Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IV 291



105 IV 291

74. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. Oktober 1979 i.S. Z.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Bedingter Strafvollzug bei Fahren in
angetrunkenem Zustand.

    Ein Motorfahrzeugführer, der in angetrunkenem Zustand einen Unfall
verursacht, ist gewarnt. Fährt er trotzdem weiter, kann er in der Regel
nicht den bedingten Strafvollzug beanspruchen mit der Begründung, er habe
sich erst unter dem Einfluss des Alkohols ans Steuer gesetzt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Nach ständiger Rechtsprechung darf angetrunkenen
Motorfahrzeugführern der bedingte Strafvollzug nur mit grosser
Zurückhaltung gewährt werden. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache,
dass die Fahrtüchtigkeit schon durch geringe Mengen Alkohol beeinträchtigt
wird. Wer sich unbekümmert darum angetrunken ans Steuer setzt und
damit in Kauf nimmt, Leben und Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer
erheblichen Gefahren auszusetzen, bekundet in der Regel mangelndes
Verantwortungsbewusstsein, das auf einen Charakterfehler schliessen lässt
(BGE 100 IV 9, 134, 98 IV 160 mit Verweisungen).

    Das darf aber nicht zu einer systematischen Verweigerung des bedingten
Strafvollzugs führen, für dessen Gewährung spezialpräventive Gründe im
Vordergrund stehen (BGE 98 IV 160, 91 IV 60). Vielmehr müssen auch beim
Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem Zustand neben den Tatumständen
das Vorleben und alle weiteren Umstände, die gültige Schlüsse auf den
Charakter des Täters und die Aussichten seiner Bewährung zulassen, in
die Beurteilung miteinbezogen werden, um auf Grund einer Gesamtwürdigung
darüber zu entscheiden, ob der Verurteilte für dauerndes Wohlverhalten
Gewähr biete oder nicht (BGE 104 IV 38 E. 3, 101 IV 8 E. 2, 100 IV 10
E. 1).

    b) Besonders belastet erscheint in der Regel ein Angeklagter, der
alkoholische Getränke konsumiert, obwohl er weiss, dass er sich nachher
ans Steuer setzen wird (BGE 101 IV 8 E. 2, 98 IV 162 E. 3). Das bedeutet
indessen nicht, dass derjenige, der sich erst in angetrunkenem Zustand
zum Führen eines Motorfahrzeuges entschliesst, sich ohne weiteres auf den
enthemmenden Einfluss des Alkohols berufen könne. Dazu ist zusätzlich etwa
erforderlich, dass der Betreffende sich unter unvorhergesehenen Umständen,
die eine gewisse Zwangslage begründen, zur Fahrt entschliesst oder dass
er sich in einem Zustand befindet, der ihn die Tragweite seines Handelns
nicht mehr erkennen lässt. Umgekehrt kann ihn belasten, wenn er die
Abmahnung Dritter missachtet (BGE 97 IV 38 f.) oder wenn ihn besondere
Umstände auch in diesem Zustande vom Führen des Motorfahrzeuges hätten
abhalten müssen. Überhaupt können bei der Prognose des künftigen Verhaltens
eines Fahrzeugführers, der sich erst im Zustand der Angetrunkenheit zur
Fahrt entschlossen hat, alle erheblichen Umstände sowie das Vorleben
mitberücksichtigt werden.

Erwägung 3

    3.- Ob Vorleben, Charakter und Tatumstände erwarten lassen, der Täter
werde sich, wenn ihm der bedingte Strafvollzug gewährt wird, wohlverhalten,
ist weitgehend Ermessensfrage. Der Kassationshof greift in diesen Entscheid
nur ein, wenn der Sachrichter von unrichtigen rechtlichen Gesichtspunkten
ausgegangen ist oder das ihm zustehende Ermessen überschritten hat (BGE
101 IV 329, 100 IV 194).

    Die Vorinstanz ist bei ihrem Entscheid von zutreffenden Kriterien
ausgegangen. Das sonst gute Verhalten des Beschwerdeführers und
die von der Verteidigung eingelegten amtlichen Berichte hat sie
berücksichtigt. Es ist ihr nicht entgangen, dass die beiden früheren
Verurteilungen wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand mehr als 10 Jahre
zurückliegen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers musste der
Kantonsgerichtsausschuss diese beiden Schuldsprüche nicht völlig ausser
acht lassen und Z. nicht wie einen Ersttäter behandeln; weder in den vom
Beschwerdeführer herangezogenen BGE 104 IV 38 E. 3 und 101 IV 9, noch
in andern Entscheiden hat der Kassationshof den Grundsatz aufgestellt,
dass ein angetrunkener Fahrer einem Ersttäter gleichgestellt werden müsse,
wenn die letzte Verurteilung mehr als 10 Jahre zurückliege. Ein solcher
Grundsatz liesse sich schon deshalb nicht aufstellen, weil nicht völlig
bedeutungslos sein kann, wieviele Verurteilungen vor mehr als 10 Jahren
erfolgten. Abgesehen davon durfte die Vorinstanz im vorliegenden Fall auch
das polizeiliche Ermittlungsverfahren aus dem Jahre 1976 berücksichtigen,
in welchem bei Z. ein Blutalkoholgehalt von 0,71 Gewichtspromille
ermittelt worden war. Auch jener Vorfall hätte dem Beschwerdeführer eine
Warnung vor den Folgen des Fahrens in angetrunkenem Zustand sein müssen
(vgl. nicht publiziertes Urteil des Kassationshofes vom 12. November 1976
i.S. L. c. GR). Spätestens nach der Kollision mit dem parkierten Wagen
wusste der Beschwerdeführer, wie er gegenüber den kantonalen Behörden
zugab, dass er nicht mehr imstande war, ein Motorfahrzeug sicher zu
führen. Der Unfall hatte Z. die Gefahren des Fahrens in angetrunkenem
Zustand drastisch vor Augen geführt. Er kann sich daher nicht darauf
berufen, dass er, als er sich erneut ans Steuer setzte, um nach Valchava zu
fahren, infolge des enthemmenden Einflusses des Alkohols die Gefährlichkeit
seines Tuns nicht erkannt habe. Schliesslich hat die Vorinstanz auch
die Einsichtslosigkeit des Beschwerdeführers, die sowohl in seiner
Handlungsweise nach dem Unfall wie auch in seinen Äusserungen gegenüber
Drittpersonen, unter ihnen dem Untersuchungsrichter, zum Ausdruck kommt,
richtig gewertet. Es fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass dieses
Verhalten auf einen unfallbedingten schockartigen Eindruck und auf seine
Alkoholisierung zurückzuführen sei, wie Z. heute behauptet.