Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IV 48



105 IV 48

12. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. Januar 1979 i.S.
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden gegen W. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 286 StGB. Hinderung einer Amtshandlung. Begriff. Fall des
Einspruchs eines Bürgers gegen die Art des amtlichen Schneepflügens in
der Nähe seines Hauses.

Sachverhalt

                     Aus dem Sachverhalt:

    A.- b) S. war im Winter 1976/77 vom kantonalen Tiefbauamt Graubünden
beauftragt, jeweils den Schnee von der Kantonsstrasse bis zum Ende des
Dorfes Mutten wegzuräumen. Am Vormittag des 14. Januar 1977 fuhr er
mit dem Unimog-Schneepflug mehrmals durch Mutten. Als er mit dem Pflug
die Strasse oberhalb des Hauses von W. passieren wollte, trat dieser
auf die Strasse und sagte, er lasse nicht pflügen, er habe mit einem
Funktionär des Tiefbauamtes gesprochen. S. verzichtete vorerst darauf,
im Bereiche des Hauses W. zu pflügen, und setzte den Pflug erst wieder
rund 7 m nach der Liegenschaft des W. auf die Strasse. Nachdem S. jedoch
mit dem Gemeindepräsidenten gesprochen hatte, wurde die Strasse dennoch
ordnungsgemäss gepflügt.

    B.- Mit Urteil vom 15. Februar 1978, mitgeteilt am 29. August 1978,
sprach der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden W. von der Anklage
der Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286 StGB) frei, überband ihm aber
die Kosten.

    C.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt die Staatsanwaltschaft
des Kantons Graubünden, das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses sei
aufzuheben und die Akten seien zur Verurteilung im Sinne der Anklage an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Vorinstanz und der Angeklagte beantragen Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz hat den Beschwerdegegner vom zweiten Anklagepunkt
u.a. mit der Begründung freigesprochen, Art. 286 StGB könne nur dann zum
Zuge kommen, wenn der Täter aktiv werde und seine Tätigkeit eine gewisse
Intensität aufweise, die zu einer Behinderung einer Amtshandlung führe
(STRATENWERTH, BT II/2 289), und selbstverständlich nur dann, wenn der
betroffene Beamte aufgrund der besonderen Umstände nicht freiwillig auf
die Ausübung seiner Tätigkeit verzichte und wenn er nicht freiwillig
auf berechtigte Begehren des Betroffenen Rücksicht zu nehmen bereit
sei. Im vorliegenden Falle sei der Angeklagte wohl auf die Strasse und
vor den Schneepflug getreten, sodass S. vorerst habe anhalten müssen. Doch
dürften die engen örtlichen Verhältnisse und der Umstand nicht übersehen
werden, dass je nach Art des Vorgehens beim Pflügen die Schneemassen auf
die angrenzende Liegenschaft des Angeklagten hinuntergestossen würden und
ihm dadurch Unannehmlichkeiten bzw. bei der Schneeschmelze im Frühjahr gar
Schäden verursacht werden könnten. Der Angeklagte sei deshalb aus teilweise
begreiflichen Gründen aufgebracht gewesen und habe zu schreien begonnen. S.
habe vorerst nicht verstanden, was der Angeklagte wollte, und habe ihn
aufgefordert, zum Unimog zu treten. Dies habe der Angeklagte getan und
S. zu erklären versucht, warum er ein Pflügen in der Nähe seines Hauses
ohne Geradestellen des Pfluges (um zu verhindern, dass Schnee an sein Haus
hinuntergeschoben werde) nicht dulde. Nachdem S. die Gründe für den Protest
des Angeklagten erfahren habe, habe er ohne weiteres den Pflug gehoben und
sei weitergefahren. S. habe sich über den Vorfall wenig Gedanken gemacht
und habe ihn nicht allzu ernst genommen, sonst hätte er das Fahrzeug
gemäss dienstlicher Weisung stehen gelassen und die Polizei avisiert. Er
habe später den Gemeindepräsidenten getroffen, welcher ihn hiess, auch bei
W. zu pflügen und hierbei auch auf dessen Interessen entsprechend Rücksicht
zu nehmen. Diese Rücksicht habe S. bereits in Betracht gezogen gehabt. Die
von ihm verstandenen, berechtigten Interessen des Grundeigentümers hätten
die Haltung des W. nicht als Behinderung seiner Tätigkeit erscheinen
lassen. Der Angeklagte habe in der Folge, als er sehen konnte, dass man
seinem Begehren weitgehend entsprochen hatte, nichts mehr unternommen,
sondern habe die kantonalen Funktionäre ungehindert weiterarbeiten lassen.

    Der Angeklagte trat vor dem Pflug auf die Strasse und gab zu
verstehen, dass er nicht dulde, dass auf der Höhe seines Hauses gepflügt
werde. S. musste deshalb anhalten, war also in der Erfüllung der ihm
aufgetragenen öffentlichen Aufgabe gehindert. Das kann die Hinderung
einer Amtshandlung darstellen, muss es aber nicht notwendig. Die kurze
Behinderung sah die Vorinstanz in Auslegung des kantonalen Rechts nicht
als rechtswidrig an, weil der Angeklagte eine teilweise begründete
Beschwerde gegen das Pflügen vorzubringen hatte und sich daraus und auch
aus den engen örtlichen Verhältnissen eine vorübergehende Behinderung
der Tätigkeit ergab. Gegen diese Auffassung ist von Bundesrechts wegen
nichts einzuwenden. Es ist nicht einzusehen, wieso ein Bürger, der unter
entsprechenden Umständen durch die öffentliche Tätigkeit seine berechtigten
Interessen unmittelbar gefährdet glaubt, ohne dass zuvor die Sache
verbindlich entschieden wurde, nicht zunächst an den herantreten darf, der
diese Tätigkeit unmittelbar ausübt, und diesem seine Opposition erklären
darf. Es ist dann Sache des Beamten oder öffentlichen Angestellten, wie er
nach Rechtslage und gemäss den ihm erteilten Weisungen darauf reagieren
will. Findet er es angezeigt, nach Anhören der vorgebrachten Beschwerden
seine Tätigkeit zu unterbrechen, die Sache zum Entscheid der zuständigen
Stelle zu unterbreiten und deren weitere Weisungen abzuwarten, so liegt
darin keine strafbare Hinderung einer Amtshandlung. Anders verhält es sich,
wenn ein Beamter innerhalb seiner Amtsbefugnisse auf die Vorstellungen des
Bürgers nicht eingeht, seine amtliche Tätigkeit fortsetzen will und nun
daran gehindert wird. Das aber war hier nicht der Fall. S. entschloss
sich freiwillig, zunächst beim Hause des Angeklagten den Schnee nicht
wegzupflügen, um die Beschwerden dem Gemeindepräsidenten vorzutragen
und weitere Weisungen abzuwarten. Das war der Grund, beim Hause des
Angeklagten nicht weiterzupflügen, nicht etwa der Umstand, dass der
Angeklagte weiterhin vor dem Pflug stand; denn nun gab der Angeklagte
die Strasse frei, und S. hätte weiterpflügen können, wenn er gewollt hätte.

    Versuch wurde von der Vorinstanz nicht in Erwägung gezogen. Dieser
wäre nur gegeben, wenn der Angeklagte zum vornherein, als er vor den
Schneepflug trat, entschlossen gewesen wäre, die Strasse auch nach
der Verhandlung mit S. nicht zum Weiterpflügen freizugeben, obwohl in
Aussicht stand, seine berechtigten Interessen würden gewahrt werden. Das
aber hat die Vorinstanz nicht angenommen. Im Gegenteil stellt sie fest,
der Angeklagte habe später gegen das Pflügen bei seinem Hause nichts
eingewendet, nachdem er sah, seinen Einwänden werde, soweit sie begründet
waren, Rechnung getragen. Das spricht gegen die Annahme des Vorsatzes
zur Zeit der Tat. Eine Rückweisung der Sache ist daher nicht notwendig.