Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IA 176



106 Ia 176

33. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 8.
Oktober 1980 i.S. X. gegen Direktion der Justiz des Kantons Zürich
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV; interkantonale Zuständigkeit beim Vollzug einer
Freiheitsstrafe in einem andern als dem Urteilskanton.

    Vereinbarung zwischen dem Urteils- und dem Vollzugskanton, dass für
Entscheide über die Aushändigung von Druckschriften an eine bestimmte
Strafgefangene die Behörden des Urteilskantons zuständig seien. Keine
Verletzung von Art. 4 BV.

Sachverhalt

    A.- Frau X., die von einem Gericht des Kantons Bern zu einer
mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, befindet sich zur
Zeit im Bezirksgefängnis Winterthur, Kanton Zürich, im Strafvollzug. Die
Geschäftsleitung der Bezirksanwaltschaft Winterthur erklärte sich mit
Verfügung vom 13. März 1980 als unzuständig zur Prüfung der Frage, ob
Frau X. sieben Exemplare einer bestimmten Zeitschrift ausgehändigt werden
dürften. Auf einen dagegen erhobenen Rekurs trat die Direktion der Justiz
des Kantons Zürich am 1. April 1980 nicht ein. Zur Begründung wurde im
wesentlichen ausgeführt, nach ständiger Praxis seien die Kantone befugt,
von ihren Gerichten verurteilte Personen zum Strafvollzug in Anstalten
anderer Kantone einzuweisen, sei es aufgrund genereller Vereinbarungen
oder aufgrund von Abmachungen im Einzelfall. In solchen Fällen sei es
auch zulässig, zu vereinbaren, dass gewisse im Rahmen des Strafvollzugs
zu treffende Entscheidungen beim einweisenden Kanton verblieben. Im
zu beurteilenden Fall liege die Zuständigkeit für Entscheide über die
Zulassung von Literatur bei den Behörden des einweisenden Kantons Bern,
so dass sich auch ein allfälliges Rechtsmittel gegen diese zu richten habe.

    Gegen den Entscheid der Justizdirektion reichte Frau
X. staatsrechtliche Beschwerde ein. Das Bundesgericht weist diese ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Zwischen den Behörden des Kantons Zürich und denjenigen des
Kantons Bern liegt hinsichtlich der Frage, welcher Kanton zur Prüfung
des für die Beschwerdeführerin bestimmten Lesestoffes zuständig sei,
kein negativer Kompetenzkonflikt vor. Der Beschwerdeschrift und einem
ihr beigelegten Schreiben des Polizeikommandos des Kantons Bern vom
6. März 1980 ist vielmehr zu entnehmen, dass diese Amtsstelle die für
die Beschwerdeführerin bestimmten Broschüren geprüft und eine begründete
Nichtzulassungsverfügung erlassen hat. Aus einem weiteren Schreiben
der nämlichen Amtsstelle vom 13. März 1980 an die Bezirksanwaltschaft
Winterthur geht sodann hervor, dass der Entscheid vom 6. März 1980 durch
Beschwerde an den Polizeidirektor des Kantons Bern weitergezogen worden
ist; über den Ausgang jenes Verfahrens ist nichts bekannt. Diese Tatsachen
führen jedoch nicht ohne weiteres zur Abweisung der staatsrechtlichen
Beschwerde gegen den Nichteintretensentscheid der Justizdirektion des
Kantons Zürich in der gleichen Sache. Ergäbe sich nämlich, dass einzig die
zürcherischen Behörden für die fragliche Prüfung zuständig gewesen wären,
so könnte ihre Pflicht zur Ausübung ihrer Verwaltungshoheit durch den
Entscheid eines anderen Kantons nicht hinfällig werden; dieser Entscheid
hätte vielmehr unbeachtet zu bleiben.

    b) Indessen liegt ein Fall dieser Art hier nicht vor. Gemäss Art. 64bis
BV und Art. 374 Abs. 1 StGB ist der Strafvollzug Sache der Kantone, wobei
grundsätzlich jeder Kanton die von seinen Gerichten gefällten Urteile
zu vollziehen hat. Es ist unbestritten und ergibt sich zum Beispiel
aus Art. 382 StGB, dass die Kantone berechtigt sind, Strafen, deren
Vollzug ihnen obliegt, auch in Anstalten anderer Kantone vollstrecken
zu lassen. Das Bundesrecht kennt keine Vorschriften darüber, welcher
Kanton in solchen Fällen für bestimmte konkrete, mit dem Strafvollzug
zusammenhängende Anordnungen zuständig sei. Einige interkantonale
Konkordate enthalten in diese Richtung gehende Vorschriften, doch finden
im vorliegenden Fall solche Bestimmungen keine Anwendung, da der Kanton
Bern und der Kanton Zürich nicht dem nämlichen Konkordat angehören. Bei
dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass die Zuständigkeit für die
während des Strafvollzugs notwendigen Entscheidungen (etwa über Besuche,
Peculium, Briefzensur und zulässigen Lesestoff) durch Absprache zwischen
den beteiligten Kantonen geregelt werden kann. Die Freiheit der Kantone
auf diesem Gebiet ist einzig durch Art. 4 BV beschränkt. Demnach hat
der Strafgefangene zunächst Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden
Entscheide nicht infolge eines negativen Kompetenzkonfliktes überhaupt
nicht getroffen werden. Er kann weiter rechtsgleiche Behandlung mit anderen
Gefangenen verlangen, und schliesslich kann er aufgrund des Willkürverbotes
auch beanspruchen, dass den Besonderheiten seines Falles in angemessenem
Rahmen Rechnung getragen wird. Dagegen ist nicht ersichtlich, worauf sich
ein Anspruch stützen könnte, generell oder in einzelnen Punkten nicht der
im einweisenden, sondern der im vollziehenden Kanton geltenden Ordnung
unterstellt zu werden.

    c) Wenn sich die massgebenden Vollzugsbestimmungen in den beiden
beteiligten Kantonen nicht völlig decken, so lässt sich allerdings der
Grundsatz der Rechtsgleichheit nicht in jeder Hinsicht restlos wahren. Es
ist unvermeidlich, dass der Gefangene dann nicht gleichzeitig den übrigen
von den Gerichten des gleichen Kantons verurteilten Straffälligen und
den anderen Insassen der Vollzugsanstalt völlig gleichgestellt werden
kann. Vielmehr haben die Kantone unter sich zu vereinbaren, welches
Regime für die einzelnen zu lösenden Fragen gelten soll. Erfolgt diese
Regelung nach sachlichen Gesichtspunkten, so erscheint Art. 4 BV nicht
als verletzt. Im vorliegenden Falle kann von einer Missachtung dieser
Verfassungsvorschrift schon deshalb nicht gesprochen werden, weil die
Justizdirektion des Kantons Zürich im angefochtenen Entscheid anerkannt
hat, dass in den ihr unterstellten Vollzugsanstalten keine Anordnungen
anderer Kantone vollzogen würden, die im Kanton Zürich nicht ebenfalls
hätten getroffen werden dürfen. Allgemein wird gesagt werden können, dass
die Befugnis für Anordnungen, die durch die örtlichen Verhältnisse bedingt
sind oder keinen Aufschub dulden, wie etwa die Art der Beschäftigung, die
ärztliche Betreuung und ähnliches an den Vollzugskanton zu delegieren ist,
dass aber nichts dagegen spricht, wenn die übrigen Kompetenzen weitgehend
beim einweisenden Kanton verbleiben; denn dieser ist und bleibt in
erster Linie für die Erreichung des Strafzweckes verantwortlich (Art. 37
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 374 Abs. 1 StGB). Dies gilt um so mehr,
wenn der Strafvollzug in verschiedenen Anstalten durchgeführt werden
soll, wie dies hier im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der
Beschwerdeführerin (vgl. dazu die Urteile des Bundesgerichts vom 7. Juni
1978 und vom 19. Dezember 1978) angeordnet worden ist. Gerade in einem
Fall dieser Art ist es wichtig, dass trotz des Wechsels der Anstalten
bei den Vollzugsanordnungen eine gewisse Einheitlichkeit gewahrt wird,
da nur so zweckmässig auf eine Resozialisierung hingearbeitet werden kann.

    Aus allen diesen Gründen erweist sich die Vereinbarung zwischen den
Kantonen Bern und Zürich, wonach die Aushändigung von Druckschriften an die
Beschwerdeführerin im Zweifelsfalle von der Zustimmung der Vollzugsbehörde
des einweisenden Kantons abhängig gemacht wird, als nicht willkürlich und
demgemäss mit Art. 4 BV vereinbar, was die Abweisung der Beschwerde zur
Folge hat. Über die Rechtmässigkeit der konkreten Zensurmassnahme ist im
vorliegenden Verfahren nicht zu befinden.