Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 V 44



105 V 44

11. Urteil vom 20. Februar 1979 i.S. Keller AG gegen Ausgleichskasse des
Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich Regeste

    Art. 1 AlVB umschreibt den Kreis der Beitragspflichtigen und die
Ausnahmen von der Beitragspflicht abschliessend.

Sachverhalt

    A.- Die Keller AG ist der Ausgleichskasse des Kantons Zürich
angeschlossen und hat dieser die paritätischen AHV/IV/EO-Beiträge zu
entrichten. Am 6. Juli 1977 gab die Firma der Kasse für das 2. Quartal 1977
eine beitragspflichtige Lohnsumme von Fr. ... an. Gleichzeitig teilte sie
der Kasse mit, sie weigere sich, Beiträge an die Arbeitslosenversicherung
zu entrichten, weil der gegenwärtig einzige Arbeitnehmer zugleich
Mehrheitsaktionär der Firma sei und als solcher keinen Anspruch
gegenüber der Arbeitslosenversicherung habe. Am 29. Juli 1977 erliess
die Ausgleichskasse eine beschwerdefähige Verfügung, mit welcher sie die
Firma verpflichtete, zusätzlich zu den geschuldeten AHV/IV/EO-Beiträgen
0,8% Beiträge an die Arbeitslosenversicherung auf der für die Zeit vom
1. April bis 30. Juni 1977 angegebenen Lohnsumme zu bezahlen.

    B.- Gegen diese Verfügung beschwerte sich die Keller AG mit der
Begründung, ihr Arbeitnehmer J. Keller sei gegen Arbeitslosigkeit nicht
versichert. Der Beitragspflicht stehe kein Leistungsanspruch gegenüber,
weshalb sich die Unterstellung unter die Beitragspflicht als willkürlich
erweise.

    Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich wies die Beschwerde mit der
Feststellung ab, die Voraussetzungen der Beitragspflicht nach Art. 1 AlVB
seien erfüllt. Mit dieser Bestimmung werde abschliessend umschrieben,
wer Beiträge an die Arbeitslosenversicherung zu entrichten habe und
wer von der Beitragspflicht befreit sei. Davon könne nicht abgewichen
werden, auch wenn J. Keller gemäss Art. 31 Abs. 1 lit. c AlVV keinen
Leistungsanspruch gegenüber der Arbeitslosenversicherung habe. Im übrigen
gelte der Ausschluss von der Anspruchsberechtigung praktisch nur für eine
allfällige Teilarbeitslosigkeit (Entscheid vom 21. Oktober 1977).

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die
Keller AG, Mehrheits- und Alleinaktionäre seien entweder als Arbeitnehmer
mit vollen Rechten und Pflichten in die Arbeitslosenversicherung
aufzunehmen oder den Selbständigerwerbenden gleichzustellen und aus der
Versicherung auszuschliessen. In der Begründung wird geltend gemacht,
die Regelung gemäss AlVB verstosse gegen die Rechtsgleichheit, indem der
Mehrheits- und Alleinaktionär bei der Leistungsberechtigung gegenüber
andern Versicherten benachteiligt sei.

    Die Ausgleichskasse beantragt Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Während sich das Bundesamt für Industrie,
Gewerbe und Arbeit eines Antrages enthält, nimmt das Bundesamt für
Sozialversicherung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde materiell nicht
Stellung.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 1 Abs. 1 AlVB hat Beiträge an die
Arbeitslosenversicherung zu entrichten, wer gemäss AHVG obligatorisch
versichert ist, für Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit
beitragspflichtig ist und von einem Arbeitgeber nach lit. b der Bestimmung
entlöhnt wird (lit. a) und wer nach Art. 12 AHVG als Arbeitgeber
beitragspflichtig ist (lit. b). Von der Beitragspflicht ausgenommen
sind die Arbeitnehmer, die ihre Beiträge an die AHV mit Beitragsmarken
entrichten, und deren Arbeitgeber (Art. 1 Abs. 2 AlVB). Die Beiträge an
die Arbeitslosenversicherung sind laut Art. 2 Abs. 1 AlVB vom massgebenden
Lohn im Sinne der AHV-Gesetzgebung zu entrichten, höchstens jedoch von
monatlich Fr. 3900.-- je Arbeitsverhältnis. Der Beitrag beläuft sich auf
0,8% des massgebenden Lohnes und ist von Arbeitnehmer und Arbeitgeber je
zur Hälfte zu tragen (Art. 3 Abs. 1 AlVB). Dabei zieht der Arbeitgeber den
Beitragsanteil des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung ab und entrichtet
ihn zusammen mit seinem eigenen Anteil der zuständigen AHV-Ausgleichskasse
(Art. 4 AlVB).

Erwägung 2

    2.- Gemäss dieser Ordnung richtet sich die Beitragspflicht in der
Arbeitslosenversicherung grundsätzlich nach derjenigen in der AHV. Nicht
jeder Arbeitnehmer im Sinne des AHVG ist jedoch auch anspruchsberechtigt
gegenüber der Arbeitslosenversicherung (vgl. insbesondere Art. 11 AlVB
und Art. 31 AlVV). Ein Arbeitnehmer kann daher beitragspflichtig sein,
obschon er möglicherweise von vorneherein nicht anspruchsberechtigt ist,
falls er arbeitslos wird. In der Botschaft des Bundesrates zur Einführung
der obligatorischen Arbeitslosenversicherung vom 11. August 1976 wird
hierauf nicht ausdrücklich hingewiesen. Es geht daraus aber hervor,
dass möglichst rasch eine Übergangsordnung getroffen werden wollte mit
den beiden Hauptelementen eines Versicherungsobligatoriums und einer
tragfähigen Finanzierung (BBl 1976 II 1597 ff.). Um die Erfassung der
Versicherungspflichtigen und den Beitragsbezug ohne Schwierigkeiten und
ohne zusätzlichen Verwaltungsapparat bewerkstelligen zu können, wurde
dieser den AHV-Organen übertragen, was eine völlige Übereinstimmung im
Kreis der Beitragspflichtigen der beiden Versicherungszweige voraussetzte
(aaO, S. 1602). Auf dem Gebiet der Leistungen wurden die Änderungen auf
das unbedingt Notwendige beschränkt, und es wurde davon abgesehen,
die Anspruchsberechtigung in jedem Fall mit der Beitragspflicht
in Einklang zu bringen (aaO, S. 1604 ff.). Das Parlament ist diesen
Grundsätzen gefolgt. Dabei wurde in Zusammenhang mit der Beitragspflicht
mitarbeitender Familienglieder in der Landwirtschaft auf die sich hieraus
ergebenden Probleme hingewiesen, ohne dass in der Folge jedoch näher darauf
eingetreten wurde (vgl. Sten. Bull. SR 1976 S. 335/36). Es muss daher
davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die bestehenden Unebenheiten
zwischen Beitragspflicht und Anspruchsberechtigung bewusst in Kauf genommen
hat. Die Gesetzesmaterialien bestätigen somit, was sich bereits aus dem
Wortlaut des Gesetzes ergibt, dass nämlich unter Vorbehalt von Art. 1
Abs. 2 AlVB sämtliche AHV-beitragspflichtigen Arbeitnehmer auch der
Pflicht zur Beitragsleistung an die Arbeitslosenversicherung unterstehen.

Erwägung 3

    3.- Nach dem Gesagten ist der Auffassung der Vorinstanz beizupflichten,
wonach Art. 1 AlVB den Kreis der Beitragspflichtigen und die Ausnahmen
von der Beitragspflicht abschliessend umschreibt. Es steht ferner fest,
dass mit Bezug auf den vorliegenden Fall keine vom Richter auszufüllende
Gesetzeslücke angenommen werden darf. Zwar kann eine selbständige
richterliche Rechtsfindung ausnahmsweise auch dann erfolgen, wenn die
Gesetzesauslegung zu offensichtlich unhaltbaren Ergebnissen führt, die
sich mit der Rechtsordnung nicht vereinbaren lassen (BGE 101 V 190,
EVGE 1968 S. 108). So verhält es sich hier jedoch nicht, weil das
Ergebnis der Gesetzesauslegung zumindest als vertretbar erscheint. Der
Gesetzgeber hat denn auch in andern Bereichen der Sozialversicherung
Personen der Beitragspflicht unterstellt, die nicht in den Genuss von
Versicherungsleistungen gelangen (vgl. Art. 27 in Verbindung mit Art. 1
EOG sowie die Antwort des Bundesrates auf die Einfache Anfrage Gautier
vom 22. August 1978, Sten. Bull. NR 1978 S. 1476).

    Dazu kommt, dass J. Keller keineswegs zum vorneherein vom Bezug von
Arbeitslosenentschädigungen ausgeschlossen ist. Nicht anspruchsberechtigt
sind die im Betrieb einer juristischen Person tätigen Beitragspflichtigen
nur, wenn sie deren Beschlüsse in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter,
Mitglieder oder Aktionäre, insbesondere infolge ihrer Kapitalbeteiligung,
bestimmen oder massgeblich zu beeinflussen vermögen (Art. 31 Abs. 1 lit. c
AlVV). Dieser Ausschlussgrund gilt nur so lange, als der bestimmende
Einfluss auf die juristische Person tatsächlich ausgeübt werden kann (BGE
104 V 201). Werden solche Versicherte durch Verlust ihrer Stellung im
Betrieb (beispielsweise zufolge Liquidation der Firma) ganz arbeitslos,
so sind sie grundsätzlich anspruchsberechtigt, wobei ihre Tätigkeit im
Betrieb als beitragspflichtige Beschäftigung im Sinne von Art. 9 Abs. 2
AlVB und Art. 12 AlVV angerechnet wird (vgl. ARV 1977 S. 23 sowie Antwort
des Bundesrates auf die Einfache Anfrage Augsburger vom 5. Oktober 1977,
Sten. Bull. NR 1977 S. 1741). Der Ausschluss von der Anspruchsberechtigung
beschränkt sich praktisch somit auf den Fall der Teilarbeitslosigkeit. Umso
eher erscheint das Ergebnis der Gesetzesauslegung im vorliegenden Fall
als vertretbar.

    Im übrigen ist es dem Richter verwehrt, Bundesgesetze und allgemein
verbindliche Bundesbeschlüsse auf Übereinstimmung mit der Verfassung zu
prüfen (Art. 113 Abs. 3 und Art. 114bis Abs. 3 BV). Zu mehr als einer
möglichst verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes besteht kein
Raum. Dabei kann auch dem Grundsatz der Rechtsgleichheit nur Rechnung
getragen werden, soweit Wortlaut und Sinn einer Bestimmung es zulassen
(vgl. BGE 99 Ia 636). Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die
gesetzliche Regelung vorgebracht wird, erweist sich daher als unbehelflich.

Erwägung 4

    4.- Es ist unbestritten, dass J. Keller Arbeitnehmer der
Beschwerdeführerin ist und für seine Tätigkeit AHV-beitragspflichtigen
Lohn im Sinne von Art. 5 Abs. 2 AHVG bezieht. Sein Verdienst unterliegt
daher der Beitragspflicht gemäss Art. 1 ff. AlVB. Eine Ausnahme von der
Beitragspflicht im Sinne von Art. 1 Abs. 2 AlVB ist nicht gegeben. Die
angefochtene Kassenverfügung, welche in masslicher Hinsicht nicht
bestritten wird, besteht folglich zu Recht.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.