Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 II 1



106 II 1

1. Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. Februar 1980 i.S. H. gegen H.
(Berufung) Regeste

    Art. 153 Abs. 1 ZGB; Rentenanspruch des im Konkubinat lebenden,
geschiedenen Ehegatten.

    Das Konkubinat hat nur dann den Verlust des Rentenanspruchs zur
Folge, wenn es dem rentenberechtigten Ehegatten wirtschaftlich ähnliche
Vorteile wie eine Ehe bietet, was auf Grund der Umstände des Einzelfalles
zu beurteilen ist (Präzisierung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Werner und Berta H., die am 1. November 1958 geheiratet hatten,
wurden mit Urteil des Bezirksgerichts Horgen vom 12. Dezember 1977
geschieden. Der aus ihrer Ehe hervorgegangene Sohn Urs, geboren am
3. August 1966, wurde unter die elterliche Gewalt der Mutter gestellt,
und der Vater wurde verpflichtet, an die Kosten des Unterhalts und der
Erziehung des Kindes einen indexierten monatlichen Beitrag von Fr. 600.--
zuzüglich Kinderzulagen zu bezahlen. In einer vom Gericht genehmigten
Scheidungskonvention hatte sich der Ehemann verpflichtet, der Ehefrau
einen indexierten Unterhaltsbeitrag von monatlich Fr. 900.-- bis zum
31. Juli 1984 und von da einen solchen von Fr. 550.-- zu bezahlen.

    B.- Am 20. September 1978 reichte Werner H. beim Bezirksgericht Zürich
gegen Berta H. eine Klage auf Abänderung des Scheidungsurteils ein, mit
der er die Aufhebung des Unterhaltsbeitrags an die geschiedene Ehefrau
beantragte. Zur Begründung führte er aus, diese lebe seit dem 1. Juli
1978 mit W. im Konkubinat und heirate diesen nur deshalb nicht, um den
Rentenanspruch nicht zu verlieren. Darin liege ein Rechtsmissbrauch im
Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB.

    Während das Bezirksgericht die Klage am 17. Januar 1979 abwies, hiess
sie das Obergericht des Kantons Zürich auf Berufung des Klägers hin mit
Urteil vom 2. Juli 1979 gut und hob die Rentenverpflichtung mit Wirkung
ab 1. Januar 1979 auf.

    C.- Mit Berufung ans Bundesgericht beantragt die Beklagte, das
obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Klage abzuweisen; eventuell
sei das Rentenbezugsrecht der Beklagten erst ab 1. Mai 1979 und nur für
solange einzustellen, als die Beklagte mit W. eheähnlich zusammenlebe.

    Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des
angefochtenen Urteils.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 153 Abs. 1 ZGB hört die Pflicht zur Entrichtung einer
Rente im Sinne von Art. 151 bzw. 152 ZGB auf, wenn der berechtigte Ehegatte
sich wieder verheiratet. Das Bundesgericht hat in BGE 104 II 154 ff.
ausgeführt, es stelle einen offenbaren Rechtsmissbrauch dar, wenn der
rentenberechtigte Ehegatte nach der Scheidung mit einem Angehörigen des
andern Geschlechts eine eheähnliche Lebensgemeinschaft bilde, diesen aber
nur deswegen nicht heirate, um der gesetzlichen Folge des Rentenverlustes
auszuweichen. Es hat deshalb im erwähnten Entscheid den Rentenanspruch
einer im Konkubinat lebenden, geschiedenen Frau aufgehoben.

    Auf diese Rechtsprechung stützt sich der angefochtene Entscheid. Die
Vorinstanz stellt fest, dass das Verhältnis zwischen der Beklagten und
W. intim sei, dass die Beklagte mit ihrem Sohn Urs zusammen mit W. in
einer von diesem gemieteten 3 1/2-Zimmerwohnung wohne, dass sie mit
W. im Sommer 1978 zwei Wochen Segelferien am Bodensee verbracht habe und
dessen Geschäftswagen für nicht geschäftliche Zwecke benütze, dass sie
zur Ausstattung der gemeinsamen Wohnung auch Möbel angeschafft habe und
dass W. die Kosten von Ausflügen und damit verbundenen Konsumationen
bezahle. Nicht bewiesen sei dagegen, dass W. und die Beklagte in
der Öffentlichkeit als Ehepaar aufträten, gemeinsam Anlässe besuchten,
Spaziergänge unternähmen und allgemein wie Verheiratete lebten. Wenn der
Anschein einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft gegeben und als solcher
bewiesen sei, sei es jedoch gerechtfertigt, von der durch das normale
menschliche Verhalten und den gewöhnlichen Lauf der Dinge gegebenen
Tatsachenvermutung auszugehen, welche durch den Nachweis umgestossen werden
könne, dass entgegen dem äusseren Anschein nicht eine Lebensgemeinschaft,
sondern nur ein loses, z.B. rein obligationenrechtliches Verhältnis
vorliege. Einen solchen Nachweis habe die Beklagte nicht erbracht. Dass
sie sich von W. nicht aushalten lasse, sondern an die Kosten des
gemeinsamen Haushaltes monatlich Fr. 1'500.-- beitrage, lasse sich
durch dessen Belastung mit Unterhaltsleistungen aus seiner Ehescheidung
erklären. Wenn die Beklagte trotz der nunmehr einjährigen Probezeit
und des vorgerückten Alters der beiden Konkubinatspartner immer noch
nicht an Heirat denke, so sei anzunehmen, sie verhalte sich so, um
sich des Rentengenusses nicht zu begeben. Ihr Verhalten sei daher
als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren, was zur Aufhebung der
Rentenverpflichtung des Klägers führen müsse.

Erwägung 2

    2.- Entgegen der Ansicht der Vorinstanz kann indessen allein aus
der Tatsache, dass die Beklagte im Konkubinat lebt, nicht auf ein
rechtsmissbräuchliches Verhalten geschlossen werden. Wenn Art. 153
Abs. 1 ZGB die Pflicht zur Bezahlung einer Scheidungsrente mit der
Wiederverheiratung des berechtigten Ehegatten enden lässt, so liegt der
gesetzgeberische Sinn dieser Bestimmung offensichtlich darin, dass der
rentenberechtigte Ehegatte mit der Eingehung einer neuen Ehe wiederum
in den Genuss der unter Ehegatten geltenden Beistandspflicht (Art. 159
Abs. 3 ZGB) gelangt. Handelt es sich dabei, was die Regel darstellt, um
die Ehefrau, so erwirbt sie überdies den Unterhaltsanspruch des Art. 160
Abs. 2 ZGB gegenüber dem neuen Ehemann. Mit dem Erwerb dieser Ansprüche
ist die Bedürftigkeit des berechtigten Ehegatten bzw. der Schaden, für den
die Rente Ersatz bieten soll, behoben, so dass die Aufhebung der Rente
gerechtfertigt ist. Das Konkubinat unterscheidet sich von der Ehe nun
gerade dadurch, dass zwischen den Partnern eines Konkubinatsverhältnisses
keine gesetzliche Beistands- und Unterhaltspflicht besteht. Auch in anderer
Hinsicht (Erbrecht, Anteil am Vorschlag, Ansprüche aus Art. 151/152 ZGB
im Falle der Auflösung des Verhältnisses) ist die Konkubine schlechter
gestellt als die Ehefrau. Wenn ein rentenberechtigter geschiedener Ehegatte
mit einem neuen Partner keine Ehe eingeht, sondern mit ihm einfach in
einem eheähnlichen Verhältnis zusammenlebt, so kann daher darin allein
noch nicht ohne weiteres ein Rechtsmissbrauch erblickt werden, der das
Dahinfallen der Rente bewirken würde. Von einem solchen kann vielmehr
erst dann gesprochen werden, wenn der Rentenberechtigte aus der neuen
Gemeinschaft ähnliche Vorteile zieht, wie sie ihm die Ehe bieten würde,
wenn also anzunehmen ist, der neue Partner biete ihm Beistand und
Unterstützung, wie Art. 159 Abs. 3 ZGB das von einem Ehegatten fordert.

    Wann dies der Fall sei, kann nicht generell gesagt werden, sondern
ist auf Grund der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Dabei ist
vor allem die Dauer des Konkubinats von Bedeutung. Je länger nämlich
ein Konkubinat gedauert hat, desto eher ist in der Regel der Schluss
berechtigt, die Partner fühlten sich moralisch verpflichtet, sich
gegenseitig wie Ehegatten beizustehen. Dieser Schluss kann sich auch dann
aufdrängen, wenn die Konkubine erwerbstätig ist und ihren Anteil an den
Kosten des gemeinsamen Haushalts selber trägt. Wie zwei Ehegatten, so
können auch zwei Konkubinatspartner übereinkommen, beide dem Verdienst
nachzugehen, um sich einen entsprechend höheren Lebensstandard leisten
zu können. Das schliesst nicht aus, dass beide den Willen haben, wie
Ehegatten füreinander zu sorgen, wenn der eine von ihnen aus irgendeinem
Grund nicht mehr erwerbstätig sein kann. Umgekehrt genügt es entgegen der
Ansicht von BÜHLER/SPÜHLER (N. 23 zu Art. 153 ZGB) für das Vorliegen eines
Rechtsmissbrauchs nicht, dass der Konkubinatspartner für den Unterhalt der
Konkubine aufkommt. Zu beachten ist ferner, dass nach Art. 2 Abs. 2 ZGB
nur der offenbare Missbrauch eines Rechts keinen Rechtsschutz findet. Kann
der rentenberechtigte Ehegatte plausible Gründe dafür anführen, weshalb
er seinen Konkubinatspartner nicht heiratet, so kann ihm nicht ein
rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden. Wohl zu weit geht
auf der andern Seite die Auffassung von MERZ (N. 578 zu Art. 2 ZGB),
wonach der Rentenanspruch dann untergeht, wenn angenommen werden muss,
die im Konkubinat lebende geschiedene Ehefrau gehe "einzig und allein"
deshalb keine neue Ehe ein, um die Rente nicht zu verlieren, dürften
doch für den Entscheid, nicht wieder zu heiraten, vielfach auch andere
Überlegungen mitspielen, bei beidseitiger Erwerbstätigkeit insbesondere
solche fiskalischer Natur.

Erwägung 3

    3.- Im vorliegenden Fall hatte das Konkubinat der Beklagten mit W. im
Zeitpunkt der Einreichung der Klage noch nicht einmal drei Monate und
im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids erst ein Jahr gedauert. Diese
verhältnismässig kurze Dauer lässt den Schluss noch nicht zu, dass das
Verhältnis Bestand haben und damit der Beklagten wirtschaftlich ähnliche
Vorteile bieten werde, wie dies eine Ehe täte. Dazu kommt, dass das
Verhalten der Beklagten durchaus verständlich ist. Sie schliesst eine
Wiederverheiratung nicht aus, macht aber geltend, eine neue Bindung müsse
reiflich überlegt werden, da sowohl sie als auch W. erst seit kurzem
geschieden seien und sie zudem ihrem Sohn eine zweite gescheiterte Ehe
ersparen möchte. Wenn die Beklagte mit der Wiederverheiratung zuwartet,
um sicher zu sein, dass ihr Verhältnis mit W. von Dauer sein wird, so kann
ihr dies in der Tat nicht zum Vorwurf gemacht werden. Jedenfalls kann
unter den heute gegebenen Umständen nicht gesagt werden, sie heirate in
rechtsmissbräuchlicher Weise deswegen nicht, um den Rentenanspruch nicht
zu verlieren. Die gegenteilige Annahme der Vorinstanz beruht nicht auf
Beweiswürdigung, sondern stellt eine aus der allgemeinen Lebenserfahrung
fliessende Schlussfolgerung dar, an die das Bundesgericht nicht gebunden
ist (BGE 99 II 84 und 329, 95 II 124 und 169). Dadurch unterscheidet sich
der vorliegende Fall von BGE 104 II 154 ff. In jenem Entscheid hatte die
Vorinstanz auf Grund von Zeugenaussagen positiv festgestellt, dass die
damalige Beklagte nur wegen des drohenden Verlustes des Rentenanspruches
nicht heiraten wollte, was aus der publizierten Erwägung freilich nicht
hervorgeht.

    Die Klage ist daher, jedenfalls zur Zeit, abzuweisen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Zürich (I. Zivilkammer) vom 2. Juli 1979 aufgehoben und die
Klage abgewiesen.