Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IV 82



105 IV 82

23. Urteil des Kassationshofes vom 13. Juni 1979 i.S. F. gegen
Regierungsrat des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 42 Ziff. 4 Abs. 1 StGB.

    Die nach Beginn des Vollzugs der Verwahrung wegen Flucht ins Ausland
ausgestandene Auslieferungshaft ist auf die dreijährige Mindestdauer der
Verwahrung gemäss Art. 42 Ziff. 4 Abs. 1 StGB anzurechnen.

Sachverhalt

    A.- Am 7. Februar 1977 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich
F. zu drei Jahren Zuchthaus abzüglich 345 Tage Untersuchungshaft. Anstelle
des Vollzugs der Freiheitsstrafe ordnete das Gericht die Verwahrung
nach Art. 42 StGB an. Die Massnahme wird in der Strafanstalt Lenzburg
vollzogen mit formellem Beginn ab 28. Februar 1976 (Berücksichtigung
der Untersuchungshaft).

    F. kehrte von einem ihm in der Zeit vom 26. bis 28. August 1977
gewährten Urlaub nicht mehr in die Anstalt zurück. Er wurde am 9. September
1977 verhaftet. Von einem zweiten Urlaub kehrte er am 14. April 1978
wiederum nicht zurück, sondern begab sich ins Ausland. Er konnte
am 30. Mai 1978 in Las Palmas auf den Kanarischen lnseln verhaftet
werden. Bis zum Rücktransport am 15. Dezember 1978 befand er sich
in Auslieferungshaft. Seit dem 18. Dezember 1978 ist F. wieder im
Massnahmenvollzug in der Strafanstalt Lenzburg.

    B.- Am 23. Januar 1979 stellte F. das Gesuch, er sei auf den
28. Februar 1979 bedingt zu entlassen, da in diesem Zeitpunkt die in
seinem Fall drei Jahre ausmachende Mindestdauer der Verwahrung ablaufe;
die Fluchttage vom 28. August bis zum 9. September 1977 und vom 14. April
bis zum 30. Mai 1978 sowie die erlittene Auslieferungshaft seien auf die
Mindestdauer der Verwahrung voll anzurechnen.

    Die Direktion der Justiz des Kantons Zürich verfügte am 2. Februar
1979, die insgesamt 58 Fluchttage und die in Spanien ausgestandene
Auslieferungshaft von 198 Tagen seien auf die Mindestdauer der Verwahrung
nicht anzurechnen, und sie trat auf das Gesuch um bedingte Entlassung,
da verfrüht, zur Zeit nicht ein.

    Gegen diese Verfügung erhob F. Rekurs beim Regierungsrat des Kantons
Zürich. Er beantragte, die Auslieferungshaft von 198 Tagen sei auf
die Mindestdauer der Verwahrung anzurechnen; die Nichtanrechnung der
58 Fluchttage blieb unangefochten. Der Regierungsrat wies den Rekurs am
14. März 1979 ab.

    C.- F. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Hauptantrag,
der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Zürich sei aufzuheben
und es sei festzustellen, dass dem Beschwerdeführer die in spanischen
Gefängnissen ausgestandene Auslieferungshaft von 198 Tagen an die im
Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 7. Februar 1977 angeordnete
Verwahrung anzurechnen sei, so dass die dreijährige Mindestdauer gemäss
Art. 42 Ziff. 4 Abs. 1 StGB am 27. April 1979 ablaufe.

    D.- Namens des Regierungsrates des Kantons Zürich erstattete der
Direktor der Gesundheits- und Fürsorgedirektion eine Vernehmlassung mit
dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.

    E.- Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement beantragt in
seiner Vernehmlassung, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei insofern
gutzuheissen, als die erstandene Auslieferungshaft auf die Mindestdauer
der Verwahrung anzurechnen sei. Dies wird im wesentlichen damit begründet,
dass die Auslieferungshaft den Sicherungszweck ebenfalls erfülle und dass
eine Nichtberücksichtigung der Auslieferungshaft im Ergebnis zu einer
unzulässigen, im Gesetz nicht vorgesehenen Bestrafung der Flucht führe.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Zu entscheiden ist einzig die Rechtsfrage, ob die wegen einer
Flucht während des Vollzugs der Verwahrung im Ausland ausgestandene
Auslieferungshaft auf die dreijährige Mindestdauer der Verwahrung
gemäss Art. 42 Ziff. 4 Abs. 1 StGB anzurechnen sei. Darüber, ob der
Beschwerdeführer die übrigen Voraussetzungen der bedingten Entlassung
aus dem Massnahmenvollzug erfülle, ist hier nicht zu befinden.

Erwägung 2

    2.- Im angefochtenen Entscheid wird die im Gesetz nicht ausdrücklich
beantwortete Frage der Anrechnung der von einem geflüchteten Verwahrten
ausgestandenen Auslieferungshaft in analoger Anwendung von Art. 69
StGB beurteilt; die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer vor, er habe
durch seine Flucht nach Spanien die Auslieferungshaft selber verursacht
und daher könne diese Haft auf die Mindestdauer der Verwahrung nicht
angerechnet werden, auch nicht teilweise, da die Auslieferungshaft nicht
durch aussergewöhnliche, mit der Flucht in keinem Kausalzusammenhang
stehende Umstände verlängert worden sei.

    Diese Argumentation verstösst gegen Bundesrecht. Der Regierungsrat
verkennt insbesondere die Bedeutung der völlig verschiedenen Zwecke
von Freiheitsstrafe und Verwahrung für die Frage der Anrechnung der
Auslieferungshaft.

    a) Die Untersuchungshaft soll verhindern, dass der Gang der
Strafverfolgung durch den Angeschuldigten gestört wird. Den Interessen
der Strafverfolgung dient auch die Auslieferungshaft, welche, soweit
die Anwendung von Art. 69 StGB in Frage steht, der Untersuchungshaft
gleichgestellt wird (BGE 97 IV 160 mit Verweisungen, 102 Ib 252). Die
Freiheitsstrafe dagegen soll erziehend auf den Gefangenen einwirken und
ihn auf den Wiedereintritt in das bürgerliche Leben vorbereiten (Art. 37
Ziff. 1 StGB). Wenn trotz dieser völlig verschiedenen Zwecke und trotz
der sehr unterschiedlichen Möglichkeiten zur Besserungseinwirkung
die Untersuchungs- und die Auslieferungshaft gemäss Art. 69 StGB
grundsätzlich auf die Freiheitsstrafe angerechnet werden sollen, so
geschieht dies einzig aus Gründen der Billigkeit. Wer indessen durch ein
ihm nach rechtsstaatlich vertretbaren Verfahrensgrundsätzen vorwerfbares
Verhalten (s. BGE 103 IV 10, 102 IV 157) die Untersuchungs- oder die
Auslieferungshaft herbeigeführt oder verlängert hat, verdient diese
Billigkeitsmassnahme nicht; solches Verhalten wird gemäss Art. 69 StGB
mit der Nichtanrechnung der Untersuchungs- bzw. Auslieferungshaft geahndet.

    b) Für die hier zu entscheidende Frage der Anrechnung der
Auslieferungshaft auf die dreijährige Mindestdauer der Verwahrung gemäss
Art. 42 Ziff. 4 Abs. 1 StGB treffen diese Erwägungen nicht zu.

    Zweck der Verwahrung ist in erster Linie die Sicherung
der Öffentlichkeit vor unverbesserlichen und sozialgefährlichen
Rückfallverbrechern. Zwar wird man auch beim Vollzug der Verwahrung
die Resozialisierung anstreben (BGE 87 IV 4, 84 IV 148), doch die
Grundlage dieser Massnahme liegt nicht in der allenfalls erhofften
Besserungswirkung, sondern im Sicherungszweck, in der Verhütung weiterer
Delikte durch Internierung. Auf Überlegungen der Sicherung beruht
vor allem auch die dreijährige Mindestdauer der Verwahrung, die somit
vom Gesetzgeber im Unterschied zu der in Art. 94 Ziff. 1 und 100ter
Ziff. 1 StGB festgelegten Mindestdauer nicht etwa im Interesse einer
wirksamen erzieherischen Beeinflussung des Täters (dessen Erziehbarkeit
gar nicht Voraussetzung der Verwahrung ist, BGE 84 IV 148) und auch
nicht, wie die Mindestdauer von zwei Dritteln der Strafzeit, zum Zwecke
der angemessenen Sühne bestimmt wurde. Würde es sich um die für einen
bestimmten Resozialisierungsversuch notwendige Mindestdauer handeln, so
käme die Anrechnung eines Freiheitsentzugs ausserhalb des eigentlichen
Massnahmenvollzugs von vorneherein nicht in Frage. Nachdem aber dieser
Gesichtspunkt ausser Betracht fällt und das Gesetz mit der vom Strafmass
und damit vom Verschulden des Täters völlig unabhängigen Limite von drei
Jahren lediglich ein zeitliches Minimum der erstrebten Sicherung der
Öffentlichkeit festlegt, kann, sofern das Gesetz dies nicht verbietet,
auf diese Mindestdauer nach der ratio legis grundsätzlich jede Internierung
angerechnet werden, welche den Sicherungszweck in gleichem Masse erreicht
wie die Verwahrung. In diesem Sinne schreibt denn auch Art. 42 Ziff. 4
Abs. 1 i.f. StGB die Berücksichtigung der auf die Freiheitsstrafe
angerechneten Untersuchungshaft vor, und nach der Rechtsprechung ist auch
die bereits erfolgte Verbüssung einer Freiheitsstrafe auf die Mindestdauer
der Verwahrung anzurechnen (BGE 87 IV 5 E. 3 b; zur früheren Praxis des
Bundesrates über die Berücksichtigung anderer Internierungsarten vgl. VEB
26.72, 27.84, 29.107, sowie V. KURT, ZStR 69/1954, S. 80 ff.).

    Auch die Auslieferungshaft im Ausland hindert den Täter an der
Verübung weiterer Delikte. Sie erfüllt den Zweck der Sicherung ebensogut
wie die Verwahrung. Es ist daher sachgerecht, die Auslieferungshaft auf
die dreijährige Mindestdauer der Verwahrung anzurechnen, unabhängig davon,
ob und inwieweit der Verwahrte die Auslieferungshaft verschuldet hat.

    c) Das Gesetz enthält keine Vorschrift, welche dieser nach dem
Zweck der Massnahme sich aufdrängenden Betrachtungsweise entgegenstehen
würde. Art. 40 StGB, auf den sich der Regierungsrat beruft, bezieht sich
auf Freiheitsstrafen, nicht auf Massnahmen, und regelt das heikle Problem,
wann der Aufenthalt in einer Heil- oder Pflegeanstalt auf die Strafzeit
anzurechnen sei. Aus dieser Bestimmung lässt sich daher für die hier zu
beantwortende Frage nichts entnehmen.

Erwägung 3

    3.- Es wird somit festgestellt, dass die Auslieferungshaft auf die
gesetzliche Mindestdauer von 3 Jahren anzurechnen ist. Das bedeutet,
dass eine bedingte Entlassung aus der Verwahrung nicht mehr ausgeschlossen
ist, sobald die Internierung unter Berücksichtigung der Auslieferungshaft
gesamthaft drei Jahre gedauert hat. Ob die bedingte Entlassung dann zu
gewähren sei, hängt von der Prognose ab, die von der zuständigen Behörde im
konkreten Fall unter Berücksichtigung der gesamten Umstände mit Einschluss
der Flucht zu stellen ist. Darüber ist im vorliegenden Verfahren nicht
zu befinden. Ebensowenig ist hier zu untersuchen, wie es sich verhält,
wenn die Mindestdauer der Verwahrung nicht drei Jahre, sondern zwei
Drittel der Strafdauer ausmacht. Für dieses nicht vom Sicherungszweck,
sondern von der verwirkten Schuldstrafe her bestimmte Minimum treffen
die dargelegten Argumente nicht ohne weiteres zu.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird festgestellt,
dass die nachgewiesene Auslieferungshaft auf die gesetzliche Mindestdauer
von drei Jahren anzurechnen ist.