Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IB 392



106 Ib 392

59. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 12. November 1980 i.S. Helene Balmer gegen Staat Bern und Eidg.
Schätzungskommission, Kreis 6 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 19 lit. b EntG, Teilenteignung wirtschaftlich zusammenhängender
Parzellen.

    Stehen benachbarte Grundstücke im Eigentum verschiedener Personen, so
besteht zwischen ihnen, von Ausnahmefällen abgesehen, kein wirtschaftlicher
und funktioneller Zusammenhang im Sinne von Art. 19 lit. b EntG. Ein
Ausnahmefall ist nicht schon gegeben, wenn zwischen den Grundeigentümern
eine enge familiäre Verbindung besteht.

Sachverhalt

    A.- Frau Helene Balmer-Ballif ist Eigentümerin der mit einem
Einfamilienhaus überbauten Parzelle Nr. 217 in Klein-Twann. Das bergwärts
des SBB-Trasses liegende Grundstück stösst seitlich - nur durch einen
Gemeindeweg getrennt - an die Wohnliegenschaft Nr. 212 von Dr. Hans Balmer,
Sohn der Helene Balmer. Vor der Parzelle Nr. 217 und der Geleiseanlage
erstreckt sich die bis zum See reichende Rebparzelle Nr. 214, die ebenfalls
zum Grundbesitz Dr. Balmers gehört.

    Im Rahmen des Ausbaus der linksufrigen Bielerseestrasse zur
Nationalstrasse wurde das Bahngeleise in Richtung See verlegt und die
N 5 auf dem ehemaligen Bahnstrasse erstellt. Für die Ausführung des
Werkes ist das Grundstück Nr. 217 nicht beansprucht, dagegen ein Teil
der Rebparzelle Nr. 214 enteignet worden. Mit Entscheid vom 9. Juni 1978
wies die Eidg. Schätzungskommission, Kreis 6, die Entschädigungsbegehren,
die Helene Balmer vor allem im Hinblick auf die zu erwartenden Immissionen
angemeldet hatte, in vollem Umfange ab. Gegen diesen Entscheid hat Frau
Balmer Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingelegt. Das Bundesgericht weist
diese ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- b) Nach Art. 19 lit. b EntG sind die für die Teilenteignung
geltenden Entschädigungsgrundsätze auch anzuwenden, wenn von mehreren
wirtschaftlich zusammenhängenden Grundstücken ein Teil beansprucht
wird. Fraglich ist, ob dies auch gelte, wenn zusammenhängende Parzellen
im Eigentum verschiedener Personen stehen, insbesondere wenn der
Eigentümer des Restteils mit dem Eigentümer des beanspruchten Teiles
nicht identisch ist und selbst keine Rechte abzutreten hat. Der Wortlaut
des Gesetzes spricht gegen diese Auslegung, handelt doch Art. 19 nur
von der Entschädigung für Nachteile, "die dem Enteigneten aus der
Entziehung oder Beschränkung seiner Rechte erwachsen" (vgl. auch den
Gesetzestext von Art. 12 Abs. 1 EntG). Auch die Materialien deuten
darauf hin, dass die Bestimmung nur im engen Sinne zu verstehen sei:
Nach einlässlicher Diskussion sind die vorberatenden Kommissionen zum
Schluss gelangt, die grundsätzliche Frage der Entschädigung der durch
das Werk benachteiligten Nichtexpropriaten sei nicht im Rahmen des
Enteignungsrechts zu lösen (Experten-Kommission, Protokoll der ersten
Konferenz, S. 63 f., S. 67 ff., Protokoll der zweiten Konferenz, S. 7;
Protokoll der Redaktionskommission, S. 29; vgl. auch die Verhandlungen
der Kommission des Ständerates, I. Session, S. 12). Indessen bemerkt
HESS in seinem Kommentar, dass die Abtrennung eines oder einzelner von
wirtschaftlich zusammenhängenden Grundstücken unter Umständen auch dann als
Teilenteignung gelten könne, wenn die eine Einheit bildenden Grundstücke
"rechtlich verschiedenen Eigentümern, wie z.B. in Gütertrennung lebenden
Ehegatten, gehören" (N. 2 zu Art. 22 Abs. 2 EntG). Ob dem so sei, braucht
hier nicht endgültig entschieden zu werden. Selbst wenn grundsätzlich
nicht auszuschliessen wäre, Art. 19 lit. b EntG auf solche Sachverhalte
anzuwenden, so hätte sich dies - um Sinn und Zweck der Vorschrift nicht zu
widersprechen - auf ganz bestimmte Sonderfälle zu beschränken: entweder
müssten die Eigentümer rechtlich und tatsächlich eng verbunden sein und
völlig übereinstimmende Interessen an den fraglichen Parzellen haben, so
dass es sich bei Teilabtretung rechtfertigen würde, sie als eine einzige
Person zu behandeln (vgl. mutatis mutandis BGE 106 Ib 226 E. 2); oder es
müssten die verschiedenen Parzellen aufgrund ihrer gemeinsamen Nutzung,
ihrer Zugehörigkeit zum selben, nicht aufteilbaren Betrieb einem einzigen,
im Miteigentum stehenden Grundstück gleichgestellt werden können.

    c) Die Ausrichtung einer Minderwertsentschädigung im Sinne von
Art. 19 lit. b und Art. 22 Abs. 2 EntG könnte demnach im vorliegenden
Falle überhaupt nur in Betracht gezogen werden, wenn die Hausparzelle
Nr. 217 und die Rebparzelle Nr. 214, die vor der Enteignung gegenüber
der Hausliegenschaft zweifellos eine Schutzfunktion erfüllen konnte
(vgl. zit. Entscheid i.S. Dr. Balmer E. 3b und 4a), eine untrennbare
Einheit im dargelegten Sinne gebildet hätten oder es sich rechtfertigen
würde, deren Eigentümer im Hinblick auf die identische Interessenlage
als ein und dieselbe Person zu behandeln. Diese Voraussetzungen sind
jedoch nicht gegeben. Wohl besteht zwischen den beiden Grundeigentümern -
Mutter und Sohn - eine enge familiäre Verbindung, die eine gegenseitige
Rücksichtnahme bei der Verfügung über die Grundstücke vermuten lässt;
doch bedeutet das noch nicht, dass die Interessen an den fraglichen
Parzellen vollkommen gleichgelagert sein müssten und der einen Seite
auch das Grundeigentum der anderen zugerechnet werden dürfte. Es kann
denn auch nicht gesagt werden, die Eigentümerin der Parzelle Nr. 217
habe nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge damit rechnen dürfen, dass
ihr die Rebparzelle Nr. 214 als "Schutzschild" erhalten bleibe. Über die
Entschädigungsansprüche der Beschwerdeführerin ist daher allein nach den
Regeln zu befinden, die für die Enteignung von Nachbarrechten gelten.

Erwägung 2

    2.- (Voraussetzung der Unvorhersehbarkeit des Schadens wird verneint.)