Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 II 146



106 II 146

27. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. April 1980 i.S.
Ettlin gegen Amrein (Berufung) Regeste

    Art. 216 Abs. 2 OR. Öffentliche Beurkundung eines Kaufrechtsvertrages.

    1. Ein Vertragstext genügt dem bundesrechtlichen Begriff der
öffentlichen Beurkundung nicht, wenn er sich über die Grenzen und Lage
der Kaufrechtsparzelle ausschweigt (E. 1).

    2. Wann eine Planskizze, die dem Text beigeheftet wird, als beurkundet
gelten darf, beurteilt sich nach dem kantonalen Recht (E. 2).

    3. Auf die Ungültigkeit des Vertrages wegen Formmangels kann
sich auch der Dritte berufen, der durch Kauf des Grundstückes in den
Kaufrechtsvertrag eintritt (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 8. August 1973 räumte
Britschgi den Gebrüdern Ettlin zum Preise von Fr. 35.-- je m2 ein
Kaufsrecht ein, das sich auf etwa 2300 m2 der Parzelle Nr. 440 in Alpnach
bezog. Das Kaufsrecht wurde auf zehn Jahre beschränkt, im Grundbuch
vorgemerkt und 1975 von den Berechtigten für rund 1000 m2 ausgeübt. Am
23. Juli 1977 verkaufte Britschgi ein weiteres Stück der Parzelle samt
den 1300 m2, die noch unter das Kaufsrecht fielen, an Amrein.

    Im Dezember 1977 klagte Amrein gegen die Gebrüder Ettlin auf
Feststellung, dass das Kaufsrecht nichtig und deshalb im Grundbuch zu
löschen sei.

    Das Kantonsgericht und auf Appellation hin am 5. September 1979 auch
das Obergericht des Kantons Obwalden hiessen die Klage gut. Sie fanden,
dass der vom Kaufsrecht betroffene Teil des Grundstückes im Vertrag
nur ungenügend bestimmt und der beigeheftete Situationsplan von der
vorgeschriebenen Form nicht erfasst worden sei; es fehle daher an einer
gehörigen Beurkundung des Vertrages.

    B.- Die Beklagten haben gegen das Urteil des Obergerichts Berufung
eingelegt mit den Anträgen, es aufzuheben und die Klage abzuweisen oder
die Sache zur Ergänzung des Beweisverfahrens und zur neuen Beurteilung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit darauf einzutreten ist,
und bestätigt das angefochtene Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 216 Abs. 2 OR bedarf ein Vertrag, durch den ein
Kaufsrecht an einem Grundstück begründet wird, zu seiner Gültigkeit
der öffentlichen Beurkundung. Wie diese vorzunehmen ist, bestimmt das
kantonale Recht (Art. 55 Abs. 1 SchlT/ZGB). Der Begriff der öffentlichen
Beurkundung ist jedoch ein solcher des Bundesrechts, weshalb die kantonale
Regelung nicht nur dessen Schranken beachten, sondern auch bestimmte
Mindestanforderungen erfüllen muss, die sich aus dem materiellrechtlichen
Zweck des Instituts ergeben (BGE 99 II 161, 90 II 280, 84 II 640; HUBER,
Die öffentliche Beurkundung als Begriff des Bundesrechts, in ZBJV 103/1967,
S. 249 ff.; HAAB und MEIER-HAYOZ, zu Art. 657 ZGB; BECK, zu Art. 55
SchlT/ZGB). Dazu gehört insbesondere, dass die gesetzlich vorgeschriebene
Form sich auf alle Tatsachen und Willenserklärungen beziehen muss, die für
den materiellrechtlichen Inhalt des Rechtsgeschäftes wesentlich sind. Das
gilt vorweg für die Bezeichnung des Grundstücks, das vom Vertrag erfasst
wird. Beschränkt sich das Rechtsgeschäft auf einen Teil des Grundstücks,
so muss dieser genau angegeben werden oder nach dem Vertrag zumindest
bestimmbar sein (BGE 103 II 113, 95 II 42 und 310, 90 II 24, 81 II 507).

    Davon geht im vorliegenden Fall auch das Obergericht aus,
was von keiner Seite beanstandet wird. Streitig ist dagegen, ob der
Kaufrechtsvertrag den von ihm erfassten Teil des Grundstücks genügend
bestimmt habe. Im Vertrag wird dieser Teil mit "eine Parzelle Land von
ca. 2300 m2" umschrieben, seine räumliche Lage innerhalb des Grundstückes
Nr. 440, das 1973 über 5000 m2 mass, aber nicht näher bestimmt. Das
Obergericht stellt fest, dass sich die Streitfrage nach den örtlichen
Verhältnissen selbst dann nicht beantworten lasse, wenn der vorgesehene
Kaufpreis und der Zonenplan der Gemeinde mitberücksichtigt werden. Das sind
tatsächliche Feststellungen, gegen die mit der Berufung nicht aufzukommen
ist (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG).

    Entgegen dem Einwand der Beklagten wurde die Kaufrechtsparzelle im
Vertrag auch dadurch nicht eindeutig bezeichnet, dass die Parteien die
Ausübung des Kaufsrechts näher ordneten und sich verpflichteten, die vom
Grundbuchgeometer zu erstellende Mutation anzuerkennen und als "einen
integrierenden Bestandteil des Kaufsrechts" zu betrachten. Gewiss hatte
der Geometer dabei, wie das Obergericht zutreffend und unwidersprochen
bemerkt, die dem Vertrag beigeheftete Planskizze mitzuberücksichtigen. Wenn
die Skizze als Teil des Vertrages nicht gehörig verurkundet worden ist,
geht es indes nicht an, über diesen Mangel hinwegzusehen, nur weil beide
Parteien dem Mutationsplan, den der Geometer nach der Skizze zu erstellen
hatte, im voraus zustimmten.

    Das ist auch dem Einwand entgegenzuhalten, dass das Kaufsrecht auf
dieser Grundlage 1975 bereits teilweise und ohne Schwierigkeiten ausgeübt
worden sei. Die Beklagten verkennen, dass sich damals die ursprünglichen
Vertragsparteien gegenüberstanden und sich darüber einig waren, den
Kaufgegenstand gestützt auf die Planskizze zu ermitteln. Das heisst
aber nicht, dass die Vertragsgrundlage ausreichte, um das Kaufsrecht
ohne neue Übereinkunft auch gegen einen Dritten durchzusetzen (BGE 95
II 42 mit Hinweisen). Vom Vertragstext lässt sich dies jedenfalls nicht
sagen; er genügt den bundesrechtlichen Anforderungen an den Inhalt
der Beurkundung offensichtlich nicht, da er sich über die Grenzen und
Lage der Kaufrechtsparzelle ausschweigt. Diese ist nur zu ermitteln,
wenn die Planskizze beigezogen wird, auf welche der Vertrag für die
Grundbuchanmeldung verweist.

Erwägung 2

    2.- Eine andere Frage ist, ob auch die Planskizze als öffentlich
beurkundet anzusehen sei. Der Vertragstext umfasst drei Seiten und
schliesst mit der Unterschrift der Parteien. Auf der folgenden Seite ist
die Beurkundungsformel wiedergegeben, bestehend aus der Erklärung des
Landschreibers, dass der vorstehende Vertrag den Kontrahenten vollständig
zur Kenntnis gebracht, von ihnen als ihr übereinstimmender Parteiwillen
anerkannt und eigenhändig unterzeichnet worden sei. Die Formel ist mit
dem Datum des 8. August 1973 sowie mit der Unterschrift und dem Stempel
des Landschreibers versehen. Als letzte Seite folgt die Planskizze mit
der Bezeichnung der Kaufrechtsfläche, dem Datum des 18. Juli 1973 und
den Unterschriften der Parteien. Das Obergericht stellt verbindlich und
unwidersprochen fest, dass die Skizze nicht in Gegenwart der Urkundsperson
unterzeichnet, bei der Beurkundung jedoch vorgelegt worden ist.

    a) Nach dem kantonalen Recht hat die Urkundsperson die Beurkundung mit
Unterschrift und Stempel zu bestätigen (Art. 8 Abs. 1 EG/ZGB und Art. 47
lit. d VO). Wo diese Unterschrift zu stehen habe, ist für das Obergericht
eine Auslegungsfrage. Es geht dabei vom bundesrechtlichen Begriff der
Urkunde aus, wonach bei formbedürftigen Rechtsgeschäften die Unterschrift
so anzubringen ist, dass sie den Inhalt der Urkunde deckt (BGE 103 II 147
mit Zitaten); sie müsste hier also am Ende der Urkunde oder am Rande der
Skizze stehen. Da das kantonale Recht die Unterschrift der Urkundsperson
verlange, könne eine von ihr nicht unterschriebene Planskizze auch dann
nicht als beurkundet gelten, wenn die Skizze dem unterschriebenen Textteil
beigeheftet und darin auf sie verwiesen werde. Mangels Unterschrift des
öffentlichen Schreibers dürfe die Skizze folglich nicht dazu verwendet
werden, die Lage der Kaufrechtsparzelle innerhalb des Grundstücks zu
bestimmen, gleichviel ob auch der Stempel notwendig gewesen wäre und die
Parteien im Beisein der Urkundsperson hätten unterschreiben müssen.

    Diese Erwägungen stützen sich ausschliesslich auf kantonales
Beurkundungsrecht, mag die Vorinstanz bei dessen Auslegung auch von
allgemeinen Grundsätzen ausgehen, die in Lehre und Rechtsprechung zu
bundesrechtlichen Bestimmungen entwickelt worden sind. Die analoge oder
ersatzweise Anwendung solcher Grundsätze macht kantonales Recht nicht zu
Bundesrecht. Was die Beklagten gegen die Auslegung des Obergerichts in
der Berufung vorbringen, ist daher gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. c OG nicht
zu hören (vgl. BGE 89 I 488/489, 89 II 271, 81 II 303/4).

    b) Da das Bundesrecht für die öffentliche Beurkundung nur
Mindestanforderungen stellt, können die Beklagten nichts daraus ableiten,
dass das kantonale Recht sich nicht damit begnügt. Richtig ist bloss, dass
die Kantone mit ihren Verfahrens- oder Formvorschriften die Wirksamkeit
des Bundeszivilrechts nicht beeinträchtigen oder gar verunmöglichen
dürfen (BGE 99 II 162 mit Zitaten; HAAB, N. 31 und MEIER-HAYOZ, N. 107
zu Art. 657 ZGB). Von solchen Folgen kann aber nicht schon deshalb die
Rede sein, weil das kantonale Recht bei Verweisung einer Vertragsurkunde
auf einen von den Parteien erstellten Plan verlangt, dass diesfalls
die Beurkundungsformel den Plan miterfassen oder die Urkundsperson ihn
zumindest mitunterzeichnen müsse. Ein Bericht des Eidg. Grundbuchamtes,
an das sich das Kantonsgericht gewandt hat, hält es bezeichnenderweise
denn auch für genügend, dass der Plan zum Bestandteil der Urkunde erklärt
"und je nach dem kantonalen Beurkundungsrecht von den Parteien und/oder
der Urkundsperson mitunterzeichnet wird".

    Daran scheitert auch der Einwand, das von den Vorinstanzen beanstandete
Vorgehen des öffentlichen Schreibers entspreche konstanter kantonaler
Beurkundungspraxis, die als Gewohnheitsrecht zu berücksichtigen sei. Damit
kann ebenfalls nur kantonales Recht gemeint sein, dessen Anwendung das
Bundesgericht auf Berufung hin nicht überprüfen darf (Art. 43 Abs. 1
und 55 Abs. 1 lit. c OG). Bundesrecht ist folglich auch nicht dadurch
verletzt worden, dass die Vorinstanzen über das angebliche Gewohnheitsrecht
keine Beweise abgenommen haben. Es bleibt daher bei der Feststellung des
Obergerichts, dass Formvorschriften des kantonalen Beurkundungsrechts im
vorliegenden Fall missachtet worden sind (BGE 84 II 641; HAAB, N. 33 und
MEIER-HAYOZ, N. 129 zu Art. 657 ZGB; KUMMER, N. 29 zu Art. 9 ZGB).

Erwägung 3

    3.- Beide Vorinstanzen halten den Kaufrechtsvertrag mangels einer
gehörigen Beurkundung für nichtig und finden, dass der Grundbucheintrag
daran nichts ändere, weil er auf einem gültigen Rechtsgeschäft beruhen
müsse.

    Die Beklagten wollen die Nichtigkeit als Folge eines Formmangels
jedenfalls nur in ihrem Verhältnis zu Britschgi, ihrem Vertragspartner
und seinerzeitigen Eigentümer der Parzelle gelten lassen, weil der Kläger
zu ihnen in keinem Vertragsverhältnis stehe und nur von den dinglichen
Wirkungen des Kaufsrechts betroffen werde. Nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesgerichts ist unter Formungültigkeit eines Vertrages jedoch dessen
absolute Nichtigkeit zu verstehen, die zudem von Amtes wegen zu beachten
ist (BGE 104 II 103, 98 II 316, 92 II 324, 86 II 402 mit Hinweisen;
ebenso OSER/SCHÖNENBERGER, N. 13 zu Art. 216 OR; VON TUHR/PETER, S. 226;
BECK, N. 49 zu Art. 55 SchlT/ZGB). Eine neuere Lehre wendet sich gegen
diese Auffassung und verficht eine differenziertere Betrachtungsweise
(HAAB, N. 34/5 und MEIER-HAYOZ, N. 130 ff. zu Art. 657 ZGB; LIVER, in
Schweiz. Privatrecht Bd. V/1, S. 137/138; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 73 ff. zu
Art. 11 OR; CAVIN, in Schweiz. Privatrecht, Bd. V/1, S. 133 ff.). Von
praktischer Bedeutung ist die Kontroverse insbesondere für die Frage,
ob auch Dritte, die am Vertrag nicht beteiligt sind, aber vom Mangel
betroffen werden, sich auf die Nichtigkeit berufen dürfen. Dies wird
von der Rechtsprechung bejaht (vgl. BGE 92 II 324, 86 II 401, 85 II 567;
ebenso VON TUHR/PETER, S. 266), in der neueren Doktrin dagegen jedenfalls
von MEIER-HAYOZ (N. 130 zu Art. 657 ZGB) und HAAB (N. 34 zu Art. 657 ZGB)
verneint.

    Zu einer neuen Überprüfung der Rechtsprechung, die in BGE 104
II 103 bestätigt worden ist, besteht im vorliegenden Fall indes kein
Anlass. Soweit das kantonale Recht die Einzelheiten der öffentlichen
Beurkundung regelt, bestimmt es auch darüber, ob es sich um Gültigkeits-
oder blosse Ordnungsvorschriften handelt. OSER/SCHÖNENBERGER (N. 13 zu
Art. 216 OR) wollen die Ungültigkeit infolge Formmangels freilich nach
Bundesrecht beurteilt wissen. Die herrschende Lehre vertritt jedoch wie
das Bundesgericht die Auffassung, das kantonale Recht sei massgebend nicht
nur für den Entscheid darüber, ob der Verstoss gegen eine Formvorschrift
den Vertrag ungültig mache, sondern auch für die Frage, ob es sich um
absolute oder relative Wirkungen der Ungültigkeit handle (BGE 84 II 641,
39 II 613; HAAB, N. 33 und MEIER-HAYOZ, N. 129 zu Art. 657 ZGB; BECK,
N. 15 und 48 zu Art. 55 SchlT/ZGB; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 76 und 102
zu Art. 11 OR; KUMMER, N. 29 zu Art. 9 ZGB). Das Obergericht stellt
in Auslegung kantonalen Rechts fest, dass der vorliegende Mangel die
Gültigkeit des Rechtsgeschäfts betreffe und zur Nichtigkeit führe. Es hat
dabei den Begriff der öffentlichen Beurkundung nicht verkannt; mit der
Berufung kann daher nicht geltend gemacht werden, der streitige Vertrag
sei höchstens zwischen den daran Beteiligten als nichtig anzusehen.

    Der Kläger kann zudem nicht als unbeteiligter Dritter
bezeichnet werden, ist er doch als Rechtsnachfolger Britschgis in den
Kaufrechtsvertrag mit den Beklagten eingetreten (HOMBERGER, N. 22 zu
Art. 959 ZGB). Er durfte ihnen daher selbst nach Lehrmeinungen, die von der
Rechtsprechung abweichen, entgegenhalten, das zulasten seines Grundstückes
vorgemerkte Kaufsrecht sei wegen Formmangels als nichtig zu betrachten. In
diesem Sinne darf der Grundeigentümer gemäss Art. 975 Abs. 1 ZGB denn auch
darauf klagen, dass vorgemerkte persönliche Rechte im Grundbuch gelöscht
oder geändert werden (HOMBERGER, N. 12 zu Art. 975 ZGB; vgl. auch BGE 98 II
22). Dagegen ist auch mit dem Einwand nicht aufzukommen, ein Grundbuchbeleg
wie der hier streitige Situationsplan nehme an den Grundbuchwirkungen
teil. Das gilt zwar für den gutgläubigen Dritten, heisst aber nicht,
dass der Beleg oder die Vormerkung im Grundbuch an der Nichtigkeit des
formwidrigen Vertrages etwas ändere (Art. 974 Abs. 2 und 975 Abs. 1 ZGB;
OSER/SCHÖNENBERGER, N. 14 zu Art. 216 OR; HOMBERGER, N. 5 zu Art. 975 ZGB;
HAAB, N. 36 zu Art. 657 ZGB).