Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IB 41



106 Ib 41

8. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5. März
1980 i.S. Rheinaubund sowie Einwohner- und Bürgergemeinde Münchenstein
gegen Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft und Eidg. Departement
des Innern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 31 FPolG und Art. 26 FPolV; Rodung für Strassenbau.

    Unter welchen Voraussetzungen und mit welcher Kognition darf bei der
Beurteilung eines Rodungsgesuchs das bereits genehmigte Strassenprojekt
(vor allem dessen Linienführung), für das die Rodungsbewilligung verlangt
wird, nochmals überprüft werden? (E. 2.) Interessenabwägung zwischen
Flussuferschutz und Walderhaltung (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die als Verbindung Basel-Jura-Westschweiz projektierte kantonale
Hauptstrasse T 18 soll im Birstal durch Umfahrung von Aesch, Arlesheim,
Reinach und Münchenstein die bisherigen stark überlasteten Strassen und
Ortschaften vom Durchgangsverkehr befreien und zugleich den Anschluss
an die Nationalstrasse N 2 ausserhalb Basel herstellen. Im Abschnitt
Sternenhof/Rütihardhof soll sie linksseits der Birs geführt werden. Das
kantonale Plangenehmigungsverfahren ist abgeschlossen; das Projekt
wurde vom Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft als rechtskräftig
erklärt. Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) hat das Projekt
am 12. April 1979 genehmigt.

    Die Baudirektion des Kantons Basel-Landschaft ersuchte in der Folge
das EDI um Bewilligung der für den Strassenbau erforderlichen Rodungen
im Waldkomplex bei Weissgrien (auf Gemeindegebiet von Arlesheim und
Münchenstein). Mit Verfügung vom 20. Juni 1979 entsprach das EDI
diesem Gesuch. Hiegegen erhoben der Rheinaubund sowie die Einwohner-
und Bürgergemeinde Münchenstein Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim
Bundesgericht mit den Anträgen auf Aufhebung der Verfügung und Abweisung
des Rodungsgesuches. Der Rheinaubund beantragte zudem eine Anweisung
an den Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft, für die Führung der
T 18 ein Alternativprojekt auszuarbeiten, das den Erfordernissen der
Walderhaltung und des Natur- und Landschaftsschutzes vermehrt Rechnung
trage. Die Beschwerdeführer vertreten die Ansicht, für die T 18 sei im
fraglichen Abschnitt ein Trasse auf dem rechten Ufer der Birs zu wählen. -
Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- ... (Formelles).

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 31 Abs. 1 FPolG soll das Waldareal der Schweiz nicht
vermindert werden. Gestützt auf diese Bestimmung sowie auf Art. 50 Abs. 2
FPolG hat der Bundesrat in Art. 26 Abs. 1 FPolV die vom Bundesgericht
in konstanter Rechtsprechung als gesetzeskonform anerkannte Regel
aufgestellt, dass Rodungen nur bewilligt werden dürfen, wenn sich hiefür
ein gewichtiges, das in Art. 31 FPolG enthaltene Gebot der Walderhaltung
überwiegendes Bedürfnis nachweisen lässt. Art. 26 FPolV bestimmt weiter,
dass keine polizeilichen Gründe gegen die Rodung sprechen dürfen und dass
das Werk, für welches die Rodung begehrt wird, auf den vorgesehenen
Standort angewiesen ist. Finanzielle Interessen wie die möglichst
einträgliche Nutzung des Bodens oder die billige Beschaffung von Land
gelten nicht als gewichtiges Bedürfnis (BGE 104 Ib 223/224 E. 3; 103 Ib
58 E. 1). Diese Grundsätze gelten auch für Körperschaften des öffentlichen
Rechts (BGE 104 Ib 227 E. 7a; 103 Ib 52 E. 5b).

    Ob diese Interessenabwägung von der Vorinstanz richtig vorgenommen
wurde, prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei, denn die richtige
Interessenabwägung ist Rechtsfrage. Den Vorinstanzen kommt dabei aber
ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, insbesondere soweit örtliche
Verhältnisse in Betracht fallen, welche die Bewilligungsbehörden besser
kennen als das Bundesgericht. Eine entsprechende Zurückhaltung in
der Überprüfung rechtfertigt sich ferner, soweit planerische Aspekte
zu berücksichtigen sind, für welche in erster Linie die Kantone die
Verantwortung tragen (BGE 104 Ib 225 E. 5a).

    Die Beschwerdeführer II sind der Meinung, das Bundesgericht habe
die Frage der Linienführung der T 18 angesichts der Bedeutung der in
Frage stehenden Rodung völlig frei zu überprüfen. Dieser Auffassung
kann nicht gefolgt werden. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die
Rodungsbewilligung, nicht das Strassenprojekt. Freilich trifft zu, dass
die Frage der optimalen Linienführung der Strasse in beiden Verfahren eine
ähnliche Bedeutung hat. Doch darf nicht übersehen werden, dass den für
den Strassenbau zuständigen Behörden bei der Projektierung einer neuen
Strasse ein erheblicher Spielraum planerischen Ermessens zusteht. Der
Entscheid über die Rodung ist anderseits für das ihr zugrunde liegende
Strassenprojekt zwingend präjudiziell; wird die Bewilligung verweigert,
so bedeutet dies, dass die linksufrige Variante der T 18 nicht ausgeführt
werden kann und dass die Strassenbaubehörden zu einer rechtsufrigen
Variante schreiten müssen. Die Rodungsbewilligungsbehörden haben indes
nicht die Befugnis, sich in alle Einzelheiten der Strassenprojektierung
einzumischen. Sie dürfen nur dann die Standortgebundenheit eines
rechtskräftig beschlossenen öffentlichen Strassenwerkes verneinen und die
Rodungsbewilligung verweigern, wenn die Baubehörden die Strassenplanung im
Hinblick auf den vom Gesetz geforderten Schutz des Waldes offensichtlich
mit ungenügender Sorgfalt durchgeführt haben, insbesondere wenn sie
in dieser Hinsicht entweder überhaupt keine Überlegungen oder nur
solche angestellt haben, die ohne weiteres als unsachgemäss erkennbar
sind. Das wäre etwa dann anzunehmen, wenn die Strassenbaubehörden im
Laufe der Projektierung die Meinung der zuständigen Forstpolizeibehörden
überhaupt nicht eingeholt hätten oder über eine solche in offensichtlich
unsachgemässer Weise hinweggegangen wären. Anders zu entscheiden würde
der Zuständigkeitsordnung widersprechen.

    Wollte man den Forstbehörden und - auf Beschwerde gegen eine
Rodungsbewilligung hin - dem Bundesgericht eine völlig freie Überprüfung
des Strassenprojektes zur Pflicht machen, so würde das bedeuten, dass die
Rodungsbewilligungsbehörden als obere Instanzen der Strassenbaubehörden
tätig würden, was nicht dem Sinn der verfassungs- und gesetzmässigen
Kompetenzordnung entsprechen kann.

    Damit sind auch die Einwände erledigt, das Rodungsgesuch hätte schon
am Anfang der Projektierungszeit gestellt werden sollen und es sei nur
für einen Teil der Strassenstrecke Rütihardhof/Sternenhof gestellt und
erlaube deshalb nicht eine Überprüfung der gesamten Strassenstrecke. Diese
Argumentationen gehen nach dem Gesagten von vornherein fehl.

Erwägung 3

    3.- Die der Rodungsbewilligung zugrunde liegende linksufrige
Strassenprojektvariante erfordert Rodungen auf einer Fläche von insgesamt
111'431 m2, wovon 74'291 m2 endgültig und 37'140 m2 vorübergehend während
der Bauzeit. Diese Rodungen treffen den bei Weissgrien linksseits der
Birs gelegenen Wald, insbesondere den Auwald, der nach Ausdehnung und
Zusammensetzung nicht nur für das Landschaftsbild, sondern auch ökologisch
und biologisch von hohem Wert ist. Ein solcher Eingriff kann im Blick auf
die Forstpolizeigesetzgebung nur dann als gerechtfertigt gelten, wenn
das fragliche Strassenprojekt einem dringenden öffentlichen Bedürfnis
entspricht.

    Die Notwendigkeit des Baus einer neuen Hochleistungsstrasse T 18
zur Entlastung der Birstalgemeinden vom Ortsdurchfahrtsverkehr wird
mit Recht nicht bestritten. Streitig ist aber vor allem die Wahl der
Linienführung. Die Beschwerdeführer machen geltend, eine rechtsufrige
Strassenführung, die besser geplant wäre als die bisher betrachteten
Varianten, entspräche dem öffentlichen Interesse mehr als die linksufrige
Variante, da sie die Erhaltung des Auwaldes ermögliche. Regierungsrat
und EDI wenden jedoch im wesentlichen ein, man stehe vor der Wahl,
entweder mit dem offiziellen Projekt Waldrodungen vornehmen zu müssen
oder mit einer jeden der rechtsufrigen Varianten beträchtliche Strecken
des Birsufers zu zerstören; in diesem Zwiespalt gebühre dem Schutz des
Flussufers der Vorzug.

    a) Aus den Akten ergibt sich, dass das streitige Strassenprojekt das
Ergebnis langer Planung und eingehender öffentlicher Auseinandersetzung
ist. Diese begannen im Jahre 1971, als der Regierungsrat dem Landrat das
generelle Projekt der "Strassen im Birstal" mit einer links- und einer
rechtsufrigen Variante des fraglichen Teilstückes vorlegte und dabei die
linksufrige als die bessere empfahl. Das kantonale Parlament schloss sich
nach ausgedehnter Debatte dieser Meinung an. In den darauf folgenden Jahren
wurde dieser Entscheid jedoch mehrmals durch politische Vorstösse, die
eine rechtsufrige Linienführung anstrebten, in Wiedererwägung gezogen. Die
zuständigen Instanzen, sei es der Landrat (8mal), sei es der Bundesrat
(2mal), bestätigten jedoch jeweils die linksufrige Variante. Es kam sogar
- ausgelöst durch eine Initiative "T 18 vors Volk" - zu einer kantonalen
Volksabstimmung, die am 24. September 1978 die Frage der Linienführung
endgültig zu Gunsten der linksufrigen Variante entschied. Im Verlaufe
der Auseinandersetzungen wurden die Belange des Naturschutzes und der
Walderhaltung ausgiebig diskutiert.

    Das Ergebnis dieser langen Auseinandersetzungen lässt sich so
zusammenfassen, dass die zuständigen Instanzen in der dichtbesiedelten
Region für eine neue Hochleistungsstrasse keine Linienführung finden
konnten, die ohne Eingriffe in landschaftlich wertvolles Gebiet
zu realisieren gewesen wäre. In Abwägung der Gesamtheit der Vor-
und Nachteile, insbesondere der Aspekte des Natur-, Landschafts- und
Umweltschutzes, der Walderhaltung und des Grundwasserschutzes, gelangten
die zuständigen Instanzen dazu, die linksufrige Variante als das kleinere
von zwei Übeln vorzuziehen. Dabei ist im Laufe der Auseinandersetzung
das ursprüngliche Projekt den neuen Erkenntnissen angepasst und damit
verbessert worden.

    b) Bei dieser Sachlage kann nicht mit Grund gesagt werden, die für
die Strassenprojektierung zuständigen Instanzen hätten das Gebot der
Walderhaltung überhaupt nicht berücksichtigt oder bei der Abwägung der
im Spiele stehenden Interessen eine offensichtlich unsachgemässe Lösung
getroffen. Ihr Entscheid ist ein solcher des planerischen Ermessens. Das
heute gültige Projekt ist aus einer langwierigen Prozedur öffentlicher
Meinungsbildung hervorgegangen und entspricht der Auffassung einer
Mehrheit der Bevölkerung. Die von den zuständigen Instanzen vorgenommene
Interessenabwägung überschreitet den Rahmen des ihnen zustehenden
Ermessensspielraums nicht. Namentlich aber fällt in Betracht, dass
das heute gültige Strassenprojekt die Unterstützung und Zustimmung der
zuständigen Forstpolizeibehörde (EDI) gefunden hat, der auch Dienste
des Natur- und Heimatschutzes zugehören. Unter diesen Umständen ist
auf die Kritik der Beschwerdeführer, die Einzelaspekte hervorheben,
nicht im Detail einzugehen, weil sie am Gesamtbild, wie es für die
Rodungsbewilligungsbehörden massgebend ist, nichts zu ändern vermag. Aus
dem gleichen Grunde ist auch den Beweisanträgen in Richtung auf eine
strassenbautechnische Expertise, die einer rechtsufrigen Variante doch noch
den Weg ebnen soll, nicht Folge zu geben. Das EDI durfte die linksufrige
Strassenvariante gemäss dem rechtskräftigen Projekt als standortgebunden im
Sinne von Art. 26 FPolV betrachten (vgl. BGE 98 Ib 219 E. 7c und 498 E. 6
und 7). Es hat als eidg. Forstbehörde weder Bundesrecht verletzt, noch den
rechtserheblichen Sachverhalt ungenügend abgeklärt, noch sein Ermessen
überschritten, indem es die von den zuständigen Strassenbauinstanzen
eingehend geprüfte und rechtskräftig beschlossene linksufrige Variante
seinem Entscheid über das Rodungsbewilligungsgesuch zugrundegelegt
hat. Ohne Verletzung von Bundesrecht durfte das EDI insbesondere annehmen,
an den Rodungen bestehe ein gewichtiges, das Walderhaltungsgebot
überwiegendes Bedürfnis. Die Beschwerden sind daher abzuweisen.