Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 III 1



106 III 1

1. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 7. März 1980 i.S.
J. (Rekurs) Regeste

    Art. 66 Abs. 5 SchKG.

    Dem im Ausland wohnenden Schuldner ist auch die Beschwerdefrist den
Umständen gemäss zu verlängern. Eine an sich verspätete Beschwerde ist
als rechtzeitig zu betrachten, wenn sie innert der Frist erhoben wurde,
die dem Schuldner von Anfang an hätte eingeräumt werden müssen.

Sachverhalt

    A.- Durch Arrestbefehl der Einzelrichterin des
Bezirksgerichts Winterthur vom 16. Oktober 1978 liess Gertrud
J. den Anspruch des in Ägypten wohnenden Rudolf J. aus dem mit
der Winterthur-Lebensversicherungsgesellschaft abgeschlossenen
Lebensversicherungsvertrag mit Arrest belegen. Nachdem das zur
Prosequierung des Arrestes gestellte Rechtsöffungsbegehren abgewiesen
worden war, ersuchte der Schuldner um Aufhebung des Arrestes. Das
Betreibungsamt Winterthur I wies dieses Gesuch am 14. Juli 1979 ab mit der
Begründung, die Gläubigerin habe nach Abweisung des Rechtsöffnungsgesuchs
innert Frist beim Bezirksgerichtspräsidium Baden Klage eingeleitet. Es
erstreckte dem Schuldner die Frist für eine allfällige Beschwerde auf
20 Tage.

    B.- Mit Beschluss vom 6. August 1979 wies das Bezirksgericht Winterthur
als untere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs
eine Beschwerde des Schuldners gegen die Verfügung des Betreibungsamtes
ab. Der Beschluss wurde dem Schuldner am 4. Oktober 1979 in Alexandria
(Ägypten) ausgehändigt. Offenbar am 11. Oktober 1979 gab dieser in
Alexandria eine an das Obergericht des Kantons Zürich adressierte,
vom 9. Oktober 1979 datierte Rekursschrift zur Post, die jedoch erst am
17. Oktober 1979 von der schweizerischen Post in Empfang genommen wurde
und am 19. Oktober 1979 beim Obergericht eintraf. Mit Beschluss vom
5. Dezember 1979 trat das Obergericht auf den Rekurs nicht ein mit der
Begründung, die 10-tägige Rekursfrist sei im Zeitpunkt des Eingangs der
Rekurseingabe bei der schweizerischen Post bereits abgelaufen gewesen;
die Postaufgabe im Ausland genüge zur Fristwahrung nicht.

    C.- Dieser Beschluss wurde vom Schuldner am 3. Januar 1980 in Empfang
genommen. Mit Schreiben vom 10. Januar 1980, das am 12. Januar 1980 in
Alexandria zur Post gegeben wurde und am 17. Januar 1980 beim Obergericht
einging, ersuchte dieser das Obergericht, seinen Rekurs gegen den Entscheid
des Bezirksgerichts materiell zu behandeln. Er machte geltend, entgegen
der Ansicht des Obergerichts sei für die Fristwahrung die Postaufgabe
massgebend, da der Absender im internationalen Postverkehr keinen Einfluss
auf den Eingang der Sendung am Bestimmungsort habe. Am Schluss des
Schreibens fügte er folgendes bei: "Punkt 3 Ihres Beschlusses (gemeint
ist die Rechtsmittelbelehrung für den Rekurs an die Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer des Bundesgerichts) fällt daher weg. Die Frist von 10
Tagen ist wiederum gewahrt." Mit Schreiben vom 17. Januar 1980 teilte
das Obergericht dem Schuldner mit, es könne dem Gesuch nicht entsprechen,
da es ihm verwehrt sei, einen einmal gefällten Entscheid in Wiedererwägung
zu ziehen. Es sehe davon ab, das Schreiben als Rekurs an das Bundesgericht
weiterzuleiten, da er, der Schuldner, dies durch seine Bemerkung, Punkt
3 des Beschlusses falle weg, ausdrücklich ausgeschlossen habe. Hierauf
richtete der Schuldner am 26. Januar 1980 ein weiteres Schreiben an das
Obergericht, in welchem er an seinem Gesuch um Behandlung des Rekurses
festhielt. Nun entschloss sich das Obergericht, die beiden Eingaben vom
10. und 26. Januar 1980 zur allfälligen Behandlung als Rekurs im Sinne
von Art. 19 SchKG dem Bundesgericht zu übermitteln.

    D.- Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts gab
dem Betreibungsamt und der Gläubigerin Gelegenheit, sich zu den beiden
Eingaben zu äussern. Die Gläubigerin machte von dieser Möglichkeit
Gebrauch und beantragte die Abweisung des Rekurses, sofern die Eingabe
vom 10. Januar 1980 als rechtzeitig gelten könne.

Auszug aus den Erwägungen:

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- In seiner Eingabe vom 10. Januar 1980 beantragt der Rekurrent,
das Obergericht habe seinen Rekurs gegen den Entscheid des Bezirksgerichts
materiell zu behandeln, und er begründet diesen Antrag damit, dass es für
die Wahrung der Rekursfrist entgegen der Ansicht des Obergerichts nicht
auf den Eingang der Sendung bei der schweizerischen Post, sondern auf die
Postaufgabe ankomme. Die Eingabe genügt somit den Anforderungen von Art. 79
Abs. 1 OG, wonach die Rekursschrift einen Antrag und eine Begründung zu
enthalten hat. Sie ist zudem an die richtige Adresse gerichtet, da Rekurse
an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts nach Art. 78
Abs. 1 OG bei der kantonalen Aufsichtsbehörde einzureichen sind, die
den angefochtenen Entscheid gefällt hat. Hingegen stellt sich die Frage,
ob der Rekurrent überhaupt den Willen hatte, zu rekurrieren, schreibt er
doch ausdrücklich, Punkt 3 des Beschlusses "falle weg", was zu besagen
scheint, er mache von der Möglichkeit eines Rekurses ans Bundesgericht,
auf die er in der betreffenden Ziffer des Urteilsdispositivs hingewiesen
worden war, keinen Gebrauch. Bei dieser Formulierung kann der Rekurrent
indessen nicht behaftet werden. Sie beruht offensichtlich auf einem Irrtum,
indem der Rekurrent davon ausging, ein Rekurs ans Bundesgericht komme nur
und erst in Frage, wenn das Obergericht in der Sache selbst entschieden
habe. Wäre er sich im klaren gewesen, dass der Rekurs ans Bundesgericht
das einzige wirklich zutreffende Rechtsmittel ist, hätte er seine Eingabe
mit Sicherheit in diesem Sinne verstanden wissen wollen. Dieser Irrtum
kann dem Rekurrenten nicht schaden. Die Eingabe vom 10. Januar 1980 ist
daher als Rekurs im Sinne von Art. 19 SchKG entgegenzunehmen, dessen
Formerfordernisse sie nach dem Gesagten erfüllt.

Erwägung 2

    2.- Der Rekurrent erhielt den angefochtenen Entscheid am 3.  Januar
1980 und gab den Rekurs am 12. Januar 1980 in Alexandria zur Post. Wann der
Rekurs von der schweizerischen Post in Empfang genommen wurde, ist nicht
bekannt. Dieser Zeitpunkt ist, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, für
die Frage der Fristwahrung an sich massgebend. Wie es sich damit verhält,
kann indessen dahingestellt bleiben. Das Betreibungsrecht enthält nämlich
eine besondere Regel zugunsten des im Ausland wohnenden Schuldners,
die es dem Betreibungsbeamten erlaubt, die Fristen den Umständen gemäss
zu verlängern (Art. 66 Abs. 5 SchKG). Unter die Fristen im Sinne dieser
Bestimmung fällt nach der Rechtsprechung auch die Beschwerdefrist (BGE
91 III 7 oben, 73 III 154 E. 3). Gewährt der Betreibungsbeamte dem im
Ausland wohnenden Schuldner von sich aus keine Fristverlängerung, so kann
dies im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden (BGE 91 III 6, 73 III 29/30
und 154/155 E. 3, 43 III 10 ff.; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs,
2. Aufl., Bd. I, S. 110; JAEGER, N. 21 zu Art. 66 SchKG). Handelt es sich
um eine Beschwerdefrist, so haben die Aufsichtsbehörden dementsprechend
eine an sich verspätete Beschwerde als rechtzeitig zu betrachten, sofern
sie innert der Frist erhoben wurde, die dem Schuldner von Anfang an hätte
eingeräumt werden müssen.

    Im vorliegenden Fall hat das Betreibungsamt dem in Ägypten
wohnenden Rekurrenten die Frist für die Beschwerdeführung an die untere
Aufsichtsbehörde auf 20 Tage erstreckt. Für den Rekurs ans Bundesgericht
hat die Vorinstanz dagegen keine entsprechende Fristverlängerung
gewährt. Auf eine solche hat der Rekurrent jedoch Anspruch, wenn nicht
sein Rekursrecht illusorisch gemacht werden will. Dabei hätte ihm die
Rekursfrist um mindestens so viele Tage erstreckt werden müssen, als es
der normalen Beförderungsdauer einer Postsendung von Ägypten in die Schweiz
entspricht. Da der Rekurrent seinen Rekurs gegen den ihm am 3. Januar 1980
zugestellten Entscheid der Vorinstanz schon am 12. Januar 1980, also vor
Ablauf der gesetzlichen Rekursfrist, in Alexandria zur Post gegeben hat,
so dass die Verspätung einzig auf die Postverhältnisse zurückzuführen
ist, hat die Rekursfrist als eingehalten zu gelten. Auf den Rekurs ist
daher einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Die Überlegungen, die dazu führen, den Rekurs ans Bundesgericht
als rechtzeitig zu betrachten, gelten auch für den Rekurs von der unteren
an die obere kantonale Aufsichtsbehörde. Die Rekursschrift wurde offenbar
am 11. Oktober 1979, somit 5 Tage vor Ablauf der gesetzlichen Frist,
in Alexandria zur Post gegeben. Sie traf nur wegen der Verzögerungen im
internationalen Postverkehr erst am 19. Oktober 1979 bei der Vorinstanz
ein. Hätte die untere Aufsichtsbehörde, wie es schon das Betreibungsamt
getan hatte, dem Rekurrenten eine angemessene Fristverlängerung gewährt,
wozu sie unter den gegebenen Umständen verpflichtet gewesen wäre, wäre
der Rekurs rechtzeitig gewesen. Bei dieser Sachlage hätte die Vorinstanz
die zu Unrecht nicht verlängerte Rekursfrist als eingehalten betrachten
müssen. Der Rekurs ist daher gutzuheissen und die Sache zu materieller
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.