Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IA 126



106 Ia 126

24. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 16. Mai 1980 i.S. Studer gegen Regierungsrat des Kantons Uri
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 31 BV; Bewilligung zur gewerbsmässigen Vertretung von Gläubigern
(Art. 27 SchkG).

    Es verstösst gegen Art. 31 BV, wenn für die Bewilligung zur
gewerbsmässigen Vertretung von Gläubigern verlangt wird, dass der
Gesuchsteller Wohnsitz im Kanton habe.

Sachverhalt

    A.- Das urnerische Einführungsgesetz zum SchKG vom 3. Mai 1891
(EGzSchKG) enthält in Art. 15 folgende Vorschriften:

    "Zur gewerbsmässigen Vertretung der Gläubiger ist die Patentierung als

    Geschäftsagent erforderlich.

    Das Patent wird vom Regierungsrate gegen eine einmalige Staatsgebühr
von

    Fr. 100.-- erteilt.

    Es dürfen nur solche Personen patentiert werden, die verfassungsgemäss
   wählbar, persönlich ehrenhaft und zuverlässig, sowie mit der
   einschlägigen

    Gesetzgebung vertraut sind."

    Gemäss Art. 21 Abs. 1 der Verfassung des Kantons Uri vom 6. Mai 1888
(KV) ist stimmberechtigt, ungeachtet des Geschlechts, jeder 20jährige,
im Kanton sesshafte Kantons- und Schweizerbürger, letzterer jedoch
erst nach Ablauf einer dreimonatigen Frist vom Tage der gesetzlich
vollzogenen Niederlassung an. Gemäss Art. 24 Abs. 1 KV ist wahlfähig
jeder Stimmberechtigte, ausgenommen die nicht rehabilitierten Konkursiten
und ausgepfändeten Schuldner.

    Am 21. August 1978 stellte Heinz Studer, Bücherexperte, Bern,
bei der Justizdirektion Uri das Gesuch um Erteilung der Bewilligung zur
gewerbsmässigen Vertretung von Gläubigern im Kanton Uri. Mit Beschluss vom
16. Juli 1979 lehnte der Regierungsrat das Gesuch ab, im wesentlichen mit
der Begründung, dass Studer nicht im Kanton Uri Wohnsitz habe und daher
nicht "verfassungsgemäss wählbar" sei, wie Art. 15 Abs. 3 EGzSchKG dies
als Voraussetzung für die Erteilung der nachgesuchten Bewilligung verlange.

    Das Bundesgericht heisst die dagegen erhobene staatsrechtliche
Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 27 Abs. 1 SchKG können die Kantone die
gewerbsmässige Vertretung der Gläubiger organisieren. Insbesondere können
sie die Ausübung dieses Berufes von dem Nachweis persönlicher Tauglichkeit
und Ehrenhaftigkeit und von einer Sicherheitsleistung abhängig machen
und die Gebühren für die einschlägigen Verrichtungen festsetzen. Damit
ist durch Bundesgesetz und demnach in für das Bundesgericht verbindlicher
Weise (Art. 113 Abs. 3 BV) festgelegt, dass die Kantone befugt sind, den
Betrieb einer Geschäftsagentur der Bewilligungspflicht zu unterstellen
und vom Besitz eines Fähigkeitsausweises abhängig zu machen. Wie das
Bundesgericht in BGE 95 I 332 E. 3 dargelegt hat, will Art. 27 Abs. 1
SchKG die Kantone indes nicht ermächtigen, bei der Ausgestaltung
der entsprechenden Massnahmen von der Handels- und Gewerbefreiheit
abzuweichen. Hinsichtlich der Anforderungen, die für die Erlangung
der Bewilligung zum Betrieb einer Geschäftsagentur aufgestellt werden
können, sind deshalb die Grundsätze zu beachten, die sich aus Art. 31
BV ergeben. Die kantonalen Beschränkungen müssen demnach auf einer
gesetzlichen Grundlage beruhen und dürfen nicht über das hinaus gehen was
erforderlich ist zur Erreichung des polizeilichen oder sozialpolitischen
Zwecks, durch den sie gedeckt sind (BGE 103 Ia 596 E. 1a mit Hinweisen).

    b) Die Bewilligungspflicht, welche die Kantone aufgrund von Art. 27
SchKG einführen können, ist zum Schutze der Gläubiger und Schuldner
bestimmt, die für das Verfahren vor den Betreibungsbehörden die Dienste
eines gewerbsmässigen Vertreters in Anspruch nehmen wollen. Sie soll
verhindern, dass sich Gläubiger oder Schuldner Personen anvertrauen,
die vertrauensunwürdig sind oder die nicht über die Kenntnisse verfügen,
die zur gehörigen Interessenwahrung nötig sind. Für die Erreichung
dieser Zielsetzung ist nicht erforderlich, dass der gewerbsmässige
Vertreter im Kanton Wohnsitz habe, in dem er als Vertreter eines
Gläubigers oder Schuldners tätig werden will. Nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichts kann ein Wohnsitzerfordernis für Erwerbstätigkeiten,
die unter dem Schutz von Art. 31 BV stehen, nur statuiert werden, wenn
es aufgrund besonderer Umstände als unabdingbar erscheint. Derartige
Umstände wurden namentlich für Rechtsanwälte (BGE 80 I 152; 65 I 6), Ärzte
(BGE 67 I 198), Zahnärzte (BGE 83 I 254), Chiropraktoren (BGE 80 I 15),
Installateure (BGE 88 I 68), Hersteller von Grabmälern (BGE 80 I 127)
und Taxichauffeure (BGE 99 Ia 394), aber auch für Geschäftsagenten (BGE
71 I 254) verneint. Die Kantone haben zwar ein gerechtfertigtes Interesse
daran, die Tätigkeit dieser Personen zu regeln und zu überwachen, doch
vermag das ein Wohnsitzerfordernis nicht zu begründen. Eine entsprechende
Überwachung ist ohne weiteres möglich durch die Kontrolle der im Kanton
selber ausgeübten Tätigkeit. Soweit für die Beurteilung der Fähigkeit und
Vertrauenswürdigkeit des Bewilligungsinhabers auch die ausserkantonale
Tätigkeit von Bedeutung ist, so vermag sich der Bewilligungskanton
darüber ohne weiteres ins Bild zu setzen, sei es durch Auflagen, die dem
Bewilligungsinhaber gemacht werden, sei es gegebenenfalls auf dem Weg der
interkantonalen Rechtshilfe. Die Auffassung, dass ein Wohnsitzerfordernis
in der Regel eine unverhältnismässige Beschränkung der Handels-
und Gewerbefreiheit darstellt, wird nicht nur in der Rechtsprechung
vertreten, sondern auch von der herrschenden Lehre geteilt (vgl. AUBERT,
Droit constitutionnel suisse, Bd. II, Nr. 1891; SALADIN, Grundrechte
im Wandel, 2. Aufl., S. 217, 222; MARTI, Die Wirtschaftsfreiheit der
schweizerischen Bundesverfassung, S. 105, 54 ff.; HOTZ, Zur Notwendigkeit
und Verhältnismässigkeit von Grundrechtseingriffen, Diss. Zürich 1977,
S. 97, 112; SCHÜRMANN, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 50).

Erwägung 3

    3.- Wie bereits erwähnt, hat das Bundesgericht schon in BGE 71 I
255 entschieden, dass ein Wohnsitzerfordernis als Voraussetzung für die
Betätigung als Geschäftsagent unverhältnismässig sei und gegen Art. 31
BV verstosse. Soweit jener Entscheid auf Art. 31 BV Bezug nahm, befasste
er sich freilich nur mit jener von Geschäftsagenten häufig ausgeübten
Tätigkeit, die nicht unter Art. 27 Abs. 1 SchKG fällt und die Beratung
und nicht gerichtliche Vertretung von Privaten bei Rechtsgeschäften
oder in sonstigen, rechtliche Interessen berührenden Angelegenheiten
umfasst. Hinsichtlich der gewerbsmässigen Vertretung der Gläubiger
vor den Betreibungsbehörden nahm das Bundesgericht in seiner damaligen
Rechtsprechung nämlich an, dass Art. 27 SchKG den Kantonen verwehre,
die Tätigkeit von Geschäftsagenten mit ausserkantonalem Wohnsitz zu
regeln, und zwar selbst dann, wenn diese innerkantonal tätig wurden und
Gläubiger mit Wohnsitz im Kanton vertraten (BGE 52 III 107; vgl. auch 53
I 397). Das Bundesgericht gab diese Auslegung von Art. 27 SchKG in der
Folge auf (BGE 92 III 49; vgl. auch 95 I 332; 103 Ia 49). Das heisst
aber nicht, dass die Kantone die Bewilligung der unter Art. 27 SchKG
fallenden Tätigkeit nunmehr an die Bedingung knüpfen könnten, dass der
betreffende Geschäftsagent im Kanton Wohnsitz habe. Vielmehr gelten auch
in bezug auf diese Tätigkeit die in BGE 71 I 255 angestellten Erwägungen,
dass ein Wohnsitzerfordernis unverhältnismässig ist und gegen Art. 31 BV
verstösst. Insoweit ist jener Entscheid durch die spätere Änderung der
Rechtsprechung nicht berührt worden.