Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IA 94



106 Ia 94

22. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
2. Juli 1980 i.S. Gemeinde Klosters-Serneus gegen Hitz und Rohr sowie
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Gemeindeautonomie und Art. 22ter BV; Quartierplanverfahren.

    Aufhebung von Wegrechten im Rahmen eines
Quartierplanverfahrens. Gesetzliche Grundlage im kantonalen und kommunalen
Recht. Kriterien für die Prüfung, ob ein hinreichendes öffentliches
Interesse besteht: ortsplanerische Gesichtspunkte (zweckmässige
Erschliessung), verkehrs- und gesundheitspolizeiliche Aspekte sowie
Anliegen des Ortsbildschutzes. Entschädigungspflicht.

Sachverhalt

    A.- Die Beschwerdegegner sind Eigentümer des Grundstückes Nr.  1947 im
Gebiet Bündi in der Gemeinde Klosters-Serneus. Das mit dem Wohnhaus
Pradisla überbaute Grundstück wird strassenmässig von der Monbielstrasse
her über den Mülliweg, der teilweise 3,5 m breit ist, erschlossen. Bei
dessen heutigem Endpunkt auf der Höhe von Parzelle Nr. 1932 zweigt
rechtwinklig ein etwa 3 m breiter Privatweg ab, der im Bereich der
Grundstücke Nr. 1933 bis 1935 zunächst ungefähr 60 m nach Osten führt,
dann nach Süden abzweigt und entlang der Ostgrenze von Parzelle Nr. 1933
verläuft, um schliesslich nach rund 40 m die Liegenschaft Nr. 1947 zu
erreichen. Das Strässchen wurde von den Beschwerdegegnern gebaut. Soweit
es über die Grundstücke Nr. 1933 bis 1935 verläuft, ist es durch eine
Grunddienstbarkeit zugunsten von Nr. 1947 gesichert. An dem über die
Parzellen Nr. 1934 und 1935 führenden Wegstück ist auch die Liegenschaft
Nr. 1933 berechtigt.

    Der Gemeindevorstand Klosters-Serneus ordnete am 18. März 1977 eine
Quartierplanung im grösserenteils bereits überbauten Gebiet Bündi an,
um dessen strassenmässige Erschliessung einwandfrei sicherzustellen. Der
erarbeitete Quartierplan (samt Kostenverteiler) sieht die geradlinige
Verlängerung des Mülliwegs mit einem Baulinienabstand von 16,5 m und einer
Fahrbahnbreite von 3,5 m (mit zusätzlichen Ausbuchtungen) zum Südende der
Parzelle Nr. 1933 und von dort ostwärts zum Grundstück Nr. 1947 vor; nach
einer Kurve um dieses herum sollte die neue Strasse in den bestehenden
Riedweg einmünden. Die Beschwerdegegner erhoben hiegegen Einsprache. Der
Gemeindevorstand wies diese am 6. Oktober 1978 im wesentlichen ab, hielt
jedoch in der Begründung fest, dass 50% des Aufwandes für den bisherigen
Weg in die Verteilerkosten miteinbezogen würden. In Dispositivziffer 2
ordnete er an, die Wegrechte zugunsten der Parzelle Nr. 1947 und zulasten
der Nr. 1933 bis 1935 bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung der neuen
Quartierstrasse aufzuheben und im Grundbuch zu löschen; er begründete das
damit, dass die heutige Servituts-Zufahrt Zum Grundstück Nr. 1947 durch
die neue Quartierstrasse überflüssig werde.

    Auf Rekurs der Beschwerdegegner hin hob am 13. Juni 1979 das
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden die Dispositivziffer 2
auf. Hiegegen führt die Gemeinde Klosters-Serneus staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung ihrer Autonomie. Eine bundesgerichtliche
Instruktionskommission führte am 17. März 1980 auf Platz einen Augenschein
durch. Dabei ergab sich auch, dass neuerdings nicht mehr beabsichtigt
wird, die neue Quartierstrasse in den Riedweg einmünden zu lassen,
sondern diese soll zumindest vorläufig bei Parzelle Nr. 1947 enden,
wo ein Kehrplatz anzulegen ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Zu Recht bestreiten die Beschwerdegegner das Bestehen einer
gesetzlichen Grundlage für die Aufhebung von Wegrechten im Rahmen des
Quartierplanverfahrens nicht mehr. Zwar ist im Quartierplanrecht des
Kantons Graubünden und der Gemeinde Klosters-Serneus nirgends ausdrücklich
die Rede von der Ablösung von Dienstbarkeiten. Da jedoch eine ausdrückliche
gesetzliche Grundlage für Landabzüge besteht (Art. 41 f. des kantonalen
Raumplanungsgesetzes vom 20. Mai 1973, kRPG; Art. 49 f. Baugesetz
der Gemeinde Klosters-Serneus), d.h. für eine weit eingreifendere
Massnahme, erscheint eine solche auch für die Aufhebung von Servituten
gegeben, zumal Art. 38 Abs. 2 kRPG die Gemeinden u.a. ermächtigt, die
Pflichten der Grundeigentümer bei der Quartierplanung und insbesondere
bei der Erschliessung festzulegen. Dieser Schluss entspricht auch der
schweizerischen Lehre (H. MAAG-HONGLER, Das moderne Baurecht und der
zürcherische Quartierplan, S. 150 ff., insbesondere S. 165 und 171; EGGER,
Einführung in das zürcherische Baurecht, 2. Aufl., S. 65; WIEDERKEHR,
Das zürcherische Quartierplanrecht, S. 46 ff.; SCHNEWLIN, Wie werden
Strassen und Gebäude aufeinander abgestimmt?, in: Rechtsprobleme
von Stadtgemeinden, S. 85; zurückhaltender HANS RUDOLF STEINER,
Die Baulandumlegung, dargestellt nach schweizerischem Recht, S. 108
ff.). Im vorliegenden Verfahren ist ferner über das allfällige Ausmass
der Entschädigungspflicht der Quartierplanunternehmung für die Ablösung
der Servituten nicht zu entscheiden. Es ist aber darauf hinzuweisen,
dass nach der Lehre eine Ablösung von Servituten nur zulässig ist gegen
vollen Ersatz ihres Vermögenswertes (MAAG-HONGLER, aaO S. 171), wobei
entsprechende Vorteile auszugleichen sind (STEINER, aaO S. 111).

    a) Umstritten ist, ob für die Ablösung der Wegdienstbarkeit zulasten
der Grundstücke Nr. 1933, 1934 und 1935, und zugunsten des Grundstückes
Nr. 1947 ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht. Bei der
Überprüfung unter dem Gesichtspunkt von Art. 22ter BV ist zu beachten,
dass grundsätzlich jedes öffentliche Interesse geeignet ist, einen Eingriff
in das Eigentum zu rechtfertigen, sofern das angestrebte Ziel nicht rein
fiskalischer Natur ist oder gegen anderweitige Verfassungsnormen Verstösst
(BGE 102 Ia 114 E. 3, mit Hinweisen). Bei der Aufstellung und Festsetzung
von Quartierplänen verlangt das öffentliche Interesse in erster Linie, dass
unter ortsplanerischen Gesichtspunkten eine zweckmässige Erschliessung
und unter polizeilichen Aspekten hinreichende Zufahrten geschaffen
werden. Ferner ist darauf zu achten, dass sich die Quartierstrassen nicht
nur den Hauptstrassen, sondern auch den andern Quartierstrassen passend
anschliessen; ein planloses Nebeneinander von neuen Quartierstrassen
und alten Zufahrten ist zu vermeiden (vgl. Rechenschaftsbericht des
Verwaltungsgerichtes des Kantons Zürich 1966 Nr. 74 S. 90, 1972 Nr. 78
S. 100,. EGGER aaO S. 55). Daneben kommen bei der Quartierplanung verkehrs-
und gesundheitspolizeiliche sowie wohnhygienische Aspekte unter dem
Gesichtspunkt der massgeblichen öffentlichen Interessen in Betracht
(MAAG-HONGLER aaO S. 150 ff.; EGGER aaO S. 55; Rechenschaftsbericht
des Verwaltungsgerichtes des Kantons Zürich 1963 Nr. 94). Unter die
öffentlichen Interessen, die bei der Festsetzung eines Quartierplanes
von Bedeutung sind, fallen - vor allem seit Inkrafttreten des eidg.
Raumplanungsgesetzes (vgl. Art. 3 Abs. 2, insbes. lit. b) - schliesslich
Anliegen des Landschaftsschutzes.

    b) Für die Liegenschaft Nr. 1947 der Beschwerdegegner mag die
vorhandene servitutarisch gesicherte Zufahrt unter polizeilichen
Gesichtspunkten noch knapp genügen. Wird aber in Betracht gezogen, dass
im Rahmen des Quartierplanverfahrens "Bündi" die beiden westlich davon
liegenden Grundstücke Nr. 1948 und 1950 ebenfalls erschlossen werden
müssen, reicht die bestehende Zufahrt infolge ihrer ungenügenden Breite
unter ortsplanerischen und polizeilichen Gesichtspunkten nicht mehr
aus. Auch speziell verkehrspolizeilich erscheint die im Quartierplan
"Bündi" vorgesehene Verlängerung des Mülliweges in gerader Richtung nach
Süden bis zum Ende der Parzelle Nr. 1933 und von dort ostwärts zur Nr. 1947
als die bessere Lösung. Da der Mülliweg nach Süden ein leichtes Gefälle
aufweist, ist vor allem seine geradlinige Weiterführung nach Süden einer
rechtwinklig scharfen Linkskurve im Bereiche der Grundstücke Nr. 1933,
1934 und 1935, wie sie der heutige Servitutsweg beschreibt, vorzuziehen.
Dies gilt insbesondere bei Schnee- und Eisglätte im Winter. Durch die im
Quartierplan vorgesehene Strassenführung wird nicht nur die Übersicht
erhöht, sondern statt dreier scharfer Abbiegungen - zwei Kurven der
heutigen Servitutszufahrt und eine zusätzliche vor Parzelle Nr. 1947 zur
Erschliessung der westlich davon liegenden Nr. 1948 und 1950 - sind nur
noch eine Kurve am Südende von Nr. 1933 und eine geringere Abbiegung um
Nr. 1947 herum erforderlich.

    Das der Nordseite von Nr. 1933 entlangführende, die Parzellen
Nr. 1934 und 1935 belastende Wegstück bleibt allerdings bestehen, da der
Gemeindevorstand Klosters-Serneus bei der Festsetzung des Quartierplanes
die entsprechende Dienstbarkeit nur aufgehoben hat, soweit sie zugunsten
der Parzelle Nr. 1947 bestand. Dennoch erscheint die im Quartierplan
vorgesehene Strassenführung unter verkehrspolizeilichen Gesichtspunkten
als günstiger. Durch das verbleibende Stück des Servitutsweges wird
nämlich nur noch ein sehr bescheidener Verkehr fliessen.

    Wenn die Beschwerdegegner geltend machen, bei Weiterbestand
des heutigen Servitutsweges und gleichzeitigem Bau der Fortsetzung
des Mülliweges gemäss Quartierplan entstünde eine Schleife, die
einem kreuzungsfreien Einbahnverkehr dienen könnte, so ist ihnen
entgegenzuhalten, dass einer der Hauptzwecke des Quartierplanverfahrens
gerade darin liegt, dass möglichst wenig Land für die Erschliessung
beansprucht wird. Die von ihnen vorgeschlagene Schleife ist für eine
reibungslose Verkehrsabwicklung nicht nötig, sollen doch anstelle
der Weiterführung der neuen Quartierstrasse in den Riedweg hinter dem
Grundstück Nr. 1947 ein Kehrplatz und längs des Mülliweges verschiedene
Ausweichstellen geschaffen werden. Der Vorschlag der Beschwerdegegner hätte
somit ein unnötiges, bei der Quartierplanung zu vermeidendes Nebeneinander
von neuer Quartierstrasse und alter Zufahrt zur Folge.

    Gesundheitspolizeilich und wohnhygienisch überwiegt keine der
beiden Lösungen als besser, zumal - wie dargelegt - das ungefähr 60 m
lange, in Richtung West-Ost verlaufende Teilstück des Servitutsweges
zumindest einstweilen bestehen bleibt. Was schliesslich die Anliegen des
Landschaftsschutzes anbelangt, die von der Beschwerdeführerin zusätzlich
zur Begründung des öffentlichen Interesses der Servitutsaufhebung
angerufen werden, so bringt die fragliche Quartierplanung diesbezüglich
keine wesentlichen Vorteile, kann doch die Führung der Strassen kaum
eingesehen werden; immerhin könnte durch die günstigere Strassenführung
gemäss Quartierplan das Ortsbild im engern Sinn etwas verbessert werden.

    c) Es ergibt sich, dass insgesamt aus ortsplanerischen und
polizeilichen Gründen, namentlich wegen der rationelleren und
verkehrspolizeilich sichereren Erschliessung, das öffentliche Interesse an
der Aufhebung der fraglichen Wegdienstbarkeit als hinreichend betrachtet
werden muss. Es überwiegt jedenfalls klarerweise die entgegenstehenden
Interessen der Beschwerdegegner, zumal diese hauptsächlich finanzieller
Natur sind. Die vom Gemeindevorstand vorgenommene Interessenabwägung hält
somit vor der Eigentumsgarantie stand.

    Zu beachten ist aber, dass eine Ablösung von Servituten im
Quartierplanverfahren nur gegen volle Entschädigung zulässig ist,
wobei allfällige Vorteile auszugleichen sind (vgl. E. 3 vor lit. a). Die
Beschwerdeführerin wird das bei der Festsetzung des neuen Kostenverteilers
im Quartierplan Bündi zu berücksichtigen haben.

    d) Da der vom Verwaltungsgericht gerügte Verstoss gegen Art. 22ter BV
nicht vorliegt, verletzt der angefochtene Entscheid die Gemeindeautonomie
und ist daher aufzuheben.