Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IB 218



106 Ib 218

33. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. Juli 1980 i.S.
Gehrig gegen Eidg. Zollrekurskommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Nachforderung von Zollabgaben.

    - Irrtum der Zollverwaltung bei der Zollabfertigung im Sinne von
Art. 126 ZG; Tragweite dieses Begriffs (E. 2b).

    - Leistungspflicht gemäss Art. 12 Abs. 1 und 2 VStrR; das Verschulden
bildet nicht Voraussetzung dafür (E. 2c).

    - Verjährung der auf Art. 12 VStrR gestützten Forderungen (E. 2d).

Sachverhalt

    A.- In der Zeit vom 10. Februar bis zum 20. Mai 1975 führte
Alois Gehrig, Inhaber einer Einzelfirma in Hägendorf, insgesamt fünf
Sendungen Jeans und Jacken aus Baumwollgeweben in die Schweiz ein. Das
Speditionsunternehmen Crowe & Co. AG Basel, das mit der Spedition der
Waren betraut war, meldete diese jeweils als Erzeugnisse mit Ursprung
in Grossbritannien beim Zollamt Basel Freilager zur Einfuhrverzollung
an. Gemäss dem Vertrag zwischen der Schweiz und der Europäischen
Gemeinschaft vom 22. Juli 1972 in Verbindung mit den entsprechenden
Protokollen (vgl. AS 1972 S. 3111 ff.) wurden diese Sendungen aufgrund
der jeweiligen Warenverkehrsbescheinigung zollfrei zugelassen. Da die
Eidg. Oberzolldirektion jedoch hinsichtlich des britischen Ursprungs der
eingeführten Waren Zweifel hegte, ersuchte sie die britische Zollbehörde um
Überprüfung der Ursprungsbescheinigung in den Warenverkehrspapieren. Diese
Überprüfung ergab, dass sämtliche Kleidungsstücke aus drittländischen
Stoffen hergestellt worden waren. Gestützt auf diesen Befund erliess
die Direktion des I. Zollkreises eine Verfügung, mit der sie vom
Importeur Alois Gehrig Zollnachzahlungen im Betrage von Fr. 82'299.70
verlangte. Auf die Einleitung eines Strafverfahrens wurde verzichtet,
da es dem Deklaranten im Zeitpunkt der Einfuhr nicht möglich war, den
Ursprung der Waren zu überprüfen.

    Alois Gehrig zog die Verfügung der Zollkreisdirektion mit Beschwerde
an die Eidg. Zollrekurskommission weiter. Diese wies die Beschwerde ab
und führte zur Begründung im wesentlichen aus, die Zollbefreiung für die
eingeführten Waren sei zu Unrecht erwirkt worden; somit sei der Tatbestand
der Zollübertretung im Sinne von Art. 74 Ziff. 9 ZG objektiv erfüllt. Da
diese Zollübertretung eine Widerhandlung gegen die Verwaltungsgesetzgebung
des Bundes im Sinne von Art. 12 Abs. 1 VStrR darstelle, müssten die zu
Unrecht nicht erhobenen Abgaben nachentrichtet werden.

    Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt Alois Gehrig, der
Entscheid der Zollrekurskommission sei aufzuheben. Er macht geltend,
die Voraussetzungen einer Nachforderung nach Art. 12 VStrR seien nicht
erfüllt, da eine Widerhandlung im Sinne dieser Bestimmung neben dem
objektiven Tatbestand auch ein relevantes Verschulden erfordere. Dass
kein Strafverfahren eingeleitet worden sei, belege, dass es an dieser
Voraussetzung fehle. Er hält im übrigen auch daran fest, dass die
Nachforderung verjährt sei.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Entscheid der Zollrekurskommission unterliegt
nach Art. 97 und Art. 98 lit. e OG der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
(vgl. auch Art. 109 Abs. 1 lit. e ZG). Es trifft im vorliegenden Fall keine
Ausnahme von der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 99 ff. OG zu.
Insbesondere kommt Art. 100 lit. h OG nicht zur Anwendung, da sich die
Beschwerde nicht insoweit gegen eine Zollveranlagung richtet, als diese
von der Tarifierung oder von der Gewichtsbemessung abhängt (BGE 102 Ib
228 ff., 101 Ib 101).

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die von
ihm importierten Waren zu Unrecht von der Zollzahlungspflicht
befreit worden sind, da sie entgegen der Ursprungsbezeichnung in den
Warenverkehrsbescheinigungen nicht Ursprungserzeugnisse eines Landes der
Europäischen Gemeinschaften waren. Der Beschwerdeführer ficht auch die
Höhe der Nachforderung nicht an. Er macht aber geltend, die Voraussetzungen
für die Zollnachforderung seien nicht gegeben.

    a) Für die Zollnachforderung gelten nicht die Grundsätze über
den Widerruf von Verwaltungsverfügungen, die das Bundesgericht als
ungeschriebene Rechtsregeln entwickelt hat; diese Rechtsprechung behält
besondere gesetzliche Bestimmungen ausdrücklich vor (BGE 103 Ib 243,
100 Ib 302 mit Hinweisen).

    b) Nach Art. 126 ZG kann die zuständige Zollkreisdirektion binnen
Jahresfrist eine Zollabgabe nachfordern, wenn infolge Irrtums der
Zollverwaltung bei der Zollabfertigung eine nach Gesetz geschuldete Abgabe
nicht oder zu niedrig festgesetzt worden ist. Diese Nachforderung stellt
das Gegenstück der Rückerstattung von Zollzahlungen nach Art. 125 ZG
dar (vgl. die Botschaft des Bundesrates vom 4. Januar 1924, BBl 1924 I,
S. 62). Aus dem Wortlaut von Art. 125 und 126 ZG geht hervor, dass ein
Irrtum in bezug auf Tatsachen nur dann im Rahmen dieser Bestimmungen zu
berücksichtigen ist, wenn diese Tatsachen bei der ordentlichen Kontrolle
der Papiere entdeckt werden konnten. Es handelt sich dabei insbesondere
um Fehler bei der Festsetzung des Betrages der Zollabgabe sowie um
Irrtümer bei der Wahl der Position des Zolltarifs (BGE 82 I 254 E. 2,
ERNST BLUMENSTEIN, Grundzüge des schweizerischen Zollrechts, S. 42).

    Im vorliegenden Fall ist Art. 126 ZG nicht anwendbar. Der
Beschwerdeführer ist nicht infolge eines Irrtums der Zollverwaltung
bei der Zollabfertigung zu Unrecht in den Genuss einer Zollbefreiung
gekommen, sondern weil ihm diese Zollbefreiung aufgrund der
Warenverkehrsbescheinigungen, die den Ursprung der Waren in einem Land
der Europäischen Gemeinschaften bestätigten, gewährt werden musste. Die
Zollbehörden hatten die Angaben über den Ursprung dieser Waren bei der
Zollabfertigung nicht zu überprüfen. Eine solche Überprüfung erfolgte,
auf Antrag der Eidg. Oberzolldirektion, erst später durch die britischen
Zollbehörden.

    c) Nach Art. 12 Abs. 1 VStrR sind unter anderem Abgaben ohne Rücksicht
auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person nachzuentrichten, wenn sie
infolge einer Widerhandlung gegen die Verwaltungsgesetzgebung des Bundes
zu Unrecht nicht erhoben worden sind. Leistungspflichtig ist nach Abs. 2
dieses Artikels, wer in den Genuss des unrechtmässigen Vorteils gelangt
ist, insbesondere der zur Zahlung der Abgabe verpflichtete. In Abs. 3 wird
festgehalten, dass diejenigen Personen, welche die Widerhandlung begangen
oder an ihr teilgenommen haben, für den nachzuentrichtenden Betrag mit
den Rückleistungspflichten solidarisch haften, sofern sie vorsätzlich
gehandelt haben.

    Aus dieser Regelung ergibt sich, dass derjenige, der in den Genuss
eines Vorteils gelangt ist (insbesondere der Abgabepflichtige) bereits
dann nachzahlungspflichtig ist, wenn dieser Vorteil seinen Grund in einer
objektiven Widerhandlung gegen die Verwaltungsgesetzgebung des Bundes
hat und zudem unrechtmässig ist; ein Verschulden und erst recht eine
Strafverfolgung werden nicht zur Voraussetzung der Nachzahlungspflicht
gemacht. Ein Verschulden (Vorsatz) ist nur notwendig, um eine solidarische
Haftung des Täters oder Teilnehmers nach Art. 12 Abs. 3 VStrR zu begründen.

    Im vorliegenden Fall kann die Nachleistung gefordert werden,
weil durch die zollfreie Einfuhr der erwähnten Kleidungsstücke
objektiv eine Widerhandlung gegen die Verwaltungsgesetzgebung des
Bundes, d.h. gegen Art. 74 Ziff. 9 ZG (Erwirkung der Zollbefreiung,
ohne dass die Voraussetzungen dafür zutreffen) begangen worden ist
und weil der Beschwerdeführer als Abgabepflichtiger dadurch in den
Genuss eines unrechtmässigen Vorteils gelangt ist. Der Umstand, dass
dem Beschwerdeführer kein Verschulden vorgeworfen wurde und dass die
Verwaltung auf eine Strafverfolgung gegen ihn verzichtet hatte, schliesst
eine Nachforderung der Zollabgabe nach Art. 12 VStrR nicht aus.

    d) Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, die Nachforderung
der Zollabgabe sei verjährt.

    Nach Art. 12 Abs. 4 VStrR verjähren die Leistungs- und
Rückleistungspflicht nicht, solange die Strafverfolgung und
Strafvollstreckung nicht verjährt sind. Diese Bestimmung bildet
einen Bestandteil von Art. 12 VStrR und ist in diesem Zusammenhang zu
verstehen. Sie regelt somit die Verjährung für die in den Absätzen
1 und 2 genannten Forderungen, welche ihren Grund darin haben
können, dass eine Widerhandlung gegen die Verwaltungsgesetzgebung
des Bundes nur in objektiver Hinsicht vorliegt, ein Verschulden aber
fehlt. Die Verjährungsregel von Art. 12 Abs. 4 VStrR, nach welcher die
genannten Forderungen nicht verjähren, solange die Strafverfolgung
und Strafvollstreckung nicht verjährt sind, ist somit in bezug auf
Forderungen, die aufgrund einer nur objektiven Widerhandlung entstanden
sind und daher nicht Anlass zu einem Strafverfahren geben, nicht
ganz zutreffend formuliert. Diese Bestimmung kann aber im Hinblick
auf ihre systematische Stellung nur in dem Sinn verstanden werden,
dass für Forderungen gemäss Art. 1 und 2 die Verjährungsfrist gilt,
welche für die Strafverfolgung gelten würde, sofern die betreffende
Widerhandlung gegen die Verwaltungsgesetzgebung des Bundes auch
in subjektiver Hinsicht verwirklicht wäre (vgl. die Urteile vom
6. Juni 1980 i.S. Eidg. Finanzdepartement gegen "Stock'In" und
Zollrekurskommission sowie i.S. Intertransit AG gegen Oberzolldirektion
und Zollrekurskommission).

    Der Tatbestand, der im vorliegenden Fall zur Anwendung käme, wenn ein
Verschulden nachgewiesen wäre, nämlich die Erwirkung einer Zollbefreiung,
ohne dass die Voraussetzungen für den zollfreien Warenverkehr zutreffen
(Art. 74 Ziff. 9 ZG), verjährt in fünf Jahren (Art. 11 Abs. 2 VStrR). Auf
die vorliegend zu beurteilende Zollnachforderung, die ihren Grund in
einer objektiven Verwirklichung dieses Tatbestandes findet, ist daher
ebenfalls eine fünfjährige Verjährungsfrist anwendbar.

    Die Zollverwaltung brachte dem Beschwerdeführer die
Zollnachforderungsverfügungen weniger als zwei Jahre nach der
Zollabfertigung zur Kenntnis. Damit wurde die Verjährungsfrist
unterbrochen. Während der Dauer des vorliegenden Verfahrens stand die
Verjährungsfrist still (Art. 64 ZG). Somit ist die Zollnachforderung
gegen den Beschwerdeführer nicht verjährt. Dies führt zur Abweisung
der Beschwerde.