Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IB 241



106 Ib 241

36. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. Oktober 1980 i.S.
Zimmermann und Steiner gegen Kanton Zürich und Eidg. Schätzungskommission,
Kreis 10 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Anspruch der Mieter und Pächter auf Enteignungsentschädigung.

    Welche Ansprüche auf Enteignungsentschädigung Mietern und Pächtern
zustehen, bestimmt sich ausschliesslich nach dem Bundesgesetz über die
Enteignung (E. 2, 4a).

    Bei der Expropriation nachbarrechtlicher Abwehransprüche wird auf dem
enteigneten Grundstück eine Grunddienstbarkeit errichtet, deren Inhalt in
der Pflicht zur Duldung der Immissionen besteht. Die Entschädigung für
diese Dienstbarkeit bzw. die damit verbundene Entwertung des belasteten
Grundstückes steht einzig dem Grundeigentümer zu (E. 3).

    Ein Entschädigungsanspruch von Mietern und Pächtern besteht nur

    - wenn durch die Enteignung der Vertrag vorzeitig aufgelöst oder in
die vertraglichen Rechte eingegriffen wird (E. 4a);

    - für die Dauer des Vertrages bis zum nächsten Kündigungstermin
(E. 4b);

    - für Schäden, die nach Vertragsabschluss entstehen (E. 4c).

Sachverhalt

    A.- Werner Zimmermann und Johann Steiner, beide Mieter einer
Wohnung in Nähe des Flugplatzes Kloten, ersuchten im September 1973
den Kanton Zürich als Halter des Flughafens Zürich-Kloten um Eröffnung
eines Enteignungsverfahrens und verlangten eine Entschädigung für die
vom Flughafenbetrieb ausgehenden Immissionen. Der Kanton Zürich hielt
die Entschädigungsbegehren für unbegründet, stellte jedoch an den
Präsidenten der Eidg. Schätzungskommission, Kreis 10, ein Gesuch um
Einleitung des Schätzungsverfahrens. Dieser gab dem Begehren statt und
setzte den Enteigneten Frist zur Anmeldung ihrer Entschädigungsansprüche
an. Zimmermann und Steiner forderten vom Kanton für die bisherige
Mietdauer bis 31. Dezember 1974 eine Kapitalzahlung sowie für die Zeit
ab 1. Januar 1975 bis zur Auflösung des Mietvertrages eine jährliche
Rente. Die Schätzungskommission wies die Entschädigungsbegehren mit
der Begründung, ein materieller Schaden sei nicht nachgewiesen worden,
vollständig ab. Gegen diesen Entscheid haben Zimmermann und Steiner
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Es ist unbestritten, dass dem Kanton Zürich als Inhaber der
Konzession für den Flugplatz Kloten das Enteignungsrecht im Sinne
von Art. 2 und 3 Abs. 2 EntG in Verbindung mit Art. 50 Abs. 1 LFG
(nach alter, vor dem 1. Januar 1974 geltender Fassung) verliehen
worden ist. Der Präsident der Schätzungskommission hat daher zu Recht
auf Begehren des Kantons ein Enteignungsverfahren zur Beurteilung der
angemeldeten Entschädigungsforderungen eröffnet. Ein Vorentscheid über die
Rechtzeitigkeit der Forderungseingaben im Sinne von Art. 41 Abs. 2 EntG
und Art. 19 V für die eidg. Schätzungskommissionen musste nicht gefällt
werden, da die Verwirkung nach Art. 41 EntG nur dann eintreten kann,
wenn bereits ein Enteignungsverfahren stattgefunden hat, d.h. wenn eine
öffentliche Planauflage (Art. 30 EntG) durchgeführt oder den Betroffenen
eine persönliche Anzeige (Art. 33 f. EntG) zugestellt worden ist, was hier
beides nicht zutrifft (vgl. BGE 106 Ib 235 E. 2; BGE 105 Ib 9 ff. E. 2
mit Hinweisen).

Erwägung 2

    2.- Die auf Art. 679 und 684 ZGB gestützten zivilrechtlichen Klagen
gegen den Grundeigentümer, der sein Eigentumsrecht überschreitet,
stehen jedem zu, der durch die übermässigen Einwirkungen in der
Nutzung, Benutzung oder Bewirtschaftung eines benachbarten Grundstückes
beeinträchtigt wird; klageberechtigt ist also nicht bloss der Eigentümer
eines Nachbargrundstückes, sondern auch der Obligatorisch Berechtigte -
Mieter oder Pächter - sofern er am betroffenen Grundstück Besitz hat
(BGE 59 II 136 f.; 104 II 17 f. E. 1, 83 II 379 f. E. 1, 79 I 204, 75
II 120; MEIER-HAYOZ, N. 51 zu Art. 679 ZGB, N. 186 f. zu Art. 684 ZGB,
HAAB, N. 10 zu Art. 679 ZGB, N. 14 zu Art. 684 ZGB, STARK, Das Wesen der
Haftpflicht des Grundeigentümers nach Art. 679 ZGB, S. 195).

    Die Schätzungskommission hat hieraus den Schluss gezogen, dass
Mieter und Pächter eines Grundstückes in der Eigenschaft als geschädigte
Nachbarn auch im Enteignungsverfahren die gleiche Stellung einnähmen
wie der Grundeigentümer. Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt
werden. Welche Entschädigungsansprüche in einem Enteignungsverfahren nach
eidgenössischem Recht dem Eigentümer und welche den Mietern und Pächtern
zustehen, bestimmt sich ausschliesslich nach dem Bundesgesetz über
die Enteignung. Das gilt auch für die aus dem nachbarlichen Verhältnis
entstehenden Ersatzansprüche für Immissionen (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 75 zu
Art. 679 ZGB).

Erwägung 3

    3.- Um Unklarheiten zu vermeiden, hat der Gesetzgeber in Art.
5 EntG ausdrücklich festgehalten, dass neben den anderen dinglichen
Rechten an Grundstücken auch die aus dem Grundeigentum hervorgehenden
Nachbarrechte Gegenstand der Enteignung bilden können (vgl. HESS, N. 2
zu Art. 5 EntG). Damit wird insbesondere auf das in Art. 679 und 684
ZGB umschriebene Recht des Grundeigentümers verwiesen, übermässige, von
benachbarten Grundstücken ausgehende Immissionen abzuwehren. Gehen solche
Immissionen von einem Werk aus, das im öffentlichen Interesse liegt und
für welches dem Werkeigentümer das Enteignungsrecht verliehen wurde, und
können die Einwirkungen nicht oder nur mit einem unverhältnismässigen
Kostenaufwand vermieden werden, so steht dem betroffenen Nachbarn
keine Unterlassungsklage zu, da seine Abwehransprüche dem vorrangigen
öffentlichen Interesse am Unternehmen weichen müssen (BGE 102 Ib 351,
100 Ib 195 E. 7a, 96 II 348 f. E. 6, 94 I 297 E. 6, 93 I 300 ff.,
79 I 203, 62 I 269, 40 II 290 f.; vgl. auch BGE 105 Ib 14). Es bleibt
dem Betroffenen einzig die Möglichkeit, für die Unterdrückung seines
nachbarrechtlichen Abwehranspruches auf dem Enteignungswege gestützt
auf Art. 5 EntG eine Entschädigung zu fordern. Diese Unterdrückung des
Abwehranspruches ist nichts anderes als die - zwangsweise - Errichtung
einer Grunddienstbarkeit auf dem Grundstück des Nachbarn zugunsten des
Grundstücks des Werkeigentümers, deren Inhalt in der Pflicht zur Duldung
der Immissionen besteht (HESS, N. 3, 17, 23 zu Art. 5 EntG, MEIER-HAYOZ,
N. 155 zu Art. 679 ZGB; VPB 17, 144/45 Nr. 143). Nach Art. 91 EntG erwirbt
der Werkeigentümer bzw. Enteigner die von ihm beanspruchte Dienstbarkeit
durch die Bezahlung der Enteignungsentschädigung oder der nach Art. 19bis
Abs. 2 EntG festgesetzten Anzahlung, ohne dass es der Eintragung ins
Grundbuch bedürfte.

    Handelt es sich somit bei der Enteignung von Nachbarrechten um die
zwangsweise Einräumung einer Servitut, so gelangen für die Bemessung
der Entschädigung die Regeln über die Teilenteignung zur Anwendung. Der
Enteignete hat Anspruch auf Ersatz des Minderwertes, den sein Grundstück
durch die dingliche Belastung erleidet, d.h. auf die Vergütung der
Wertdifferenz, die sich zwischen dem Verkehrswert des unbelasteten
Grundstückes und jenem des belasteten Grundstückes ergibt (Art. 19
lit. b EntG; BGE 103 Ib 99, 102 Ib 176; ZBl 77/1976 S. 158; HESS, N. 16
zu Art. 19 EntG). Die Enteignungsentschädigung ist vom ersten Auftreten
der übermässigen Einwirkungen an zu verzinsen, da von diesem Zeitpunkt an
die beanspruchten Rechte faktisch in Besitz genommen werden (vgl. Art. 76
Abs. 5 EntG; nicht publ. Entscheid vom 8. Mai 1974 i.S. Knecht E. 6).

    Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass der Entschädigungsanspruch für
die Auferlegung der Dienstbarkeit und die mit der Immissionsduldungspflicht
verbundene Entwertung des belasteten Grundstücks nur dem Grundeigentümer,
dem Träger des enteigneten dinglichen Rechtes, zustehen kann.

Erwägung 4

    4.- Nach Art. 5 Abs. 1 EntG können indessen neben den dinglichen
Rechten an Grundstücken auch die persönlichen - obligatorischen - Rechte
von Mietern und Pächtern des von der Expropriation betroffenen Grundstückes
Enteignungsobjekt sein. Hiezu wird in Art. 23 Abs. 2 EntG bestimmt, dass
Mieter und Pächter Ersatz allen Schadens verlangen können, der ihnen aus
der vorzeitigen Aufhebung ihrer vor Einleitung des Enteignungsverfahrens
abgeschlossenen Miet- und Pachtverträge entsteht. Es stellt sich die Frage,
ob und inwieweit den Mietern und Pächtern auf Grund dieser Bestimmungen
auch ein Entschädigungsanspruch für Immissionen zustehe.

    a) Das Bundesgericht anerkannte noch unter dem alten Enteignungsrecht
eine Verpflichtung des Enteigners, den Mietern und Pächtern den durch
die Enteignung bedingten, aus der vorzeitigen Auflösung der Verträge
entstehenden Schaden zu ersetzen, obschon das Bundesgesetz vom 1. Mai
1850 keine entsprechende Vorschrift enthielt (vgl. Geschäftsbericht des
Bundesgerichtes für das Jahr 1874, BBl 1875 I S. 146 f.; BGE 8 S. 302
f. und 21 S. 401 ff. E. 2, 3). Anknüpfend an diese Rechtsprechung sah
JAEGER in seinem Entwurf für ein neues Enteignungsgesetz den Grundsatz vor,
dass die Enteignungsentschädigung auch den Schaden umfasse, "der Mietern
und Pächtern des Enteigneten infolge der Enteignung notwendig entsteht"
(Art. 10 Ziff. 4 des Vorentwurfes; Erläuternder Bericht zum Vorentwurf,
S. 25 f.). Ins Gesetz wurde schliesslich der eingeschränktere Text von
Art. 23 Abs. 2 EntG aufgenommen, und zwar auf Anregung der Sekundärbahnen
hin, welche den Schadenersatzanspruch der Mieter und Pächter auf den Fall
der vorzeitigen Auflösung des bestehenden Vertrages beschränken wollten
(vgl. Ergänzender Bericht zum zweiten Entwurf JAEGER, S. 18 f.). Das heisst
nun allerdings nicht, dass nach geltendem Recht eine Entschädigung nur bei
vorzeitiger Vertragsauflösung zu leisten sei. Eine Entschädigungspflicht
des Enteigners kann sich auch in jenen Fällen ergeben, in denen die den
Mietern und Pächtern aus dem Vertrag zustehenden Rechte eingeschränkt
werden, d.h. der vertragsgemässe Gebrauch der Sache beeinträchtigt
wird. Bei der Auslegung von Art. 23 Abs. 2 EntG ist nämlich der erst
im Laufe der parlamentarischen Beratungen ins Gesetz eingefügte Art. 5
Abs. 2 EntG mitzuberücksichtigen, wonach die Gegenstand der Enteignung
bildenden Rechte "dauernd oder vorübergehend entzogen oder beschränkt"
werden können, ohne dass eine Unterscheidung zwischen dinglichen und
obligatorischen Rechten getroffen würde. So ist bereits in BGE 93
I 303 E. 4 (letzter Absatz) festgehalten worden, dass die als Folge
der Enteignung eintretende Schmälerung des vertragsgemässen Gebrauches
(Störung eines Hotelbetriebes durch Bauarbeiten an der Nationalstrasse)
für den Enteigner eine Entschädigungspflicht auslösen kann.

    Auch bei solchen Eingriffen des Enteigners in Miet- und
Pachtverhältnisse bilden nicht dingliche Rechte an Grundstücken -
einschliesslich des Abwehranspruches gegenüber Immissionen - das
Enteignungsobjekt, sondern das durch den Vertrag verliehene Recht auf
ungestörten Gebrauch und volle Nutzung der Miet- oder Pachtsache. Zwar hat
das Bundesgericht in BGE 93 I 302 E. 4 (zweiter Absatz) selbst erklärt,
der Mieter sei deshalb für die Immissionen zu entschädigen, weil der
obligatorisch Berechtigte gleich wie der Eigentümer auf Unterlassung der
übermässigen Einwirkungen klagen könne. Wie bereits dargelegt, ist jedoch
die zivilrechtliche Stellung der Mieter und Pächter nicht bestimmend
für deren Rechtsstellung im Enteignungsverfahren; diese wird allein
durch das Enteignungsrecht umschrieben. Nach dem Enteignungsgesetz steht
aber dem Mieter oder Pächter, falls ihm die in Art. 679 ZGB vorgesehenen
Rechtsbehelfe gegen übermässige Immissionen nicht zur Verfügung stehen,
nur dann und insoweit ein Anspruch auf Schadenersatz zu, als durch die
Enteignung des Grundeigentümers und Vertragspartners in seine vertragliche
Rechte eingegriffen wird.

    b) Daraus folgt, dass der Entschädigungsanspruch von Mietern
und Pächtern nicht über den Wert dessen hinausgehen kann, was
ihnen an Gebrauchs- und Nutzungsrechten nach Inhalt und Dauer des
abgeschlossenen Vertrages tatsächlich zusteht. In dieser Hinsicht hat
das Bundesgericht in Übereinstimmung mit der Lehre entschieden, dass dem
obligatorisch Berechtigten keine Entschädigung zu entrichten ist, wenn
der Enteigner in den Vertrag eintritt, ihn auf einen vertragsgemässen
Termin kündigt und dem Mieter oder Pächter bis zu diesem Zeitpunkt den
vollen Gebrauch der Sache überlässt. So kann sich der Mieter oder Pächter
den Vermögensnachteil nicht ersetzen lassen, den er dadurch erleidet,
dass er bis zum nächsten Kündigungstermin ein neues, ihm genehmes
Vertragsverhältnis nicht mehr eingehen oder dass er das Geschäftsinventar
nicht vollständig abschreiben kann. Solche Schäden stehen in keinem
kausalen Zusammenhang mit der Enteignung; sie sind eine Folge zu kurzer
Vertragsdauer oder Kündigungsfristen (BGE 95 I 309 f.). Der Enteigner
hat für rein tatsächliche Nachteile nicht einzustehen und braucht sich,
wie das Bundesgericht hervorgehoben hat, nicht entgegenhalten zu lassen,
dass der Vertrag, hätte die Enteignung nicht stattgefunden, möglicherweise
erneuert worden wäre (zit. Entscheid S. 311 E. 3). Diese Rechtsprechung
ist im nicht veröffentlichten Entscheid vom 8. Juli 1970 i.S. Azienda
elettrica ticinese c. Bontà bestätigt und dem enteigneten Pächter jede
Entschädigung über die Vertragsdauer hinaus verweigert worden, obschon
nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge damit zu rechnen war, dass der seit
mehr als dreissig Jahren bestehende Vertrag weiterhin verlängert worden
wäre (E. 2 und 3; vgl. auch BGE 106 Ib 226 f. E. 2).

    Gleiches muss gelten, wenn die dem Mieter oder Pächter zustehenden
vertraglichen Rechte durch die Enteignung nicht vorzeitig aufgehoben,
sondern nur beschränkt werden. Auch in diesen Fällen ist eine Entschädigung
nur für die Zeit bis zum Vertragsablauf oder bis zu einem Kündigungstermin
geschuldet. Es ist unerheblich, ob der Vertrag auf diesen Zeitpunkt
tatsächlich aufgelöst oder ob er erneuert werde. Ausschlaggebend
ist einzig, dass der Mieter Oder Pächter bei Vertragserneuerung eine
Zinsreduktion verlangen kann, falls seiner Meinung nach das Miet- oder
Pachtobjekt infolge der Enteignung an Wert verloren hat. Die gleiche
Meinung hat schon JAEGER, der Verfasser des Vorentwurfes, in seinem
Bericht vom Oktober 1916 vertreten, wo er zum Entschädigungsanspruch des
Pächters bei Errichtung eines Durchleitungsrechtes auf dem Pachtgrundstück
wörtlich ausführte:

    "Man wird eben, wenn der Pachtvertrag und die Servitutsdauer
   nicht zusammenfallen, dem Pächter nur für die Dauer seines Vertrages,
   bzw.  bis zur nächsten Kündigungsmöglichkeit, eine Entschädigung
   zusprechen. Will er dann nachher das Verhältnis fortsetzen, so kann
   er ja vorher eine

    Reduktion des Pachtzinses verlangen (Ergänzender Bericht S. 19)."

    Auch die deutsche Lehre und Rechtsprechung wendet übrigens
im wesentlichen die gleichen Grundsätze an (vgl. Entscheide des
Bundesgerichtshofes vom 11. Mai 1967 und 1. Juli 1968, wiedergegeben in
THIEL/GELZER, Baurechtssammlung, Bd. 19 Nr. 145 und 146; GELZER/BUSSE, Der
Umfang des Entschädigungsanspruches aus Enteignung und enteignungsgleichem
Eingriff, S. 182 N. 605-607; AUST/JACOBS, Die Enteignungsentschädigung,
S. 74 ff., 106).

    c) Nach Art. 23 Abs. 2 EntG können Mieter und Pächter nur den Ersatz
des Schadens verlangen, der ihnen aus der vorzeitigen Auflösung ihrer
vor Einleitung des Enteignungsverfahrens abgeschlossenen Verträge
entsteht. Art. 25 EntG schliesst zudem in allgemeiner Weise jede
Entschädigung für Rechte und Ansprüche aus, die durch widerrechtliche oder
missbräuchliche Handlungen oder nur zu dem Zwecke begründet wurden, eine
Entschädigung zu erwirken. Wenn nun, wie dargelegt, eine Entschädigung
nicht nur im Falle vorzeitiger Auflösung der Miet- und Pachtverträge
geschuldet wird, sondern auch dann, wenn die vertraglichen Gebrauchs- und
Nutzungsrechte geschmälert werden, so ergibt sich aus diesen Bestimmungen,
dass für Beeinträchtigungen, die schon bei Vertragsschluss bestanden haben,
kein Ersatzanspruch erhoben werden kann. Allerdings ist Art. 23 Abs. 2
EntG, sofern Immissionsentschädigungen im Spiele sind, nicht in dem
Sinne zu verstehen, dass die Entschädigungspflicht nur für jene Verträge
dahinfalle, die erst nach formeller Verfahrenseröffnung abgeschlossen
werden; massgebend muss hier der Zeitpunkt des Immissionseintrittes
sein. Da ein Werkeigentümer kaum aus eigenem Antrieb ein Verfahren zur
ausschliesslichen Abgeltung von Immissionen einleiten wird - schon weil
er die Enteigneten nicht kennt (vgl. HESS, N. 4 zu Art. 5 EntG) - und es
in der Regel den Betroffenen obliegt, ein Gesuch um Verfahrenseröffnung
zu stellen, ist in solchen Fällen der Zeitpunkt der formellen
Verfahrenseinleitung mehr oder weniger zufällig. Die zu enteignenden
Rechte der Nachbarn werden indessen, sobald Immissionen auftreten, vom
Werkeigentümer faktisch in Besitz genommen. Dieser Eingriff des Enteigners
ist, wie hinsichtlich der Verzinsungspflicht schon dargelegt (E. 3a),
der vorzeitigen Inbesitznahme im Sinne von Art. 76 EntG gleichzustellen.
Immissionen sind ausserdem ihrem Wesen nach wahrnehmbar und somit
publik; sie können den Vertragsschliessenden nicht unbekannt sein. Wenn
auch diese Form der Publizität nicht genügt, um die in Art. 41 EntG
vorgesehene Verwirkungsfrist auszulösen, da dieser Rechtsnachteil den
Enteigneten ausdrücklich angedroht werden muss, so unterliegen doch die
Entschädigungsbegehren für Immissionen vom Zeitpunkt des Schadenseintritts
an der Verjährung (BGE 105 Ib 9 ff. E. 2, 15 ff. E. 3d).

    Bestehen bei Vertragsabschluss die von einem öffentlichen Werk
herrührenden Beinträchtigungen schon, so kann der Mieter oder Pächter
diesem Umstand bei der Zinsfestsetzung Rechnung tragen und wird in der
Regel nicht den gleichen Zins bezahlen, den er für den ungestörten
Gebrauch der Sache zu leisten bereit gewesen wäre. Nimmt er seine
eigenen Interessen in dieser Hinsicht nicht wahr, so kann er sich
nicht nachträglich am Enteigner schadlos halten. Wenn für Mieter und
Pächter im Enteignungsverfahren die Möglichkeit geschaffen wurde, ihre
Ersatzbegehren direkt an den Enteigner zu richten, so geschah dies
einzig zur Vermeidung der Schwierigkeiten, die entstünden, wenn die
Geschädigten mit ihren Ersatzansprüchen an den Grundeigentümer verwiesen
würden, den an der Nichteinhaltung der Verträge keine Schuld trifft
(vgl. Botschaft des Bundesrates zum Bundesgesetz über die Enteignung, BBl
1926 II S. 37). Dagegen war es wohl kaum die Absicht des Gesetzgebers,
die Mieter und Pächter ihrer Sorgfaltspflichten zu entledigen die ihnen
bei Abschluss oder Erneuerung eines Vertrags obliegen, noch wollte er ihr
Stillhalten dem Eigentümer gegenüber damit honorieren, dass er ihnen die
Mittel zur - jederzeitigen - Haftbarmachung des Staates als Werkeigentümer
zur Verfügung stellt.

    d) Werden Mieter und Pächter von übermässigen Immissionen
eines öffentlichen Werkes betroffen, so besteht demnach eine
Entschädigungspflicht des Enteigners nur, sofern die Einwirkungen
während der Dauer des Miet- oder Pachtverhältnisses eingetreten sind, und
lediglich für die Zeit bis zum Ablauf des Vertrages oder bis zur nächsten
Kündigungsmöglichkeit. Eine Haftung des Enteigners ist ausgeschlossen,
wenn die Immissionen bei Vertragsabschluss schon bestanden haben.

Erwägung 5

    5.- Der Beschwerdeführer Steiner mietete die Wohnung in Rümlang ab
1. September 1958. Der Vertrag war, unter Einhaltung einer dreimonatigen
Kündigungsfrist, erstmals auf den 31. März 1959 und im folgenden jeweils
auf Ende März, Ende Juni oder Ende September kündbar. Eine ähnliche
Regelung galt für den Mietvertrag des Beschwerdeführers Zimmermann: Die
Miete begann am 1. Mai 1967 und konnte durch Kündigung auf Ende März,
Ende Juni oder Ende September, jedoch frühestens auf den 30. Juni 1968
aufgelöst werden. Beide Beschwerdeführer fordern eine Entschädigung für die
ganze Mietdauer; das heisst, dass übermässige Immissionen ihrer Ansicht
nach bereits bei Mietbeginn bestanden. Hiezu wurde zwar ausgeführt,
die Beschwerdeführer hätten bei Vertragsschluss von den Immissionen
nichts gewusst Oder seien sich jedenfalls über das Ausmass der vom
Flughafen ausgehenden Belästigungen nicht im klaren gewesen. Diese
Behauptung ist jedoch kaum glaubhaft und steht im Widerspruch zu dem,
was die Beschwerdeführer an anderer Stelle vorgebracht haben, nämlich
dass sie sich beim Einzug in die Wohnungen auf die Erklärungen der
Zürcher Behörden hätten verlassen dürfen, wonach der Flugzeuglärm im
Laufe der Jahre keine Steigerung, sondern eher eine Milderung erfahren
werde. Die Entschädigungsbegehren sind daher schon abzuweisen, weil die
von den Beschwerdeführern als übermässig bezeichneten Einwirkungen bei
Vertragsabschluss bereits bestanden haben.

    Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die Immissionen erst während
der Dauer der Miete ein Übermass erreicht hätten, könnte die Beschwerde
wegen ungenügender Substantiierung der Schadenersatzbegehren nicht
gutgeheissen werden. Angaben über eine Verschärfung der Einwirkungen,
über deren Intensität sowie über die Schadenelemente im einzelnen haben
die Beschwerdeführer nicht gemacht. Es kann aber nicht Aufgabe des
Enteignungsrichters sein, anstelle des Enteigneten den Schadensnachweis
zu erbringen. Zudem erstrecken sich hier die Beeinträchtigungen, für
welche der Enteigner einzustehen hat, nur auf eine sehr kurze Zeit,
im für die Enteigneten günstigsten Falle auf die ganze Zeit zwischen
zwei Kündigungsterminen, also höchstens auf eine Dauer von drei bzw.
sechs Monaten. Störungen gleicher Dauer, wie sie von irgendeiner Baustelle
ausgehen können, müssen in der Regel von Grundeigentümern und Mietern
entschädigungslos hingenommen werden.

    Damit will das Bundesgericht das Problem der Flugplatz-Immissionen
nicht etwa minimalisieren und nicht bestreiten, dass weite Teile
der Bevölkerung erheblich unter dem Fluglärm leiden. Es will
einzig klarstellen, dass die mit der Beschwerde verfolgten Ziele der
Lärmbekämpfung den Rahmen des Enteignungsgesetzes sprengen, auf welches
bei der Beurteilung der Entschädigungsbegehren, die die Beschwerdeführer
eingereicht haben, ausschliesslich abzustellen ist.

    Die Beschwerden sind somit vollständig abzuweisen, ohne dass die Frage
zu beantworten wäre, ob die hier umstrittenen Immissionen im Sinne der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung übermässig gewesen seien und an sich
einen Schadenersatzanspruch hätten begründen können.