Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IV 41



105 IV 41

11. Urteil des Kassationshofes vom 16. Februar 1979 i.S. K. gegen Schweiz.
Bundesanwaltschaft und Generalprokurator-Stellvertreter des Kantons Bern
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 237 StGB.

    1. Auch ein Hubschrauberpilot, der im Gebirge abseits der üblichen
Routen fliegt, kann den öffentlichen Verkehr in der Luft stören (E. 2).

    2. Diese Bestimmung schützt den Passagier ohne Rücksicht auf seine
Beziehung zum Fahrzeugführer und unabhängig davon, ob das Transportmittel
ein öffentliches oder ein privates ist (E. 3). Bestätigung der
Rechtsprechung.

Sachverhalt

    A.- K. hatte am 22. Januar 1977, um 15.45 Uhr, auf dem Rückflug vom
Lauberhornrennen (Gemeinde Grindelwald) nach Schindellegi SZ, 750 m SSW des
Faulhorns auf 2380 m ü.M. mit dem von ihm pilotierten Helikopter Hughes
269 C für das Überqueren der Krete westlich des Faulhorns zu wenig Höhe
gewonnen. Er war deshalb gezwungen, nach rechts vom Hang wegzudrehen,
um die erforderliche Höhe gewinnen zu können. Der Hubschrauber sank
indessen infolge einer starken Luftströmung rasch gegen den Hang ab,
weshalb K. auf einem steil abfallenden Schneefeld unterhalb des Faulhorns
notlanden musste. Dabei überschlug sich der Helikopter vornüber und
kam völlig zerstört in einer Mulde zum Stillstand. Während K. mit dem
Schrecken davonkam, erlitten seine beiden Passagiere leichte Verletzungen;
nach ambulanter Behandlung konnten sie noch gleichentags aus dem Spital
entlassen werden. Sie stellten keinen Strafantrag wegen Körperverletzung.

    Nach dem Delegationsbeschluss der Bundesanwaltschaft und dem
Einspruch gegen das Strafmandat des Richteramtes I Interlaken sprach
der Gerichtspräsident I von Interlaken K. von der Anschuldigung der
fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs im Sinne von Art. 237
Ziff. 2 StGB frei, überband ihm aber die Kosten.

    Auf Appellation der Bundesanwaltschaft und Anschlussappellation des
K. zur Kostenfrage verurteilte die II. Strafkammer des Obergerichts des
Kantons Bern K. wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs zu
einer in zwei Jahren bedingt löschbaren Busse von Fr. 300.- und zu Kosten.

    K. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

    Der Generalprokurator-Stellvertreter des Kantons Bern verzichtet
auf Gegenbemerkungen; die Bundesanwaltschaft beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Wer den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der
Strasse, auf dem Wasser oder in der Luft hindert, stört oder gefährdet
und dadurch Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt, wird, wenn er
fahrlässig handelt, mit Gefängnis oder Busse bestraft (Art. 237 Ziff. 2
StGB).

    Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer fahrlässig flugtechnische
Fehler gemacht und die Windeinflüsse falsch beurteilt hat, was zur
Notlandung und zur leichten Verletzung der beiden mitfahrenden Passagiere
geführt hat. Auch bestand die Gefahr schwerer Verletzung.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, er habe sich nicht im
"öffentlichen Verkehr" befunden und den "öffentlichen Verkehr" weder
gehindert, gestört noch gefährdet. Er habe den Unfall in einem Raum
verursacht, dessen Benutzung zwar jedermann grundsätzlich erlaubt sei,
der aber sonst nicht als Verkehrsweg benutzt werde, so dass bei seinem
Unfall nur der eigene, von ihm selber geschaffene Verkehr, nicht aber
der übrige öffentliche Verkehr gefährdet worden sei.

    a) Das Gesetz enthält keine Definition des "öffentlichen Verkehrs". Es
zählt lediglich einige Beispiele ("namentlich") auf, so den Verkehr auf
der Strasse, zu Wasser und in der Luft. Dabei stand stets ausser Zweifel,
dass der öffentliche Verkehr im Sinne von Art. 237 StGB nicht nur den
Verkehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Autobusse, Postkurswagen,
Trolleybusse, Tramwagen, Kursschiffe, Linienflüge usw.) meint, sondern auch
Fahrzeuge einschliesst, die von Privaten zu Privatzwecken benutzt werden,
wenn sie sich an Orten bewegen, die dem allgemeinen Verkehr offen stehen
(für den Strassenverkehr vgl. Art. 1 SVG und Art. 1 VRV). Insbesondere
ist nicht erforderlich, dass sich dort auch ein Verkehr mit öffentlichen
Verkehrsmitteln abwickelt (KARL DANNEGGER, ZBJV 108/1972, S. 436). Auf dem
Erdboden kann der Tatbestand von Art. 237 StGB nicht nur auf der Strasse,
sondern auch etwa auf Strassenverzweigungen und auf Plätzen erfüllt werden
(BGE 101 IV 175), sowie auf einem Ausstellungsareal oder einem Festplatz
(HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, BT, S. 524). Daraus, dass Art. 237
StGB nicht vom Verkehr "zu Lande" schlechthin spricht, sondern lediglich
vom Verkehr "auf der Strasse", darf daher nicht der Schluss gezogen
werden, Art. 237 StGB gelte nur für den Verkehr, der sich auf den üblichen
Verkehrswegen abspielt, so etwa auf den üblichen Flugrouten bzw. den
von den Linienflugzeugen benutzten Flugschneisen (vgl. indessen SCHULTZ,
ZBJV 113/1977, S. 542); gerade in der Abweichung von der Schneise kann
die rechtswidrige Gefährdung liegen. Vielmehr ist, vorbehältlich klar
umschriebener Ausnahmen, der ganze Luftraum dem öffentlichen Verkehr
zugänglich (Art. 1 LFG) und es kann daher grundsätzlich überall in der
Luft der Tatbestand von Art. 237 StGB erfüllt werden (BGE 102 IV 27 und
dort zitierte Literatur). Dies ergibt sich übrigens auch aus Art. 114
LFV (unter der Überschrift "Nichtlinienverkehr"), wonach gewerbsmässige
Flüge, die nicht der Beförderung von Personen und Sachen auf regelmässig
beflogenen Luftverkehrslinien dienen, einer Bewilligung des Eidgenössischen
Luftamtes bedürfen.

    b) Der Beschwerdeführer ist indessen der Meinung, der Luftraum sei
nicht überall dort öffentlich, wo er einem unbestimmten Benützerkreis
zugänglich sei, sondern nur in jenen Abschnitten, die zur Benützung
durch ein bestimmtes Luftfahrzeug "geeignet" seien. Der von ihm benützte
Abschnitt sei aber ungeeignet gewesen, was denn auch ein Grund für den
Absturz gewesen sei.

    Der Einwand geht fehl. Wenn das Bundesgericht in BGE 101
IV 175, auf den der Beschwerdeführer verweist, zur Bejahung der
Öffentlichkeit das Kriterium als massgebend bezeichnet hat, dass die
Verkehrsfläche dem öffentlichen Verkehr "dient", so hat es damit - wie
aus dem Gesamtzusammenhang klar hervorgeht - ausgedrückt, dass sie dem
öffentlichen Verkehr zugänglich sein, ihm "zur Verfügung stehen", nicht
aber, dass sie für den öffentlichen Verkehr geeignet sein müsse. Oft kann
nicht zum vornherein gesagt werden, ob sich ein bestimmter Abschnitt des
Luftraumes zur Benützung durch einen Helikopter eigne oder nicht; selbst
übliche Flugrouten können sich unter Umständen (Wetter, Thermik, Defekt an
der Maschine usw.) im konkreten Fall als "ungeeignet" erweisen. Auch an
abgelegenen Stellen des allgemein zugänglichen Luftraums soll der Mensch
vor Gefährdung durch ein Verkehrsmittel geschützt sein. Das Kriterium der
"Eignung" ist zu unbestimmt und kann daher zur Abgrenzung des im Sinne von
Art. 237 StGB strafbaren Verhaltens zum straflosen nicht herangezogen
werden. Es ist demnach am Kriterium der allgemeinen Zugänglichkeit
festzuhalten, wobei ein Raum auch dann einem unbestimmten Personenkreis
offen steht, d.h. allgemein zugänglich ist, wenn die Benützung nach Art
und Zweck eingeschränkt wurde (BGE 86 IV 31, 92 IV 11 E. 1). Belanglos ist
schliesslich, ob die Stelle, an welcher der Helikopter auf dem Erdboden
aufschlug, dem öffentlichen Verkehr offen steht oder nicht; denn nicht erst
auf dem Erdboden, sondern schon im Luftraum wurde in casu der Tatbestand
von Art. 237 StGB erfüllt.

    c) Der Beschwerdeführer wendet ein, stelle man auf die allgemeine
Zugänglichkeit eines Ortes für den Verkehr ab, fielen auch Gefährdungen
durch Kanufahrten auf Wildwasser, durch Steinschlag beim Bergsteigen oder
durch Kentern von Segelbooten unter Art. 237 StGB. Wie solche Grenzfälle
(vgl. auch DANNEGGER, op.cit., insbes. S. 439 ff.) zu beurteilen wären,
kann hier offen bleiben. Die Verwendung von Hubschraubern im allgemein
zugänglichen Luftraum stellt jedenfalls keinen Grenzfall dar, ist doch
der Helikopter heute ein in der Luft allgemein benütztes Verkehrsmittel
(vgl. Art. 3 Abs. 1 LFV), das sich in besonderem Masse zum Transport
von Personen und Gütern im Gebirge oder sonst nicht leicht zugänglichen
Orten eignet.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer macht im weiteren geltend, die durch ihn
gefährdeten und leicht verletzten Insassen des Hubschraubers seien
durch Art. 237 StGB nicht geschützt. Er habe sie als Bekannte und aus
Gefälligkeit mitgenommen. Es sei nicht vom Zufall abhängig gewesen,
wer konkret gefährdet wurde. Die beiden Passagiere repräsentierten ihm
gegenüber nicht die Allgemeinheit. Damit greift der Beschwerdeführer auf
die alte Rechtsprechung des Kassationshofes zurück (BGE 76 IV 122, 125),
die mit BGE 100 IV 54 f. aufgegeben worden ist (zustimmend SCHULTZ,
ZBJV 111/1975, S. 505, mit der Bemerkung, die Kehrtwendung und Rückkehr
zu BGE 75 IV 124 sei schon lange erwartet worden; kritisch STRATENWERTH,
BT, Bd. 2, S. 135, der auf die "Gemeingefahr" zurückgreift, welche das
Strafgesetzbuch in Art. 221 f., nicht aber in Art. 237 aufgenommen hat).

    Es besteht keine Veranlassung, im vorliegenden Fall von der neuen
Rechtsprechung abzugehen.

    a) Der Beschwerdeführer räumt ein, die Passagiere eines Fahrzeugs
seien vom Schutz durch Art. 237 StGB nicht schlechterdings ausgenommen,
es könne also der Führer eines Verkehrsmittels nicht nur Menschen,
die sich ausserhalb desselben befinden, im Sinne von Art. 237 StGB
gefährden, spiele es doch im Hinblick auf deren Gesundheit von ihrer
Sicht aus gesehen keine Rolle, ob sie durch den eigenen Fahrzeugführer
oder durch eine Drittperson gefährdet werden. Der Beschwerdeführer ist
aber der Auffassung, dass nur die Passagiere öffentlicher Verkehrsmittel
durch Art. 237 StGB geschützt seien.

    Der Einwand geht fehl. Steht fest, dass der Passagier eines privaten
Transportmittels gegen von aussen herrührende Gefährdung und der Benützer
eines öffentlichen Verkehrsmittels gegen Gefährdung auch seitens des
Fahrzeugführers selber (was nach STRATENWERTH, op.cit., S. 135 Mitte
stets ausser Zweifel gestanden habe) durch Art. 237 StGB geschützt ist, so
verdient diesen Schutz auch der Passagier eines privaten Transportmittels
bei Gefährdung durch den Führer desselben. Denn der Mitfahrer auch eines
privaten Verkehrsmittels nimmt am Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser
oder in der Luft teil, unabhängig davon, ob die Gefährdung von aussen
oder von seinem Führer selber herrührt. Für den Strassenverkehr ergibt
sich der Schutz des Mitfahrers aus Art. 90 SVG (der hier weitgehend den
Art. 237 StGB ersetzt) i.V.m. Art. 29, 30 Abs. 1 SVG, Art. 60-63 VRV
(vgl. SCHULTZ, die Strafbestimmungen des SVG, S. 164, FN 102, mit der
Bemerkung, "... dass nun auch - in Abkehr von der früheren Rechtsprechung,
siehe BGE 76 IV 121 - die Mitfahrer des durch SVG Art. 90 Zif. 1 und 2
gewährten Schutzes teilhaftig werden "). Was den Luftverkehr betrifft,
so regelt Art. 90 LFG lediglich die Gefährdung von Leib und Gut Dritter
auf der Erdoberfläche durch den Kommandanten, ein Besatzungsmitglied oder
einen Passagier eines (öffentlichen wie privaten) Luftfahrzeuges. Die
Bestimmung ist nur eine Ergänzung zu Art. 237 StGB (BBl 1945 I S. 369);
überhaupt bildet der ganze Titel des LFG betreffend die Strafbestimmungen
"selbstverständlich nur eine Ergänzung zum schweizerischen Strafgesetzbuch,
das insbesondere in Art. 237 und 239 luftverkehrsrechtliche Interessen
weitgehend schützt" (BBl 1945 I S. 368). Zu diesen gehört aber namentlich
auch die Verantwortlichkeit des Piloten gegenüber seinem Passagier, und
zwar gleichgültig, ob das Flugzeug im Einzelfall ein öffentliches oder
privates Verkehrsmittel ist.

    b) Ebensowenig kann es darauf ankommen, ob der Passagier zum Führer
des - öffentlichen oder privaten - Verkehrsmittels in einer besonderen
Beziehung stehe oder nicht, zumal die Umschreibung dieses Verhältnisses
unlösbare Schwierigkeiten bereiten würde (Verwandtschaftsgrad,
Freundschaft, Bekanntschaft; Schulbusse, Transport zum Arbeitsplatz;
Unentgeltlichkeit, Kostenteilung, eigenes Interesse an der Fahrt
usw.). Weder das SVG noch Art. 237 StGB enthalten ein solches
Unterscheidungsmerkmal. Im Gegenteil lässt Art. 63 Abs. 3 lit. b SVG in
der Fassung vom 20. März 1975 (BBl 1973 II 1173) es nicht mehr zu, dass
der Halter eines Motorfahrzeuges Ansprüche der Angehörigen wegen Tötung
oder Verletzung von der Haftpflichtversicherung ausschliesst. Auch das
deutsche StGB, dessen früherer Tatbestand der Transportgefährdung (§ 315)
noch eine Gemeingefahr vorausgesetzt hatte, schützt im neuformulierten §
315 (Fassung von 1969) den Mitfahrer ohne Rücksicht auf sein Verhältnis
zum Fahrzeugführer (SCHÖNKE/SCHRÖDER, 19. Aufl., N. 16 zu § 315).

    c) Wenn der Kassationshof in BGE 100 IV 55 als Beispiele geschützter
Mitfahrer die Passagiere eines Linienflugzeuges und die Benützer eines
Passagierschiffes erwähnte, so hat er damit den geschützten Personenkreis
entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht auf die Benützer
öffentlicher Verkehrsmittel bzw. auf die Passagiere, die zum Fahrzeugführer
in keiner besonderen Beziehung stehen, beschränken wollen; dies ergibt sich
aus dem jenem Entscheid zugrundeliegenden Sachverhalt, aus der Regeste und
aus der Bezugnahme auf BGE 76 IV 121, welcher dem Passagier im Verhältnis
zum Fahrzeugführer den Schutz des Art. 237 StGB ebenso unterschiedslos
versagt hatte, wie er ihm nach der neuen Rechtsprechung gewährt wird.

    d) Sind nach dem Gesagten die Passagiere des Täters mitgeschützt,
so ist Art. 237 StGB entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
unabhängig von der Dichte des zur Tatzeit am Tatort herrschenden Verkehrs
anwendbar. Die Gefährdung des Passagiers durch den Fahrzeugführer fällt
unter Art. 237 StGB, ohne dass es darauf ankommt, ob und wieviele Fahrzeuge
zufälligerweise in der Nähe zirkulieren.

    Die Vorinstanz hat, indem sie das Bestehen eines "öffentlichen
Verkehrs" im Sinne von Art. 237 StGB am Tatort bejahte und die beiden
Passagiere des Beschwerdeführers als durch diese Bestimmung geschützt
betrachtete, Bundesrecht nicht verletzt. Die Beschwerde ist daher
abzuweisen.