Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IV 294



105 IV 294

75. Urteil des Kassationshofes vom 11. Dezember 1979 i.S. B. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    1. Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB.

    Die Probezeit einer bedingt aufgeschobenen Zusatzstrafe läuft von
deren Ausfällung an (Erw. 1).

    2. Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB.

    Die in der Probezeit begangenen Betrüge und Urkundenfälschungen,
auf die ein Strafanteil von sechs Monaten Gefängnis entfällt, sind nicht
als leichter Fall zu bewerten (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Am 21. März 1973 auferlegte das Bezirksgericht Bülach B.
wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und Verletzung von
Verkehrsregeln eine Freiheitsstrafe von 21 Tagen Gefängnis sowie eine
Busse von Fr. 100.-. Es gewährte ihm den bedingten Strafvollzug mit einer
Probezeit von drei Jahren.

    B.- Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte B. am 5. Oktober
1979 wegen wiederholten Betruges in sechs Fällen, wiederholter und
fortgesetzter Urkundenfälschung, Unterdrückung einer Urkunde sowie Hehlerei
zu acht Monaten Gefängnis, abzüglich 11 Tage Untersuchungshaft. Es schob
den Vollzug der Strafe bedingt auf und setzte die Probezeit auf drei
Jahre fest.

    Ebenfalls am 5. Oktober 1979 widerrief das Obergericht den vom
Bezirksgericht Bülach am 21. März 1973 angeordneten bedingten Strafvollzug.

    C.- B. führt gegen diesen Entscheid Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag, der Widerruf des bedingten Strafvollzuges sei aufzuheben und die
Sache zu neuer Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht geltend, bei der am 21. März 1973
ausgesprochenen Gefängnisstrafe handle es sich bloss um eine Zusatzstrafe
zu der am 17. November 1971 vom Bezirksgericht Winterthur ausgefällten und
ebenfalls auf drei Jahre bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe. Er leitet
daraus ab, die dreijährige Probezeit der Zusatzstrafe müsse richtigerweise
ebenfalls vom 17. November 1971 an berechnet werden. Der grössere Teil der
neu beurteilten Straftaten falle daher nicht mehr in die Bewährungsfrist.

    Dieser Einwand hält nicht stand. Wenn es auch zutrifft, dass bei
der Bemessung der Zusatzstrafe gemäss Art. 68 Ziff. 2 StGB auf die
Grundstrafe Rücksicht genommen werden muss, so ist die Zusatzstrafe
im übrigen selbständig und von der früher verhängten Strafe rechtlich
unabhängig. Der Richter, der die Zusatzstrafe ausspricht, ist an die im
früheren Urteil vertretenen Rechtsauffassungen nicht gebunden und kann
namentlich den bedingten Strafvollzug für die Zusatzstrafe verweigern,
auch wenn er für die Grundstrafe gewährt worden war, und umgekehrt (BGE 76
IV 75, 75 IV 100 E. 3, 73 IV 89). Hat demnach das Bezirksgericht Bülach
über die Gewährung des bedingten Strafvollzuges selbständig entschieden,
konnte auch die von ihm festgesetzte Probezeit erst vom Entscheid am
21. März 1973 an zu laufen beginnen.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer wendet sodann ein, ein leichter Fall im
Sinne von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB liege trotz der gegenteiligen
Ansicht des Obergerichts auch dann vor, wenn die Probezeit erst am
21. März 1976 zu Ende gegangen sei. Die vier in die Probezeit fallenden
Betrugshandlungen und die damit zusammenhängenden Urkundendelikte seien
auf derart aussergewöhnliche Umstände zurückzuführen, dass auch die
Gesamtheit dieser Delikte leicht wiege.

    Das Obergericht hat allen ausserordentlichen Umständen, die als
Entlastungsgründe in Frage kommen, bei der Strafzumessung grosszügig
Rechnung getragen. Das gilt insbesondere auch für das unmoralische
Verhalten und das nachlässige Geschäftsgebaren des Arbeitgebers, der
dem Beschwerdeführer ein schlechtes Vorbild war und ihn dadurch in
gewissem Umfang in Versuchung führte. Neben dem Wegfall der Anklage
wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz ist es nur der sehr
weitgehenden Berücksichtigung strafmindernder Umstände zuzuschreiben,
dass die Vorinstanz dazu gelangte, die vom Bezirksgericht ausgefällte
Freiheitsstrafe von 18 Monaten Gefängnis auf 8 Monate herabzusetzen. Trotz
dieser milden Beurteilung bleibt es aber dabei, dass der Beschwerdeführer
Buchhaltungsbelege und Bankchecks raffiniert fälschte und diese in
betrügerischer Weise zur Aneignung grösserer Geldbeträge statt zur
Zahlung von Lieferantenrechnungen verwendete. Diese mehrfach verübten
Urkundendelikte und Betrüge sind objektiv schon an sich nicht leicht zu
nehmende Verbrechen, und subjektiv kann nicht ausser acht gelassen werden,
dass der Beschwerdeführer das ihm als Geschäftsleiter entgegengebrachte
Vertrauen des Arbeitgebers schwer missbraucht hat. Da von den ihm zur Last
gelegten Straftaten der weit überwiegende Teil in der Probezeit begangen
wurde, kann davon ausgegangen werden, dass auf diesen Teil etwa 6 Monate
der ausgefällten Strafe von 8 Monaten Gefängnis entfallen. Auch wenn die
Strafdauer für die Abgrenzung zwischen leichtem und nicht leichtem Fall
grundsätzlich nicht als entscheidend betrachtet wird, so ist sie dennoch
von Bedeutung (BGE 102 IV 232 E. 1, 101 IV 13, 98 IV 251). Das gilt in
vermehrtem Mass in Fällen wie dem vorliegenden, wo die Entlastungsgründe
bereits bei der Bemessung der Strafhöhe erschöpfend berücksichtigt worden
sind und deshalb von weiteren aussergewöhnlichen Umständen, welche die
Beurteilung der Schwere des Falles beeinflussen könnten, keine Rede
sein kann.

    Die hier in die Probezeit fallenden Delikte können bei gesamthafter
Bewertung der in Betracht kommenden Umstände objektiv und subjektiv nicht
mehr als leicht bezeichnet werden. Die Vorinstanz konnte ohne Verletzung
von Bundesrecht einen leichten Fall verneinen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.