Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IB 330



106 Ib 330

50. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22.
Oktober 1980 i.S. Gebrüder Thomann & Co. gegen Gemischte Gemeinde Röschenz
und Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Art. 30 GSchG und Art. 22ter BV; Entschädigung für
Nutzungsbeschränkungen infolge Grundwasserschutzzone.

    Aufgrund von Art. 30 GSchG mit Schutzzonenplan angeordnetes
Verbot einer intensiven landwirtschaftlichen Nutzung, ohne jedoch
die bisherige Nutzung zu untersagen. Art. 30 Abs. 2 GSchG ordnet
keine Entschädigungspflicht an, sondern legt nur fest, wen eine solche
allenfalls trifft (E. 3). Abgrenzung zwischen materieller Enteignung und
entschädigungslos zulässiger Eigentumsbeschränkung (Bestätigung von BGE
96 I 359). Mögliche Ausnahmen vom Grundsatz der Entschädigungslosigkeit
von Eigentumsbeschränkungen polizeilicher Natur im engern Sinne (E. 4).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Auffassung der Beschwerdeführerin, Art. 30 GSchG
gebe ihr einen Entschädigungsanspruch unabhängig davon, ob sie
durch die Nutzungsbeschränkungen materiell enteignet werde, geht
fehl. Abgesehen davon, dass sie das Verfahren zur Geltendmachung von
Entschädigungsansprüchen wegen materieller Enteignung eingeleitet hat
und ihre Behauptung bereits aus diesem Grunde widersprüchlich ist,
geht aus dem Wortlaut von Art. 30 GSchG unmissverständlich hervor,
dass er keine Entschädigungspflicht für Grundwasserschutzzonen
anordnet, sondern einzig festlegt, wer allfällige Entschädigungen
für Nutzungsbeschränkungen auszurichten hat. Die Gesetzesmaterialien
bestätigen diesen Zweck des Art. 30 Abs. 2. Der Berichterstatter der
Mehrheit der ständerätlichen Kommission (Hofmann) legte dar, der dem
heutigen Art. 30 Abs. 2 entsprechende Art. 29 Abs. 2 des Entwurfes
behandle das Problem der Entschädigung; diese treffe grundsätzlich die
Eigentümer der Grundwasserfassungen, sofern eine Entschädigungspflicht
bestehe. Ausdrücklich hielt dieser Berichterstatter fest: "Wann eine
Entschädigungspflicht besteht, wird in diesem Gesetz nicht bestimmt." Der
Berichterstatter der Minderheit (Rohner) wünschte unter Hinweis auf die
Praxis des Bundesgerichtes, wonach Eingriffe polizeilicher Natur zum
Schutze der öffentlichen Gesundheit nicht entschädigungspflichtig seien,
eine andere Gliederung des Artikels, "weil sonst leicht der Eindruck
entstehen wird, dass die Ausscheidung von Schutzzonen in jedem Fall
entschädigungspflichtig sei". Bundesrat Tschudi antwortete hierauf, dass
keine materielle Differenz bestehe. Auch aus der Zustimmung zum Antrag der
Mehrheit und des Bundesrates könne nicht geschlossen werden, dass damit
alle Nutzungsbeschränkungen entschädigungspflichtig wären. Die Meinung gehe
durchaus dahin, "dass auch in Zukunft gemäss der Praxis des Bundesgerichts,
die von Herrn Ständerat Rohner zitiert wurde, gehandelt werden soll"
(Amtl.Bull. 1971 S 147 f.). Im Nationalrat gab die Bestimmung zu keinen
weiteren Diskussionen Anlass (Amtl. Bull. 1971 N 715 f.). Der Artikel
wurde in der Fassung der Mehrheit angenommen. Entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin ergibt sich hieraus eindeutig, dass Art. 30 GSchG die
Frage der Entschädigungspflicht nicht regelt, da es der Gesetzgeber bei
der bundesgerichtlichen Praxis bewenden lassen wollte. In dieser Hinsicht
hat somit die Rechtslage gegenüber dem früheren Gewässerschutzgesetz vom
16. März 1955 keine Änderung erfahren. Der Ausgang der Beschwerdesache
hängt somit davon ab, ob die Nutzungsbeschränkungen eine materielle
Enteignung der Beschwerdeführerin zur Folge haben.

Erwägung 4

    4.- Das Bundesgericht ist in steter Rechtsprechung davon ausgegangen,
dass die Ausübung jedes verfassungsmässigen Rechts unter dem Vorbehalt
staatlicher Massnahmen zur Wahrung der öffentlichen Ordnung stehe. Es
hat daraus geschlossen, dass sich die Frage der Entschädigungspflicht
des Gemeinwesens für Eigentumsbeschränkungen dann nicht stelle, wenn
der Eingriff in das Grundeigentum zum Schutze von Polizeigütern,
insbesondere zur Gewährleistung von Leben, Gesundheit, Ruhe und
öffentlicher Sicherheit, erfolge. Dabei hat es der Abgrenzung zwischen
entschädigungsloser Eigentumsbeschränkung und materieller Enteignung
einen engen Polizeibegriff zugrunde gelegt. In BGE 96 I 359 führte es aus:

    "Von einer entschädigungslos zulässigen Eigentumsbeschränkung muss ...
   dann gesprochen werden, wenn mit der gegen den Störer gerichteten
   Massnahme eine als Folge der beabsichtigten Grundstücksbenutzung
   zu erwartende konkrete, d.h. ernsthafte und unmittelbare Gefahr für
   die öffentliche

    Ordnung, Sicherheit und Gesundheit abgewendet werden soll und wenn die
   zuständige Behörde zu diesem Zweck ein von Gesetzes wegen bestehendes

    Verbot konkretisiert und in Bezug auf die in Frage stehende

    Grundstücksnutzung bloss die stets zu
   beachtenden polizeilichen Schranken der Eigentumsfreiheit festsetzt."

    Diese Rechtsprechung hat das Bundesgericht dem Grundsatze nach
wiederholt bestätigt (BGE 105 Ia 335 E. 3b und 103 Ib 214 E. 1c;
Urteil Stalder vom 14. Februar 1979, in BVR 77/1979 S. 381 E. 4b und
c). ANDRE GRISEL (Juridiction constitutionnelle de demain, in ZBl 72/1971
S. 224) meldet dagegen einen Vorbehalt an, weil die Abgrenzung des engen
Polizeibegriffs schwierig sei. Dieser Umstand allein bildet aber keinen
genügenden Grund zur Aufgabe des Grundsatzes, dass Beschränkungen, welche
die stets zu beachtenden polizeilichen Schranken der Eigentumsfreiheit
festsetzen, entschädigungslos zu dulden sind. Das von A. GRISEL angeführte
Beispiel - gänzliches Bauverbot zur Sicherung der Verkehrsübersicht -
vermag deshalb nicht zu überzeugen, weil ein entsprechendes, regelmässig
mit planerischen Mitteln wie einer Baulinienziehung erfolgendes Verbot,
das eine an sich zur Überbauung geeignete, einer Bauzone zugewiesene
erschlossene Parzelle betrifft, keineswegs bloss die stets zu beachtenden
polizeilichen Schranken der Eigentumsfreiheit festsetzt. Im Vordergrund
steht vielmehr eine Massnahme der Strassenplanung, die ein dem Eigentümer
grundsätzlich zustehendes Recht entzieht. Es ist denn auch kennzeichnend,
dass das positive Recht vielfach ausdrücklich die Möglichkeit der
Entschädigung, allenfalls in Form der Gewährung des sogenannten
Heimschlagsrechts, für entsprechendes, zufolge der Baulinien nicht mehr
überbaubares Land vorsieht.

    Auch die Kritik von BLAISE KNAPP (La garantie de la propriété
- l'expropriation matérielle, in: Le droit suisse en évolution,
veröffentlicht von der Faculté de droit de l'université de Lausanne,
1978 S. 12) spricht nicht gegen den genannten Entscheidungsgrundsatz,
da das von ihm angeführte Beispiel der Bauvorschriften zur Beschränkung
der Geschosszahl auch nach der Auffassung des Bundesgerichts keinen
Anwendungsfall des Polizeibegriffes im engeren Sinne darstellt. Das
zweite Beispiel - Verschärfung von Sicherheitsvorschriften, die zur Folge
haben können, dass bewilligte Installationen geändert werden müssen -
berührt Fragen der Bestandesgarantie, auf die sich der angeführte
Entscheidungsgrundsatz nicht ohne weiteres bezieht, hat doch das
Bundesgericht die Frage, wie zu entscheiden wäre, wenn eine bereits
bestehende Nutzung untersagt wird, ausdrücklich offen gelassen (BGE 96
I 359 unten).

    ULRICH ZIMMERLI schliesslich (Die Rechtsprechung des Bundesgerichts
zur materiellen Enteignung, ZBl 75/1974 S. 152 f.) möchte den
Grundsatz des Ausschlusses der Entschädigungspflicht bei polizeilichen
Eigentumsbeschränkungen im engeren Sinne dahin präzisieren, dass jedenfalls
solche Eigentumsbeschränkungen entschädigungslos zuzulassen sind, "die
der konkreten Gefahrenabwehr dienen und mit denen vermieden werden soll,
dass der Eigentümer von seinem Grundstück aus andere Bürger ernsthaft und
unmittelbar gefährdet oder schädigt oder dass der Grundeigentümer sich
selber erheblichen Gefahren aussetzt". Diese Formulierung entspricht
durchaus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, umfasst sie doch die
in BGE 96 I 128 E. b angeführten Beispiele sowie das mit Rücksicht auf
eine Grundwasserfassung angeordnete Verbot der Kiesausbeutung, das dem
Entscheid BGE 96 I 350 ff. zugrunde liegt.

    An dieser Rechtsprechung ist daher festzuhalten. Es ist indes
hervorzuheben, dass nach ihr nur solche polizeilichen Verbote
entschädigungslos zu dulden sind, welche "in bezug auf die in Frage
stehende Grundstücksnutzung bloss die stets zu beachtenden polizeilichen
Schranken der Eigentumsfreiheit" festsetzen. Stets zu beachten
sind nur die im Sinne des Verhältnismässigkeitsprinzipes notwendigen
Beschränkungen, nicht auch Anordnungen, welche weiter gehen, als zur
Abwendung der ernsthaften und unmittelbaren Gefahr erforderlich ist. Bei
den mit Gewässerschutzzonen verbundenen Nutzungsbeschränkungen ist es sehr
wohl denkbar, dass z.B. anstelle blosser Baubeschränkungen (wie sie das
Bundesrecht in der Verordnung vom 19. Juni 1972 zum Schutze der Gewässer
gegen Verunreinigung durch wassergefährdende Flüssigkeiten vorsieht)
Bauverbote angeordnet werden, etwa weil ausser dem Grundwasserschutz auch
allgemeine raumplanerische Erwägungen für eine Freihaltezone sprechen. In
solchen Fällen lässt sich der Ausschluss der Entschädigungspflicht nicht
von vornherein mit der blossen Verweisung auf den (auch) polizeilich
motivierten Charakter der entsprechenden Anordnungen begründen. Weiter
hat das Bundesgericht die Frage, wie zu entscheiden wäre, wenn nicht
eine geplante, sondern eine bereits bestehende Nutzung untersagt wird,
ausdrücklich offen gelassen (BGE 96 I 359 unten). Schliesslich sind die
Fälle vorzubehalten, in denen die Schaffung einer Schutzzone nach Art. 30
GSchG eine Auszonung baureifen oder grob erschlossenen Landes bewirkt
(vgl. BGE 105 Ia 338 E. 3d) oder einer solchen Auszonung gleichkommt;
dabei stellt sich die Frage der Auszonung aber nur, wo sich die Schutzzone
mit der Zone der Grundnutzung nicht verträgt.

Erwägung 5

    5.- (Im vorliegenden Fall stellen die angeordneten
Nutzungsbeschränkungen eine gegen den Störer gerichtete Massnahme dar,
mit der eine konkrete, d.h. ernsthafte und unmittelbare Gefahr für die
öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit abgewendet werden soll,
nämlich die Gefahr der Verschmutzung der von der Gemeinde seit langem
betriebenen Trinkwasserfassung "Kächbrunnen", von deren Bestehen die
Beschwerdeführerin beim Erwerb des fraglichen Landwirtschaftsbetriebes
Kenntnis haben musste.)