Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IV 157



105 IV 157

41. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 2. Mai 1979 i.S.
Generalprokurator des Kantons Bern gegen Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich Regeste

    Gerichtstandsbestimmung; Art. 350 Ziff. 1 StGB.

    Wird jemand wegen eines Kollektivdelikts verfolgt, so gelten die
vollendeten und die versuchten Straftaten, die im Kollektivdelikt aufgehen,
im Sinne von Art. 350 Ziff. 1 StGB als mit der gleichen Strafe bedroht.

Sachverhalt

    A.- S. steht im Kanton Bern in Strafuntersuchung und wird beschuldigt,
neben Urkundenfälschungen und Widerhandlungen gegen das SVG zahlreiche
Vermögensdelikte, darunter gewerbsmässige Betrüge, verübt zu haben.
Eine erste Strafanzeige wegen Betrugsversuchs, begangen am 16. Januar 1979
in Zuchwil SO, erfolgte am 31. Januar 1979 in Zuchwil, eine zweite wegen
vollendeten Betrugs, begangen in der Zeit vom 31. Januar bis 2. Februar
1979 in Glattbrugg, am 2. Februar 1979 in Opfikon/Glattbrugg ZH.

    Der Generalprokurator des Kantons Bern korrespondierte mit
den Staatsanwaltschaften der Kantone Solothurn und Zürich über die
interkantonale Zuständigkeit. Er stellte sich auf den Standpunkt, der
vollendete Betrug sei mit schwererer Strafe bedroht als der versuchte,
so dass gemäss Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB die Behörden des Kantons
Zürich zur Durchführung der Strafverfolgung zuständig seien. Die
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn schloss sich dieser Meinung
an. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich vertrat demgegenüber
die Ansicht, der gewerbsmässige Betrug stelle ein Kollektivdelikt dar,
welches die versuchten und die vollendeten Verbrechen zu einer Einheit
zusammenfasse; mit Bezug auf die von diesem Kollektivdelikt erfassten Taten
sei die Untersuchung zuerst im Kanton Solothurn angehoben worden, so dass
die Behörden dieses Kantons zur Strafverfolgung zuständig seien. Eine
Einigung kam nicht zustande.

    Mit Eingabe vom 26. April 1979 an die Anklagekammer des Bundesgerichts
beantragt der Generalprokurator des Kantons Bern, die Behörden des Kantons
Zürich seien für die Verfolgung und Beurteilung aller S. zur Last gelegten
Verfehlungen zuständig zu erklären.

    Die Anklagekammer weist das Gesuch im Sinne der Erwägungen ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Zwischen den beteiligten Kantonen ist unbestritten, dass die dem
Beschuldigten zur Last gelegten Betrüge die mit der schwersten Strafe
bedrohten Taten darstellen und dass ernsthafte Anhaltspunkte dafür
bestehen, der Beschuldigte habe diese Betrüge gewerbsmässig verübt.

Erwägung 2

    2.- Wird jemand wegen mehrerer an verschiedenen Orten verübter
strafbarer Handlungen verfolgt, so sind die Behörden des Ortes, wo
die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat verübt worden ist, auch
für die Verfolgung und Beurteilung der anderen Taten zuständig. Sind
die strafbaren Handlungen mit der gleichen Strafe bedroht, so sind die
Behörden des Ortes zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde
(Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 StGB).

    Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist das versuchte
Verbrechen grundsätzlich mit milderer Strafe bedroht als das vollendete
(BGE 75 IV 95). Dieser Grundsatz erleidet indessen eine gewisse
Einschränkung, wo der Täter vollendete und versuchte gleichartige Delikte
begangen und dabei gewerbsmässig gehandelt hat. In diesem Fall liegt
ein Kollektivverbrechen vor, das sowohl alle gewerbsmässigen wie auch
einzelne nicht gewerbsmässige Handlungen und sowohl die vollendeten
wie die versuchten Taten umfasst. Der Versuch geht hier im vollendeten
gewerbsmässigen Kollektivdelikt auf. Würde man anders entscheiden und die
gewerbsmässigen Delikte in vollendete und versuchte aufteilen, würde dies
zu einer Strafschärfung im Sinne von Art. 68 StGB führen, was dem Sinn
des Gesetzes widerspräche. Blosse Versuche können beim Kollektivdelikt
nicht strafschärfend wirken, weil sie gegenüber den vollendeten Taten ein
Minus darstellen (dazu BGE 91 IV 171, 72 IV 109, 71 IV 237; ZR 66 Nr. 49,
65 Nr. 48, 62 Nr. 112; SCHWANDER, Nr. 333). Das Bundesgericht führte denn
auch im Hinblick auf derartige Fälle ausdrücklich aus, für eine besondere
Schuldigerklärung wegen vollendeter und versuchter einfacher Tatbegehung
(Abtreibung) sei neben derjenigen wegen gewerbsmässiger Tatverübung kein
Raum (BGE 71 IV 237 unten). Analoges muss aus den angeführten Gründen auch
für die Unterscheidung zwischen versuchter und vollendeter gewerbsmässiger
Tatverübung gelten.

    Wird der Beschuldigte im Sinne der ihm heute gemachten Vorwürfe
schuldig gesprochen, hat die Schuldigerklärung demnach nur auf
gewerbsmässigen Betrug, nicht auch zusätzlich noch auf gewerbsmässigen
Betrugsversuch zu lauten. Die ihm zur Last gelegten versuchten und
vollendeten gewerbsmässigen Betrüge bilden zusammen die Einheit des
Kollektivverbrechens. Diese Einheit muss sich konsequenterweise schon bei
der Gerichtstandsbestimmung auswirken. Sie hat zur Folge, dass alle dem
Beschuldigten unter dem Titel des gewerbsmässigen Betrugs zur Last gelegten
Verfehlungen, das heisst alle versuchten und vollendeten gewerbsmässigen
Betrüge, gleich zu behandeln sind und als mit der gleichen Strafe bedroht
zu gelten haben. Gemäss Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB sind deshalb die
Behörden jenes Ortes zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben
wurde. Das ist nach den Ausführungen des Generalprokurators des Kantons
Bern der Kanton Solothurn.