Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IB 273



106 Ib 273

40. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
31. Oktober 1980 i.S. O. gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    BG über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner
Behördemitglieder und Beamten (VG).

    1. Anwendungsbereich von Art. 1 Abs. 1 lit. f VG (E. 2).

    2. Die Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen strafbarer Handlungen,
die sich auf die amtliche Tätigkeit einer der in Art. 1 VG aufgezählten
Personen beziehen, ist auch nach Ausscheiden dieser Person aus dem
Bundesdienst erforderlich (E. 3c).

    3. Verweigerung der Ermächtigung wegen Vorliegens eines leichten Falles
(E. 3d).

Sachverhalt

    A.- Während des Bundesstrafverfahrens gegen O. und Mitbeteiligte
übertrug der ständige Vertreter des Bundesanwalts für die deutsche Schweiz
dem Bezirksanwalt T. unter anderem die Aufgabe, die Briefzensur für den
Untersuchungsgefangenen O. durchzuführen. In der Zeit vom 1. April 1977 bis
zum 30. September 1979 teilte das kantonale Polizeikommando Bezirksanwalt
T. den Polizeigefreiten X. als Protokollführer zu. X. hatte für seinen
Vorgesetzten unter anderem die für O. bestimmte Briefpost zu öffnen und
sie nach der Zensur weiterzuleiten.

    Im September 1979 gestand X. im Rahmen einer verwaltungsinternen
Untersuchung, dass er zwischen Januar und August 1978 aus sechs bis zehn an
den Untersuchungsgefangenen O. adressierten Briefumschlägen die Briefmarken
herausgeschnitten und sie einer ihm als Briefmarkensammlerin bekannten
Verwaltungsangestellten gegeben habe. X. wurde deswegen vom Kommandanten
der Kantonspolizei mit einer Busse von Fr. 200.-- disziplinarisch bestraft.

    In der Folge übermittelte die Bezirksanwaltschaft die Akten an
das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) zur Durchführung des
Verfahrens nach dem BG über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner
Behördemitglieder und Beamten vom 14. März 1958 (VG).

    Mit Verfügung vom 25. Juli 1980 verweigerte das EJPD die Ermächtigung
zur Strafverfolgung von X. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt,
der Beschuldigte unterstehe bezüglich der Tätigkeit, die er im Zusammenhang
mit der Kontrolle der Briefpost von O. ausgeübt habe, gemäss Art. 1
Abs. 1 lit. f VG dem Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes. Die ihm zur
Last gelegten strafbaren Handlungen bezögen sich auf seine amtliche
Tätigkeit. Die Strafverfolgung bedürfte daher der Ermächtigung, die
jedoch zu verweigern sei, weil ein leichter Fall vorliege und die Tat
nach allen Umständen durch eine disziplinarische Bestrafung als genügend
geahndet erscheine.

    O. ficht diese Verfügung mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 1 Abs. 1 lit. f VG unterstehen dem
Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes neben den in den lit. a-e genannten
Behördemitgliedern, Beamten und übrigen Arbeitskräften des Bundes "alle
anderen Personen, insoweit sie unmittelbar mit öffentlichrechtlichen
Aufgaben des Bundes beauftragt sind". Diese Bestimmung soll gewährleisten,
dass der Anwendungsbereich des Gesetzes alle Personen umfasst, die
öffentlichrechtliche Aufgaben des Bundes wahrnehmen, deren Vollzug
direkt dem Bund zusteht und nicht den Kantonen vorbehalten ist. Mit
dem Ausdruck "unmittelbar", der im bundesrätlichen Entwurf noch
nicht enthalten war, sondern erst im Laufe der parlamentarischen
Beratungen in das Gesetz eingefügt wurde, sollte die Anwendbarkeit
des Verantwortlichkeitsgesetzes auf die Beamten und Angestellten der
Kantone und Gemeinden ausgeschlossen werden, die zwar bundesrechtliche
Aufgaben erfüllen, aber lediglich aufgrund von Erlassen tätig werden,
deren Durchführung nach der gesetzlichen Ordnung Sache der Kantone
und Gemeinden ist (vgl. VEB 31, Nr. 28, S. 64). Anderseits ist für
die Anwendbarkeit des Verantwortlichkeitsgesetzes nicht erforderlich,
dass eine mit öffentlichrechtlichen Aufgaben des Bundes betraute
Person in einem Dienstverhältnis zum Bund, sei es öffentlichrechtlicher
oder privatrechtlicher Natur, stehe (BGE 94 I 639; 88 II 444). Es ist
nicht einmal notwendig, dass ihr selber durch ein Organ des Bundes die
Wahrnehmung einer entsprechenden Aufgabe übertragen worden sei. Es genügt,
wenn ihr Arbeitgeber oder Vorgesetzter mit einer öffentlichrechtlichen
Aufgabe des Bundes betraut worden ist und dieser Auftrag den Beizug von
entsprechenden Mitarbeitern in sich schliesst. Das kann immer dann bejaht
werden, wenn die Aufgabe auch bei direkter Erfüllung durch den Bund unter
Beizug von gleichartigen Hilfskräften erledigt worden wäre.

    b) Gemäss Art. 17 Abs. 1 BStP steht die gerichtliche Polizei unter
der Leitung des Bundesanwalts und unter der Aufsicht des Eidg. Justiz-
und Polizeidepartements.

    Gemäss Art. 17 Abs. 2 BStP üben die gerichtliche Polizei aus:

    "die Staatsanwälte der Kantone;
   die Beamten und Angestellten der Polizei des Bundes und der Kantone;

    die übrigen Beamten und Angestellten des Bundes und der Kantone
in ihrem

    Wirkungskreis."

    In der angefochtenen Verfügung wird ausgeführt, X. habe bei
seiner Tätigkeit gleich wie sein Vorgesetzter zur gerichtlichen
Polizei des Bundes im Sinne von Art. 17 BStP gehört. Damit sei das
Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes auf ihn anwendbar. Ob kantonale
Beamte, welche gemäss Art. 17 Abs. 2 BStP Aufgaben der gerichtlichen
Polizei erfüllen, in jedem Fall dem Verantwortlichkeitsgesetz unterstehen,
erscheint indes zweifelhaft. Diese Aufgabe wird ihnen nämlich vom Gesetz
selber übertragen, weshalb sich die Auffassung vertreten lässt, sie
übten insoweit eine Tätigkeit im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung
aus und seien nicht "unmittelbar" mit öffentlichrechtlichen Aufgaben
des Bundes betraut. In der Literatur ist denn auch ausgeführt worden,
die Verantwortlichkeit kantonaler Beamter der gerichtlichen Polizei
richte sich nach dem kantonalen Recht, soweit nicht der Bundesanwalt
selber eine Untersuchungshandlung angeordnet oder genehmigt habe
(PETER, Die Bundesanwaltschaft als Staatsanwaltschaft des Bundes,
Diss. Bern, 1961, S. 37). Wie es sich damit verhält, kann hier jedoch
dahingestellt bleiben. Als sich die erwähnten Vorfälle ereigneten, war
das gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren bereits abgeschlossen. Das
Bundesstrafverfahren befand sich im Stadium der Vorbereitung der Anklage
(Art. 125 ff. BStP). In diesem Verfahrensstadium üben die kantonalen
Behörden keine Aufgaben der mittelbaren Bundesverwaltung aus. Wenn
Bezirksanwalt T. in diesem Zeitpunkt mit der Kontrolle der Korrespondenz
des Untersuchungsgefangenen O. beauftragt wurde, so wurde ihm insoweit
unmittelbar eine öffentlichrechtliche Aufgabe des Bundes übertragen. Zu
deren Erfüllung konnte er den Polizeigefreiten X. beiziehen, der insoweit
ebenfalls unmittelbar mit öffentlichrechtlichen Aufgaben des Bundes betraut
war. Der Beschuldigte unterstand daher gestützt auf Art. 1 Abs. 1 lit. f
VG gleich wie sein Vorgesetzter dem Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes.

Erwägung 3

    3.- a) Gemäss Art. 15 Abs. 1 VG bedarf die Strafverfolgung von Beamten
wegen strafbarer Handlungen, die sich auf ihre amtliche Tätigkeit oder
Stellung beziehen, der Ermächtigung des EJPD. Wenn ein Straftatbestand
und die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung als erfüllt
erscheinen, so darf die Ermächtigung gemäss Art. 15 Abs. 3 VG nur in
leichten Fällen verweigert werden, und sofern die Tat nach allen Umständen
durch eine disziplinarische Bestrafung des Fehlbaren als genügend geahndet
erscheint. Art. 2 Abs. 1 VG hält fest, dass die Bestimmungen über
die Beamten auch für alle übrigen in Art. 1 genannten Personen gelten,
sofern das Gesetz nicht besondere Vorschriften enthält. Das ist hier
nicht der Fall.
   c) Im vorliegenden Fall ist offenkundig, dass sich die
Handlungen, die dem Beschuldigten zur Last gelegt werden, auf dessen
amtliche Tätigkeit beziehen. Die Vorinstanz hat daher zu Recht angenommen,
dass die Strafverfolgung der Ermächtigung bedürfe. Diese war auch nicht
deshalb entbehrlich, weil X. im Zeitpunkt des Vorverfahrens bereits
nicht mehr mit öffentlichrechtlichen Aufgaben des Bundes betraut war. Die
Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen strafbarer Handlungen, die sich auf
die amtliche Tätigkeit oder Stellung einer der in Art. 1 VG aufgezählten
Personen bezieht, ist auch dann noch erforderlich, wenn die betreffende
Person nicht mehr im Dienste des Bundes steht. Das wird im Gesetz zwar
nicht ausdrücklich gesagt und ist auch deshalb nicht selbstverständlich,
weil das Ermächtigungsverfahren nicht in erster Linie im Interesse
der Behördemitglieder, Beamten und sonstigen Personen gemäss Art. 1
VG aufgestellt ist, sondern hauptsächlich, um durch deren Schutz vor
unbegründeten, insbesondere trölerischen oder mutwilligen Strafanzeigen
den reibungslosen Gang der Verwaltung sicherzustellen. Diese Zielsetzung
tritt naturgemäss in den Hintergrund, wenn die betreffende Person nicht
mehr im Dienste des Bundes steht. Sie bleibt jedoch auch in diesem Falle
von Bedeutung. Für den reibungslosen Gang der Verwaltung ist nämlich
auch von Gewicht, dass die Personen, die öffentlichrechtliche Aufgaben
erfüllen, darauf zählen können, dass sie nach Ende ihrer Amtstätigkeit vor
trölerischen oder mutwilligen Strafanzeigen geschützt sind. Damit soll
verhindert werden, dass das Verhalten der Beamten wegen der allfälligen
späteren Verwicklung in derartige Strafverfahren beeinflusst und
der gesetzmässige Gang der Verwaltung auf diese Weise beeinträchtigt
wird. Darüber hinaus ist das Ermächtigungsverfahren, wenn auch nur
in zweiter Linie, im Interesse der mit öffentlichrechtlichen Aufgaben
betrauten Personen selber aufgestellt. Auch das führt dazu, dass eine
Ermächtigung selbst nach Beendigung der Amtstätigkeit erforderlich ist.

    d) Die Vorinstanz ging in der angefochtenen Verfügung davon aus,
dass ein Straftatbestand und die gesetzlichen Voraussetzungen der
Strafverfolgung erfüllt seien. Sie nahm an, bei den Briefen, die durch
die Hände des Beschuldigten gegangen seien, habe es sich einerseits um
solche gehandelt, die ihm zu selbständiger Bearbeitung übertragen worden
seien, und anderseits um solche, die er lediglich habe weiterleiten müssen.
Je nachdem sei die Wegnahme der Briefmarken als geringfügige Veruntreuung
(Art. 142 StGB) oder als Diebstahl (Art. 137 StGB), eventuell als
Sachentziehung (Art. 143 StGB) zu qualifizieren. Da nicht mehr feststellbar
sei, zu welcher Gruppe die Briefe gehörten, aus denen der Beschuldigte die
Marken entfernte, müsse zu seinen Gunsten vom leichtesten der möglichen
Tatbestände, im konkreten Fall von Art. 142 StGB ausgegangen werden.

    Ob diese Qualifizierung zutreffe, kann hier dahingestellt bleiben,
da die Verfehlung ohne Zweifel einen leichten Fall im Sinne von Art. 15
Abs. 2 VG darstellt. Wie das Bundesgericht in BGE 93 I 81 E. 3 dargelegt
hat, ist die Frage, ob ein leichter Fall vorliege, nach den gesamten
Umständen zu beurteilen, die bei der Abwägung des Verschuldens zu
berücksichtigen sind. In Betracht fallen dabei namentlich die Art und
Schwere der Verfehlung, die Beweggründe sowie die persönlichen Verhältnisse
des Beschuldigten. Die Verfehlung von X. bestand darin, dass er bei
sechs bis zehn an den Beschwerdeführer gerichteten Briefumschlägen die
Marken entfernte, um sie einer Mitarbeiterin zu geben. Diese Verfehlung
kann weder hinsichtlich des Verschuldens noch hinsichtlich der Höhe des
Schadens als schwer erachtet werden. Ins Gewicht fällt namentlich, dass
X. die Briefmarken nicht ausschnitt, um sie für sich selber zu behalten,
sondern dass er sie einer Arbeitskollegin gab, welche die Briefmarken
ihrerseits einem Patenkind schenkte. Durch die Wegnahme der Marken wurde
zudem kein grosser Schaden verursacht. Es kann namentlich nicht zutreffen,
dass die Marken für den Beschwerdeführer einen hohen affektiven Wert
gehabt hätten. Wie in der Vernehmlassung des EJPD ausgeführt wird, nimmt
das Departement bei Vermögensdelikten zum Nachteil Dritter hinsichtlich
der Schadenshöhe einen leichten Fall an, wenn der Deliktsbetrag unter
Fr. 200.-- liegt. Das trifft hier offenkundig zu, und es besteht kein
Anlass, sich von der Praxis des Departements zu entfernen.

    In der Vernehmlassung des EJPD wird sodann eingeräumt, dass für den
Beschuldigten belastend ins Gewicht falle, dass er seine Verfehlung nicht
sofort gestanden habe, als wegen der Vorkommnisse eine Aufsichtsbeschwerde
eingereicht und in der Folge als Strafanzeige gegen Bezirksanwalt
T. behandelt worden sei. Immerhin habe er ein Geständnis abgelegt, als
nach der Einstellung der Strafuntersuchung gegen T. der Verdacht auf eine
weitere Person gefallen sei. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird
sodann geltend gemacht, der Beschuldigte habe sogar ohne Widerspruch eine
Stellungnahme von Bezirksanwalt T. ausgefertigt, in welcher der Verdacht
geäussert wurde, O. selber habe die Marken herausgeschnitten, um T.
anschuldigen zu können. Diese Umstände lassen das Verschulden von X. in
der Tat als schwerer erscheinen, als es wäre, wenn er sofort gestanden
hätte. Da X. weder aus Eigennutz handelte noch einen hohen Schaden
verursachte, haben aber auch sie nicht zur Folge, dass die Verfehlung
des Beschuldigten nicht als leichter Fall erachtet werden könnte. Da
die Tat zudem durch die disziplinarische Bestrafung mit einer Busse von
Fr. 200.-- nach allen Umständen als geahndet erscheint, hat die Vorinstanz
kein Bundesrecht verletzt, wenn sie die Ermächtigung zur Strafverfolgung
verweigerte. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet.