Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 V 13



105 V 13

4. Urteil vom 26. Januar 1979 i.S. Trupp gegen Schweizerische
Ausgleichskasse und Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland
wohnenden Personen Regeste

    Ziff. 9a aa des Schlussprotokolls zum österreichisch-schweizerischen
Abkommen vom 15. November 1967 über die Soziale Sicherheit (betreffend
Art. 23 lit. a des Abkommens). Als versichert im Sinne der schweizerischen
Rechtsvorschriften gelten nicht nur Personen, die im Zeitpunkt des
Versicherungsfalles eine österreichische Pension beziehen, sondern auch
diejenigen, die Anspruch auf eine österreichische Pension haben.

Sachverhalt

    A.- Franz Trupp, geb. 1919, österreichischer Staatsangehöriger,
arbeitete seit 1954 bei Bauunternehmungen in der Schweiz und leistete die
entsprechenden Beiträge an die schweizerische Sozialversicherung. Bis
15. Dezember 1972 konnte er voll arbeiten. Nachdem er die Weihnachtsferien
in Österreich verbracht hatte, meldete er sich am 8. Januar 1973 krank. Dr.
med. T. stellte Silikotuberkulose III und cor pulmunale fest, weshalb Trupp
nicht mehr in der Lage sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt die Hälfte
des Normalverdienstes zu erzielen (Gutachten vom 9./25. Oktober 1974). Bis
zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses am 31. Mai 1973 erhielt er vom
Arbeitgeber noch den vollen Lohn. Danach entrichtete ihm die Schweizerische
Gewerbekrankenkasse Taggelder bis zum 28. Februar 1975. Seit 31. Mai 1974
bezieht er eine österreichische Invaliditätspension.

    Mit Verfügung vom 15. September 1975 wies die Schweizerische
Ausgleichskasse das am 4. Juni 1975 gestellte Rentengesuch ab mit der
Begründung, Franz Trupp sei bei Eintritt des Versicherungsfalles
am 10. Dezember 1973 (360 Tage nach der Krankmeldung) weder
nach Massgabe des schweizerischen Rechts noch nach Massgabe des
schweizerisch-österreichischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom
15. November 1967 versichert gewesen.

    B.- Dagegen erhob Franz Trupp Beschwerde und beantragte sinngemäss
Zusprechung einer Invalidenrente.

    Die Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen
wies die Beschwerde mit Entscheid vom 31. Mai 1978 ab. Zur Begründung
wurde im wesentlichen geltend gemacht, dass Franz Trupp im massgebenden
Zeitpunkt (10. Dezember 1973) nach dem innerstaatlichen schweizerischen
Recht nicht versichert gewesen sei, weil er damals nicht mehr in der
Schweiz gewohnt und gearbeitet habe. Sodann könne er auch im Sinne des
schweizerisch-österreichischen Abkommens über Soziale Sicherheit nicht als
versichert gelten. Nach Ziff. 9a aa des Schlussprotokolls zum erwähnten
Abkommen gelte als versichert, wer eine österreichische Pension bei
Eintritt des Versicherungsfalles (10. Dezember 1973) beziehe. Da Trupp
erst ab 31. Mai 1974 eine österreichische Pension erhalten habe, erfülle
er diese Voraussetzung nicht. Ebensowenig erfülle er die Voraussetzungen
der Ziff. 9a bb des Schlussprotokolls, wonach Personen, die Krankengeld
eines (österreichischen) Versicherungsträgers beziehen, als versichert
gelten; im kritischen Zeitpunkt habe er lediglich Krankengelder von einer
schweizerischen Versicherungskasse erhalten.

    C.- Gegen diesen Entscheid führt Franz Trupp
Verwaltungsgerichtsbeschwerde und erneuert sein Rechtsbegehren. Im
wesentlichen macht er geltend, dass es sich bei der Silikose, an der er
leide, um eine Berufskrankheit handle, die langsam entstanden sei und
die im heutigen Ausmass eine Dauerinvalidität zur Folge habe. Daher sei
es gerechtfertigt, den Beginn des Versicherungsfalles auf den Zeitpunkt
des Eintritts der Invalidität (8. Januar 1973) festzulegen. Zu dieser
Zeit sei er noch versichert gewesen, da sein Arbeitgeber den Lohn bis zum
31. Mai 1973 ausbezahlt habe. Der angefochtene Entscheid widerspreche dem
Willen des Gesetzgebers; er sei in höchstem Masse ungerecht und stelle eine
Diskriminierung der Ausländer dar. Schliesslich führt der Beschwerdeführer
aus, dass auch Leistungen der schweizerischen Krankenkassen als solche
im Sinne der Ziff. 9a bb des Schlussprotokolls zu betrachten seien.

    Die Schweizerische Ausgleichskasse beantragt Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung dagegen
stellt den Antrag auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
und Rückweisung der Akten an die Verwaltung zum Erlass einer neuen
Verfügung. Die Begründung ergibt sich, soweit notwendig, aus den
Erwägungen.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 6 Abs. 1 IVG haben nur jene Personen Anspruch auf
Leistungen der schweizerischen Invalidenversicherung, die bei Eintritt
der Invalidität versichert sind. Wann die Invalidität als eingetreten
zu gelten hat und in welchem Zeitpunkt ein allfälliger Rentenanspruch
entsteht, bestimmt sich auch bei österreichischen Staatsangehörigen
nach innerstaatlichem schweizerischem Recht. Im vorliegenden Fall ist
der Vorinstanz darin beizupflichten, dass der Beginn eines allfälligen
Rentenanspruches sich nach der 2. Variante des Art. 29 Abs. 1 IVG
richtet, d.h. dass ein allfälliger Rentenanspruch erst nach Ablauf
einer Wartefrist von 360 Tagen entsteht. Denn - entgegen der Auffassung
des Beschwerdeführers - stellt die Silikose ein labiles pathologisches
Krankheitsgeschehen dar, so dass von einer Dauerinvalidität nicht die
Rede sein kann.

    Somit ist ein allfälliger Rentenanspruch am 10. Dezember 1973,
eventuell erst am 3. Januar 1974 eingetreten, je nachdem ob davon
ausgegangen wird, der Beschwerdeführer habe bereits am 15. Dezember
1972 (wie die Vorinstanz annimmt) oder erst am 8. Januar 1973 (wie der
Beschwerdeführer behauptet) krankheitsbedingt seine Erwerbstätigkeit
einstellen müssen. Diese Frage kann jedoch offengelassen werden.

Erwägung 2

    2.- Ein Rentenanspruch ist nur gegeben, wenn der Beschwerdeführer am
10. Dezember 1973 bzw. 3. Januar 1974 versichert war.

    a) Dies beurteilt sich, da der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt
weder in der Schweiz Wohnsitz hatte noch hier eine Erwerbstätigkeit
ausübte, nach dem schweizerisch-österreichischen Abkommen über Soziale
Sicherheit vom 15. November 1967, in Kraft seit 1. Januar 1969. Nach
dessen Art. 23 lit. a gelten österreichische Staatsangehörige hinsichtlich
des Anspruches auf ordentliche Renten auch dann als versichert im Sinne
der schweizerischen Rechtsvorschriften, wenn sie "im Zeitpunkt des
Versicherungsfalles in der österreichischen Pensions(Renten)versicherung
versichert sind". In Ziff. 9 des Schlussprotokolls zu diesem Abkommen
wurde Art. 23 lit. a wie folgt erläutert:

    "a) Bei Anwendung des Buchstabens a gelten als Versicherte auch
Personen,

    aa. die eine Pension (Rente) wegen geminderter Arbeitsfähigkeit
   (dauernder Erwerbsunfähigkeit) beziehen, sofern der Anspruch auf Grund
   österreichischer Versicherungszeiten allein oder auf Grund einer

    Zusammenrechnung von Versicherungszeiten nach Artikel 17 Absatz 1 des

    Abkommens besteht..."

    Wie unbestritten feststeht, erhielt der Beschwerdeführer erst
ab 31. Mai 1974 eine Invaliditätspension im Sinne von Ziff. 9a aa
des Schlussprotokolls, d.h. nach dem massgebenden Zeitpunkt des
schweizerischen Versicherungsfalles (10. Dezember 1973 bzw. 3. Januar
1974).

    b) Das Bundesamt für Sozialversicherung macht in seiner Vernehmlassung
geltend, Ziff. 9a aa des Schlussprotokolls sei so auszulegen, dass
nicht nur der faktische Bezug einer Rente, sondern auch der tatsächlich
bestehende Anspruch auf eine solche zur Erfüllung der Versicherungsklausel
genüge. Damit stellt sich die Frage der Auslegung der Ziff. 9a aa des
Schlussprotokolls.

    Die Auslegung eines Staatsvertrages hat in erster Linie vom
Vertragstext auszugehen. Erscheint dieser klar und ist seine Bedeutung, wie
sie sich aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch sowie aus Gegenstand und Zweck
des Übereinkommens ergibt, nicht offensichtlich sinnwidrig, so kommt eine
über den Wortlaut hinausgehende ausdehnende bzw. einschränkende Auslegung
nur in Frage, wenn aus dem Zusammenhang oder der Entstehungsgeschichte
mit Sicherheit auf eine vom Wortlaut abweichende Willenseinigung der
Vertragsstaaten zu schliessen ist (BGE 103 V 170, 97 V 36, 97 I 365,
96 I 648).

    An sich ist der Text von Ziff. 9a aa des Schlussprotokolls klar. Es
gelten alle Personen als versichert, die eine (österreichische)
Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit beziehen. Es stellt sich
die Frage, ob man auch jene Personen erfassen wollte, die zwar noch
keine Leistung beziehen, aber doch darauf Anspruch haben. Das Bundesamt
für Sozialversicherung nimmt an, dass es sich bei der Redaktion des
Schlussprotokolls um eine ungenügende Präzisierung des Parteiwillens
gehandelt habe. Zur Begründung verweist es auf die entsprechende Regelung
im schweizerisch-deutschen Abkommen über Soziale Sicherheit, das einige
Jahre vor dem Vertrag mit Österreich abgeschlossen wurde (29. Mai
1964). Dessen Art. 19 über die schweizerische Versicherungsklausel
habe sich als zu eng gefasst erwiesen und habe nicht den Absichten der
Vertragsparteien entsprochen. Es sei daher notwendig gewesen - ähnlich wie
im Abkommen mit Österreich - präzisere Umschreibungen für jene Tatbestände
zu geben, die für die Erfüllung der schweizerischen Versicherungsklausel
berücksichtigt werden sollten. Dies sei in dem am 9. September 1975
abgeschlossenen Zusatzabkommen zum schweizerisch-deutschen Abkommen
über die Soziale Sicherheit geschehen, womit unter anderem Ziff. 10 des
Schlussprotokolls zum Abkommen ergänzt wurde. So sei eine neue Nummer 10
f eingefügt worden, worin festgehalten werde:

    "Als der deutschen Rentenversicherung im Sinne des Artikels 19 Absatz 1
   des Abkommens angehörend gelten deutsche Staatsangehörige,

    a)...

    b)...

    c) wenn sie eine Versichertenrente aus der deutschen Rentenversicherung
   beziehen oder Anspruch auf eine solche haben, oder..."
Wörtlich hält das Bundesamt für Sozialversicherung fest: "Bei der
Diskussion zum Tatbestand "Bezug einer Rente" stellte sich heraus, dass in
Anbetracht der verhältnismässig kurzen Fristen zur Geltendmachung eines
Anspruches im deutschen (wie übrigens auch im österreichischen) Recht
eine weitere Verfeinerung notwendig war. So wurde denn auch der Umstand,
dass im massgebenden Zeitpunkt der Anspruch auf eine Versichertenrente
bestand, zur Erfüllung der Versicherungsklausel als genügend erachtet."

    Wenn man mit dem Bundesamt für Sozialversicherung davon ausgeht, dass
das schweizerisch-österreichische und das schweizerisch-deutsche Abkommen
(in der Fassung des Zusatzabkommens) gleichartig sind - eine Tatsache,
die, wie das Bundesamt für Sozialversicherung erwähnt, von grundlegender
Bedeutung für das zur Zeit vor dem Parlament liegende Dachabkommen
zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Liechtenstein, Österreich
und der Schweiz (BBl 1978 II 1572 ff.) gewesen sei -, so muss Ziff.
9a aa des Schlussprotokolls zum schweizerisch-österreichischen Abkommen
in dem Sinne ausgelegt werden, dass nicht nur der effektive Bezug einer
österreichischen Pension, sondern bereits auch der Anspruch als solcher
zur Begründung des schweizerischen Versicherungsfalles genügt.

Erwägung 3

    3.- Nach dem Gesagten ist somit zu prüfen, ob der Beschwerdeführer im
Zeitpunkt des Versicherungsfalles (10. Dezember 1973 bzw. 3. Januar 1974)
Anspruch auf eine österreichische Pension hatte.

    Angaben hierüber enthält lediglich die Vernehmlassung des
Bundesamtes für Sozialversicherung, das festhält: "Telefonische
Rückfragen beim Hauptverband der österreichischen Versicherungsträger
in Wien haben ergeben, dass der Beschwerdeführer zwar erst seit 31. Mai
1974 eine österreichische Invalidenpension erhält, weil der Anspruch
nach österreichischem Recht verspätet geltend gemacht worden war und
deshalb die Leistung erst ab Antragsdatum zu gewähren war. Grundsätzlich
war indessen ein Leistungsanspruch schon in dem Zeitpunkt entstanden,
da Franz Trupp seine Erwerbstätigkeit aufgab, d.h. im Januar 1973." Damit
allein lässt sich jedoch die Frage, wann der österreichische Rentenanspruch
begann, nicht zuverlässig beurteilen, zumal diese Angaben bloss auf einer
telefonischen Rückfrage beruhen. Die Sache ist daher zur Abklärung dieser
Frage an die Verwaltung zurückzuweisen, die gestützt darauf über den
schweizerischen Rentenanspruch neu zu verfügen hat...

Entscheid:

       Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen,
dass der Entscheid der Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland
wohnenden Personen vom 31. Mai 1978 und die Verfügung der Schweizerischen
Ausgleichskasse vom 15. September 1975 aufgehoben werden. Die Sache wird
an die Verwaltung zurückgewiesen, damit diese, nach erfolgter Abklärung
im Sinne der Erwägungen, neu verfüge.