Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 II 177



106 II 177

36. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Dezember 1980 i.S.
K. gegen Waisenamtliche Aufsichtsbehörde von Westlich-Raron (Berufung)
Regeste

    Einwilligung des Vormundes zur Eheschliessung (Art. 99 ZGB).

    Die Einwilligung zur Eheschliessung darf nur aus Gründen der
vormundschaftlichen Fürsorge verweigert werden, nicht jedoch aus Rücksicht
auf allfällige wirtschaftliche Interessen der Heimatgemeinde oder wegen
des bisherigen Lebenswandels des Entmündigten.

Sachverhalt

    A.- Der im Jahre 1945 geborene K. steht unter Vormundschaft.
Er hat für vier Kinder aus einer ersten Ehe, die geschieden worden ist,
aufzukommen. Seit fünf Jahren lebt er im Konkubinat mit Frl. V., einer
jugoslawischen Staatsangehörigen, die ihm bereits zwei Kinder geboren hat.

    B.- Der Vormund von K. widersetzt sich einer Heirat seines Mündels
mit Frl. V.

    Mit Beschluss vom 18. Juni 1980 verweigerte das Waisenamt Niedergesteln
die Einwilligung zur Eheschliessung mit der Begründung, die Gemeinde
Niedergesteln müsse für die geschiedene Frau sowie für die Kinder aus
erster Ehe des Mündels Unterstützungsbeiträge leisten; komme es zu
einer neuen Heirat, würden die beiden ausserehelichen Kinder Bürger von
Niedergesteln; es sei zu befürchten, dass sie früher oder später ebenfalls
der Gemeinde zur Last fallen würden.

    Auf Beschwerde von K. hin machte die Waisenamtliche Aufsichtsbehörde
von Westlich-Raron mit Entscheid vom 6. August 1980 die Einwilligung zur
Eheschliessung von der Bedingung abhängig, dass der Beschwerdeführer
ein Jahr lang, d.h. bis zum 6. August 1981, seine Beziehung zu
Frl. V. aufrechterhalte und in geordneten Arbeitsverhältnissen bleibe.

    C.- Gegen den Entscheid der Aufsichtsbehörde führte K. Beschwerde an
den Staatsrat des Kantons Wallis. Die Beschwerde wurde von Amtes wegen
als zivilrechtliche Berufung an das Bundesgericht weitergeleitet.

    Das Bundesgesicht heisst die Berufung gut und weist den Vormund an,
K. die Erwilligung zur Eheschliessung zu erteilen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 44 lit. b OG ist gegen die Verweigerung der
Einwilligung des Vormundes zur Eheschliessung die Berufung zulässig.

    Der angefochtene Entscheid ist ein Entscheid der letzten kantonalen
Instanz im Sinne von Art. 48 Abs. 2 lit. a OG, da im Kanton Wallis keine
obere kantonale Aufsichtsbehörde in Vormundschaftssachen besteht.

    Auf die Berufung ist demnach einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 99 Abs. 1 ZGB können entmündigte Personen eine Ehe nur
mit Einwilligung des Vormundes eingehen. Diese darf nicht unter Berufung
auf allfällige wirtschaftliche Interessen der Heimatgemeinde verweigert
werden, wie es das Waisenamt getan hat. Ökonomische Interessen Dritter,
namentlich der Heimatgemeinde, dürfen bei der Erteilung der Einwilligung
zur Eheschliessung keine Rolle spielen. Das ergibt sich unmittelbar aus
Art. 54 Abs. 2 BV, der durch Art. 99 Abs. 1 ZGB nicht eingeschränkt worden
ist. Zu berücksichtigen sind lediglich ökonomische Interessen des Mündels
selbst bzw. gesundheitliche, geistige oder sittliche Gefahren, die ihm
aus der beabsichtigten Ehe erwachsen könnten (BGE 50 II 214/215, 46 II
206 E. 2, 42 II 83/84). Vorstrafen, Anstaltsversorgung, aussereheliche
Vaterschaft, Nichtbezahlung von Alimenten und dergleichen reichen für
die Verweigerung der Einwilligung nicht aus (WOLFER, Die Eheschliessung
Entmündigter, ZVW 1/1946 S. 82 oben). Nur Gründe der vormundschaftlichen
Fürsorge sind massgebend, etwa eine schwere Gefährdung der persönlichen
Verhältnisse des Mündels oder eine schlechte Prognose mit Bezug auf die Ehe
selbst, wenn überdies anzunehmen ist, der Mündel würde bei verständiger
Würdigung der Verhältnisse von seinem Vorhaben absehen (BGE 67 II 1,
50 II 215, 46 II 206 E. 2, 42 II 83/84, 425: GÖTZ, N. 16-19 und N. 22
zu Art. 99 ZGB).

    Solche Gründe macht die Vorinstanz nicht geltend. Die Begründung,
mit der sie die Einwilligung zur Eheschliessung verweigert hat, ist
im übrigen insofern widersprüchlich, als sie feststellt, dass das
Verhältnis des Berufungsklägers zu Frl. V. nun fünf Jahre gedauert
hat und sie die Hoffnung ausdrückt, dass sich diese Beziehung weiter
festige und Frl. V. einen positiven Einfluss auf den Berufungskläger
ausübe, gleichzeitig aber die Eingehung der neuen Ehe um ein Jahr
hinausschiebt, namentlich um einer bevorstehenden Strafverbüssung Rechnung
zu tragen. Dabei scheint es sich entgegen der Feststellung im angefochtenen
Entscheid nicht um eine "längere" Freiheitsstrafe zu handeln, sondern um
eine Strafe von sechs Monaten Gefängnis, wobei noch die Möglichkeit einer
vorzeitigen bedingten Entlassung zu berücksichtigen ist. Auch kann es unter
Umständen für einen Strafgefangenen eine grosse moralische Hilfe bedeuten,
wenn ein Ehepartner zu ihm steht (vgl. GÖTZ, Die Einwilligung des Vormundes
zur Eheschliessung des Mündels, ZVW 21/1966 S. 46). Völlig sachfremd ist es
sodann, wenn die Vorinstanz aus der Auferlegung eines nunmehr abgelaufenen
Eheverbots im Scheidungsurteil die Rechtfertigung für eine "Erstreckung
der Verlobungszeit" ableiten will. Abgesehen davon darf die Einwilligung
zur Eheschliessung nicht von einer Bedingung abhängig gemacht werden,
wie es die Vorinstanz tut (GÖTZ, N. 10 zu Art. 99 ZGB; WOLFER, aaO S. 83).

    Dass das Vorhaben des Berufungsklägers unüberlegt sei, behauptet
die Vorinstanz nicht. Es steht auch keineswegs fest, dass die neue Ehe
unzweckmässig sei. Die Vorinstanz anerkennt im Gegenteil den positiven
Einfluss von Frl. V. auf den Berufungskläger; für diesen scheint
die Beziehung zu Frl. V. und zu den beiden Kindern tatsächlich der
einzige Halt zu sein. Unter diesen Umständen darf die Einwilligung
zur Eheschliessung nicht verweigert werden. Die Berufung ist daher
gutzuheissen.