Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IB 173



106 Ib 173

27. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
30. Mai 1980 i.S. Grünig gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Beschwerdebefugnis.

    Gegen die Verweigerung der Ermächtigung zur Strafverfolgung
eines Beamten kann nur der Verletzte im Sinne von Art. 15 Abs. 5
Verantwortlichkeitsgesetz Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben; Art. 103
lit. a OG ist nicht anwendbar.

Sachverhalt

    A.- Mit Eingabe vom 21. September 1978 an das Untersuchungsrichteramt
Bern erstattete Alfred Grünig, der eine Geflügelfarm betreibt, Strafanzeige
gegen unbekannte Beamte des Eidg. Volkswirtschaftsdepartements,
insbesondere der Abteilung für Landwirtschaft und deren Preiskontrollstelle
wegen strafbarer Handlungen gegen die Amtspflichten. Er machte vor
allem geltend, die Praxis dieser Amtsstellen führe zu missbräuchlicher,
rechtswidriger Verwendung öffentlicher Mittel. Der Untersuchungsrichter
II von Bern übermittelte die Anzeige am 31. Oktober 1978 der
Bundesanwaltschaft zur Durchführung des Ermächtigungsverfahrens nach
Verantwortlichkeitsgesetz. Mit Verfügung vom 1. März 1979 verweigerte
das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement die Ermächtigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens. Gegen diese Verfügung richtet sich die vorliegende
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Gemäss Art. 15 des Bundesgesetzes über die
Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und
Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz; VG) vom 14. März 1958 (SR 170.32)
bedarf die Strafverfolgung von Beamten wegen strafbarer Handlungen,
die sich auf ihre amtliche Tätigkeit oder Stellung beziehen, einer
Ermächtigung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements (Abs. 1). Gegen
die Verweigerung der Ermächtigung ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
an das Bundesgericht zulässig; die Beschwerde steht dem Verletzten, der
Bestrafung des Beamten verlangt, sowie dem öffentlichen Ankläger des
Begehungskantons zu (Abs. 5). Das Verantwortlichkeitsgesetz nimmt mit
seiner Formulierung der Beschwerdebefugnis auf das Strafgesetzbuch Bezug,
welches in verschiedener Hinsicht dem "Verletzten" eine Sonderstellung
einräumt; insbesondere ist nur der Verletzte befugt, einen Strafantrag zu
stellen (Art. 28 StGB). Zudem räumen die Prozessrechte dem Verletzten
(oder Geschädigten) das Recht ein, sich als Partei am Verfahren zu
beteiligen und Rechtsmittel einzulegen (vgl. HAUSER, Kurzlehrbuch des
schweiz. Strafprozessrechts, 1978, S. 76 ff.). Verletzt im Sinne des
Strafgesetzbuches ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts
nicht jeder, dessen Interessen von der strafbaren Handlung irgendwie,
namentlich bloss mittelbar, betroffen werden, sondern nur, wer selber
Träger des unmittelbar angegriffenen Rechtsgutes ist (BGE 92 IV 116
mit Hinweisen; vgl. BGE 102 II 87; 102 IV 147; 101 IV 406). Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts stimmen der strafrechtliche Begriff des
Verletzten mit demjenigen in Art. 15 Abs. 5 VG überein, so dass nicht
jeder Anzeiger zugleich auch verletzt im Sinne dieser Bestimmung und
damit zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde befugt ist, sondern nur derjenige,
gegen den sich die strafbare Handlung gerichtet hat, und der durch diese
in seinen Rechten verletzt worden ist (BGE 90 I 64).

    Das Bundesgericht hat im genannten Entscheid 90 I 64 darauf
hingewiesen, dass diese Ordnung mit der damals noch gültigen
allgemeinen Regel von Art. 103 Abs. 1 OG übereinstimme, wonach zur
Beschwerde befugt ist, wer durch den angefochtenen Entscheid in seinen
Rechten verletzt worden ist. Im Jahre 1968 wurde das OG einer Revision
unterzogen und in diesem Zusammenhang auch die allgemeine Umschreibung
der Beschwerdebefugnis in Art. 103 lit. a OG geändert. Nach der neuen
Ordnung ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt, wer durch die
angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an
deren Aufhebung oder Änderung hat. Der Beschwerdeführer muss daher durch
die angefochtene, einen Dritten begünstigende Verfügung in höherem Masse
als jedermann berührt sein. Nicht erforderlich ist nach der Rechtsprechung,
dass er in seinen Rechten oder rechtlich geschützten Interessen betroffen
ist; auch ein rein faktisches Interesse kann zur Beschwerdeführung genügen
(BGE 104 Ib 248 f. mit Hinweisen auf die Lehre und Rechtsprechung). Mit
der Revision des OG ist indessen Art. 15 Abs. 5 VG nicht aufgehoben worden,
sondern bestimmt als lex specialis nach wie vor die Beschwerdebefugnis bei
einer Verweigerung der Ermächtigung zur Strafverfolgung. Das ergibt sich
insbesondere aus dem Sinn und Zweck des Ermächtigungsverfahrens. Dieses
soll Amtsträger des Bundes vor unbegründeten, insbesondere trölerischen
oder mutwilligen Strafanzeigen schützen und dadurch den reibungslosen
Gang der Verwaltung sicherstellen (BGE 93 I 79, unter Hinweis auf die
Botschaft des Bundesrates, BBl. 1956 I 1398). Stünden die Rechtsmittel
im Ermächtigungsverfahren einem weitergehenden Personenkreis offen,
als im nachfolgenden Strafverfahren, wo nur der Verletzte Parteistellung
erlangen und allenfalls Rechtsmittel einlegen kann, dann könnten Personen
im Rahmen eines Ermächtigungsverfahrens mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
an das Bundesgericht gelangen, denen im nachfolgenden Strafverfahren
keine Parteistellung zukäme. Diese Folge würde dem Sinn des
Ermächtigungsverfahrens zuwiderlaufen, das die Beamten nicht schlechter
stellen, sondern ihnen einen weitergehenden Schutz gewähren will als den
übrigen Rechtsunterworfenen. Der Beschwerdeführer muss daher im Sinne von
Art. 15 Abs. 5 VG verletzt, das heisst Träger des unmittelbar angegriffenen
Rechtsgutes sein, um Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verweigerung
der Ermächtigung zur Strafverfolgung erheben zu können.