Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 III 75



106 III 75

16. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 15. April 1980
i.S. A. (Rekurs) Regeste

    1. Kompetenzanspruch nach Art. 224 in Verbindung mit Art. 92 SchKG.

    Verwirkung des Beschwerderechts mit Bezug auf diesen Anspruch (E. 1)

    2. Unterhaltsbeitrag im Sinne von Art. 229 Abs. 2 SchKG.

    Gegen die Weigerung der Konkursverwaltung, ihm einen Unterhaltsbeitrag
zu gewähren, kann der Gemeinschuldner Beschwerde führen (Änderung der
Rechtsprechung) (E. 2).

Sachverhalt

    A.- In dem über ihn eröffneten Konkurs stellte A. mit Eingabe vom
7. Februar 1980 beim Konkursamt das Gesuch, es seien in Anwendung der Art.
92 Ziff. 5, 224 und 229 SchKG

    - dem Fürsorgeamt, dem seine Ehefrau ihre Alimentenforderung abgetreten
habe, der Betrag von Fr. 3'400.-- und

    - ihm persönlich der Betrag von Fr. 3'000.-- aus der Konkursmasse
auszuzahlen.

    Das Konkursamt wies das Gesuch durch Verfügung vom 13. Februar 1980 ab.

    Mit Entscheid vom 17. März 1980 bestätigte die kantonale
Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs, bei welcher der
Gemeinschuldner Beschwerde eingereicht hatte, die konkursamtliche
Verfügung.

    Unter Erneuerung der im kantonalen Verfahren gestellten Anträge
hat A. an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts
rekurriert.

    Eine Rekursantwort ist nicht eingeholt worden.

Auszug aus den Erwägungen:

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Es trifft zu, dass weder das Konkursamt noch die Vorinstanz auf die
vom Rekurrenten angerufene Bestimmung des Art. 224 SchKG eingegangen sind,
wonach die in Art. 92 SchKG bezeichneten Vermögensteile (Kompetenzstücke)
dem Gemeinschuldner zur freien Verfügung überlassen werden. Dies mag
darauf zurückzuführen sein, dass die kantonalen Instanzen den geltend
gemachten Kompetenzanspruch für verwirkt hielten. Gemäss Art. 224 SchKG
sind auch die Kompetenzstücke in das Konkursinventar aufzunehmen. Ist ein
Gemeinschuldner der Auffassung, es sei ein bestimmtes Vermögensstück zu
Unrecht zur Konkursmasse gezogen worden, so hat er sich rechtzeitig dagegen
zur Wehr zu setzen; er kann nicht erst Monate nach der Inventaraufnahme
ein Freigabebegehren an die Konkursverwaltung richten. Im Konkursinventar,
dessen Vollständigkeit der Gemeinschuldner unterschriftlich anzuerkennen
hat (Art. 29 Abs. 3 und 4 KOV), sind die Kompetenzstücke gemäss Art. 31
KOV ausdrücklich auszuscheiden. In aller Regel weiss der Gemeinschuldner
somit bei der Unterzeichnung des Inventars, ob ein Vermögensstück als
Kompetenzgegenstand anerkannt worden ist oder nicht; in diesem Zeitpunkt
beginnt daher grundsätzlich auch die Beschwerdefrist zu laufen (vgl. BGE
32 I S. 224; JAEGER, N. 7 zu Art. 197 SchKG). Dass es sich im vorliegenden
Fall anders verhalten hätte, macht der Rekurrent nicht geltend und ist
aufgrund der Akten auch nicht anzunehmen. Aus diesen ergibt sich vielmehr,
dass der Rekurrent mit Eingabe vom 21. August 1979 bei der Vorinstanz
um Entlassung des im Konkursinventar angeführten Personenwagens aus dem
Konkursbeschlag nachsuchte. Wenn er damals verzichtete, die Freigabe
weiterer Vermögenswerte zu verlangen, so hat er in dieser Hinsicht das
Beschwerderecht verwirkt.

    Es widerspräche im übrigen dem sich aus dem Wortlaut ergebenden Sinn
des vom Rekurrenten angerufenen Art. 92 Ziff. 5 SchKG, ihm gestützt auf
diese Bestimmung aus dem bisherigen oder künftigen Verwertungserlös die
geforderten Beträge zu entrichten. Die erwähnte Bestimmung spricht von den
zwei auf die Pfändung (hier: Konkurseröffnung) folgenden Monaten. Diese
Zeit ist im vorliegenden Fall längst abgelaufen. Vor allem aber sind vom
Pfändungs- bzw. Konkursbeschlag nur befreit die für die erwähnte Dauer
notwendigen Nahrungs- und Feuerungsmittel oder "die zu ihrer Anschaffung
erforderlichen Barmittel oder Forderungen". Dass und in welchem Umfang
die Konkursmasse Barmittel oder Forderungen umfasse, legt der Rekurrent
nicht dar.

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 229 Abs. 2 SchKG kann die Konkursverwaltung dem
Gemeinschuldner, namentlich wenn sie ihn anhält, zu ihrer Verfügung zu
bleiben, einen billigen Unterhaltsbeitrag gewähren. In BGE 35 I S. 800
E. 2 hat das Bundesgericht die Auffassung vertreten, das Gesetz lege
den Entscheid über die Gewährung eines solchen Unterhaltsbeitrages
allein ins Ermessen der Konkursverwaltung; es stehe daher den
vollstreckungsrechtlichen Aufsichtsbehörden nicht zu, die Konkursverwaltung
zur Auszahlung von Alimenten an den Gemeinschuldner zu verhalten. Diese
Ansicht hat es in zwei späteren Urteilen grundsätzlich bestätigt (vgl. BGE
48 III 44 E. 4; 73 III 126 E. 3), im letztgenannten Entscheid freilich
mit der Einschränkung, ein durch Beschwerde verfolgbarer Anspruch auf
Unterhaltsbeiträge bestehe jedenfalls dann nicht, wenn der Konkursit
nicht angehalten werde, zur Verfügung der Konkursverwaltung zu bleiben,
und damit nicht an einer ausreichenden Erwerbstätigkeit gehindert sei.

    Nach Art. 17 Abs. 1 SchKG kann unter Vorbehalt der Fälle, da
gerichtliche Klage vorgeschrieben ist, gegen jede Verfügung eines
Betreibungs- oder Konkursamtes bei der Aufsichtsbehörde Beschwerde
geführt werden, sei es wegen Gesetzesverletzung, sei es bezüglich
der Angemessenheit der Verfügung. Es ist nicht einzusehen, weshalb
der für den Schuldner ausserordentlich wichtige Entscheid über die
Ausrichtung eines Unterhaltsbeitrages im Sinne von Art. 229 Abs. 2
SchKG davon ausgenommen sein sollte (so auch BLUMENSTEIN, Handbuch des
Schweizerischen Schuldbetreibungsrechtes, S. 711 oben). Die kantonalen
Aufsichtsbehörden müssen vielmehr ganz allgemein in der Lage sein, die
Ausübung des Ermessens durch die Konkursverwaltungen in jeder Hinsicht
nachzuprüfen, wobei nichts einzuwenden ist, wenn sie sich dabei eine
gewisse Zurückhaltung auferlegen. An der bisherigen Rechtsprechung kann
daher nicht festgehalten werden.

    Mit Rekurs nach den Art. 19 Abs. 1 SchKG und 78 ff. OG können bei
der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts dagegen
nur Gesetzesverletzungen gerügt werden. Eine solche läge hier nur dann
vor, wenn die kantonale Aufsichtsbehörde das ihr zustehende Ermessen
überschritten oder missbraucht hätte (vgl. BGE 103 III 26 E. 4 mit
Hinweis). Dass dies zutreffe, macht der Rekurrent nicht geltend, so dass
auf den Rekurs insofern nicht einzutreten ist. Der Rekurrent bringt
übrigens selbst nicht vor, er sei deshalb während eines Monates ohne
Arbeit gewesen, weil er der Konkursverwaltung habe zur Verfügung stehen
müssen. Eine Arbeitslosigkeit von so kurzer Dauer würde schliesslich
für sich allein ohnehin nicht ausreichen, um die Verweigerung eines
Unterhaltsbeitrages durch die Konkursverwaltung als bundesrechtswidrig
erscheinen zu lassen.