Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IV 300



105 IV 300

77. Urteil des Kassationshofes vom 14. Dezember 1979
i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft gegen
F. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 139 Ziff. 2 StGB. Schwerer Raub durch Bedrohung mit dem Tode.

    Die Todesdrohung muss objektiv unmittelbar ausführbar sein und das
Opfer in eine erhebliche Todesgefahr versetzt werden. Auf die Bereitschaft
oder Absicht des Täters, die Todesdrohung notfalls zu verwirklichen,
kommt es nicht an (Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Am Nachmittag des 29. Dezember 1978 betrat F. zusammen mit
seinem Komplizen, der unbekannt blieb, das "Usego"-Lebensmittelgeschäft
in Birsfelden. Der maskierte Unbekannte ging auf die Kassierin
zu und verlangte von ihr die Herausgabe des Geldes mit den Worten
"Da'sch en Überfall, mache sie Kasse uff". Der gleichfalls maskierte
F. seinerseits blieb abmachungsgemäss an der Ladentüre stehen, um das
Geschehen zu überwachen und dafür zu sorgen, dass der Ausgang frei
bleibe; dabei richtete er die Mündung seines geladenen Revolvers auf
die Kassierin. Nachdem diese die Kasse geöffnet hatte, rief sie den
Ladenbesitzer M. zu Hilfe. Der herbeieilende M. warf ein Paket in Richtung
des Unbekannten, woraufhin dieser und F. die Flucht ergriffen. Auf der
Flucht gab der von einem gewissen C. verfolgte F. einen Schreckschuss in
die Luft ab.

    B.- Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft verurteilte F. am
17. Mai 1979 wegen Raubes im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 StGB zu 2 3/4
Jahren Gefängnis als Zusatzstrafe zum Urteil des Divisionsgerichts
3 vom 13. Februar 1979, unter Anrechnung der Untersuchungshaft
von 139 Tagen. Dieser Entscheid wurde vom Obergericht des Kantons
Basel-Landschaft am 16. Oktober 1979 in Abweisung der Appellationen F. und
der Staatsanwaltschaft bestätigt.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts
sei aufzuheben und die Sache sei an die Vorinstanz zurückzuweisen zur
Verurteilung von F. wegen qualifizierten Raubes gemäss Art. 139 Ziff. 2
StGB (Bedrohung mit dem Tode).

    In seiner Vernehmlassung beantragt F. die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Wer in der Absicht, einen Diebstahl zu begehen, oder wer, auf
einem Diebstahl betreten, an einer Person Gewalt verübt, sie mit einer
gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben bedroht oder sie in anderer
Weise zum Widerstand unfähig macht, wird mit Zuchthaus oder mit Gefängnis
nicht unter sechs Monaten bestraft (Art. 139 Ziff. 1 StGB; sog. einfacher
Raub). Nach Art. 139 Ziff. 2 StGB wird der Räuber aber unter anderem dann
mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft, wenn er jemanden mit dem
Tode bedroht (sog. schwerer Raub). In Praxis und Doktrin ist kontrovers,
nach welchen Kriterien die Bedrohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für
Leib und Leben von der Bedrohung mit dem Tode abzugrenzen sei. Strafgericht
und Obergericht des Kantons Basel-Landschaft vertreten unter Berufung auf
verschiedene Autoren (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer
Teil, Bd. I, S. 205 f., SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch,
Nr. 541, GERMANN, Verbrechen, S. 265 N. 6 i.V.m. S. 261 N. 13) die
Ansicht, eine Todesdrohung im Sinne von Art. 139 Ziff. 2 StGB könne nur
dann angenommen werden, wenn der Täter den Vorsatz habe, sie notfalls zu
verwirklichen. Demgegenüber ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts
Art. 139 Ziff. 2 StGB anwendbar, wenn der Täter die - ernst genommene -
Todesdrohung objektiv unmittelbar verwirklichen kann und das Opfer nach
den Umständen, insbesondere nach der Art der Drohung, tatsächlich einer
grossen Todesgefahr ausgesetzt ist (BGE 102 IV 19; vgl. auch BGE 72 IV 57
f.); in diesem Fall ist die Voraussetzung der besonderen Gefährlichkeit
des Täters als erfüllt zu betrachten. Andere Rechtsordnungen lassen
bereits das Mitführen von Schusswaffen als Qualifikationsgrund genügen
(§ 250 Abs. 1 Ziff. 1 des Deutschen Strafgesetzbuches, vgl. auch Art. 381
al. 1 des Code pénal français).

Erwägung 2

    2.- Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass zur Änderung dieser
Rechtsprechung. Es ist vielmehr daran festzuhalten, dass es auf die
Bereitschaft oder Absicht des Täters, die Todesdrohung zu verwirklichen,
nicht ankommt; dies gestützt auf die Entstehungsgeschichte von Art. 139
StGB und die Tatsache, dass in keiner andern Bestimmung des StGB die
Strafbarkeit der Drohung vom Verwirklichungswillen des Täters abhängig
gemacht wird, ferner auch aus der praktischen Überlegung heraus, dass die
Verwirklichungsbereitschaft im Falle der Bestreitung schwer nachzuweisen
wäre. Wer bei einem Raub eine scharf geladene, schussbereite Waffe auf
kurze Distanz auf einen Menschen richtet, ist in der Regel ungeachtet
seiner Absichten besonders gefährlich im Sinne von Art. 139 Ziff. 2
StGB. Aufregung, unvorhergesehene Reaktion des Opfers, Eingreifen eines
Dritten, etc. können, gerade auch beim Gelegenheitsdelinquenten, zu einer
plötzlichen Fehlreaktion führen. Dass im übrigen der Beschwerdegegner eine
Schussabgabe nicht schlechtweg ausschloss, verrät sein Schreckschuss bei
seiner Flucht.

Erwägung 3

    3.- Entgegen der Auffassung der kantonalen Instanzen und des
Beschwerdegegners befand sich die Kassierin in einer erheblichen
unmittelbaren Todesgefahr. Daran ändert nichts, dass F. seinen Finger
nicht auf dem Drücker des Revolvers, sondern auf der Aussenseite des Bügels
hielt und dass der dicke Handschuh, den er trug, den raschen und präzisen
Griff zum Drücker erschwerte; die Schussabgabe konnte gleichwohl innert
kürzester Zeit erfolgen. Sie gelang F. auch ohne weiteres, sogar während
er davonlief. Es kann keine Rede davon sein, dass der Beschwerdegegner
irgendwelche Hindernisse hätte beseitigen müssen, um seine Todesdrohung
wahr zu machen.

Erwägung 4

    4.- Schliesslich ist unerheblich, ob die Kassierin durch das
Verhalten von F. oder dasjenige seines Komplizen zum Widerstand unfähig
gemacht wurde. Der Kausalzusammenhang zwischen der Drohung und der
Widerstandsunfähigkeit ist ein objektives Tatbestandsmerkmal; es genügt,
wenn einer der Mittäter dieses durch seine Handlungsweise verwirklichte.

Erwägung 5

    5.- Der Anwalt des Beschwerdegegners hat auf Aufforderung des
Bundesgerichts hin eine Vernehmlassung eingereicht; er ist für seine
Bemühungen mit Fr. 400.- aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 16. Oktober 1979 wird
aufgehoben und die Sache zur Verurteilung von F. wegen qualifizierten
Raubes (Art. 139 Ziff. 2 StGB) an die Vorinstanz zurückgewiesen.