Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IA 184



106 Ia 184

35. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17.
Dezember 1980 i.S. Krönert gegen Gemeinde Herisau und Obergericht des
Kantons Appenzell-Ausserrhoden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 22ter BV sowie Art. 19 und 20 GSchG (in der bis Ende 1979
geltenden Fassung); Entschädigung aus materieller Enteignung.

    Entzug einer in naher Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu
erwartenden Überbauungsmöglichkeit verneint, weil im massgeblichen
Zeitpunkt - dem Inkrafttreten eines Schutzzonenplanes - die Voraussetzungen
von Art. 19 ff. GSchG nicht erfüllt waren und auch keine besonderen
Umstände vorlagen, die eine Einzonung zwingend geboten hätten. Die im
Entwurf zu einem Zonenplan vorgesehene Einzonung vermag die Annahme
nicht zu begründen, ein Grundstück sei in naher Zukunft mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu überbauen.

Sachverhalt

    A.- Die Ehegatten Krönert erwarben am 27. Dezember 1972 und 8. Februar
1973 am Hang der Anhöhe Lutzenland oberhalb Herisau zwei grössere
Teilflächen angrenzender Landwirtschaftsbetriebe, um sie zu überbauen, zu
parzellieren und teilweise weiter zu veräussern. Sie liessen verschiedene
Projekte ausarbeiten, zuletzt für eine Terrassenhaussiedlung. Am
9. August 1973 erliess indessen der Gemeinderat von Herisau aufgrund
einer Volksinitiative für das Gebiet Lutzenland - und damit auch für das
Land Krönert - eine befristete Bausperre. Der in der Folge ausgearbeitete
Schutzzonenplan Lutzenland wurde in der Gemeindeabstimmung vom 6. April
1975 angenommen und am 20. Mai 1975 vom Regierungsrat des Kantons Appenzell
Ausser-Rhoden genehmigt. Das Kantonsgericht am 23. März 1977 und das
Obergericht (Gesamtgericht) des Kantons Appenzell A.Rh. am 20. April
1978 wiesen die von den Eheleuten Krönert am 14. Juni 1976 gegen die
Gemeinde Herisau eingereichte Klage aus materieller Enteignung ab.
Das Bundesgericht weist die hiegegen gerichtete Beschwerde ebenfalls ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Für die Prüfung der Frage der enteignungsähnlichen Wirkung
ist das Verwaltungsgericht mit Recht vom Zeitpunkt der Rechtskraft des
Schutzzonenplanes Lutzenland (20. Mai 1975) ausgegangen, stützen doch die
Beschwerdeführer ihre Entschädigungsforderung auf den nach ihrer Auffassung
durch den Schutzzonenplan erfolgten Entzug einer gegebenen bzw. in naher
Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Überbauungsmöglichkeit
ihres Grundstückes. Entscheidend ist daher, ob am massgebenden Stichtag
die bauliche Nutzung voraussehbar und mit hoher Wahrscheinlichkeit in
naher Zukunft zu verwirklichen war, und ob diese Erwartung durch den
Schutzzonenplan aufgehoben wurde.

    b) Für die Beantwortung dieser Frage ist in erster Linie auf die
rechtlichen Gegebenheiten abzustellen. Dabei kommt dem Bundesrecht Vorrang
zu. Es ist daher zu prüfen, ob am 20. Mai 1975 die Voraussetzungen des am
1. Juli 1972 in Kraft getretenen Gewässerschutzgesetzes (GSchG) erfüllt
waren, um die fragliche Parzelle mit den geplanten Einfamilienhäusern
zu überbauen.

    aa) Gemäss Art. 19 und 20 GSchG in der hier anwendbaren, bis Ende
1979 geltenden Fassung dürfen Bewilligungen für den Neu- und Umbau
von Bauten und Anlagen aller Art nur innerhalb der Bauzonen oder, wo
solche fehlen, innerhalb des im generellen Kanalisationsprojekt (GKP)
abgegrenzten Gebietes erteilt werden, wenn der Anschluss der Abwässer
an die Kanalisation gewährleistet ist. Baubewilligungen für Gebäude und
Anlagen ausserhalb der Bauzonen oder des im generellen Kanalisationsprojekt
abgegrenzten Gebietes dürfen nur erteilt werden, sofern der Gesuchsteller
ein sachlich begründetes Bedürfnis nachweist (BGE 102 Ib 213 E. 1a
mit Verweisungen). Mit dieser Regelung verfolgte der Gesetzgeber
nicht nur Ziele des Gewässerschutzes, sondern auch der Raumplanung,
indem er mit Rücksicht auf die vielfältigen öffentlichen Interessen,
die auf dem Spiele stehen - rationelle Nutzung des Bodens, Erhaltung des
Landwirtschaftsgebietes, Landschaftsschutz u.a.m. - die allgemeine bauliche
Nutzung auf die hiefür planerisch bezeichneten Gebiete begrenzen wollte
(BGE 101 Ib 193 E. 2a). Welches sachlich begründete Bedürfnis Neu- oder
Umbauten ausserhalb der Bauzonen bzw. des GKP zu rechtfertigen vermag,
präzisierte Art. 27 AGSchV näher; primär geht es dabei um sogenannte
standortgebundene Bauten. Ausdrücklich hält die Bestimmung fest, dass die
Anschlussmöglichkeit an eine Kanalisation in keinem Fall die Erfordernisse
für die Anerkennung des sachlich begründeten Bedürfnisses ersetzt.

    bb) Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass sich die Parzelle der
Beschwerdeführer in keiner rechtsgültigen Bauzone befand, da die Gemeinde
Herisau am 20. Mai 1975 über keinen Zonenplan - dieser trägt im Recht des
Kantons Appenzell Ausser-Rhoden die Bezeichnung Bebauungsplan (Art. 112
Abs. 2 lit. e EG zum ZGB) - verfügte. Ein früherer, dem Baureglement vom
18. Mai 1914 beigegebener rudimentärer Zonenplan wurde mit dem Baureglement
vom 13. Dezember 1970 aufgehoben (Art. 135), ohne dass gleichzeitig ein
Bebauungsplan erlassen werden konnte.

    Im Zeitpunkt der Annahme des Schutzzonenplanes Lutzenland lag lediglich
der Entwurf eines Bebauungsplanes vor. Nach diesem befand sich das von
den Beschwerdeführern erworbene Land am Rande der Bauzone in der Ein-
und Zweifamilienhauszone. Aus einem vom zuständigen Gemeindeorgan noch
nicht angenommenen und vom Regierungsrat noch nicht genehmigten Plan
(Art. 124 EG zum ZGB) kann jedoch entgegen der Annahme der Beschwerdeführer
nicht gefolgert werden, ihr Land befinde sich in einer Bauzone im Sinne
der Art. 19 und 20 GSchG, und zwar auch dann nicht, wenn der aufgelegte,
jedoch noch nicht rechtsverbindlich festgesetzte Plan von den Baubehörden
der Gemeinde in der Zeit zwischen dem Erlass des Baureglementes und der
Planfestsetzung für die Erteilung von Baubewilligungen innerhalb des
durch das GKP abgegrenzten Gebietes, wie dies die Vertreter der Gemeinde
am Augenschein anerkannt haben, als wegleitend konsultiert wurde.

    cc) Unbestritten ist ferner, dass die Parzelle der Beschwerdeführer
ausserhalb des vom Regierungsrat am 19. Dezember 1960 genehmigten
generellen Kanalisationsprojekts liegt. Der Gemeinderat beantragte zwar
mit Schreiben vom 6. Januar 1971 an die kantonale Baudirektion dessen
Erweiterung, worauf diese am 26. März 1971 antwortete, sie sei bereit, "die
vorgesehene Zonenerweiterung amtsintern anzuerkennen und die Baugesuche
im erweiterten Gebiet gleich denjenigen innerhalb genehmigtem GKP zu
behandeln". Da jedoch der Bauzonenplan der Gemeinde Herisau noch nicht
rechtskräftig und daher auch die Zonenerweiterung des GKP nicht endgültig
sei, wolle sie auf das Begehren des Gemeinderates, die Genehmigung des
Regierungsrates für die provisorische Zonenerweiterung des GKP einzuholen,
zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht eintreten.

    Gemäss der vom Gemeinderat beantragten Erweiterung des GKP wäre - was
ebenfalls unbestritten ist - die Parzelle der Beschwerdeführer in das vom
GKP erfasste Gebiet einbezogen worden. Die Beschwerdeführer sind daher der
Meinung, zufolge der amtsinternen Anerkennung der vorgesehenen Erweiterung
des GKP wäre der Erteilung der Baubewilligung ohne das Dazwischentreten
der Lutzenland-Initiative nichts im Wege gestanden. Sie übersehen jedoch,
dass am 1. Juli 1972 das neue eidgenössische Gewässerschutzgesetz in Kraft
trat. Die im Jahre 1971 erfolgte amtsinterne Anerkennung der beantragten
Erweiterung des GKP, die ausdrücklich als noch nicht endgültig bezeichnet
wurde, vermochte keinesfalls von der Einhaltung der klaren Regeln des
Gewässerschutzgesetzes über den Ausschluss der Überbaubarkeit des
ausserhalb des GKP gelegenen Gebietes mit nicht standortgebundenen
Bauten zu befreien. Das Recht des Kantons Appenzell Ausser-Rhoden
verlangte die Genehmigung der von den Gemeinden ausgearbeiteten generellen
Kanalisationsprojekte durch den Regierungsrat (Art. 2 EG vom 27. April 1958
zum früheren GSchG). Ein im Hinblick auf die noch ausstehende Rechtskraft
des Bebauungsplanes dem Regierungsrat nicht unterbreiteter Antrag der
Gemeinde, das GKP zu erweitern, genügt daher nicht zur Annahme, das
Grundstück der Beschwerdeführer sei im Sinne des Art. 19 GSchG innerhalb
des GKP gelegen.

    Ein von dieser Rechtslage abweichendes Ergebnis wäre höchstens
dann in Erwägung zu ziehen, wenn eine feste Praxis nachgewiesen wäre,
dass die Behörden nach Inkrafttreten des GSchG auch ausserhalb des GKP
von 1960 im Gebiet, dessen Einbezug der Gemeinderat in das GKP beantragt
hatte, Baubewilligungen für andere als standortgebundene Bauten erteilt
hätten. Dies trifft jedoch nicht zu, wie die von der bundesgerichtlichen
Instruktionskommission verlangten Abklärungen ergeben haben. Gemäss der
Auskunft des Gemeindebauamtes Herisau, an deren Vollständigkeit zu zweifeln
entgegen der Meinung der Beschwerdeführer kein Anlass besteht, wurden
im fraglichen Erweiterungsgebiet in der Zeit zwischen dem Inkrafttreten
des Gewässerschutzgesetzes und der Rechtskraft des Bebauungsplanes
(12. August 1975) einzig drei Bewilligungen erteilt, wovon die eine -
freilich aus Gründen, die nicht mit dem GKP zusammenhängen - erst am 10.
April 1976 rechtsgültig wurde. Die von den Beschwerdeführern angeführten
drei weiteren Bewilligungen liegen in Gebieten mit Überbauungsplänen,
welche der Gemeinderat aufgrund des früheren Baureglementes von
1914 rechtsverbindlich festsetzen konnte und die gemäss dem in der
Gemeindeabstimmung vom 13. Dezember 1970 angenommenen neuen Baureglement
ausdrücklich in Kraft blieben (Art. 135 Abs. 1). Derartige Überbauungspläne
genügen, wie die Gemeinde zutreffend dargelegt hat, dem Begriff der Bauzone
im Sinne des Gewässerschutzgesetzes. Sie kommen einer gemäss kantonalem
Recht räumlich begrenzt angeordneten Bauzone gleich und entsprechen damit
der raumplanerischen Zielsetzung der Art. 19 f. GSchG.

    dd) Die Parzelle der Beschwerdeführer liegt somit
gewässerschutzrechtlich weder in einer Bauzone noch innerhalb des GKP
und ist daher aufgrund der Art. 19 und 20 GSchG, wie das Obergericht
zutreffend festgestellt hat, mit andern als standortgebundenen Bauten
nicht zu überbauen. Die Ausführungen des Obergerichts, wonach die
Standortbedingtheit der terrassierten Einfamilienhäuser nicht hätte
anerkannt werden können, decken sich mit der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung (BGE 102 Ib 79 E. 4b).

    c) Es kann sich daher nur fragen, ob bei Inkrafttreten
des Schutzzonenplanes Lutzenland besondere Umstände vorlagen,
welche die Einzonung zwingend geboten hätten, so dass im Sinne der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit hoher Wahrscheinlichkeit in
naher Zukunft die Überbauungsmöglichkeit zu bejahen war. In BGE 105 Ia
338 E. 3d wurde festgestellt, die Anwendung des Gewässerschutzgesetzes
könne möglicherweise dann zu einer enteignungsähnlichen Wirkung führen,
wenn baureifes oder grob erschlossenes Land, das innerhalb des mit den
Anforderungen des Gewässerschutzgesetzes übereinstimmenden GKP liegt,
nicht eingezont werde. Müsste im vorliegenden Fall angenommen werden,
das Gewässerschutzgesetz gebiete eine Erweiterung des GKP im Sinne des vom
Gemeinderat gestellten Antrages, so wäre möglicherweise die Nichteinzonung
dem vom Bundesgericht erwähnten Ausnahmefall gleichzusetzen. Es fragt sich
daher, ob das GKP den Anforderungen des Gewässerschutzgesetzes entspricht.

    Aus dem von der bundesgerichtlichen Instruktionskommission verlangten
technischen Bericht über das GKP ergibt sich, dass Herisau im Jahre
1960 eine Bevölkerung von rund 14'800 Einwohnern aufwies und dass
bei voller Überbauung des angenommenen Baulandes eine Einwohnerzahl
von 27'000 erreicht werden kann. Gewiss muss bei der Würdigung
derartiger Berechnungen berücksichtigt werden, dass das Mass der
wirklichen Überbauung erfahrungsgemäss oft erheblich unter der möglichen
Vollüberbauung bleibt. Dennoch erlauben die dem GKP zugrunde liegenden
Annahmen die Folgerung, dass dieses keineswegs zu eng bemessen ist, soll
es doch gemäss Art. 15 AGSchV, sofern keine Zonenplanung besteht, das
überbaute und das innert höchstens 15 Jahren zur Erschliessung vorgesehene
Baugebiet erfassen, dabei darf höchstens eine Verdoppelung der vorhandenen
Bevölkerungszahl berücksichtigt werden. Dass Herisau mit einer besonders
starken Bevölkerungszunahme rechnen müsste, kann aufgrund der Entwicklung
der Vergangenen Jahre nicht angenommen werden, wies doch die Gemeinde
nach den Angaben der Einwohnerkontrolle im Jahre 1965 lediglich 15'421
und im Jahre 1975 sogar bloss 15'074 Einwohner auf. Dass dieser Rückgang
auf die ungenügende planerische Ausscheidung von Baugebiet zurückzuführen
ist, kann angesichts der beachtlichen Reserven, die bei der Bemessung
des Umfanges des GKP berücksichtigt wurden, nicht angenommen werden.
Jedenfalls kann aufgrund dieser Bevölkerungszahl und deren Entwicklung
nicht gefolgert werden, eine Erweiterung des GKP im Raume Egg/Lutzenland
dränge sich gebieterisch auf.

    d) Diese Erwägungen schliessen auch die Annahme aus, eine Festlegung
der Bauzone gemäss dem aufgelegten Bebauungsplan hätte sich aufgrund
der baulichen und bevölkerungsmässigen Entwicklung der Gemeinde zwingend
aufgedrängt. Der Behauptung der Beschwerdeführer, in Herisau sei zuwenig
Land für Ein- und Zweifamilienhäuser ausgeschieden, kann angesichts der
im GKP und dem angenommenen Bebauungsplan enthaltenen Reserven nicht
gefolgt werden. Freilich begründete der Antrag des Gemeinderates, wie er
im aufgelegten Bebauungsplan zum Ausdruck kam, die Hoffnung auf Einzonung
des von den Beschwerdeführern erworbenen Landes. Doch vermag ein Antrag den
Entscheid der für die Beschlussfassung über den Bebauungsplan zuständigen
Stimmberechtigten der Gemeinde nicht zu binden. Muss zunächst ein Zonenplan
angenommen werden, so schliesst dies in der Regel die Annahme aus, ein
Grundstück sei in naher Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu überbauen
(unveröffentlichtes Urteil Schmid vom 11. Juli 1979, E. 6, S. 17). Wer
Land in der Hoffnung erwirbt, die Stimmberechtigten würden den gestellten
Antrag annehmen, handelt auf eigenes Risiko. Eine abweichende Annahme
wäre mit der den Beschwerdeführern bekannten demokratischen Grundordnung
der Gemeinden nicht vereinbar.

    Dass die mit dem Schutzzonenplan Lutzenland vorgenommene Begrenzung des
Baugebietes in ortsplanerischer Sicht als sachgerecht zu bezeichnen ist,
hat der Augenschein bestätigt. Das von den Beschwerdeführern erworbene
Land liegt inmitten von landwirtschaftlich genutztem Areal. Auch unter
diesem Gesichtspunkt liegen daher keine zwingenden Gründe vor, welche die
Einzonung des von den Beschwerdeführern erworbenen Landes geboten hätten.