Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IV 92



105 IV 92

25. Urteil des Kassationshofes vom 22. Mai 1979 i.S. S. gegen
Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 93ter Abs. 2 StGB, Art. 7 VStGB; Einweisung in eine Anstalt
für Nacherziehung.

    Solange eine solche Anstalt nicht besteht, ist die ausnahmsweise
Einweisung in eine Strafanstalt zulässig (Erw. 2 und 5). Die Einweisung
darf, wenn sie unvermeidbar ist, direkt von der urteilenden Instanz
verfügt werden (Erw. 3a). Die Notwendigkeit psychiatrischer Behandlung
ist kein Grund zum Verzicht auf die Einweisung (Erw. 3b), der Vollzug in
der Strafanstalt kein Grund zur Herabsetzung der gesetzlichen Mindestdauer
der Massnahme (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- S., geboren 1960, bereitete im Elternhaus, in der Schule und in den
verschiedenen Erziehungsheimen, in denen er sich aufhielt, ausserordentlich
grosse Schwierigkeiten.

    Am 15. November 1978 wurde er von der Jugendstrafkammer Basel-Stadt
wegen Delikten, die er von den Erziehungsanstalten Aarburg und Tessenberg
aus beging, der schweren Körperverletzung mit Todesfolge, des Raubes, des
wiederholten Diebstahls, der Hehlerei, der wiederholten Sachbeschädigung,
des Hausfriedensbruchs, der Nötigung sowie der wiederholten,
z.T. versuchten Entwendung eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch schuldig
erklärt und gemäss Art. 91 Ziff. 2 StGB in Verbindung mit Art. 93ter
Abs. 2 StGB (sowie Art. 7 der Verordnung zum StGB) in die Strafanstalt
Bostadel eingewiesen. Gleichzeitig ordnete die Jugendstrafkammer gemäss
Art. 92 StGB eine besondere Behandlung an.

    B.- Die gegen dieses Urteil gerichtete Beschwerde wies der Ausschuss
des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt durch Urteil vom
26. Februar 1979 ab.

    Das Appellationsgericht stellt fest, dass S. einer Massnahme bedürfe
und dass die Jugendstrafkammer zu Recht gestützt auf das psychiatrische
Gutachten Art. 91 Ziff. 2 StGB für anwendbar erachtet habe. Aus den
bisherigen Erfahrungen ergebe sich, dass S. in einem Erziehungsheim
für Jugendliche untragbar sei und dass auch eine Plazierung in einem
Therapieheim nicht zu verantworten wäre; er sollte daher gemäss Art. 93ter
Abs. 2 StGB in einer Anstalt für Nacherziehung untergebracht werden. Da
Tessenberg für S. wegen der gemachten Erfahrungen ausser Betracht falle,
stehe keine dem Art. 93ter Abs. 2 StGB entsprechende Institution zur
Verfügung. Die Jugendstrafkammer habe S. daher ohne Gesetzesverletzung
gestützt auf Art. 7 der Verordnung zum StGB in eine Strafanstalt
einweisen können;, diese Anordnung werde auch im psychiatrischen Gutachten
befürwortet.

    C.- Gegen das Urteil des Ausschusses des Appellationsgerichtes und
den Entscheid der Jugendstrafkammer führt S. beim Kassationshof des
Bundesgerichtes Nichtigkeitsbeschwerde. Zur Begründung wird geltend
gemacht:

    a) Eine jugendrechtliche Massnahme, erst noch verbunden mit einer
besondern Behandlung gemäss Art. 92 StGB, könne in der Strafanstalt
Bostadel nicht vollzogen werden.

    b) Eine Massnahme sei aber nur dann anzuordnen, wenn sie tatsächlich
vollzogen werden könne.
   c) Die Möglichkeit der Einweisung eines Jugendlichen in
eine Strafanstalt sei vom Gesetzgeber bei der Revision des
Jugendstrafrechts ausdrücklich abgelehnt worden. Art. 7 der Verordnung
zum schweizerischen StGB erscheine daher als sehr fragwürdig.

    d) Aber selbst nach dem Wortlaut dieser Bestimmung könne der
Beschwerdeführer nicht in einer Strafanstalt untergebracht werden; denn
Voraussetzung sei, dass der Betroffene keiner heilpädagogischen Betreuung
und keiner psychiatrischen Behandlung bedürfe. S. sei aber im Sinne von
Art. 92 StGB behandlungsbedürftig und könne daher schon aus diesem Grund
nicht in eine Anstalt für Nacherziehung und folglich auch nicht in eine
Strafanstalt eingewiesen werden.

    e) Wenn es nicht möglich sei, eine geeignete Massnahmevollzugsanstalt
zu finden, so sei der Beschwerdeführer gemäss Art. 95 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
zu bestrafen.

    f) Sollte die Einweisung in die Strafanstalt Bostadel bestätigt werden,
so sei für diese Sanktion eine Mindestdauer von einem Jahr festzulegen;
denn diese Mindestdauer gelte für alle Massnahmen ausser der Einweisung
in ein Erziehungsheim gemäss Art. 91 Ziff. 2 StGB; die Mindestdauer von
einem Jahr müsse auch bei der direkten Einweisung in eine Strafanstalt
zur Anwendung kommen.

    D.- Appellationsgericht und Jugendanwaltschaft haben auf die
Einreichung einer Vernehmlassung verzichtet. Sie beantragen die Abweisung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer ist massnahmebedürftig. Mit der
Nichtigkeitsbeschwerde wird an sich die Anwendung von Art. 91 Ziff. 2
StGB nicht angefochten. Eine blosse Bestrafung im Sinne von Art. 95 StGB
konnte nach der Vorgeschichte und der Schwere der begangenen Straftaten
von vornherein nicht in Betracht fallen.

    Auch gegen die Anordnung einer besondern Behandlung gemäss Art. 92
StGB wird nichts vorgebracht. Die Anordnung einer Erziehungsmassnahme
gemäss Art. 91 Ziff. 2 verbunden mit der besondern Behandlung gemäss
Art. 92 StGB ist im Grunde unbestritten. Die Beschwerde richtet sich
gegen den konkreten Vollzug der jugendstrafrechtlichen Massnahmen durch
die gerichtliche Einweisung in die Strafanstalt Bostadel.

Erwägung 2

    2.- Dem Beschwerdeführer ist zuzugestehen, dass der Gesetzgeber die
Unterbringung Jugendlicher in einer Strafanstalt zu vermeiden bestrebt
war. Bei der letzten Teilrevision (BG vom 18. März 1971) wurde die
Bestimmung, dass Jugendliche in Strafanstalten versetzt werden können
(frühere Fassung von Art. 93 Abs. 2 StGB), gestrichen und eine stärkere
Differenzierung der Institutionen für Jugendliche (Erziehungsheim,
Arbeitserziehungsanstalt, Therapieheim, Anstalt für Nacherziehung)
vorgesehen (zur Entstehungsgeschichte vgl. M. BOEHLEN, Kommentar zum
schweiz. Jugendstrafrecht, N. 2 ff. zu Art. 93ter).

    Im vorliegenden Fall musste die zuständige Behörde gestützt auf die
Misserfolge früherer Unterbringungen in Erziehungsheimen davon ausgehen,
dass die Einweisung in ein Erziehungsheim für Jugendliche von vornherein
nicht in Betracht komme. Für den im Zeitpunkt der erstinstanzlichen
Beurteilung schon über 18 Jahre alten S. musste aus zwingenden praktischen
Gründen die jugendstrafrechtliche Heimeinweisung entweder durch die
Unterbringung in einer Arbeitserziehungsanstalt gemäss Art. 93bis
Abs. 2 StGB oder durch Einweisung in eine Anstalt für Nacherziehung
gemäss Art. 93ter Abs. 2 StGB vollzogen werden. Gestützt auf die
Erfahrungen und das Ergebnis der psychiatrischen Begutachtung kam die
Jugendstrafkammer ohne Überschreitung ihres Ermessens zum Schluss, der
recht gefährliche und zur Flucht neigende Beschwerdeführer sei nicht
in eine offene Arbeitserziehungsanstalt einzuweisen, sondern müsse in
einer geschlossenen Institution untergebracht werden. Eine eigentliche
Anstalt für Nacherziehung, wie sie das Strafgesetzbuch in Art. 93ter
Abs. 2 vorsieht, gibt es bis jetzt noch nicht. In den Anstalten von
Aarburg und Tessenberg, welche unter den vorhandenen Einrichtungen für
Jugendliche noch am ehesten als vorläufiger Ersatz für die fehlende
Institution im Sinne von Art. 93ter Abs. 2 in Erwägung zu ziehen
wären, hat sich der Beschwerdeführer in den letzten Jahren bereits ohne
erzieherischen Erfolg aufgehalten (Aarburg 5.4.1976-27.12.1976, Tessenberg
30.6.1977-15.5.1978). Aus beiden Anstalten ist er wiederholt entwichen
und hat delinquiert.

    Art. 7 der bundesrätlichen Verordnung zum Schweizerischen
Strafgesetzbuch gestattet bis zur Schaffung einer Anstalt für
Nacherziehung die Einweisung eines Jugendlichen, der in keinem der
vorhandenen Heime tragbar ist, in eine Strafanstalt. Diese Notlösung
für die Übergangszeit kann sich auf Ziff. II des Bundesgesetzes vom
18. März 1971 betreffend Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches
stützen. Diese Vorschrift verpflichtet die Kantone, die infolge der
Teilrevision des StGB erforderlichen Anstaltsreformen spätestens innert
zehn Jahren nach Inkrafttreten der neuen Bestimmungen durchzuführen, und
ermächtigt den Bundesrat, für die Zwischenzeit die nötigen Anordnungen
zu treffen. Besonders schwierige Jugendliche, die wegen des hohen Grades
ihrer Gefährlichkeit oder Schwererziehbarkeit weder in ein Erziehungsheim,
noch in ein Therapieheim, noch in eine Arbeitserziehungsanstalt gehören,
können selbstverständlich bis zur Schaffung der Anstalt für Nacherziehung
nicht einfach von jeder Massnahme befreit und lediglich einer Bestrafung
(Einschliessung bis zu einem Jahr) unterworfen werden. Indem der
Bundesrat vorläufig die Unterbringung in einer Strafanstalt gestattet hat,
überschritt er das ihm für die Gestaltung der Übergangszeit zustehende
Ermessen nicht, sondern traf für diese schwierigsten Fälle die kurzfristig
einfach nicht vermeidbare Lösung.

Erwägung 3

    3.- Ist somit von der Gesetzmässigkeit des Art. 7 VStGB auszugehen,
so bleibt noch zu prüfen, ob im vorliegenden Fall ein spezieller Grund
gegen die Unterbringung in einer Strafanstalt spricht.

    a) Nach dem Wortlaut von Art. 93ter Abs. 2 StGB erfolgt die Versetzung
in eine Anstalt für Nacherziehung (und folglich auch die vorläufig
an deren Stelle tretende Strafanstalt) nicht durch die urteilende,
sondern durch die vollziehende Behörde. Der Gesetzgeber ging also
davon aus, dass das Jugendgericht zunächst im Urteil die Einweisung
in ein Erziehungsheim anordne und dass erst Schwierigkeiten im Vollzug
unter Umständen zur nachträglichen Versetzung gemäss Art. 93ter Abs. 2
(wie auch gemäss Art. 93bis und Art. 93ter Abs. 1) StGB führen. Wenn
aber - wie im vorliegenden Fall - aufgrund konkreter Erfahrungen mit
vorangehenden Erziehungsmassnahmen und aufgrund eines jugendpsychiatrischen
Gutachtens angenommen werden muss, dass die notwendige Massnahme in keinem
der vorhandenen Erziehungsheime vollzogen werden kann, dann verstösst es
nicht gegen Art. 93ter Abs. 2 StGB, dass die urteilende Instanz selber
den sich aufdrängenden praktischen Schluss zieht und direkt die nicht
vermeidbare Unterbringung in einer Strafanstalt verfügt.

    b) Für den Beschwerdeführer wurde noch eine psychiatrische Behandlung
als besondere Behandlung im Sinne von Art. 92 StGB angeordnet. Vom Sinn und
Zweck des Art. 92 her lässt sich nichts Stichhaltiges dagegen anführen,
dass eine besondere Behandlung mit der Einweisung in eine der speziellen
Institutionen der Art. 93bis und 93ter StGB kombiniert wird. Auch wenn die
psychiatrische Behandlung während eines Aufenthaltes in der Strafanstalt
Bostadel mit Schwierigkeiten verbunden sein mag, so verstösst es auf jeden
Fall nicht gegen Bundesrecht, dass das Jugendgericht dem Jugendlichen,
den es in einer Strafanstalt unterbringen muss, gemäss Art. 92 die
für notwendig erachtete psychiatrische Betreuung zu sichern sucht. Die
Notwendigkeit einer psychiatrischen Behandlung ist kein Grund, um auf die
Unterbringung in der Strafanstalt zu verzichten, wenn nach den gesamten
Umständen eine Internierung als unumgänglich erscheint und eine andere
Unterbringung zur Zeit nicht möglich ist.

Erwägung 4

    4.- Dass der Beschwerdeführer nach dem Grad seiner
Schwererziehbarkeit unter Art. 91 Ziff. 2 StGB zu subsumieren ist,
wird in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht ernstlich bestritten. Eine
Massnahme mit einer Mindestdauer von zwei Jahren ist daher angezeigt. Der
Umstand, dass die Erziehungsmassnahme wegen der aufgrund der bisherigen
Erfahrungen zu befürchtenden, ausserordentlichen Schwierigkeiten in einer
Strafanstalt durchgeführt werden muss, bildet selbstverständlich keinen
Grund für eine Herabsetzung der gesetzlichen Mindestdauer. Der in der
Nichtigkeitsbeschwerde vertretenen gegenteiligen Auffassung fehlt die
sachliche Begründung.

Erwägung 5

    5.- Der Vollzug einer jugendstrafrechtlichen Massnahme in einer
Strafanstalt soll auch in der Übergangszeit eine Ausnahme bilden. Sobald
sich nach der Entwicklung des Beschwerdeführers oder nach der Ausgestaltung
des Anstaltswesens in der Schweiz eine andere Lösung verantworten lässt,
wird die zuständige Behörde die Versetzung in eine freier geführte
Institution (Arbeitserziehungsanstalt) zu prüfen haben. Nach dem jetzigen
Stand erweisen sich aber alle vorgebrachten Rügen als unbegründet.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.