Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IV 66



105 IV 66

17. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. Februar 1979
i.S. A. und S. gegen Justiz- und Polizeidepartement des Kantons Wallis
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Verkehrsbeschränkungen auf einer Bergstrasse; Grundsatz der
Verhältnismässigkeit.

    1. Art. 3 Abs. 4 SVG und Art. 82 SSV verpflichten zur
Verhältnismässigkeit. Die Rüge, eine gestützt auf diese Bestimmungen
angeordnete Verkehrsbeschränkung verletze den Grundsatz der
Verhältnismässigkeit ist daher mit Nichtigkeitsbeschwerde vorzubringen
(Erw. 6b).

    2. Das vom Walliser Staatsrat für die Strecke Täsch-Zermatt erlassene
Verkehrsverbot mit Bewilligungsvorbehalt ist nicht unverhältnismässig
(Erw. 7).

Sachverhalt

    A.- Die Beschwerdeführer wurden mit Entscheiden des Staatsrates des
Kantons Wallis vom 9. November 1977 gemäss Art. 27 Abs. 1, 90 Ziff. 1
und 100 Ziff. 1 SVG sowie Art. 17 Abs. 1 lit. a SSV gebüsst, weil sie,
ohne im Besitz einer Sonderbewilligung zu sein, das am Ausgang des Dorfes
Täsch signalisierte Fahrverbot für Motorfahrzeuge in Richtung Zermatt
missachtet hatten.

    Mit Nichtigkeitsbeschwerden beantragen die Beschwerdeführer Aufhebung
des Bussenentscheids.

    In seinen Gegenbemerkungen hält der Staatsrat an den Bussenentscheiden
fest, ohne materiell zu den Beschwerden Stellung zu nehmen.

    B.- A. und S. hatten ein Gesuch um Sonderbewilligung gestellt und haben
den ablehnenden Entscheid des Staatsrates an den Bundesrat weitergezogen,
was den Kassationshof zum Aufschub der Entscheidung veranlasste.

    Mit Entscheiden vom 17. Januar 1979 hat der Staatsrat seine früheren
Entscheide vom 9. November 1977 aufgehoben, soweit darin die nachgesuchte
Verkehrsbewilligung verweigert wurde, und die Sonderbewilligung
grundsätzlich erteilt, die Bussenverfügungen aber nicht aufgehoben.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 6

    6.- a) In BGE 98 IV 137 E. 2b hat der Kassationshof entschieden,
der Grundsatz der Verhältnismässigkeit behördlicher Massnahmen beschlage
Verfassungsrecht. Seine Verletzung müsse daher mit staatsrechtlicher, nicht
mit Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemacht werden (Art. 269 Abs. 2 BStP).
Dies wurde in einem Falle ausgesprochen, wo der Beschwerdeführer behauptet
hatte, eine Vorschrift der eidgenössischen Lebensmittelverordnung verletze
die Handels- und Gewerbefreiheit.

    b) Hier hingegen verpflichten schon Art. 3 Abs. 4 SVG und Art. 82
SSV, also eidgenössisches Recht im Sinne von Art. 269 Abs. 1 BStP,
zur Verhältnismässigkeit. Damit hat ein Verfassungsgrundsatz im
Gesetzesrecht des Bundes seine konkrete Ausgestaltung und Anwendung auf
Verkehrsbeschränkungen gefunden und ist insoweit zu Bundesrecht im Sinne
dieser Bestimmung geworden. Daher ist die Nichtigkeitsbeschwerde gegeben.

    c) Nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit hat eine behördliche
Massnahme ihrem Zweck zu entsprechen, zu ihm in einem vernünftigen
Verhältnis zu stehen, insbesondere über das zu seiner Erreichung Nötige
nicht hinauszugehen (BGE 91 I 464, 97 I 508, 98 IV 137, 101 Ia 176). Bei
der Wahl der Massnahme steht der Behörde ein Ermessensspielraum
zu, und nur bei dessen Überschreitung kann der Strafrichter wegen
Rechtsverletzung eingreifen. Für die Nichtigkeitsbeschwerde kommt hinzu,
dass der Kassationshof auch bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit
von den von der Vorinstanz festgestellten tatsächlichen Verhältnissen
auszugehen hat (Art. 277bis Abs. 1 BStP).

Erwägung 7

    7.- Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz ist der Strassenabschnitt
Täsch-Zermatt noch nicht ausgebaut. Die Fahrbahn ist durchschnittlich 2,5
bis 3 m breit. Sie ist nur teilweise und schlecht asphaltiert und weist
vielfach Löcher auf. Die Strasse ist kurvenreich, besitzt unübersichtliche
Kreuzungsstellen und führt an abschüssigen Orten vorbei. Die Stützmauern
sind teilweise schadhaft. Diese Feststellungen sind tatsächlicher
Natur und binden den Kassationshof (Art. 277bis Abs. 1 BStP). Sie sind
weitgehend unbestritten. Verkehrsbeschränkungen sind auch nach Ansicht
der Beschwerdeführer notwendig, so hinsichtlich Gewicht und Masse
der zugelassenen Fahrzeuge, Geschwindigkeit und Verbot von Anhängern,
ausser Traktoren. Die Beschwerdeführer finden nur, das Fahrverbot gehe
zu weit. Es hätte genügt, zusätzlich an Stellen, wo das Kreuzen schwierig
ist, den alternierenden Einbahnverkehr einzuführen. Dann hätte von einem
allgemeinen Fahrverbot mit Bewilligungsvorbehalt abgesehen werden können.

    Der Staatsrat ist anderer Meinung. Er befürchtet, in den Wartestunden
des alternierenden Verkehrs würden sich, besonders in der Hochsaison,
lange Kolonnen bilden. Da das Kreuzen nicht überall möglich sei, müsste
dies zu Schwierigkeiten, wenn nicht zu Unfällen führen. Bei Freigabe
des Verkehrs fehlten vor dem autofreien Zermatt auch die erforderlichen
Parkierungsmöglichkeiten, dem mit blossen Projekten nicht abgeholfen sei.

    Diese Überlegungen verkehrstechnischer und ortsbezogener Natur
entsprechen Art. 3 Abs. 4 SVG. Sie halten sich im Rahmen des Ermessens,
das den Behörden, die für den Verkehr bei solchen Strassenverhältnissen
vor einem vielbesuchten Kurort verantwortlich sind, zugebilligt werden
muss. Es ist sehr wohl vertretbar, dass alternierender Einbahnverkehr
den bei Freigabe der Strecke Täsch-Zermatt zu erwartenden Verkehr nicht
hinreichend zu ordnen vermöchte.

    Das Verkehrsverbot mit Bewilligungsvorbehalt ist daher weder
rechtswidrig noch unverhältnismässig. Die Beschwerdeführer haben es durch
ihre unbewilligten Fahrten übertreten.

Erwägung 8

    8.- Die Bussen von Fr. 30.- je verbotene Fahrt sind nicht
übersetzt. Gemäss Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG von Strafe Umgang zu nehmen,
bestand kein zwingender Grund. Auch insoweit hat die Vorinstanz das
ihr bei der Strafzumessung nach Art. 63 StGB zustehende Ermessen nicht
überschritten. Das aber wäre für ein Eingreifen des Kassationshofes
notwendig gewesen.

Erwägung 9

    9.- Die Beschwerdeführer hatten zwar, im Widerspruch zum
Staatsratsbeschluss vom 7. Juli 1971, Anspruch auf Erteilung einer
Sonderbewilligung, wie aus dem Bundesratsentscheid vom 22. Februar
1978 in Sachen Sch. und W. und den Entscheiden des Staatsrates vom
17. Januar 1979 hervorgeht. Das schützt die Beschwerdeführer aber nicht
vor Strafe. Zur Zeit des Befahrens der Strasse Täsch-Zermatt waren sie
noch nicht im Besitz der Sonderbewilligung. Sie behaupten nicht einmal,
vor der Fahrt im Dezember 1975 ein solches Gesuch gestellt zu haben. Sie
machen vielmehr geltend, eine solche Sonderbewilligung von unbestimmter
Zeit hätten sie mangels Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen
(Ansässigkeit in den Gemeinden Zermatt, Täsch, Randa oder St. Niklaus)
nicht erlangen können. Dem Wiedererwägungsentscheid des Staatsrates
vom 17. Januar 1979 in Sachen A. ist zu entnehmen, dass dieser erst am
22. April 1976 um eine Sonderbewilligung nachgesucht hatte.

    Da aber die vom Staatsrat verfügte Fahrbeschränkung auf der Strasse
Täsch-Zermatt an sich rechtsbeständig war und jedes Befahren einer
Sonderbewilligung bedarf, machten sich die Beschwerdeführer strafbar,
als sie die Strasse ohne Bewilligung befuhren. Hielten sie dafür, die
Voraussetzungen für eine Sonderbewilligung seien im Staatsratsbeschluss zu
eng umschrieben, so hinderte sie das nicht, trotzdem ein entsprechendes
Gesuch zu stellen mit Angabe der Gründe, aus denen sie (mit Recht) eine
Sonderbewilligung ableiten konnten.