Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IA 337



106 Ia 337

58. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18.
Dezember 1980 i.S. A. gegen X., Y. und Verwaltungsgerichtspräsidium des
Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV; Moderationsverfahren im Kanton Graubünden.

    Ein Entscheid verstösst gegen Art. 4 BV, wenn er an einem inneren,
nicht auflösbaren Widerspruch krankt.

    Natur des Moderationsverfahrens.

Sachverhalt

    A.- Gegen eine Revision des Zonenplanes der Gemeinde Klosters-Serneus
führten X. und Y. ohne Erfolg Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons
Graubünden. Die beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden erhobene
Beschwerde wurde teilweise gutgeheissen.

    Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wurden X. und Y. durch
Rechtsanwalt A. in Zürich vertreten. A. stellte Rechnung und bezifferte
seine Honorarnote auf Fr. 30'240.--, zuzüglich Spesen. X. und Y. lehnten
deren Begleichung ab. Es ist streitig, in welchem Ausmasse sich der
Anwalt aussergerichtlich betätigt hatte und ob zwischen ihm und seinen
Klienten eine Vereinbarung über das Honorar, allenfalls in welcher Höhe,
zustande gekommen war.

    Auf Ersuchen von A. begutachtete die Anwaltskammer des Kantons
Graubünden die Anwaltsrechnung und erachtete ein Honorar von Fr. 6'960.--
als angemessen. X. und Y. gelangten daraufhin mit dem Begehren an das
Verwaltungsgerichtspräsidium des Kantons Graubünden, die Honorarnote nach
Art. 24 des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit des Kantons
Graubünden zu überprüfen und den Honoraranspruch festzusetzen. Der
Vizepräsident des Verwaltungsgerichts (im folgenden Präsident genannt)
setzte das Honorar mit Entscheid vom 27. April 1980 auf Fr. 9'000.-- fest.

    Rechtsanwalt A. erhob dagegen staatsrechtliche Beschwerde. Das
Bundesgericht heisst die Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV gut,
ohne zur Höhe des Honorars Stellung zu nehmen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Im angefochtenen Entscheid wird ausgeführt, Inhalt des
Moderationsverfahrens bilde im Prinzip eine blosse Rechnungskontrolle. Der
Gerichtsvorsitzende habe anhand der ausgewiesenen Umtriebe des Anwalts
zu prüfen, ob die Honorarnote den Anstrengungen, dem Arbeitsaufwand und
den besonderen Schwierigkeiten des Falles entspreche und ob sie sich
im Rahmen des üblichen halte. Eine weitergehende Überprüfung könne im
Moderationsverfahren nicht vorgenommen werden. Einreden wegen schlechter
Mandatsführung müssten vor dem ordentlichen Richter geltend gemacht werden
(PKG 1958 Nr. 65 S. 149). Die Anwaltsrechnung sei grundsätzlich nur
insoweit zu überprüfen, als sie sich auf die eigentlichen gerichtlichen
Bemühungen vor der betreffenden Instanz bezieht. Die Verrechnung
anderweitiger Aufwendungen sei der Überprüfung des Moderationsrichters
entzogen.

    Im Gegensatz zu diesen, die Überprüfungsbefugnis des
Moderationsrichters einschränkenden Ausführungen nahm der Präsident in
Wirklichkeit eine wesentlich weitergehende Kontrolle der Anwaltsrechnung
vor. Er geht davon aus, das Moderationsverfahren nach Art. 24 des
Verwaltungsgerichtsgesetzes diene - ebenso wie jenes nach Art. 43 der
bündnerischen Zivilprozessordnung - dazu, die Rechnung des Anwalts in
verbindlicher Weise zu überprüfen und rechtsgültig über die Pflicht zur
Leistung zu entscheiden. Dieses Verfahren trete somit an die Stelle
des ordentlichen Zivilprozesses. Der Entscheid sei nach der Praxis
vollstreckbar und stelle einen definitiven Rechtsöffnungstitel dar (PKG
1958 Nr. 65 S. 149 f.). Entsprechend dieser Auffassung überprüfte der
Präsident die Honorarnote in umfassender und abschliessender Weise. Über
eine reine Rechnungskontrolle hinaus nahm er auch zur Frage Stellung, ob
zwischen den Parteien eine Honorarvereinbarung zustande gekommen sei. Er
verneinte es mangels Beweisen und setzte das Honorar ohne entsprechenden
Vorbehalt fest. Neben den eigentlichen Aufwendungen im gerichtlichen
Verfahren unterzog er auch jene Aufwendungen einer Prüfung, von denen
der Beschwerdeführer behauptet, sie seien ausserprozessualer Natur. Der
Präsident verneinte Vorkehren für eine "Integrierung der Prozesssituation
in einen grösseren Zusammenhang", wie sich der Beschwerdeführer ausdrückt,
für das Enteignungsverfahren sowie für das Verfahren vor der Gemeinde
Klosters-Serneus und vor dem Regierungsrat.

    Die Ausführungen allgemeiner Art zur Natur des Verfahrens und
die tatsächlich vorgenommene Überprüfung durch den Präsidenten lassen
sich nicht in Einklang bringen. Entweder hat der Moderationsrichter
eine blosse Rechnungskontrolle vorzunehmen und die Honorarrechnung nur
soweit zu prüfen, als sie prozessuale Tätigkeit betrifft, oder er hat
eine Honorarforderung wie ein Zivilrichter abschliessend zu beurteilen
und auch darüber zu befinden, ob beispielsweise eine Honorarvereinbarung
zustande kam und ob für ausserprozessuale Tätigkeit Honorar verlangt werden
kann, allenfalls in welcher Höhe. In den Erwägungen des angefochtenen
Entscheides nimmt der Präsident, wie gezeigt, teils diese, teils jene
Haltung ein. Die Begründung des Entscheides weist somit einen inneren
Widerspruch auf, der sich nicht auflösen lässt und dem Bundesgericht
eine Überprüfung verunmöglicht. Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichts verstösst ein Entscheid gegen Art. 4 der Bundesverfassung,
der an einem solchen Widerspruch krankt (BGE 103 Ia 27, 189 E. c; 97 I
327; 93 I 6 E. 3, mit Hinweisen; vgl. auch IMBODEN/RHINOW, Schweizerische
Verwaltungsrechtsprechung, 5. Auflage 1976, S. 536 III d). Die Beschwerde
ist aus diesem Grunde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid
aufzuheben.

Erwägung 3

    3.- Im Hinblick auf die vom Präsidenten neu zu treffende Entscheidung
mag zur Natur des Moderationsverfahrens und zu den Anforderungen an dieses
Verfahren folgendes beigefügt werden.

    Nach wohl überwiegender und für die meisten Kantone geltender Ansicht
werden im Moderationsverfahren Anwaltsrechnungen auf ihre Übereinstimmung
mit dem Gebührentarif untersucht. Der Moderationsrichter entscheidet
darüber, ob die umstrittene Honorarrechnung für die gerichtlichen
Aufwendungen dem massgebenden Tarif entspricht. Andere sich aus dem
Auftragsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und seinem Klienten ergebende
Streitigkeiten - wie etwa über den Bestand des Honoraranspruchs oder über
die Frage, ob der Gebührentarif nach dem Willen der Parteien überhaupt
anwendbar ist - müssen dagegen vor dem Richter im ordentlichen Verfahren
ausgetragen werden. Der Moderationsrichter spricht sich nicht über den
Bestand der Forderung als solcher aus, und der Moderationsentscheid
stellt deshalb keinen Rechtsöffnungstitel dar (E. 1 des Urteils
i.S. Z. vom 15. März 1972, publiziert in ZR 71/1972 Nr. 102 S. 316 f.,
mit Hinweisen; H. BACHTLER, Das Moderationsverfahren nach § 34 des
zürcherischen Anwaltsgesetzes, SJZ 73/1977 S. 315 f.; M. GULDENER,
Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Auflage 1979, S. 643). Wird das
Moderationsverfahren in dieser Weise charakterisiert, so wird angenommen,
vor dem Moderationsrichter werde kein eigentliches Beweisverfahren
durchgeführt. Der Moderationsrichter könne sich auf Vorgänge stützen,
die sich vor seinen Augen zugetragen haben und deren Umfang und
Bedeutung er ohne weiteres dem Prozessmaterial entnehmen kann. Eine
eingehendere Prüfung könnte dann allenfalls durch den ordentlichen
Richter vorgenommen werden (BACHTLER, aaO, S. 316). Entsprechend
dieser Auffassung vom Moderationsverfahren wird weiter angenommen, die
Zuständigkeit des Moderationsrichters könne durch Vereinbarung eines
abweichenden Gerichtsstandes nicht ausgeschlossen und die Anwendbarkeit
der Moderationsbestimmungen nicht wegbedungen werden (BACHTLER, aaO,
S. 314; vgl. auch PKG 1972 Nr. 69 S. 165).

    Demgegenüber hat der Präsident, wie ausgeführt, in einem Teil
seiner Begründung die Meinung zum Ausdruck gebracht, im bündnerischen
Moderationsverfahren werde wie in einem Zivilprozess ein abschliessender
und umfassender Entscheid über den Streit um die Honorarforderung
getroffen. Wäre für das Bündner Recht von dieser Auffassung - die in
der bündnerischen Praxis nicht unbestritten ist (vgl. PKG 1970 Nr. 52
S. 126; 1972 Nr. 69 S. 165) - auszugehen, so würde die vom Präsidenten
vorgenommene Beweiserhebung den aus dem Bundesrecht fliessenden
Anforderungen an ein ordentliches Beweisverfahren nicht genügen (BGE
105 Ia 195 E. bb; 101 Ia 296 E. d; 102 III 13 E. 2a; 95 II 196 E. 3, mit
Hinweisen). Der Beschwerdeführer hat vor dem Verwaltungsgerichtspräsidium
Zeugen genannt, welche die umstrittene Honorarvereinbarung und die
behaupteten ausserprozessualen Aufwendungen angeblich hätten bestätigen
können. Nachdem die Einvernahme der Zeugen unterblieb und über die
strittigen Punkte auch in anderer Weise kein Beweis erhoben wurde, erwiese
sich die Beweiserhebung durch den Präsidenten als ungenügend. Auch die
Zuständigkeit des Moderationsrichters erscheint in einem andern Licht, wenn
davon ausgegangen wird, es werde im Moderationsverfahren abschliessend
und umfassend über den materiellen Bestand einer Anwaltsforderung
entschieden. Die Parteien können nach Massgabe des kantonalen Rechts und
in den Schranken des Bundesrechts einen Gerichtsstand vereinbaren, der
vom ordentlichen abweicht. Der von den Parteien vereinbarte Gerichtsstand
wäre deshalb wohl auch für den Moderationsrichter bindend, der über den
materiellen Bestand der Anwaltsforderung entscheidet (vgl. PKG 1972
Nr. 69 S. 165). Schliesslich liesse sich bei dieser Konzeption des
Moderationsverfahrens fragen, ob das Urteil nicht berufungsfähig wäre.