Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IV 257



105 IV 257

66. Urteil des Kassationshofes vom 9. Oktober 1979 i.S. R. gegen
Motorfahrzeugkontrolle Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 50 Abs. 1 VRV. Spiel und Sport auf verkehrsarmen Strassen.

    Unter den Begriff der verkehrsarmen Strassen fallen nur Strassen,
die nach Anlage und Funktion zum vorneherein wenig motorisierten
Verkehr erwarten lassen (z.B. Zufahrts- und Erschliessungsstrassen ohne
Durchgangsverkehr).

Sachverhalt

    A.- R. wurde am 23. Januar 1979 von der Motorfahrzeugkontrolle des
Kantons Graubünden wegen Übertretung von Art. 50 Abs. 1 VRV in Verbindung
mit Art. 90 Ziff. 1 SVG zu einer Busse von Fr. 20.- verurteilt, weil er
am 27. Oktober 1978 die Hauptstrasse von der Viamala gegen Zillis mit
Rollski befahren hatte.

    Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wies den von R. gegen
diese Busse eingereichten Rekurs mit Urteil vom 30. März 1979 ab.

    B.- R. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid
des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Art. 50 Abs. 1 VRV in der Fassung vom 22. Dezember 1976 hat
folgenden Wortlaut:

    "Auf der Fahrbahn, ausgenommen verkehrsarme Strassen (z.B. in

    Wohnquartieren), sind Spiel und Sport untersagt, namentlich Fahren mit

    Kinderrädern, Rollschuhen, Rollski und dergleichen sowie Schlitteln und

    Skifahren. Bei Spiel und Sport auf verkehrsarmen Strassen dürfen andere

    Strassenbenützer weder behindert noch gefährdet werden."

    a) Mit dieser Verordnungsbestimmung wird der Fahrverkehr, dem die
Fahrbahn in erster Linie zu dienen hat, abgegrenzt gegen Betätigungen
des Spiels und Sports, die grundsätzlich auf der Fahrbahn verboten
sind. Gleichzeitig bringt die Norm zum Ausdruck, dass Spiel und Sport nicht
auf allen Strassen schlechthin von der Fahrbahn verbannt werden dürfen,
sondern dass auf verkehrsarmen Strassen diese Betätigungsarten zu dulden
sind, soweit sie andere Strassenbenützer weder behindern noch gefährden.

    Mit der Beschwerde wird mit Recht die Zuständigkeit des Bundesrates
zur Regelung dieser Fragen nicht bezweifelt. Die Verordnungsnorm findet
in Art. 57 Abs. 1 SVG ihre gesetzliche Grundlage. Der Beschwerdeführer
macht auch nicht geltend, die Vorschrift als solche stehe inhaltlich
zum SVG in Widerspruch, sondern er beschränkt sich auf die Rüge, die
Verordnungsbestimmung sei im konkreten Fall unrichtig ausgelegt worden;
das in Frage stehende Strassenstück sei verkehrsarm und der Rollskisport
daher dort zulässig.

    b) Nicht streitig ist, dass der Rollski gemäss Art. 50 Abs. 1 ein
Sportgerät ist, das grundsätzlich auf der Fahrbahn von Strassen nicht
benützt werden darf. Die in der Beschwerdeschrift enthaltenen Hinweise auf
sportliche Betätigungsformen in der Art der verkehrsmässigen Fortbewegung
(Gehen, Laufen, Radfahren) sind daher unbehelflich. Auch in örtlich
beschränktem Umfange - wie Ski oder Schlitten gemäss Art. 50 Abs. 3 VRV -
können Rollski nicht als Verkehrsmittel zur üblichen Strassenbenützung
betrachtet werden. Dies wird auch vom Beschwerdeführer nicht behauptet.

Erwägung 2

    2.- Nach der in Art. 50 Abs. 1 VRV getroffenen Abgrenzung zwischen
zulässigem Strassenverkehr einerseits und grundsätzlich auf der Fahrbahn
verbotenen Formen von Spiel und Sport hängt die Strafbarkeit des Verhaltens
des Beschwerdeführers ausschliesslich davon ab, ob die von ihm benützte
Strasse Viamala-Zillis als verkehrsarm zu gelten hat.

    a) Der Begriff "verkehrsarme Strassen" ("routes à faible
circulation", "strade con poco traffico") dient in Art. 50 Abs. 1 VRV
ganz allgemein der Umschreibung jener Strassen, auf deren Fahrbahn -
entgegen der prinzipiellen Regel - Spiel und Sport nicht verboten
sind. Zur Erläuterung des Begriffs werden in Klammern beispielsweise
die Strassen in Wohnquartieren erwähnt. Aus dem Wortlaut von Art. 50
Abs. 1 VRV ergibt sich sodann, dass auf verkehrsarmen Strassen nicht
nur das Rollski-Fahren zu dulden ist, sondern auch das Fahren mit
Kinderrädern und mit Rollschuhen sowie im Winter Schlitteln und Skifahren.
Es gibt somit nach der geltenden Regelung keine besondere Kategorie
von Strassen, auf denen z.B. Rollski-Fahren zulässig wäre, andere
Formen sportlicher Betätigung dagegen nicht. Wenn aber die Einstufung
als verkehrsarme Strasse folgerichtig zur Aufhebung des grundsätzlichen
Verbots sportlicher Benützung der Fahrbahn führen muss, dann ergibt sich
bereits daraus die praktische Notwendigkeit, den Begriff "verkehrsarm"
eher restriktiv auszulegen und Kriterien festzulegen, welche es dem
einzelnen Benützer erlauben sollten zu erkennen, ob eine Strasse als
"verkehrsarm" einzustufen ist.

    Eine statistische Umschreibung - z.B. höchstens 12 Autobewegungen
pro Stunde -, wie sie in der Nichtigkeitsbeschwerde vorgeschlagen wird,
vermag diesen Anforderungen nicht zu genügen. Es gibt in der Schweiz
viele gut ausgebaute Verbindungsstrassen mit verhältnismässig geringem,
teilweise noch auf Spitzenzeiten konzentriertem Verkehr. Der Sinn und Zweck
von Art. 50 Abs. 1 VRV kann nicht darin bestehen, dass auf allen diesen
Strassen die Verwendung von Roll-Sportgeräten erlaubt sein soll, sobald
nach der Verkehrszählung die Frequenz eine bestimmte Grenze nicht erreicht.

    Wie das in der Verordnungsvorschrift erwähnte Beispiel (Wohnquartier)
deutlich zeigt, muss sich aus der Funktion und der Anlage der Strasse
ergeben, dass es sich um eine verkehrsarme Strasse handelt, weil wenig
motorisierter Verkehr zu erwarten ist. Das Bundesamt für Polizeiwesen hat
in einer Stellungnahme erklärt, meistens werde es sich um Strassen handeln,
die nur ausnahmsweise Durchgangsverkehr aufweisen und vorwiegend von
Anwohnern sowie diese aufsuchenden Dritten benützt werden, also um Strassen
mit blossem Quell- oder Zielverkehr. Die frühere Fassung von Art. 50 Abs. 1
VRV verwendete die Formulierung "ausgenommen sind verkehrsarme Strassen in
Wohngebieten". Diese Beschränkung auf Wohngebiete erwies sich in der Praxis
als zu eng, da die Benützung der Fahrbahn zur sportlichen Betätigung vom
Standpunkt der Verkehrssicherheit aus auch ausserhalb eines Wohngebietes
unbedenklich sein kann, z.B. auf der Strasse zu einem abgelegenen Bauernhof
oder zu einem Wald, auf landwirtschaftlichen Erschliessungsstrassen ohne
Durchgangsverkehr usw. Oft wird die als verkehrsarm einzustufende Strasse
zufolge ihrer Anlage (geringe Breite, Kurven) dem Motorfahrzeugführer
keine hohe Geschwindigkeit erlauben.

    b) Die Anwendung dieser Erwägungen auf den konkreten Fall führt zu
folgendem Ergebnis:

    Die Strasse Thusis-Zillis ist nicht eine unbedeutende Nebenstrasse
mit vorwiegend Quell- oder Zielverkehr, sondern eine normal ausgebaute
Durchgangsstrasse, die als Hauptstrasse klassifiziert ist. Da der
eigentliche Transitverkehr sich heute fast ausschliesslich auf der
N 13 abwickelt, weist die alte Hauptstrasse eine für ihre Ausbaustufe
verhältnismässig geringe Frequenz auf. Das Verwaltungsgericht stellt jedoch
fest, die Strasse habe als Ausweichmöglichkeit eine erhebliche Bedeutung
behalten, in der Reise- und Ferienzeit trete eine Frequenzsteigerung ein.

    Die Strasse Thusis-Zillis ist somit eine Hauptstrasse mit relativ
geringem Benützungsgrad, aber es handelt sich dabei nicht um eine nach
Funktion und Anlage verkehrsarme Strasse im Sinne von Art. 50 Abs. 1
VRV, die der sportlichen Betätigung (Rollski, Rollschuh, Rollbrett)
offen steht. Massgebend ist nicht, ob ein einzelner Rollski-Fahrer
den Verkehr stört oder behindert, sondern ob generell nicht für den
Strassenverkehr gebaute Sportgeräte zugelassen werden können. Das ist
auf einer Durchgangsstrasse, die nach Ausbau und Funktion intensiven
und schnellen Verkehr erlaubt und zumindest zeitweise auch aufweist,
nicht möglich.

    Der angefochtene Entscheid verletzt daher Art. 50 Abs. 1 VRV
nicht, sondern entspricht im Ergebnis der sinngemässen, praktikablen
Interpretation dieser Verordnungsnorm.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.