Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IB 381



106 Ib 381

58. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 12. November 1980 i.S. Dr. Balmer gegen Staat Bern und
Eidg. Schätzungskommission, Kreis 6 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Enteignung; Entschädigung für Immissionen aus Schienen- und
Strassenverkehr.

    Wird für den Bau eines Werkes ein als "Schutzschild" dienendes
Dienstbarkeitsrecht oder Grundstück enteignet und entstehen demzufolge
für das Restgrundstück Immissionen, so sind nicht die Regeln über die
Enteignung von Nachbarrechten, sondern die für die Teilenteignung geltenden
Entschädigungsgrundsätze anzuwenden (E. 2). Erfordernis des adäquaten
Kausalzusammenhanges zwischen der Abtretung und dem Immissionsschaden
(E. 3a). Teilenteignung eines aus mehreren Grundstücken bestehenden
Besitzes: Der wirtschaftliche Zusammenhang im Sinne von Art. 19 lit. b
EntG kann vermutet werden, wenn die Grundstücke infolge ihrer Verbindung
eine Wertsteigerung erfahren haben (E. 3b). Voraussetzungen zur Anwendung
der Teilenteignungsnormen im vorliegenden Fall erfüllt (E. 4). Bemessung
der Entschädigung (E. 6).

    Unterschiedliche Störwirkung der Immissionen aus Schienen- und
Strassenverkehr (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Das Eidg. Departement des Innern erteilte am 5. August 1970
dem Ausführungsprojekt für die Nationalstrasse dritter Klasse N 5,
linksufrige Bielerseestrasse, seine Genehmigung. Nach dem Projekt war
vorgesehen, die Nationalstrasse auf dem Gebiet der Gemeinde Twann an
Stelle des bisherigen, teilweise dicht an Häuserreihen vorbeiführenden
Bahntrasses zu errichten; die Bahnlinie sollte ihrerseits zur Doppelspur
ausgebaut und um Strassenbreite in Richtung See verlegt werden. Die neuen
Verkehrswege sind inzwischen projektgemäss erstellt worden.

    Für die Ausführung des Werkes mussten gegen insgesamt 18
Grundeigentümer Enteignungsverfahren eingeleitet werden, so auch gegen
Dr. Hans Balmer, Eigentümer der Grundstücke Parz. Nrn. 212 und 214 in
Klein-Twann. Die beiden Grundstücke Dr. Balmers waren vor dem Bau der
Autobahn benachbart, stiessen jedoch nicht unmittelbar aneinander, sondern
waren durch das SBB-Geleise und einen dem Trasse folgenden Gemeindeweg
getrennt. Die eine Parzelle des Enteigneten (Nr. 214) dient dem Rebbau
und reichte ursprünglich vom Seeufer bis zum ehemaligen Bahntrasse; auf
der anderen Parzelle (Nr. 212), die sich von der Bahnlinie bis zur alten
Kantonsstrasse erstreckt, steht ein stattliches altes Herrschaftshaus, an
das sich bergseits eine Gartenanlage mit einem kleinen, der Bewirtschaftung
dienenden Annexbau anschliesst. Für die Erstellung der N 5 und die
Verlegung des Eisenbahntrasses wurde vom Rebgrundstück Nr. 214 im Halte
von 2859 m2 eine Fläche von 897 m2 (Tiefe rund 20 m) in Anspruch genommen.
Innerhalb der Eingabefrist verlangte Dr. Balmer neben einer Vergütung
für das abgetretene Land auch eine Entschädigung für die Entwertung der
Liegenschaft Nr. 212 durch zukünftige Immissionen. Der Staat Bern erklärte
sich einzig bereit, den enteigneten Boden zu bezahlen. Das Verfahren
wurde hierauf bis zum Abschluss der Bauarbeiten eingestellt. Am 9.
Juni 1978 sprach die Eidg. Schätzungskommission, Kreis 6, Dr. Hans Balmer
eine Entschädigung von Fr. 45.--/m2 für die Teilenteignung der Parzelle
Nr. 214 zu; alle übrigen Begehren des Enteigneten wurden abgewiesen. Gegen
diesen Entscheid reichte Dr. Balmer Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein,
die vom Bundesgericht teilweise gutgeheissen worden ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Schätzungskommission hat im angefochtenen Entscheid
erklärt, dass sämtliche Begehren der verschiedenen Grundeigentümer um
Immissionsentschädigung einheitlich nach den in der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung aufgestellten Regeln über die Enteignung nachbarrechtlicher
Unterlassungsansprüche zu beurteilen seien. Dieser Auffassung kann jedoch
nur mit Vorbehalten gefolgt werden.

    a) Ergeben sich aus der Art der Bewirtschaftung oder Nutzung
eines Grundstückes übermässige Einwirkungen auf die benachbarten
Liegenschaften, so können sich deren Eigentümer gestützt auf das
in Art. 684 ZGB enthaltene Immissionsverbot mit den in Art. 679 ZGB
genannten nachbarrechtlichen Klagen zur Wehr setzen. Gegen sog. negative
Immissionen - Beeinträchtigung der Aussicht, Entzug von Licht und
Sonnenschein usw. - bestehen Abwehrrechte nur insoweit, als sie in
den kantonalen privatrechtlichen Bauvorschriften, die gestützt auf
Art. 686 ZGB erlassen wurden, oder im öffentlichen Baurecht der Kantone
vorgesehen sind (vgl. BGE 106 Ib 236 f. E. 3aa mit Hinweisen auf die
Literatur). Gehen allerdings unvermeidbare übermässige Einwirkungen
von einem Werk aus, das im öffentlichen Interesse liegt und für
welches dem Werkeigentümer das Enteignungsrecht zusteht, so werden die
Abwehrrechte des betroffenen Nachbarn unterdrückt und kann dieser nur
noch im Rahmen des Enteignungsrechtes eine Entschädigung beanspruchen
(BGE 106 Ib 244 E. 3). Art. 5 EntG sieht ausdrücklich vor, dass neben
anderen dinglichen Rechten an Grundstücken die aus dem Grundeigentum
hervorgehenden Nachbarrechte Gegenstand der Enteignung bilden können;
dazu zählen auch die im kantonalen Privatrecht vorgesehenen Abwehrrechte,
denen nach neuester Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen jene
Unterlassungs- und Entschädigungsansprüche gleichgestellt werden können,
die das kantonale öffentliche Baurecht dem Nachbarn zugesteht (BGE 106
Ib 231 ff.).

    Eine Entschädigungspflicht des Enteigners für Beeinträchtigungen durch
Schienen- und Strassenverkehr entsteht indessen nach bundesgerichtlicher
Rechtsprechung nur dann, wenn die Immissionen schwer und intensiv sind,
den Eigentümer in besonderer Weise treffen und nicht vorhergesehen werden
konnten (BGE 102 Ib 273 E. 1 mit Verweisungen). Sind diese Voraussetzungen
erfüllt, ist der durch die Einwirkungen entstandene Schaden zu ersetzen.

    b) Wirksamer als bloss mit den nachbarrechtlichen Abwehrbefugnissen
verteidigt sich jener Eigentümer gegen Immissionen, der sein
Grundstück bzw. den schützenswerten Grundstücksteil - in der Regel
ein Wohngebäude - mit einem "Schutzschild" von Dienstbarkeitsrechten
oder eigenen Grundeigentums umgibt. Die Aussicht, die ruhige Lage oder
die gefällige Umgebung eines Wohnhauses kann dadurch gesichert werden,
dass die Überbaubarkeit oder eine bestimmte Art der Bewirtschaftung der
Nachbarparzellen durch Servitute ausgeschlossen oder eingeschränkt wird,
oder indem der Eigentümer, falls sein Grundbesitz nicht schon genügend
gross ist, auch die umliegenden Parzellen erwirbt, von denen Immissionen
ausgehen und die die Wohnqualität seiner Liegenschaft beeinträchtigen
könnten.

    Wird für den Bau eines öffentlichen Werkes ein als "Schutzschild"
dienendes Dienstbarkeitsrecht oder Grundstück ganz oder teilweise enteignet
und entstehen durch das Werk oder dessen Betrieb für den verbleibenden
Teil positive oder negative Immissionen, so ist der Grundeigentümer nicht
darauf beschränkt, die Verletzung von Nachbarrechten geltend zu machen,
sondern kann sich für seine Entschädigungsansprüche darauf berufen, dass
der Enteigner auf sein Eigentum an Grund und Boden oder auf ihm zustehende
Dienstbarkeitsrechte gegriffen habe. In einem solchen Fall haben bei
der Beurteilung der Entschädigungsansprüche nicht die Regeln über die
Enteignung von Nachbarrechten, sondern in erster Linie die gesetzlichen
Vorschriften über die Teilexpropriation Anwendung zu finden. Der Enteignete
hat nach Art. 19 lit. b EntG Anspruch auf Vergütung des Betrages, "um den
der Verkehrswert des verbleibenden Teils sich vermindert". Art. 19 lit.
b EntG gilt nämlich - wie schon von JAEGER klargestellt - nicht nur dann,
wenn das Restgrundstück klein oder schlecht geformt und nur erschwert
zu nutzen ist, sondern auch dann, wenn der dem Eigentümer verbliebene
Teil durch die Nachbarschaft des auf der enteigneten Fläche errichteten
Werkes, namentlich durch Immissionen in seinem Wert gemindert wird
(JAEGER, Erläuternder Bericht zum Vorentwurf, S. 33, ders., Ergänzender
Bericht zum zweiten Entwurf vom Oktober 1916 S. 21 ff.; vgl. HESS,
N. 12 zu Art. 19 EntG). Zu vergüten ist dem Enteigneten nach Art. 22
Abs. 2 EntG insbesondere auch der bloss faktische Nachteil, "der aus dem
Entzug oder der Beeinträchtigung solcher den Verkehrswert beeinflussender
Eigenschaften entsteht, die ohne die Enteignung aller Voraussicht nach dem
verbleibenden Teil erhalten geblieben wären". Demnach ist nicht notwendig,
dass die durch das Werk verursachten Einwirkungen übermässig im Sinne von
Art. 684 ZGB seien. Eine Entschädigungspflicht des Enteigners entsteht
immer dann, wenn das Restgrundstück infolge Immissionen irgendwelcher Art
an Wert einbüsst, sofern diese Werteinbusse nur in kausalem Zusammenhang
mit der Enteignung steht (vgl. zur Entstehung von Art. 22 Abs. 2 EntG:
JAEGER, Erläuternder Bericht zum Vorentwurf, S. 39 ff., ders., Ergänzender
Bericht zum zweiten Entwurf, S. 15 ff.; Protokoll der Expertenkommission
vom 15./20. Oktober 1917, S. 47 ff., 62 ff.; Botschaft des Bundesrates
zum Entwurfe eines Bundesgesetzes über die Enteignung vom 21. Juni 1926,
BBl 1926 II S. 35 f.; Sten.Bull. 1928 N 631 f., Votum Pilet-Golaz,
Sten.Bull. 1929 S 184, Votum Dietschi).

    Es kann sich somit ergeben, dass der zur Landabtretung gezwungene
Grundeigentümer auch für die mit dem Werk verbundenen Lärm-, Staub-,
Erschütterungs- oder anderen Einwirkungen entschädigt wird, während
dem in gleichem Mass von Immissionen Betroffenen, der nur den Schutz
des Nachbarrechtes geniesst, jede Entschädigung versagt bleibt. An
diesem Resultat vermag auch das Prinzip der Rechtsgleichheit nichts
zu ändern. Gleichbehandlung wäre nur geboten, wenn der Eingriff
überall der selbe wäre. Hier wird aber im einen Falle Eigentum oder ein
Dienstbarkeitsrecht entzogen, während im anderen bloss die Abwehransprüche
des Nachbarn als Objekt der Enteignung in Betracht fallen können.

    c) Den dargelegten Prinzipien entsprechend hat das Bundesgericht
im Entscheid Werren den Werkeigentümer der Autobahn, obschon die drei
Voraussetzungen der Unvorhersehbarkeit, der Schwere und der Spezialität
des Schadens nicht gegeben waren, zur Vergütung der immissionsbedingten
Entwertung eines Wohnhauses verpflichtet, da für den Bau des Werks eine
das Grundstück Werren begünstigende Servitut, die die Wohnqualität
bewahren sollte, enteignet werden musste (BGE 94 I 294 E. 3, 8, 9
und 10). Eine Entschädigung ist auch dem Weekendhaus-Besitzer Canepa
für die Verschandelung der Aussicht durch eine Hochspannungsleitung
zugesprochen worden, weil dieser Schaden aufgrund der besonderen
Geländebeschaffenheit bei anderer Linienführung - ohne Inanspruchnahme
des Grundeigentums Canepas - nicht hätte eintreten können (BGE 100 Ib
195 E. 7 und 8). Ein die Entschädigungspflicht auslösender Eingriff
in schützendes Grundeigentum war ebenso im Falle Eberle festzustellen:
Hier lag der Hof des Beschwerdeführers vor dem Bau der Autobahn inmitten
des weiten Bauerngutes und wäre von Lärm-, Licht- und Abgasimmissionen
geschützt gewesen, hätte der Eigentümer nicht das auf dem Strassentrasse
gelegene Land aufgeben müssen und wäre ihm nicht im Rahmen des
nationalstrassenbedingten Landumlegungsverfahren eine ungünstiger geformte
Liegenschaft zugeteilt worden (BGE 104 Ib 81 f.). Demgegenüber hat das
Bundesgericht in der Beschwerdesache Bläsi jeden Entschädigungsanspruch
verneint, da die von den Eigentümern eines Hotelgrundstücks als störend
empfundene Hochspannungsleitung dieses Grundstück selbst nicht berührte
und übermässige Einwirkungen im Sinne von Art. 684 ZGB nicht festgestellt
werden konnten (BGE 102 Ib 350 ff.).

Erwägung 3

    3.- a) Von einer Teilenteignung und einer vollen Vergütung im Sinne von
Art. 19 lit. b und Art. 22 EntG kann, wie erwähnt, nur dann die Rede sein,
wenn zwischen dem Schaden, den der Eigentümer des Restgrundstücks erleidet,
und der Enteignung eines Grundstücksteils oder einer den Grundeigentümer
berechtigenden Servitut ein adäquater Kausalzusammenhang besteht. Es genügt
demnach nicht, dass der Eigentümer irgendeiner unbedeutenden Teilfläche
oder irgendwelcher Servitut verlustig geht; vielmehr muss feststehen,
dass der eingetretene Schaden, wäre nicht auf das Grundeigentum oder die
Servitutsberechtigung gegriffen worden, "aller Voraussicht nach" ("selon
toute vraisemblance", "secondo ogni probabilità"; Art. 22 Abs. 2 EntG)
ganz oder doch grösstenteils hätte vermieden werden können (BGE 98 Ib
208 E. 2 b; 104 Ib 81 E. 1b, 100 Ib 196 f. E. 8, 200, 94 I 294 E. 2).

    So hat das Bundesgericht im Falle Lanz die Anwendung der
Teilenteignungsregeln ausgeschlossen und der Beschwerdeführerin eine
Immissionsentschädigung verweigert, weil die geringe Abtretungsfläche
keinerlei Schutzfunktion erfüllen konnte und eine Nachbarrechtsverletzung
nicht vorlag (BGE 98 Ib 332). Dagegen ist vom Nachbargrundstück
ein beträchtlicher Teil des vor dem Wohnhaus liegenden Gartens,
der als Garant für ungeschmälerte Aussicht und ungestörtes Wohnen
gelten durfte, abgetrennt und demzufolge der Enteigner zum Ersatz des
Restliegenschaft-Minderwertes veranlasst worden (Beschluss vom 3. Oktober
1972 i.S. Michaud).

    Die hier und weiter oben erwähnte neuere Rechtsprechung ist übrigens
bei der Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhanges zurückhaltender als die
frühere, noch unter dem alten Enteignungsrecht entstandene und in diesem
Punkte wohl etwas large Praxis, die BURCKHARDT im Jahre 1913 zu einer
kritischen Stellungnahme veranlasst hatte (Die Entschädigungspflicht nach
schweizerischem Expropriationsrecht, ZSR 32/1913, S. 145 ff.). BURCKHARDT
betonte insbesondere, dass bei zwangsweiser Wegnahme eines Grundstücks nur
jener Schaden zu ersetzen sei, "den der Expropriat dank seines Eigentums zu
vermeiden erwarten konnte", und dass nicht das Interesse des Enteigneten
am Nichtzustandekommen des Werkes vergütet werden müsse, sondern jenes,
"das der Expropriat hatte, das Grundstück in seiner Verfügung behalten
zu dürfen" (aaO S. 176 und 183). Wie dargelegt, entspricht dies durchaus
der heutigen Auffassung des Bundesgerichts, so dass die Zweifel, die GYGI
gerade mit Hinweis auf BURCKHARDT gegenüber dem Urteil Eberle angebracht
hat (ZBJV 116/1980 S. 175/177), wohl zerstreut sein dürften.

    b) Wird von einem Besitz, der aus mehreren Grundstücken besteht,
ein Teil enteignet, entsteht ein Anspruch auf Minderwertsentschädigung
für den ganzen Restbesitz, vorausgesetzt, dass zwischen den einzelnen
Grundstücken ein wirtschaftlicher Zusammenhang bestanden hat (Art. 19
lit. b EntG). Diese Voraussetzung ist nicht nur dann erfüllt, wenn
die Grundstücke zum gleichen Betrieb oder Unternehmen gehören, sondern
schon dann, wenn ihre - allenfalls auch unterschiedliche Nutzung - einem
gemeinsamen wirtschaftlichen Zweck dient (HESS, N. 12 zu Art. 19 EntG,
N. 4 zu Art. 12 EntG). Ein solcher wirtschaftlicher und funktioneller
Zusammenhang kann vermutet werden, wenn das eine oder andere Grundstück
infolge der Verbindung eine Wertsteigerung erfährt.

    c) Ist davon auszugehen, dass der enteignete Teil eines Grundstücks
oder mehrerer zusammenhängender Parzellen für den verbleibenden Teil
eine Aufwertung brachte, insbesondere weil er diesen vor schädlichen
Einwirkungen bewahrte, so darf übrigens bei der Bestimmung des
Verkehrswertes der Abtretungsfläche (Art. 19 lit. a EntG) eine
an sich mögliche bessere Verwendung (Art. 20 Abs. 1 EntG) nicht in
Betracht gezogen werden, falls sich diese mit der Schutzfunktion nicht
vereinbaren lässt. Auch in dieser Hinsicht sind der Schadensberechnung
widerspruchsfreie Annahmen zugrundezulegen (vgl. BGE 106 I 228 E. 3a;
NAEGELI, Handbuch des Liegenschaftenschätzers, 2. A. 1980, S. 292 ff.).

Erwägung 4

    4.- Im vorliegenden Fall dürfen die für die Teilenteignung geltenden
Grundsätze angewendet werden:

    a) Was den wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen der Rebparzelle
Nr. 214 und der Hausliegenschaft Nr. 212 anbelangt, so war dieser noch
vor dem Bau der Eisenbahn im letzten Jahrhundert in nahezu idealer Weise
gegeben. Zwar hat der Enteigner vorgebracht, die beiden Grundstücke seien
schon damals durch einen Gemeindeweg getrennt gewesen, der, teilweise
heute noch bestehend, bis zur Liegenschaft Engel der Häuserzeile folgte,
um von da zum Seeufer, zu einer Ländte zu führen. Dieser Weg diente
jedoch vorwiegend den Anwohnern und der Bewirtschaftung der anstossenden
Parzellen selbst, er war offensichtlich nicht für den Durchgangsverkehr
bestimmt und vermochte daher an der Einheit zwischen Hausgrundstück und
Vorland nichts zu ändern.

    Eine Änderung brachte dann allerdings der Bau der Eisenbahn in den
siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Gesamtliegenschaft wurde
durch das Geleise und den Eisenbahnverkehr zerschnitten und erlitt -
wie noch darzulegen sein wird - eine beträchtliche Entwertung. Immerhin
wurde der Zusammenhang zwischen den beiden Teilen weder in räumlicher
noch in funktioneller Hinsicht vollständig zerstört. Vor dem Hause des
heutigen Beschwerdeführers wurde ein privater Geleiseübergang geschaffen,
so dass das Rebland direkt erreichbar blieb. Das Eisenbahntrasse war nicht
überhöht und trat daher optisch nicht stark in Erscheinung. Der weite,
seitlich über die Hausfassade hinausreichende Rebgarten beherrschte
noch immer den Blick im Vordergrund, er bewahrte dem Hause den Reiz der
ländlichen Umgebung und verlieh der ganzen Liegenschaft weiterhin das
Gepräge einer gewissen Hablichkeit und der Geruhsamkeit. Die Experten des
Bundesgerichtes haben daher zu Recht festgehalten, dass die Rebparzelle
Nr. 214 auch nach dem Bau der Eisenbahn den Wert des Hausgrundstückes noch
massgeblich beeinflusst bzw. erhöht habe und die beiden zusammenhängenden
Parzellen erst durch den Bau der Nationalstrasse und die Verlegung des
Bahntrasses endgültig auseinandergerissen worden seien.

    b) Der adäquate Kausalzusammenhang zwischen der Enteignung und
der Entwertung des Gebäudes ist hier ebenfalls zu bejahen. Er ist
offensichtlich, soweit sich der Schaden aus der Abtrennung der Rebparzelle
und der Zerstörung der ehemaligen Einheit ergeben hat. Er ist aber auch für
die Nachteile und Beeinträchtigungen durch den Strassenverkehr gegeben,
erstreckte sich doch das Grundeigentum des Enteigneten über 80 m weit
bis zum Seeufer und durfte dieser nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge
damit rechnen, dass er Immissionen solcher Art von seinem Wohnhause
fernhalten könne.

Erwägung 5

    5.- Der Enteigner hat die Theorie der stufenweisen Entwertung des
Landsitzes von Dr. Balmer - zunächst durch den Bau der Eisenbahn und
nunmehr durch die Erstellung der Nationalstrasse - mit dem Argument
bestritten, dass die durch den Eisenbahnbetrieb verursachten Immissionen
allein schon derart intensiv und lästig gewesen seien, dass sich die
Lage nach dem Strassenbau nicht oder kaum noch verschlechtert habe. Wie
jedoch die allgemeine Erfahrung und auch die Resultate wissenschaftlicher
Untersuchungen zeigen, dürfen die durch den Bahnverkehr verursachten
Lärmimmissionen jenen des Strassenverkehrs nicht ohne weiteres
gleichgestellt werden. Die Lärmimmissionen, die sich aus dem normalen
Eisenbahnverkehr - mit Ausnahme des Stations- und Rangierbetriebes -
ergeben, zeichnen sich zwar durch eine besonders hohe Geräuschintensität
aus, sie treten aber nur während kurzer Zeitabschnitte auf, zwischen
denen mehr oder weniger lange Ruhepausen liegen. Die unterschiedliche
Frequenzzusammensetzung von Strassen- und Eisenbahnlärm hat im weiteren
zur Folge, dass bei gleichem Messwert in dB(A) das Bahngeräusch vom
Menschen als weniger laut empfunden wird. Vor allem aber fehlt dem
Lärm, der von fahrplanmässig verkehrenden Zügen ausgeht, das Merkmal
der Stochastizität, das heisst der Zufälligkeit bzw. Unregelmässigkeit
des Auftretens, der Dauer, Intensität und Qualität des Geräusches,
die dem Strassenlärm eigen ist. Fehlt diese Eigenart, tritt der Lärm
nicht allzu häufig auf und spielen sich die Schallabläufe kongruent ab,
so ermöglicht dies dem menschlichen Organismus, wie das Bundesgericht
schon in früheren Entscheiden gestützt auf die Berichte seiner Gutachter
festgestellt hat, ein hohes Mass an Angewöhnung (nicht publ. Entscheid
i.S. Knecht und Mitbet. vom 8. Mai 1974 und in dieser Sache erstellte
Expertise Furrer/Eichenberger vom 15. März 1973; BGE 100 Ib 205 E. 3a,
101 Ib 407). Verschiedene nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten
durchgeführte Umfragen haben denn auch ergeben, dass die Störwirkung des
Eisenbahnlärms in mittleren und höheren Schallpegelbereichen geringer
ist als jene des Strassenlärms (vgl. JANSEN/KLOSTERKÖTTER, Lärm und
Lärmwirkungen, hrsg. vom Deutschen Bundesministerium des Innern, 1980
S. 16f.; HAUCK, Unterschiedliche Lästigkeit von Strassenverkehrslärm
und Schienenverkehrslärm, Eisenbahntechnische Rundschau 28/1979 S. 365
ff.; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr des
Deutschen Bundestages zum Verkehrslärmschutzgesetz vom 28. Februar 1980,
insbes. S. 22; VERDAN, Grenzwerte als Instrument des nachbarlichen
Lärmschutzes, aus: Lärm und Luft, Referate der 7. Fachtagung der Pro
aqua - Pro vita, Basel 1977, S. 78 f.; Wohnort und Verkehrsbedürfnisse,
Kurzbericht des soziologischen Institutes der Universität Zürich, 1980,
S. 6 f.).

    Auf Grund dieser Erfahrungstatsachen durften die bundesgerichtlichen
Experten, von denen sich Herr Rimli schon im zitierten Fall Knecht mit den
gleichen Fragen auseinanderzusetzen hatte, davon ausgehen, dass der blosse
Eisenbahnverkehr den Enteigneten nicht übermässig störte und ihm eine
Angewöhnung an den Lärm erlaubte. Der Bericht über die Lärmmessungen vor
Eröffnung der Autobahn, auf den der Enteigner hingewiesen hat, bestätigt
diese Auffassung nur: Aus den Aufzeichnungen geht etwa hervor, dass bei
der Liegenschaft des Enteigneten die wesentliche Lärmbelastung (zwischen
60 und 80 dB(A)) durch einen in Richtung Neuenburg fahrenden Schnellzug
mit neun Wagen bloss ca. 38 Sekunden dauerte und bei Durchfahrt eines
in Richtung Biel fahrenden Personenzuges mit 6 Wagen der Lärmpegel nur
während 29 Sekunden 50 dB(A) überschritt und 80 dB(A) erreichte. Zwischen
den Zugsdurchfahrten war es an diesem Orte relativ ruhig (L50=44 dB(A)
für den Tag und 38 dB(A) für die Nacht), während zu gleicher Zeit, also
noch vor dem Autobahnbau, in Nähe der alten Kantonsstrasse (Messpunkte
8 a und 8 b) Werte von L50=71 bzw. 67 dB(A) für den Tag und von L50=51
bzw. 45 dB(A) für die Nacht gemessen wurden.

Erwägung 6

    6.- Zur Bestimmung des zu entschädigenden Minderwertes haben die
Experten zunächst den Wert festgesetzt, den das Wohnhaus des Enteigneten
am Stichtag aufgewiesen hätte, wären weder die Eisenbahnlinie noch die N 5
vorhanden gewesen. Dieser Betrag, nämlich Fr. 1'100'000.--, ist hierauf um
30% für die Entwertung, die der Eisenbahnbetrieb verursacht hat, gekürzt
und so der Verkehrswert des Hauses vor der Enteignung ermittelt worden
(Fr. 770'000.--). In Würdigung des besonderen Charakters der Liegenschaft
haben die Gutachter schliesslich die durch das Nationalstrassenwerk
bedingte Entwertung auf 35%, d.h. auf Fr. 270'000.-- geschätzt.

    Gegen diese Schätzung hat der Enteigner eingewendet, sie sei im
Vergleich zu anderen Fällen, in denen trotz grösserer Lärmbelästigung
kaum höhere Minderwerte festgesetzt wurden, zu hoch ausgefallen. Die
Kritik trägt jedoch dem Umstand zu wenig Rechnung, dass sich die
immissionsbedingte Entwertung einer Baute nicht einzig nach der Höhe des
Schallpegels an sich oder nach dem "Lärmzuwachs" bemessen lässt. Nicht
jedes Gebäude, das den gleichen Einwirkungen ausgesetzt wird, erleidet
die selbe Werteinbusse. Wohnbauten, deren Marktwert von Umgebung und Lage
weitgehend mitbestimmt wird, z.B. Landsitze, herrschaftliche Villen,
schlossartige Gebäude und andere sog. Liebhaberobjekte, sprechen auf
Beeinträchtigungen, wie sie der Nationalstrassenverkehr mit sich bringt,
wertmässig empfindlicher an als andere Häuser, die situationsunabhängiger
sind. Im vorliegenden Falle kommt hinzu, dass der eingetretene Schaden
nicht nur auf Immissionen, sondern auch auf die Zerstörung der ehemals
zwischen Haus- und Rebparzelle bestehenden Einheit zurückzuführen ist. Das
Bundesgericht hat daher keinen Anlass, von der Schätzung seiner Experten
abzuweichen.

    Die Beschwerde ist somit teilweise gutzuheissen und der Enteigner
zu verpflichten, dem Enteigneten Dr. Balmer eine Entschädigung von
Fr. 270'000.-- für die Entwertung der Parzelle Nr. 212 auszurichten.