Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IA 52



106 Ia 52

11. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 6.
Februar 1980 i.S. Rähmi gegen Gemeinde Marthalen und Verwaltungsgericht
des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Staatsrechtliche Beschwerde; Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges;
anfechtbare Verfügung.

    Die Revision im Sinne von § 67 lit. a und b des zürcherischen
Verwaltungsrechtspflegegesetzes gehört zu den ausserordentlichen kantonalen
Rechtsmitteln, die vor der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung
des Art. 4 BV zu ergreifen sind. Eine Ausnahme ist dann zu machen,
wenn die streitige prozessuale Frage im angefochtenen Entscheid bereits
behandelt wurde und die Revision daher auf eine Wiedererwägung hinausliefe
(Präzisierung der Rechtsprechung, E. 1b).

    Ist die Prüfungsbefugnis eines kantonalen Verwaltungsgerichts
bezüglich Rechtsfragen frei, hinsichtlich der Ermessensbetätigung
aber auf Ermessensüberschreitung oder -missbrauch beschränkt, so
kann der Beschwerdeführer nur dann zusammen mit dem Entscheid des
Verwaltungsgerichts auch denjenigen der unteren Instanz anfechten,
wenn die Ermessenskontrolle überhaupt in Betracht fiel. War dagegen
einzig eine Rechtsfrage streitig, kann sich die Beschwerde nur gegen
den verwaltungsgerichtlichen Entscheid richten (Präzisierung der
Rechtsprechung, E. 2).

Sachverhalt

    A.- Reinhard Rähmi ist Eigentümer der Grundstücke Kat. Nrn.  1730 und
1746, welche durch die neue Bauordnung der Gemeinde Marthalen vom 4.
Februar/4. März 1965 betroffen wurden. Er reichte am 28. Februar 1970 für
das Grundstück Kat. Nr. 1746 beim Gemeinderat ein Entschädigungsbegehren
wegen materieller Enteignung ein. Die Schätzungskommission IV wies
das Begehren am 10. April 1978 ab. Rähmi erhob dagegen Einsprache; er
verlangte eine Entschädigung für die Parzelle Kat. Nr. 1730, für die er
versehentlich kein solches Begehren gestellt habe. Das Verwaltungsgericht
des Kantons Zürich, das die Einsprache behandelte, trat mit Entscheid
vom 4. September 1979 auf das Entschädigungsbegehren Rähmis für das
Grundstück Kat. Nr. 1730 nicht ein. Zur Begründung wurde ausgeführt, die
Schätzungskommission IV habe über ein solches Begehren nicht entschieden,
da ihr kein entsprechender Anspruch unterbreitet worden sei. Liege aber
kein Entscheid der Schätzungskommission Vor, so könne auch kein solcher
des Verwaltungsgerichtes ergehen.

    Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid führt Rähmi
staatsrechtliche Beschwerde. Er macht eine Verletzung von Art. 4
BV geltend, wobei er sich auf Rechtsverweigerung, begangen durch
Nichtbestellung eines Prozessbeistandes und Nichtwiederherstellung einer
Frist, auf Verletzung der Offizialmaxime, überspitzten Formalismus,
rechtsungleiche Behandlung und auf den Grundsatz von Treu und Glauben
beruft.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Von Ausnahmen abgesehen, die hier nicht zutreffen, ist die
staatsrechtliche Beschwerde rein kassatorischer Natur (BGE 105 Ia 28 f. E.
1; 104 Ia 32 mit Verweisungen). Auf den Antrag des Beschwerdeführers,
es sei ihm für das herabgezonte Grundstück Kat. Nr. 1730 eine bestimmte
Entschädigung zuzusprechen, ist daher nicht einzutreten. Hingegen ist
in diesem Antrag sinngemäss derjenige auf Aufhebung des Entscheides des
Verwaltungsgerichtes vom 4. September 1979 enthalten, auf den grundsätzlich
eingetreten werden kann.

    b) Das Verwaltungsgericht vertritt in seiner Vernehmlassung den
Standpunkt, der Beschwerdeführer hätte fast alle der hier erhobenen
Rügen durch Revisionsgesuch im Sinne von § 67 lit. a des zürcherischen
Verwaltungsrechtspflegegesetzes (VRG) beim Verwaltungsgericht selbst
vorbringen können; der kantonale Instanzenzug sei daher nicht erschöpft,
weshalb auf die Beschwerde gemäss Art. 87 OG nicht einzutreten sei.

    Es ist richtig, dass das Bundesgericht in zwei veröffentlichten
Entscheiden dargelegt hat, die Revision gemäss § 67 lit. a und b VRG
ersetze im zürcherischen Recht die Nichtigkeitsbeschwerde, weshalb sie vor
der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV erhoben
werden müsse, sofern mit dieser eine formelle Rechtsverweigerung gerügt
werde (BGE 101 Ia 299 f.; 100 Ia 34). Nachdem diese Auffassung in einer
Publikation als zu absolut kritisiert worden war (R. LEVI, Zum Zeitpunkt
der Anfechtung von Entscheiden des zürcherischen Verwaltungsgerichtes
mittels staatsrechtlicher Beschwerde, in ZBl 79/1978, S. 245 ff.),
hat sich das Bundesgericht in einem nicht veröffentlichten Entscheid
im wesentlichen dieser Meinung angeschlossen. Es stellte fest,
ein Revisionsgesuch im Sinne von § 67 lit. a VRG sei dann nicht
erforderlich, wenn die streitige prozessuale Frage bereits behandelt
worden sei und das Gesuch demgemäss auf eine Wiedererwägung hinausliefe
(Urteil vom 25. Oktober 1978 i.S. Sportfischerverein Glattal). Dies
entspricht der vom Verwaltungsgericht und auch in der zürcherischen
Verwaltungsrechtslehre vertretenen Ansicht, die Revision wegen Verletzung
wesentlicher Verfahrensvorschriften (§ 67 lit. a VRG) bezwecke die
Berichtigung prozessualer Versehen, erlaube aber nicht ein Zurückkommen
auf prozessuale Fragen, die im angefochtenen Entscheid beantwortet worden
sind (Rechenschaftsbericht des Verwaltungsgerichts 1970, Nr. 15; A. KÖLZ,
Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 1978,
N. 2 zu § 67 VRG). Im hier zu beurteilenden Fall betreffen die Rügen
des Beschwerdeführers - soweit sie sich materiell überhaupt gegen das
Urteil des Verwaltungsgerichts richten, was in der nachfolgenden Erwägung
zu behandeln sein wird - alle nur die eine prozessuale Frage, ob auf den
Entschädigungsanspruch des Beschwerdeführers für die Parzelle Kat. Nr. 1730
hätte eingetreten werden müssen. Dazu hat jedoch das Verwaltungsgericht im
angefochtenen Entscheid Stellung genommen, so dass ein Revisionsbegehren im
Sinne von § 67 lit. a VRG auf ein Wiedererwägungsgesuch hinausgelaufen
wäre und eine leere Formalität dargestellt hätte (vgl. BGE 97 I
290). Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts ist demnach
als letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid zu betrachten, weshalb
gemäss Art. 87 OG mit der unter Erwägung 1a erwähnten Einschränkung auf
die Beschwerde einzutreten ist.

Erwägung 2

    2.- Steht der letzten kantonalen Instanz eine umfassende
Überprüfungsbefugnis zu, so ersetzt ihr Entscheid denjenigen der unteren
Instanz und kann demgemäss nur er allein mit staatsrechtlicher Beschwerde
angefochten werden. Dagegen kann der Entscheid der unteren Instanz dann
mitangefochten werden, wenn der oberen Instanz nur eine beschränkte
Kognitionsbefugnis zustand (BGE 104 Ia 204 ff.; 100 Ia 267; 97 I 119 mit
Verweisungen). Im neuesten dieser Urteile wurde insbesondere die Frage
untersucht, wie es sich verhalte, wenn die obere Instanz zwar über eine
behauptete Überschreitung oder einen Missbrauch des Ermessens durch die
untere Instanz entscheiden, die Handhabung des Ermessens an sich aber nicht
überprüfen könne, wie dies bei kantonalen Verwaltungsgerichten die Regel
bildet. Es wurde dort festgestellt, dass verwaltungsgerichtliche Entscheide
dieser Art als solche einer Instanz mit beschränkter Überprüfungsbefugnis
zu gelten hätten, so dass mit ihnen zusammen auch diejenigen der unteren
Instanz angefochten werden könnten (BGE 104 Ia 205 ff. E. 1c).

    Das zürcherische Verwaltungsgericht ist wie die Verwaltungsgerichte
der meisten übrigen Kantone darauf beschränkt, die Entscheide unterer
Instanzen auf Rechtsverletzungen hin zu überprüfen, zu denen auch
Ermessensüberschreitung und Ermessensmissbrauch gehören; dagegen steht ihm
eine Überprüfung der reinen Ermessensbetätigung nicht zu (§ 50 VRG). Nach
der angeführten neuesten Rechtsprechung könnte somit zusammen mit dem
Entscheid des Verwaltungsgerichts auch derjenige der unteren Instanz
angefochten werden. Es erscheint jedoch als geboten, diese Möglichkeit auf
Fälle zu beschränken, in denen die Ermessenskontrolle konkret überhaupt in
Betracht fällt. Geht es - wie hier - nicht um eine Schätzung, sondern um
eine reine Rechtsfrage, nämlich darum, ob aus prozessualen Gründen auf ein
nachträglich gestelltes Entschädigungsbegehren einzutreten sei, so steht
dem Verwaltungsgericht klarerweise eine umfassende Überprüfungsbefugnis
zu. Es ist daher nicht gerechtfertigt, die staatsrechtliche Beschwerde in
solchen Fällen auch noch gegen den Entscheid der Schätzungskommission
als unterer Instanz zuzulassen. Auf die vorliegende Beschwerde ist
daher nur insoweit einzutreten, als sie sich gegen den Entscheid des
Verwaltungsgerichts vom 4. September 1979 richtet.