Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IB 53



106 Ib 53

10. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 19. März 1980 i.S. Bürgergemeinde Lausen und Mosset gegen
Eidg. Departement des Innern und Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 3 und 4 FPolG und Art. 2 lit. b FPolV; Waldkategorien.

    Es verstösst nicht gegen Bundesrecht, sämtliche Wälder eines Kantons
zu Schutzwaldungen zu erklären.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführer wenden ein, der Regierungsratsbeschluss
vom 6. Mai 1947, mit dem sämtliche öffentlichen und privaten Waldungen
des Kantons Basel-Landschaft zu Schutzwald erklärt wurden, verletze
Bundesrecht. Gemäss der Schutzwalddefinition des Art. 3 Abs. 2 FPolG
stelle das Waldstück, dessen Rodung verlangt werde, keinen Schutzwald
im Sinne des Bundesgesetzes dar. Die Bundesbehörden seien daher nicht
zuständig gewesen, das Rodungsgesuch zu behandeln.

    Zu dieser Rüge sind die Beschwerdeführer, deren Legitimation zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss Art. 103 lit. a OG klarerweise
gegeben ist, befugt. Erste Voraussetzung für den Erlass einer Verfügung
durch eine Bundesverwaltungsbehörde bildet deren Zuständigkeit, wobei
diese von Amtes wegen zu prüfen ist (Art. 7 VwVG).
   a) Die Art. 3 und 4 FPolG lauten:

    Art. 3

    "1 Die Waldungen werden eingeteilt in Schutz- und Nichtschutzwaldungen.

    2 Schutzwaldungen sind diejenigen Waldungen, welche sich im

    Einzugsgebiete von Wildwassern befinden, sowie solche, welche
vermöge ihrer

    Lage Schutz bieten gegen schädliche klimatische Einflüsse, gegen
Lawinen,

    Stein- und Eisschläge, Erdabrutschungen, Verrüfungen sowie gegen
   ausserordentliche Wasserstände.

    Art. 4

    Die Ausscheidung der Waldungen in Schutz- und Nichtschutzwaldungen
   erfolgt durch die Kantone; sie unterliegt der Genehmigung des
   Bundesrates.

    Die in dem bisherigen eidgenössischen Forstgebiete bereits
stattgefundene

    Ausscheidung bleibt in Kraft, jedoch können Änderungen derselben
   vorgenommen werden. In der übrigen Schweiz ist die Ausscheidung
   innert zwei

    Jahren vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an vorzunehmen."

    Art. 2 lit. b FPolV ordnet hiezu (unter der Marginale Waldkategorien):

    "Es werden unterschieden:

    b. nach Art der Unterstellung unter die forstliche Aufsicht

    1. Schutzwälder, d.h. Wälder, die von den Kantonen gemäss Art. 4 des

    Gesetzes als solche ausgeschieden sind.

    Es ist Sache der Kantone, auch Wälder, die für die Wasserreinhaltung
und
   die Wasserversorgung, die Luftreinigung, die Erholung und Gesundheit der

    Bevölkerung sowie für den Landschaftsschutz von Bedeutung sind, zu

    Schutzwald zu erklären;

    2. Nichtschutzwälder, d.h. alle Wälder, die von den

    Kantonen nicht als Schutzwald ausgeschieden sind."

    Gemäss dieser Ordnung erfolgt somit die Ausscheidung der Wälder in
Schutz- und Nichtschutzwaldungen durch die Kantone. Die Beschwerdeführer
machen nicht geltend, der Regierungsrat sei auf Grund der kantonalen
landrätlichen VV vom 3. Dezember 1903 zum FPolG nicht befugt gewesen, mit
Beschluss vom 6. Mai 1947 den Schutzwald zu bezeichnen. Demgemäss sind die
formellen Voraussetzungen für die Zuständigkeit der Bundesbehörden gegeben;
die Genehmigung des Regierungsratsbeschlusses durch den Bundesrat ist am
22. Mai 1947 erfolgt. Gemäss Art. 50 Abs. 2 FPolG und Art. 55bis FPolV
sind die Kantone im Schutzwaldgebiet nur für die Bewilligung von Rodungen
bis und mit 30 a zuständig. Das OFI (heute: Bundesamt für Forstwesen,
BFF), das für Rodungsbewilligungen für mehr als 30 a bis und mit 200 a,
zuständig ist, hat somit zu Recht seine Kompetenz bejaht, da sich das
Rodungsgesuch auf eine Fläche von 31 a 25 m2 erstreckt.

    b) Die Beschwerdeführer wenden jedoch ein, auch die bundesrätliche
Genehmigung und die Neufassung der FPolV vermöchten nichts daran zu
ändern, dass die im Jahre 1947 erfolgte Bezeichnung aller Wälder als
Schutzwaldungen nicht rechtsgültig erfolgt sei. Sie begründen dies
damit, dass der Bundesgesetzgeber in Art. 3 Abs. 2 den Begriff des
Schutzwaldes umschrieben habe und dass daher die Kantone nur solche
Wälder als Schutzwaldungen erklären könnten, welche der gesetzlichen
Begriffsumschreibung entsprächen; Vollziehungsverordnungen könnten im
Rechtsstaat Gesetze nicht abändern.

    Auch zu dieser Rüge sind die Beschwerdeführer befugt. Dabei überprüft
das Bundesgericht die Gesetzmässigkeit einer Verordnungsbestimmung,
die einen auslegungsbedürftigen Gesetzesbegriff präzisiert, im
verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren mit umfassender Kognition
(BGE 101 Ib 182 E. 3a mit Verweisungen).

    c) Die FPolV geht in Art. 2 lit. b Ziff. 1 bei der Begriffsumschreibung
der Schutzwälder von der Kompetenz der Kantone aus, gemäss Art. 4
FPolG die Schutzwälder auszuscheiden. Nach dem Wortlaut der Verordnung
sind Schutzwälder diejenigen Wälder, welche die Kantone als solche
ausgeschieden haben. Erst im Anschluss an die Verweisung auf den kantonalen
Ausscheidungsbeschluss hält die Verordnung fest, es sei Sache der Kantone,
auch Wälder, die für die Wasserreinhaltung und die Wasserversorgung,
die Luftreinigung, die Erholung und Gesundheit der Bevölkerung sowie für
den Landschaftsschutz von Bedeutung sind, zu Schutzwald zu erklären.

    Mit dieser Regelung knüpft die Verordnung an die bisherige Praxis
der Kantone an. Diese haben in Anwendung des Art. 4 FPolG schon früh -
vereinzelt bereits im letzten Jahrhundert, zum grössten Teil jedenfalls
vor 1965 - ihren gesamten Waldbestand zu Schutzwald erklärt, wie aus der
vom EDI auftragsgemäss durchgeführten Erhebung hervorgeht. Es ist daher
ungenau, wenn der angefochtene Entscheid ausführt, die FPolV von 1965 habe
die Kantone ermächtigt, auch Wälder, welche für die Luftreinigung, die
Erholung und Gesundheit der Bevölkerung sowie für den Landschaftsschutz
von Bedeutung sind, zu Schutzwald zu erklären. Die in der Erhebung des
Eidg. Departementes des Innern (EDI) genannten Ausscheidungserlasse
bestätigen, dass die Kantone diese Ermächtigung seit jeher als gegeben
vorausgesetzt haben - eine Auffassung, welche der Bundesrat, wie aus seiner
Genehmigungspraxis hervorgeht, geteilt hat. Heute bestehen nur noch in den
Kantonen Zürich, Glarus, Solothurn und Genf Nichtschutzwaldungen. Dabei
kommt diesen im Verhältnis zu den Schutzwaldungen nur geringe Bedeutung
zu. Die FPolV von 1965 hat somit in Art. 2 lediglich im Sinne der
bisherigen Praxis die Tragweite der Kompetenz der Kantone, den Schutzwald
zu bezeichnen, durch ausdrückliche Normierung klargestellt.

    d) Damit ist an sich noch nicht gesagt, dass die in der FPolV
sanktionierte Praxis dem Bundesrecht entsprach. Doch kommt der in
ihr zum Ausdruck gelangenden Rechtsüberzeugung so grosses Gewicht zu,
dass sie bei der Prüfung der Gesetzmässigkeit in entscheidendem Masse
berücksichtigt werden muss. Der auf das letzte Jahrhundert zurückgehenden
unangefochtenen Praxis, sämtliche Waldungen innerhalb eines Kantonsgebietes
zu Schutzwaldungen zu erklären, kann heute geradezu gewohnheitsrechtlicher
Rang zugebilligt werden. Obschon im öffentlichen Recht die Entstehung von
Gewohnheitsrecht nur mit Zurückhaltung anzunehmen ist (BGE 96 V 51 E. 4,
94 I 308 E. 2 und 3, 84 I 95 E. 4), liegt es nahe, im vorliegenden Fall
die Voraussetzungen der Regelmässigkeit und langen Dauer der Übung sowie
der ihr zugrundeliegenden Rechtsüberzeugung als gegeben zu betrachten.

    e) Wenn die Kantone in der Erkenntnis der grossen Bedeutung der
Wohlfahrtswirkung des Waldes ihren gesamten Waldbestand zu Schutzwald
erklärt haben, so entspricht dies zudem einer zulässigen zeitgerechten
Auslegung des FPolG, von der sich auch der Bundesrat beim Erlass
der FPolV von 1965 leiten lassen durfte und die auch in weiteren
Verordnungsbestimmungen, etwa der Definition des Waldbegriffes,
zum Ausdruck gelangt (HANS DUBS, Rechtsfragen der Waldrodung in der
Praxis des Bundesgerichts, Schweiz. Zeitschrift für Forstwesen, 1974,
S. 275 ff., 281). Dass zufolge dieser Entwicklung die Vorschriften
der Forstpolizeigesetzgebung über Nichtschutzwälder möglicherweise
hinfällig werden, schliesst die Rechtmässigkeit der kantonalen
Schutzwaldbezeichnungen nicht aus. Es wird Sache des Bundesgesetzgebers
sein, dieser Entwicklung, der zufolge heute der Nichtschutzwald im ganzen
Gebiet der Schweiz nur noch 47'600 ha oder rund 4% der Waldfläche beträgt
(Gesamtkonzeption für eine schweizerische Wald- und Holzwirtschaftspolitik,
Bern 1975, S. 124), bei einer künftigen Gesetzesrevision Rechnung zu
tragen.

    f) Das Bundesgericht hat schliesslich in einem nicht publizierten
Entscheid vom 14. November 1975 i.S. Amministrazione patriziale di
Bedano in Übereinstimmung mit der Auffassung, die der Bundesrat in
einem Entscheid vom 12. August 1966 ausgesprochen hatte (VPB 1966/67,
Nr. 152, S. 254 ff.), anerkannt, dass die vom Kanton Tessin im Jahre 1913
vorgenommene Bezeichnung aller Wälder im Kantonsgebiet als Schutzwälder
dem Zweck der Forstpolizeigesetzgebung des Bundes nicht widerspricht und
dass daher die Bundesbehörden zu Recht ihre Zuständigkeit bejaht haben
(E. 2, S. 7). Auch im vorliegenden Fall erweist sich die Einwendung der
fehlenden Zuständigkeit der Bundesbehörden als unbegründet. Art. 2 lit. b
Ziff. 1 FPolV ist ebensowenig wie die frühere Praxis der Kantone und des
Bundesrates bundesrechtswidrig.

    g) Beigefügt sei, dass abgesehen von der Kompetenzordnung für die zu
beurteilende Frage der Rodungsbewilligung der Unterscheidung zwischen
Schutzwaldungen und Nichtschutzwaldungen keine Bedeutung zukommt. Das
Walderhaltungsgebot des Art. 31 FPolG bezieht sich auf jeden Wald ohne
Rücksicht darauf, ob es sich um öffentlichen Wald oder Privatwald,
um Schutzwald oder Nichtschutzwald handelt. Lassen sich besondere
Gründe für eine Rodung anführen, dann kann die effektive Schutzfunktion
(nicht die formelle Einteilung) des Waldes bei der Interessenabwägung im
konkreten Fall von Bedeutung sein. Die rechtliche Ausgangslage aber ist
für Schutzwald und Nichtschutzwald in bezug auf die Zulässigkeit einer
Rodung die gleiche (DUBS, aaO, S. 280).