrecht
beibehalten zu wollen.

    In einem Ehe- und Erbvertrag vom 29. November 1962 hatten die Eheleute
Albert und Hedwig K. nach der Feststellung, dass der Ehemann nichts und
die Ehefrau Fr. 6'000.-- in die Ehe eingebracht hätten, vereinbart, der
gesamte in der Ehe erzielte Vorschlag falle dem überlebenden Ehegatten
zu. In einer öffentlichen letzwilligen Verfügung vom 8. Juli 1974 hatte
Albert K. diesen Ehevertrag bestätigt und erklärt, er werde demzufolge
voraussichtlich keinen Nachlass hinterlassen; sollte das trotzdem der Fall
sein, so setze er seine Ehefrau Hedwig zur Universalerbin ein. Für den
Fall, dass er seine Ehefrau überlebe, hatte er anderweitige Verfügungen
getroffen.

    B.- Mit ihrer am 3. August 1977 beim Bezirksgericht Baden gegen Hedwig
K. eingereichten Klage verlangte Valeria T. die gerichtliche Feststellung
und Teilung des Nachlasses ihres Vaters, wobei der Ehe- und Erbvertrag
vom 29. November 1962 und die letztwillige Verfügung vom 8. Juli
1974 insoweit herabzusetzen seien, als sie ihren Pflichtteilsanspruch
verletzten. Die Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, die Klägerin
habe mit dem Inkrafttreten des neuen schweizerischen Adoptionsrechts am
1. April 1973 gemäss der revidierten Fassung von Art. 267 Abs. 2 ZGB das
Erbrecht gegenüber ihrem leiblichen Vater verloren.

    Das Bezirksgericht Baden fällte am 15. März 1979 folgendes Urteil:

    "1. Es wird richterlich festgestellt, dass der Nettonachlass des am 4.

    Februar 1976 verstorbenen Albert K., geboren 1912, ... Fr. 435'705.07
   beträgt.

    2. Der gesetzliche Pflichtteil der Klägerin beträgt 9/16 des

    Nettonachlasses, entsprechend Fr. 244'521.60.

    3. Die Zuweisung des gesamten Vorschlags aus der Ehe des verstorbenen

    Albert K. mit der Beklagten an diese wird um die Höhe des Pflichtteils
der

    Klägerin, d.h. um Fr. 244'521.60, herabgesetzt.

    4. Der gesamte Nachlass des verstorbenen Albert K. gemäss amtlichem

    Inventar vom 25. Januar/4. Februar 1977 wird der Beklagten zu Eigentum
   zugewiesen.

    5. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin aus dem Nachlass deren

    Pflichtteil mit Fr. 244'521.60 auszubezahlen."

    Das Obergericht des Kantons Aargau wies eine Appellation der Beklagten
gegen dieses Urteil mit Entscheid vom 17. April 1980 ab.

    C.- Mit ihrer Berufung beantragt die Beklagte dem Bundesgericht, das
Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin
schliesst auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des vorinstanzlichen
Urteils.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Frage der Gültigkeit einer durch eine international zuständige
Behörde im Ausland ausgesprochenen Adoption und ihrer Anerkennung durch
die schweizerische Rechtsordnung beurteilt sich unter Vorbehalt eines
allfälligen Verstosses gegen die schweizerische öffentliche Ordnung
nach ausländischem Recht. Welche erbrechtlichen Wirkungen eine im
Ausland ausgesprochene und in der Schweiz anerkannte Adoption mit
Bezug auf das Erbrecht gegenüber einem Erblasser hat, dessen Erbfolge
nach international-privatrechtlichen Regeln dem schweizerischen Recht
untersteht, ist dagegen eine Frage des schweizerischen Rechts, jedenfalls
soweit die ausländische Adoption der schweizerischen gleichwertig
ist. Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Klägerin im Zeitpunkt der
erfolgten Adoption und ihrer Anerkennung und Eintragung im schweizerischen
Zivilstandsregister sowohl nach dem italienischen wie nach dem damals
geltenden schweizerischen Recht das Erbrecht gegenüber ihrem leiblichen
Vater beibehalten hat. Die Adoption ist somit von der Schweiz in der
Form der damals einzig zulässigen sogenannten einfachen Adoptionen
anerkannt worden. Es ist in keiner Weise einzusehen, weshalb sie sich
mit dem Inkrafttreten des neuen Adoptionsrechts automatisch in eine
Volladoption hätte umwandeln sollen. Eine Unterstellung altrechtlicher
einfacher Adoptionen des schweizerischen Rechts unter das neue Recht
erfolgt nach Art. 12b SchlT ZGB lediglich auf gemeinsames Begehren der
Adoptiveltern und des Adoptivkindes. Ob eine vor dem 1. April 1973 im
Ausland ausgesprochene einfache Adoption ausländischen Rechts nachträglich
in gleicher Weise dem neuen schweizerischen Recht unterstellt werden
kann, erscheint fraglich. HEGNAUER (N. 14 und 15 zu Art. 12b SchlT
ZGB) weist darauf hin, der Wortlaut der genannten Bestimmung schränke
ihre Anwendbarkeit auf nach früherem schweizerischem Recht durch
schweizerische Behörden ausgesprochene Adoptionen ein; für vor dem 1.
April 1973 im Ausland nach ausländischem Recht durchgeführte einfache
Adoptionen verweist der genannte Autor entweder auf die Umwandlung nach
dem massgebenden ausländischen Recht (N. 94, 96 und 99 zu Art. 268 ZGB)
oder aber auf eine in der Schweiz durchzuführende Neuadoption (N. 16
zu Art. 12b SchlT ZGB; N. 10 zu Art. 264 und N. 94 zu Art. 268 ZGB). Er
fügt allerdings bei, die kantonale Praxis anerkenne auch die Möglichkeit,
in analoger Anwendung von Art. 12b SchlT ZGB beziehungsweise im Sinne
einer Lückenfüllung ausländische einfache Adoptionen in neurechtliche
schweizerische Volladoptionen umzuwandeln (in diesem Sinne auch BUCHER,
Anerkennung und Eintragung von im Ausland ausgesprochenen Adoptionen in der
Schweiz, ZZW 45/1977, S. 169/170). Eine solche Umwandlung bedarf aber in
jedem Falle einer ausdrücklichen Erklärung der Beteiligten; zudem müssen
die schweizerischen Behörden gemäss Art. 8a-8c NAG zuständig sein (BUCHER
aaO S. 170), was hier nicht der Fall ist. Eine automatische Umwandlung
lehnt HEGNAUER mit Recht ab (N. 93, 94 und 96 zu Art. 268 ZGB); ja, er
ist sogar der Meinung, eine nach ausländischem Recht erfolgte einfache
Adoption, die nach dem 1. April 1973 ausgesprochen worden sei, könne in
der Schweiz mit einem Hinweis auf das betreffende ausländische Recht in
der Weise eingetragen werden, dass sie sich weiterhin auf die Wirkungen,
die das Recht des Adoptivstaates der Adoption beilege, beschränke (N. 99 zu
Art. 268 ZGB). Automatisch entfaltet eine ausländische Adoption, die vor
dem 1. April 1973 durchgeführt worden ist, somit nur dann die Wirkungen
des neuen schweizerischen Rechts, wenn es sich nach ausländischem Recht
bereits um eine Volladoption gehandelt hat (HEGNAUER, N. 96/97 zu Art. 268
ZGB; BUCHER, aaO S. 171/172).

    Geht man davon aus, so hat die Klägerin ihr Erbrecht gegenüber ihrem
Vater nicht verloren, da die- in Italien ausgesprochene Adoption nur die
Wirkungen einer einfachen Adoption hatte. An diesem vom ausländischen
Recht beherrschten Adoptivverhältnis vermochte das Inkrafttreten des
neuen schweizerischen Adoptionsrechts nichts zu ändern.

    Die Beklagte macht demgegenüber geltend, der Erblasser sei nach
dem Inkrafttreten des neuen Rechts gestorben, weshalb nach Art. 15
SchlT ZGB das neue Erbrecht massgebend sei. Dieses schliesse nach
Art. 267 Abs. 2 ZGB die Erbberechtigung von Adoptivkindern gegenüber
ihren leiblichen Eltern aus. Eine Ausnahme hievon statuiere Art. 12a
SchlT ZGB nur für altrechtliche schweizerische, nicht aber auch für
ausländische Adoptionen. Dieser Argumentation kann jedoch nicht gefolgt
werden. Wohl bezieht sich Art. 12a SchlT ZGB nach seinem Wortlaut
nur auf altrechtliche schweizerische Adoptionen. Indessen enthält
diese Vorschrift lediglich den ganz allgemein geltenden Grundsatz
der Nichtrückwirkung, der sinngemäss auch auf ausländische Adoptionen
angewendet werden muss. Es besteht kein vernünftiger Grund, im Ausland
ausgesprochene Adoptionen intertemporalrechtlich anders zu behandeln
als schweizerische Adoptionen. Ist Art. 12a SchlT ZGB aber sinngemäss
auch auf altrechtliche ausländische Adoptionen anwendbar, so fallen
solche Adoptionen auch nicht unter Art. 267 Abs. 2 ZGB, es sei denn, es
handle sich um Volladoptionen oder es sei eine Unterstellung unter das
neue schweizerische Adoptionsrecht vorgenommen worden, was hier nicht der
Fall ist. Würde man anders entscheiden, so wäre das vor dem 1. April 1973
im Ausland adoptierte Kind schlechter gestellt als das schweizerische
Adoptivkind, das unter gleichen Verhältnissen sein Erbrecht gegenüber
seinen natürlichen Eltern nicht verliert. Das wäre stossend. - Welche
erbrechtlichen Wirkungen ausländische einfache Adoptionen haben, die nach
dem 1. April 1973 ausgesprochen worden sind, ist im übrigen hier nicht
zu entscheiden.

    Die Berufung ist daher in diesem Punkte unbegründet.

Erwägung 2

    2.- In zweiter Linie wird mit der Berufung die neue bundesgerichtliche
Rechtsprechung in Frage gestellt, wonach die ehevertragliche Zuweisung des
Vorschlages an den überlebenden Ehegatten der Herabsetzung unterliegt,
soweit Pflichtteilsrechte der Nachkommen verletzt sind (BGE 102 II 313
ff.). Dieser Einwand ist zulässig, obschon er im kantonalen Verfahren nicht
vorgebracht worden ist. Es handelt sich nicht um ein neues Vorbringen
im Sinne von Art. 55 Abs. 1 lit. c OG, sondern lediglich um eine neue
rechtliche Würdigung des unbestrittenen Sachverhaltes, wie er im kantonalen
Verfahren festgestellt worden ist (BGE 104 II 111).

    Es trifft zu, dass der zitierte Entscheid in der Lehre teilweise
auf heftige Kritik gestossen ist (alt Notariatsinspektor H. HUBER, ZBGR
58/1977, S. 250 ff.; H.A. KAUFMANN, Ehevertragliche Vorschlagsausbedingung
und pflichtteilsrechtliche Herabsetzung, in: Berner Festgabe zum
Schweizerischen Juristentag 1979, S. 233 ff.; Professor H. HUBER,
Vertrauensschutz, in: Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe
und Bindung, Festgabe aus Anlass des 25jährigen Bestehens des
Bundesverwaltungsgerichts, S. 316 f.), und dass auch das Obergericht
des Kantons Zürich in einem Urteil vom 22. Januar 1980 an der früheren
bundesgerichtlichen Rechtsprechung festgehalten und die neue kritisiert
hat (SJZ 76/1980, S. 166 ff., sowie ZBGR 61/1980, S. 146 ff., mit einer
redaktionellen Anmerkung von alt Notariatsinspektor H. HUBER, S. 168).
Indessen hat das Bundesgericht für seine Praxisänderung auch Zustimmung
gefunden (PIOTET, JdT 125/1977 I, S. 146 ff., und ZBGR 59/1978, S. 1 ff.;
vgl. auch die differenzierte Stellungnahme von HAUSHEER, ZBJV 114/1978,
S. 178 ff.). Überdies ist auf die Kritik zu verweisen, die die frühere
bundesgerichtliche Rechtsprechung in der Lehre immer wieder erfahren hat
(vgl. die Zitate in BGE 102 II 320).

    Trotz der Kritik an der in BGE 102 II 313 ff. erfolgten
Praxisänderung drängt es sich nicht auf, die Frage der Herabsetzbarkeit
der ehevertraglichen Zuweisung des Vorschlags an den überlebenden
Ehegatten erneut zu überprüfen. Der wohl gewichtigste Einwand, der gegen
jenen Entscheid erhoben wird, geht dahin, er missachte die Gebote der
Rechtssicherheit und der Kontinuität der Rechtsprechung. Dieses Argument
hat sich jedoch inzwischen, nach Ablauf von vier Jahren, in sein Gegenteil
verkehrt. Zu einer Rückkehr zur alten Praxis besteht sodann heute umso
weniger Anlass, als die betreffende Rechtsmaterie gegenwärtig ohnehin einer
umfassenden Revision unterzogen wird. Am 11. Juli 1979 hat der Bundesrat
der Bundesversammlung nämlich eine Botschaft über die Änderung des ZGB
auf dem Gebiet der Wirkungen der Ehe und des Ehegüterrechts unterbreitet
(BBl 1979 II S. 1191 ff.). Im Gesetzesentwurf wird auch das Verhältnis
zwischen den ehevertraglichen Vereinbarungen über die Beteiligung am
Vorschlag und dem Pflichtteilsrecht geregelt, dem Grundsatz nach übrigens
im Sinne der neuen bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wobei allerdings
zu berücksichtigen ist, dass die güter- und erbrechtliche Stellung des
überlebenden Ehegatten allgemein wesentlich verbessert werden soll (BBl
1979 II S. 1322 und 1415). Es müsste zu grosser Unsicherheit führen,
wenn die Praxis kurz vor der abschliessenden, den Gesamtzusammenhang
berücksichtigenden Regelung der Frage durch den Gesetzgeber ein
zweites Mal geändert würde. Aus dieser Überlegung heraus haben es die
eidgenössischen Räte denn auch abgelehnt, Art. 214 Abs. 3 ZGB entsprechend
einer Initiative von Nationalrat Kaspar Meier im Sinne einer ganzen oder
teilweisen Rückkehr zur früheren bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu
revidieren (Amtl. Bull. S 1979, S. 192 ff.; vgl. insbesondere das Votum
von Bundesrat Furgler, S. 200 ff.).

    Die Vorinstanz hat die im Ehevertrag vom 29. November 1962 vereinbarte
Zuweisung des Vorschlags an den überlebenden Ehegatten daher zu Recht
der Herabsetzung unterstellt, so dass sich die Berufung auch in diesem
Punkt als unbegründet erweist.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen, und das Urteil des Obergerichtes (II.
Zivilabteilung) des Kantons Aargau vom 17. April 1980 wird bestätigt.