Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 V 19



105 V 19

5. Auszug aus dem Urteil vom 11. Januar 1979 i.S. Keist gegen
Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons
Zürich Regeste

    Art. 12 Abs. 1 IVG. Voraussetzungen der Gewährung medizinischer
Massnahmen an Minderjährige mit schweren psychischen Leiden; Rz 52 des
Kreisschreibens über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen (gültig
seit 1. Januar 1979) ist gesetzeskonform.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

    Ausgleichskasse und Rekurskommission haben mit Recht festgestellt,
dass beim Beschwerdeführer kein Geburtsgebrechen vorliegt, so dass
Kostengutsprache für die Psychotherapie, welcher sich der Beschwerdeführer
seit Mai 1975 unterzieht, gestützt auf Art. 13 IVG zum vorneherein nicht
in Betracht kommt. Das wird übrigens in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
auch gar nicht bestritten.

    Der Rechtsdienst leitet den geltend gemachten Anspruch denn auch
ausschliesslich aus Art. 12 Abs. 1 IVG ab. Nach dieser Bestimmung hat
ein Versicherter Anspruch auf medizinische Massnahmen, die nicht auf die
Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die berufliche
Eingliederung gerichtet und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit dauernd
und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung
zu bewahren. Um Behandlung des Leidens an sich geht es in der Regel
bei der Heilung oder Linderung labilen pathologischen Geschehens. Die
Invalidenversicherung übernimmt im Prinzip nur solche medizinische
Vorkehren, die unmittelbar auf die Beseitigung oder Korrektur stabiler
oder wenigstens relativ stabiler Defektzustände oder Funktionsausfälle
hinzielen und welche die Wesentlichkeit und Beständigkeit des angestrebten
Erfolges gemäss Art. 12 Abs. 1 IVG voraussehen lassen.

    Bei nichterwerbstätigen Minderjährigen können medizinische Vorkehren
schon dann überwiegend der beruflichen Eingliederung dienen und trotz des
einstweilen noch labilen Leidenscharakters von der Invalidenversicherung
übernommen werden, wenn ohne diese Vorkehren eine Heilung mit Defekt oder
ein sonstwie stabilisierter Zustand einträte, welcher die Berufsbildung
oder die Erwerbsfähigkeit oder beide wahrscheinlich beeinträchtigen würde
(unveröffentlichtes Urteil vom 12. Dezember 1978 i.S. Rösch). In diesem
Sinne werden die Kosten der psychiatrischen Behandlung Minderjähriger
von der Invalidenversicherung getragen, wenn das psychische Leiden
mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem schwer korrigierbaren,
die spätere Ausbildung und Erwerbsfähigkeit erheblich behindernden
oder gar verunmöglichenden stabilen pathologischen Zustand führen
würde. Umgekehrt kommen medizinische Massnahmen der Invalidenversicherung
auch bei Minderjährigen nicht in Betracht, wenn sich solche Vorkehren
gegen psychische Krankheiten richten, welche nach heutiger Erkenntnis
der medizinischen Wissenschaft ohne kontinuierliche Behandlung nicht
dauerhaft gebessert werden können. Dies trifft in der Regel unter anderem
bei Schizophrenien zu (BGE 100 V 44; EVGE 1969 S. 230; unveröffentlichte
Urteile vom 12. Dezember 1978 i.S. Rösch und vom 2. Mai 1977 i.S. Rivier).

    Die Voraussetzungen für die Gewährung von medizinischen Massnahmen
an Minderjährige sind nach der Verwaltungspraxis unter anderem erfüllt
bei schweren psychischen Leiden, sofern nach intensiver fachgerechter
Behandlung von 360 Tagen Dauer keine genügende Besserung erzielt wurde
und gemäss spezialärztlicher Feststellung bei einer weiteren Behandlung
erwartet werden darf, dass sich der drohende Defekt mit seinen negativen
Wirkungen auf die Berufsausbildung und Erwerbsfähigkeit ganz oder in
wesentlichem Ausmass verhindern lässt (siehe Rz 6 der bundesamtlichen
Richtlinien vom 11. Januar 1974 betreffend die medizinische Abklärung und
die Leistungen der Invalidenversicherung bei psychischen Krankheiten von
Minderjährigen, Rz 35 b des vom 1. Januar 1977 an gültigen Nachtrages 2
zum Kreisschreiben über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen und
Rz 52 des neuen, seit 1. Januar 1979 gültigen Kreisschreibens über die
medizinischen Eingliederungsmassnahmen). Diese Verwaltungspraxis hält
sich im Rahmen des Gesetzes.

    Die dargelegten Voraussetzungen müssen in dem für die Beurteilung des
Leistungsanspruches massgebenden Zeitpunkt, d.h. bei Erlass der streitigen
Verfügung, erfüllt sein.