Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 III 62



106 III 62

14. Auszug aus dem Entscheid vom 20. November 1980 i.S. Frau K. Regeste

    Privilegierte Anschlusspfändung (Art. 111 SchKG).

    1. Die Bestimmung, dass die Dauer eines Prozess- oder
Betreibungsverfahrens nicht in Berechnung fällt, gilt nur für die
einjährige Frist des zweiten Satzes von Art. 111 Abs. 1 SchKG (E. 1).

    2. Nur die rechtzeitig erhobene Klage hält die provisorische Teilnahme
an der Pfändung aufrecht; der Ansprecher, der die Klagefrist von Art. 111
Abs. 3 SchKG versäumt, hat sein Recht auf Geltendmachung des privilegierten
Pfändungsanschlusses verwirkt (E. 2).

Sachverhalt

    A.- In Aufhebung einer vorangegangenen superprovisorischen Verfügung
erkannte der Präsident II des Amtsgerichts Luzern-Stadt am 28. September
1978, es seien die beim Betreibungsamt der Stadt Luzern mit Arrest belegten
Fr. 227'900.-- Bargeld und die Schecks von Josef K. gerichtlich zu sperren.

    Bereits am 27. Juni 1978 hatte das Steueramt Luzern gegen Josef
K. eine Sicherstellungsverfügung für eine Forderung von Fr. 965'500.--
erlassen. Die Wehrsteuerverwaltung sodann hatte am 7. Juli 1978 eine
Sicherstellungsverfügung für eine Forderung von Fr. 325'500.-- erlassen und
am 31. August 1978 einen Arrestbefehl für die beim Betreibungsamt Luzern
liegenden Vermögenswerte erwirkt. Diese Vermögenswerte wurden in den zwei
Betreibungen Nr. 6011 und Nr. 8624 des Steueramtes Luzern (namens des
Kantons Luzern sowie der Einwohner-, Bürger- und katholischen Kirchgemeinde
Luzern) und jener Nr. 8518 der Wehrsteuerverwaltung des Kantons Luzern
(namens der Schweizerischen Eidgenossenschaft und des Staates Luzern)
am 12./27. Dezember 1978 vom Betreibungsamt Luzern gepfändet.

    Am 3. Januar 1979 erklärte Frau K. für eine Forderung von
Fr. 750'500.-- den privilegierten Pfändungsanschluss gemäss Art. 111
SchKG. Im Sinne dieser Bestimmung setzte das Betreibungsamt den
Pfändungsgläubigern eine Frist von zehn Tagen an zur Bestreitung des
Rechts auf Anschlusspfändung. Das Steueramt der Stadt Luzern bestritt
den Anspruch rechtzeitig, weshalb das Betreibungsamt am 23. Januar
1979 dem Anwalt von Frau K. eine zehntägige Frist zur Klage gegen das
Steueramt der Stadt Luzern ansetzte. Der Anwalt sandte dem Betreibungsamt
am 23. Januar 1979 eine Bestätigung des Präsidenten II des Amtsgerichts
Luzern-Stadt, dass Frau K. in dem bei ihm hängigen Ehescheidungsprozess
nebst Unterhaltsbeiträgen eine Forderung von Fr. 700'000.-- aus ehelichem
Güterrecht geltend mache. Eine Klage gegen die bestreitenden Gläubiger
wurde nicht eingereicht.

    B.- Mit Schreiben vom 27. Juni 1980 an das Betreibungsamt Luzern
stellte der Anwalt von Frau K., unter Hinweis auf das am 16. Februar
1979 ergangene und in Rechtskraft erwachsene Ehescheidungsurteil, das
Begehren um Freigabe der beim Betreibungsamt liegenden Vermögenswerte. Er
verlangte für den Fall, dass seinem Antrag keine Folge geleistet werde,
den Erlass eines beschwerdefähigen Entscheides. Das Betreibungsamt, welches
das Begehren abwies, erliess am 7. Juli 1980 die folgende Verfügung:

    "Der auf die Anschlusspfändung gemäss Art. 111 SchKG in Betreibung Nr.

    10921 der Frau K. entfallende Anteil am Verwertungserlös wird zufolge
   erfolgreicher Bestreitung dieses Anschlussrechts dem Steueramt Luzern
   zugewiesen.

    Die Auszahlung erfolgt nach unbenütztem Ablauf der zehntägigen

    Beschwerdefrist."

    C.- Gegen diese Verfügung erhob Frau K. am 18. Juli 1980 bzw. 1. August
1980 analoge Beschwerden beim Amtsgericht Luzern-Stadt als unterer
kantonaler Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs. Sie
verlangte damit, das Betreibungsamt sei anzuweisen, die bei ihm
liegenden Vermögenswerte des Josef K. herauszugeben. Eventuell habe das
Betreibungsamt ihren privilegierten Pfändungsanschluss als rechtzeitig
erfolgt anzuerkennen und den Beteiligten gemäss Art. 111 Abs. 2 SchKG davon
Kenntnis zu geben. Zwar sei unbestritten, dass Frau K. rechtzeitig, nämlich
am 23. Januar 1979, Anschlusspfändung für den Betrag von Fr. 750'500.--
erklärt habe; doch werde vorsorglicherweise jetzt, wo die Ansprüche im
Ehescheidungsverfahren rechtskräftig beurteilt worden seien, nochmals
Anschlusspfändung erklärt.

    Nachdem das Amtsgericht Luzern-Stadt die beiden Beschwerden abgewiesen
hatte, wandte sich Frau K. an das Obergericht des Kantons Luzern als obere
kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs. Auch das
Obergericht gelangte am 24. September 1980 zu einem abweisenden Entscheid.

    D.- Mit Rekurs an das Bundesgericht ersucht Frau K. um Aufhebung des
Entscheides des Obergerichts vom 24. September 1980. Die Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer weist den Rekurs ab, soweit sie darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz einerseits und die Rekurrentin anderseits legen den
dritten Satz von Art. 111 Abs. 1 SchKG verschieden aus. Während diese sich
auf den Standpunkt stellt, die Bestimmung, dass die Dauer eines Prozess-
oder Betreibungsverfahrens nicht in Berechnung falle, gelte auch für den
ersten Satz von Art. 111 Abs. 1 SchKG - also die vierzigtägige Frist -,
will das Obergericht sie nur auf die einjährige Frist des zweiten Satzes
bezogen wissen. Zutreffend ist die Auffassung der Vorinstanz.

    Bereits in BGE 41 III 249 E. 2 hat das Bundesgericht festgehalten,
dass nur die einjährige Frist um die Dauer eines mit der privilegierten
Anschlusspfändung in Beziehung stehenden Prozesses erstreckt werde. Diese
Praxis steht in Übereinstimmung mit der allgemein strengen Handhabung der
Frist für die Erklärung der Anschlusspfändung (vgl. für die dreissigtägige
Frist gemäss Art. 110 SchKG BGE 104 III 52, wo die Auffassung, dass die
Frist erst zu laufen beginne, nachdem das Urteil rechtskräftig geworden
sei, ebenfalls abgelehnt wird; ferner BGE 85 III 169). Die Literatur hat
sich der Auffassung des Bundesgerichts angeschlossen (RAGGENBASS, Die
privilegierte Anschlusspfändung nach schweizerischem Recht, Diss. Freiburg
1944, S. 90; OTT, Die privilegierte Anschlusspfändung des Ehegatten nach
schweizerischem Schuldbetreibungsrecht, in: ZSR 37/1918, S. 312, 315 f.).

    Mit der Frage, zu welchem Ergebnis eine gegenteilige Auffassung führen
müsste, hat sich das Bundesgericht in BGE 38 I 241 auseinandergesetzt. Es
hat dort insbesondere ausgeführt, dass der nicht privilegierte Gläubiger,
der seinerseits einen Aberkennungsprozess mit dem Schuldner führt und
provisorisch gepfändet hat, im ungewissen über den wirtschaftlichen
Erfolg bliebe; denn selbst wenn der Prozess zugunsten des Gläubigers
ausginge, müsste dieser jederzeit mit dem Auftreten des nach Art. 111
SchKG privilegierten Gläubigers rechnen, der ihn wegen des Vorranges bei
der Kollokation (Art. 219 i.V. mit Art. 146 SchKG) um die Früchte seiner
Anstrengungen bringen könnte. Um solche Unbilligkeit zu verhindern,
muss das Recht zur Teilnahme an der Pfändung ohne vorgängige Betreibung
als verwirkt betrachtet werden, wenn die Frist von 40 Tagen - aus welchen
Gründen auch immer - nicht eingehalten wurde (so auch OTT, aaO, S. 314 f.;
vgl. ferner FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Auflage, Band I,
S. 263).

    Schliesslich ist zu beachten, dass die von Drittgläubigern
eingeleitete Betreibung auf Pfändung in aller Regel längst durchgeführt und
abgeschlossen wäre, bevor der Rechtsstreit, welchen die Ehegatten unter
sich austragen, entschieden ist. Die von der Rekurrentin vorgeschlagene
Lösung wäre daher praktisch nicht durchführbar.

Erwägung 2

    2.- Entgegen ihrer Auffassung konnte sich die Rekurrentin nicht
darauf beschränken, zur Wahrung der ihr vom Betreibungsamt angesetzten
Frist auf den hängigen Scheidungsprozess zu verweisen. Nur die
rechtzeitig erhobene Klage hält die provisorische Teilnahme an der
Pfändung aufrecht; der Ansprecher, der die Klagefrist versäumt, hat
sein Recht auf Geltendmachung des privilegierten Pfändungsanschlusses
verwirkt (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts,
S. 199 f.; OTT, aaO, S. 329). An dieser Stelle ist der Gesetzestext
übrigens eindeutig, sagt doch der erste Satz von Art. 111 Abs. 3 SchKG,
dass die Teilnahme des die Anschlusspfändung begehrenden Gläubigers
"widrigenfalls" - was nichts anderes bedeuten kann als: bei Ausbleiben
der Klage innert der Frist von zehn Tagen - dahinfalle. Sodann enthält
das Formular Nr. 8 der Betreibungsämter, das dem Anwalt der Rekurrentin
am 23. Januar 1979 zugestellt wurde, den gedruckten Satz: "Sie haben
infolgedessen innerhalb 10 Tagen, von der Zustellung dieser Anzeige an
gerechnet, Klage beim Gericht im beschleunigten Verfahren einzureichen,
ansonst die Anschlusspfändung dahinfällt."

    Dem Zusammenhang zwischen dem Scheidungsverfahren und dem
Widerspruchsprozess hätte in der Weise Rechnung getragen werden
können, dass die Sistierung des letzteren bis zur Beendigung des
Scheidungsprozesses verlangt worden wäre. Auch wäre es (ohne Sistierung)
möglich gewesen, bei vorzeitigem Abschluss des gegen die Drittgläubiger
gerichteten Prozesses den auf die provisorische Pfändung entfallenden
Verwertungsanteil bis zum Vorliegen des Scheidungsurteils zu hinterlegen
(OTT, aaO, S. 332).

    Der Rekurrentin ist es aber aus prozessualen Gründen verwehrt,
die Frage im Rahmen des vorliegenden Verfahrens dem Bundesgericht
zur Beurteilung vorzulegen. Wollte sie ihre Rechtsauffassung durch
die Aufsichtsbehörde prüfen lassen, so hätte sie nämlich gegen die
seinerzeitige Ansetzung der Klagefrist durch das Betreibungsamt Beschwerde
führen müssen. Dadurch, dass sie dies unterliess, ist die Fristansetzung
in Rechtskraft erwachsen. Von Nichtigkeit der Fristansetzung kann mangels
öffentlicher Interessen, die verletzt sein könnten, entgegen der Meinung
der Rekurrentin keine Rede sein (Umkehrschluss aus BGE 73 III 136).

Erwägung 5

    5.- Die Rekurrentin hatte ursprünglich innert der vom Gesetz
vorgesehenen Frist privilegierte Anschlusspfändung erklärt. Doch
unterliess sie es in der Folge, auf Fristansetzung des Betreibungsamtes
hin Klage gegen die Drittgläubiger zu erheben. Deshalb hat sie, wie oben
(E. 2) ausgeführt, ihr Recht auf Teilnahme an der Anschlusspfändung
verwirkt. Entgegen ihrer Auffassung konnte die Rekurrentin nicht erneut
Anschlusspfändung erklären, nachdem das Scheidungsurteil rechtskräftig
geworden war; denn die vierzigtägige Frist wurde nicht um die Dauer
des Scheidungsprozesses erstreckt (E. 1). Somit hat die Vorinstanz die
Beschwerden zu Recht abgewiesen.