Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IV 7



105 IV 7

2. Urteil des Kassationshofes vom 9. Januar 1979 i.S. A. gegen Schweiz.
Bundesanwaltschaft, Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und Eidg. Finanz-
und Zolldepartement (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    1. Verfolgungsverjährung. Prozessvoraussetzung oder
materiellrechtlicher Strafaufhebungsgrund? (Frage offen gelassen)
(Erw. 1a).

    2. Art. 2 und 337 StGB. Grundsatz der Nichtrückwirkung des strengeren
neuen Verjährungsrechts. Die strengere Verjährungsvorschrift des
rev. Art. 52 AFG kann nicht unter Berufung auf Art. 106 VStrR angewendet
werden (Erw. 1b).

    3. Aus dem Offizial- und Legalitätsprinzip folgt nicht, dass die
Verfolgung aller Schuldigen eine Prozessvoraussetzung sei und daher
ein Angeklagter nicht verurteilt werden dürfe, wenn nicht alle weiteren
vermutlich Schuldigen verfolgt werden (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Bank X. wirkte von etwa Mitte 1971 bis Mitte 1972 als
Depotbank für die Y. AG, ohne hierzu die Bewilligung im Sinne von
Art. 41 des Bundesgesetzes über die Anlagefonds vom 1. Juli 1966 (AFG;
SR 951.31) zu besitzen. Von 1968 bis 14. März 1972 war A. Delegierter
des Verwaltungsrates und Direktor der Bank.

    B.- Mit Strafverfügung vom 9. November 1976 büsste das Eidg. Finanz-
und Zolldepartement A. gestützt auf Art. 49 Ziff. 1 Abs. 1 AFG wegen
vorsätzlicher Ausübung der Tätigkeit als Depotbank ohne Bewilligung
der Aufsichtsbehörde mit Fr. 2000.--. Auf sein Begehren um gerichtliche
Beurteilung sprach ihn der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich
am 1. Dezember 1977 der fortgesetzten fahrlässigen Übertretung von Art. 49
Ziff. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 49 Ziff. 2 AFG schuldig und bestrafte
ihn mit einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 1'000.--.

    Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte das Urteil berufungsweise
am 15. Juni 1978.

    Eine dagegen eingereichte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde hat das
Kassationsgericht des Kantons Zürich am 9. Oktober 1978 abgewiesen,
soweit es darauf eingetreten ist.

    C.- Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt A., das Urteil
des Obergerichts aufzuheben und die Sache an dieses zurückzuweisen. Er
beruft sich auf Verjährung und hält das Legalitätsprinzip für verletzt,
weil die Mitschuldigen nicht verfolgt worden seien. Bundesanwaltschaft
und Eidg. Finanz- und Zolldepartement beantragen Abweisung der Beschwerde,
die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichtet auf Gegenbemerkungen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz hat die Verjährung verneint. Sie geht von der
Annahme aus, die Verfolgungsverjährung sei eine Prozessvoraussetzung,
die mangels einer schutzbedürftigen Vertrauensposition des Täters dem
Rückwirkungsverbot nicht unterliege (SCHÖNKE-SCHRÖDER, Kommentar, §
2 N. 8). Der Anwendung der neuen schärferen Verjährungsvorschrift des
Art. 52 Abs. 2 AFG gemäss dem Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht
vom 22. März 1974 (VStrR) stehe daher nichts entgegen. Nach Art. 106
Abs. 1 VStrR sei dieses Gesetz anwendbar, wenn die Strafverfügung erst
nach Inkrafttreten des VStrR ergangen sei. Das treffe hier zu, ist doch die
Strafverfügung erst am 9. November 1976 erfolgt, während das VStrR schon
auf den 1. Januar 1975 in Kraft gesetzt worden ist (BRB vom 25. November
1974, AS 1974 S. 1938).

    a) Ob die Verfolgungsverjährung eine Prozessvoraussetzung oder ein
materiellrechtlicher Strafaufhebungsgrund ist, ist umstritten. In BGE 76 IV
127 wurde beiläufig und ohne Begründung erwähnt, die Verfolgungsverjährung
sei prozessrechtlicher Natur.

    Ob an dieser Auffassung festzuhalten ist, braucht nicht entschieden
zu werden. Denn selbst wenn man in der Verfolgungsverjährung eine
Prozessvoraussetzung sähe, müsste die intertemporale Frage nach
Art. 337 StGB entschieden werden, welcher das neue Verjährungsrecht nur
zurückwirken lässt, wenn es für den Täter das mildere ist. Damit wird
die Regel des Art. 2 StGB für die Verjährung (wie in Art. 339 StGB für
den Strafantrag) ausdrücklich bestätigt und die Frage nach der Natur
der Verfolgungsverjährung unerheblich. Aus dem gleichen Grunde geht
der Verweis auf die deutsche Literatur fehl. Das Rückwirkungsverbot
will verhindern, dass der Gesetzgeber nachträglich die Lage des Täters
verschlimmern kann.

    b) Um die Anwendung der strengeren Verjährungsvorschrift des
rev. Art. 52 AFG zu begründen, beruft sich die Vorinstanz zu Unrecht
auf Art. 106 VStrR. Diese Vorschrift ist in Abs. 1 lediglich eine
prozessuale Übergangsbestimmung für den Fall, wo während der Hängigkeit
des Verfahrens die Verfahrensvorschriften ändern und sich dann die Frage
stellt, ob vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Verfahrensrechtes
an "das Strafverfahren... nach bisherigem Recht fortgesetzt" oder nach
den Vorschriften des neuen Prozessrechtes weitergeführt werden soll,
also um eine Übergangsvorschrift, wie sie beispielsweise Art. 171 OG, 87
Abs. 3 BZP und Art. 81 VwG und auch zahlreiche kantonale Rechte enthalten
(z.B. Zürcher Gesetz über die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes
usw. vom 30. Juni 1974 Art. VI Ziff. 2 und 3; Tessiner CPP Art. 296;
Genfer CPP Art. 383; Berner StrV Art. 398; vgl. auch LEONE, Istituzioni
di diritto processuale penale, Bd. 1 S. 24). Die besondere Frage aber,
wie es sich intertemporal mit der Verjährung verhält, wollte damit nicht
beantwortet werden. Um eine vom allgemeinen Recht abweichende Regel zu
schaffen, hätte es einer ausdrücklichen Vorschrift bedurft. Eine solche
enthält aber Art. 106 VStrR weder im ersten noch im zweiten Absatz. Da
das Verwaltungsstrafrecht für die Verjährung keine Übergangsvorschrift
enthält (auch nicht in Art. 11 VStrR, der die Verjährung regelt), bleiben
über Art. 2 VStrR die allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches
und damit auch Art. 2 und 337 StGB massgebend. Es ist nicht einzusehen,
weshalb von diesem Grundsatz der Nichtrückwirkung des strengern neuen
Rechts hier abgewichen werden soll.

    c) Mit der von der Vorinstanz gegebenen Begründung kann daher
die Verfolgungsverjährung nicht verneint werden. Denn Mitte 1971 bis
Mitte 1972, als der Angeklagte die ihm vorgeworfene Tätigkeit ausübte,
war das Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht vom 22. März 1974
weder erlassen, geschweige denn in Kraft gesetzt. Folglich hatte die
Neufassung der Verjährung gemäss Art. 52 AFG nach Ziff. 21 des Anhangs
zum Verwaltungsstrafrecht noch keine Gesetzeskraft.

Erwägung 2

    2.- Aus einem andern Grunde muss die Verjährung indessen verneint
werden.

    a) In der ursprünglichen Fassung vom 1. Juli 1966 des
Anlagefondsgesetzes wurde die fahrlässige Betätigung als Depotbank mit
Busse bis zu Fr. 30'000.-- bestraft (Art. 49 Ziff. 2). Als Übertretung wäre
sie daher nach einem Jahr verjährt, bei Unterbrechung spätestens in zwei
Jahren (Art. 72 Ziff. 2, 109 und 333 StGB), sofern nicht schon damals die
längere Verjährungsfrist von zwei Jahren (bei Unterbrechung spätestens
in vier Jahren) des Art. 50 Ziff. 2 AFG (alte Fassung) gegolten haben
sollte. Geht man von diesen ursprünglichen Verjährungsvorschriften aus,
wäre die Verjährung der eingeklagten Tätigkeit, die spätestens Mitte 1972
endete, am 15. Juni 1978, als das angefochtene Urteil erging, tatsächlich
schon längst eingetreten gewesen.

    b) Am 1. Juli 1971 trat die Novelle vom 11. März 1971 zum Bankengesetz
in Kraft (AS 1971 S. 808, 822f., 824). Durch dieses Gesetz wurde die
bisherige Verjährungsvorschrift in Art. 50 Ziff. 2 AFG aufgehoben und unter
"C. Strafverfahren" in Art. 52 Abs. 3 AFG bestimmt: "Die Verfolgung von
Übertretungen verjährt in fünf Jahren. Die Verjährungsfrist kann durch
Unterbrechung nicht um mehr als die Hälfte hinausgeschoben werden."

    Diese Vorschrift war in Kraft, als der Beschwerdeführer für die Bank
X. von Mitte 1971 an die Funktion der Depotbank ausübte. Sie wurde durch
das Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht vom 22. März 1974, Anhang
Ziff. 21, nicht aufgehoben, vielmehr als Absatz 2 wörtlich in den sonst
umgestalteten Art. 52 AFG übernommen.

    c) Die ordentliche Verjährungsfrist von 5 Jahren wurde durch das
seit 1973 hängige Strafverfahren wiederholt unterbrochen. Die absolute
Verjährung von 7 1/2 Jahren seit Beendigung der fortgesetzten Tatbegehung
(März 1972, Ausscheiden als Delegierter des Verwaltungsrates und Direktor)
war noch nicht eingetreten, als am 15. Juni 1978 das Urteil der Vorinstanz
erging. Die Verfolgung ist daher nicht verjährt.

    Der Beschwerdeführer kann sich nicht auf die ursprüngliche
Fassung des Anlagefondsgesetzes berufen. Denn diese war, als sich der
Beschwerdeführer von Mitte 1971 bis März 1972 fortgesetzt verfehlte,
nicht mehr in Kraft. Das Verbot der Rückwirkung der neuen ungünstigeren
Verjährungsvorschriften im Sinne von Art. 337 StGB greift zwar nicht
ein. Doch ist das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verhalten nach dem
seit Beginn seiner fortgesetzten Tätigkeit gültigen Recht nicht verjährt.

Erwägung 3

    3.- Eine Verletzung des Legalitätsprinzips sieht der Beschwerdeführer
darin, dass nicht alle Verantwortlichen der Bank X. zur Rechenschaft
gezogen worden seien. Damit sei ein bundes- und rechtsstaatliches
Fundamentalprinzip verletzt worden. Das zuständige Finanz- und
Zolldepartement habe denn auch das Begehren gestellt, "die verantwortlichen
Organe der Fondsleitung und Depotbank" persönlich zu bestrafen. Analog zu
Art. 30 StGB fehle es, weil nicht gegen alle Verantwortlichen vorgegangen
worden sei, an einer Prozessvoraussetzung.

    Ob im Rahmen des Verwaltungsstrafrechts des Bundes das Offizial- und
Legalitätsprinzip herrscht, ist hier nicht zu entscheiden. Auch wenn es
gelten sollte, kann aus dem Legalitätsprinzip nicht abgeleitet werden,
dass die Verfolgung aller Schuldigen eine Prozessvoraussetzung ist mit
der Folge, dass ein Urteil gegen einen Angeklagten nicht ergehen darf,
wenn nicht gegen alle weiteren vermutlich Mitschuldigen das Strafverfahren
durchgeführt wird. Der Grundsatz der Unteilbarkeit im Sinne von Art. 30
StGB ist eine Sonderbestimmung, welche die Willkür des Antragstellers
ausschliessen will. Auf Offizialdelikte ist er nicht anwendbar. Ob
er, läge ein Antragsdelikt vor, verletzt wäre, ist daher nicht zu
prüfen. Eine generelle Prozessvoraussetzung, eventuell beschränkt auf das
Verwaltungsstrafrecht des Bundes, kann weder dem Gesetz noch anerkannten
Grundsätzen des Strafprozessrechtes entnommen werden. Eine solche
Regel würde die Verfolgung von Offizialdelikten oft unverhältnismässig
erschweren. Eine Verletzung von Bundesrecht im Sinne von Art. 269 Abs. 1
BStP ist nicht dargetan. Die Beschwerde ist deshalb abzuweisen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.