Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 II 87



105 II 87

15. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Februar 1979 i. S.
Pancommerce AG gegen 3M East AG (Berufung) Regeste

    Kaufvertrag, Schadenersatz.

    Art. 191 Abs. 3 OR. Misslingt der Schadensnachweis nach
dieser Bestimmung, so kann der Sachverhalt auf Grund allgemeinen
Schadenersatzrechtes gewürdigt werden.

    Art. 42 Abs. 2 OR. Schätzung des Schadens.

Sachverhalt

    A.- Die 3M East AG, Tochterfirma eines internationalen Konzerns,
vertreibt dessen Produkte in Osteuropa, namentlich Kopierpapier
und Kopierapparate. Die Pancommerce AG befasst sich demgegenüber mit
Handelsgeschäften jeder Art im In- und Ausland und bezog von der 3M East
AG für Osteuropa bestimmtes Kopierpapier. Im Dezember 1973 ersuchte die
3M East AG die Pancommerce AG darum, gegen entsprechende Vergütung die
rumänischen und bulgarischen Einkaufsgesellschaften dazu zu bewegen,
unmittelbar bei ersterer zu bestellen; die Pancommerce AG lehnte das
ab. Eine Bestellung vom Januar 1974 über 16 Paletten Papier für Rumänien
wurde ausgeführt. Am 22. Januar 1974 orientierte die Pancommerce AG ihre
Lieferfirma über eine beabsichtigte Aktion in Bulgarien; das führte zur
Offerte der 3M East AG vom 25. Januar 1974 über die Lieferung von 2600
Maschinen und 33840 Pakete Kopierpapier (entsprechend ca. 117 Paletten).

    Am 6. März 1974 bestätigte die 3M East AG eine weitere Bestellung
für 6 Paletten Papier nach Rumänien, lehnte dagegen am 11. März 1974,
die Lieferung weiterer 7 Paletten ab (sogenanntes Rumäniengeschäft). Das
gleiche Schicksal erfuhr eine Bestellung der Pancommerce AG vom
6. April 1974 über 100 Maschinen und 32 Paletten Papier für Bulgarien,
die am 10. April 1974 zurückgewiesen wurde (sogenanntes kleines
Bulgariengeschäft). Infolge Nichtausführung dieser beiden Bestellungen
forderte die Pancommerce AG von der 3M East AG Schadenersatz von
Fr. 54'432.- und Fr. 258'832.-. Wegen Behinderung in der Ausführung
der geplanten grösseren Lieferungen nach Bulgarien (sogenanntes grosses
Bulgariengeschäft) forderte sie weitere Fr. 1'044'528.-.

    B.- Im September 1974 erhob die Pancommerce AG beim Handelsgericht des
Kantons Zürich Klage auf Zahlung von Fr. 1'357'792.- nebst Zins. Mit Urteil
vom 19. Mai 1978 sprach das Handelsgericht der Klägerin Fr. 171'955.-
nebst Zins zu.

    Am 9. Oktober 1978 wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich eine
Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten ab, soweit es auf sie eintrat.

    C.- Die Klägerin hat die Berufung an das Bundesgericht erklärt,
die Beklagte die Anschlussberufung. Mit dieser beantragt die Beklagte
die Abweisung der Klage.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    I.2.- Anschlussberufung

    Das Handelsgericht geht davon aus, dass die Klägerin sich für das
Rumänien- und das kleine Bulgariengeschäft auf abstrakte Schadensberechnung
nach Art. 191 Abs. 3 OR berufe, indem sie ausgehend von einem Marktpreis
von Fr. 21.- und einem Vertragspreis von Fr. 15.60 auf einen entgangenen
Gewinn von Fr. 5.40 kam, alles je 100 Blatt Papier. Auf Grund des
Beweisverfahrens verneint das Handelsgericht jedoch sowohl einen solchen
Marktpreis als auch einen blossen Verkäuflichkeitspreis, was zur Ablehnung
der Berechnung nach Art. 191 Abs. 3 OR führt. Die Klägerin hat sich
damit abgefunden. Die Beklagte hält ihrerseits fest, dass die Klägerin
das Vorgehen nach Art. 191 Abs. 3 OR gewählt habe. Da der Nachweis eines
Marktpreises misslungen sei, müsse die Klage abgewiesen werden. Zwar könne
ein Käufer noch während des Prozesses auf die getroffene Wahl zurückkommen,
doch sei das hier während des massgebenden Behauptungsverfahrens nicht
geschehen.

    Die besonderen Rechtsbehelfe zugunsten des Käufers im Handelsverkehr
(Art. 191 Abs. 2 und 3 OR) sollen seine beweismässige Stellung verbessern,
schliessen aber einen Schadensnachweis nach allgemeinen Grundsätzen,
auf die Art. 191 Abs. 1 OR verweist (Art. 99 und 42 OR), nicht aus (BGE
104 II 201 E. b, 81 II 52 E. 2, 49 II 81 mit Hinweisen). Die Beklagte
anerkennt zu Recht, dass der Käufer an die von ihm einmal getroffene
Wahl nicht gebunden bleibt, sondern auf sie vielmehr auch noch während
des Prozesses zurückkommen kann (BGE 81 II 52 E. 2). Das setzt jedoch nach
Meinung der Beklagten voraus, dass der Käufer entsprechende Anträge stellt,
solange das Prozessrecht ihm das erlaubt; gerade das sei aber seitens
der Klägerin unterblieben. Diese widerspricht unter Hinweis auf ihre sich
auf das Rumäniengeschäft beziehenden Ausführungen in der Replikschrift,
die sie auch auf das kleine Bulgariengeschäft bezogen verstanden wissen
will. Wie es sich damit verhält, kann offen bleiben.

    Dem angefochtenen Urteil ist nicht zu entnehmen, dass die Klägerin
für den Fall einer Verneinung des Marktpreises eine anderweitige
Schadensberechnung beantragt habe; offenbar unternahm das Handelsgericht
diese Prüfung von Amtes wegen. Es handelt sich denn auch dabei um die
Anwendung von Bundesrecht, die dem kantonalen Richter von Amtes wegen
obliegt. Soweit das Bundesgericht im Bereich von Art. 191 OR kantonales
Prozessrecht vorbehält, kann sich das nur auf die Geltendmachung der
tatsächlichen Grundlagen einer abweichenden Schadensberechnung beziehen. Ob
in dieser Hinsicht das Handelsgericht allenfalls eine kantonalrechtliche
Verhandlungsmaxime missachtet hat, ist im Berufungsverfahren nicht zu
prüfen (BGE 97 II 218 E. 1 mit Hinweisen); eine entsprechende Rüge der
Beklagten ist vom Kassationsgericht verworfen worden. Das Bundesrecht
verbietet es dem kantonalen Richter jedenfalls nicht, einen Sachverhalt
auf Grund allgemeinen Schadenersatzrechts zu würdigen, wenn der
Schadensnachweis laut Art. 191 Abs. 3 OR misslingt.

Erwägung 3

    I.3.- Das Handelsgericht stellt fest, die Klägerin vermöge den strikten
Nachweis eines Schadens in bestimmter Höhe nicht zu erbringen, so dass
der Richter den Schaden gemäss Art. 42 Abs. 2 OR nach dem gewöhnlichen
Lauf der Dinge zu schätzen habe. Ein solches Vorgehen ist nur zulässig,
wenn der ziffermässige Schadensbeweis ausgeschlossen ist, sei es dass
Beweise fehlen, sei es dass die Beweisführung dem Geschädigten nicht
zuzumuten ist (BGE 102 II 11 E. 2, 97 II 218 E. 1, 95 II 501 E. 12a, mit
Hinweisen). Die Beklagte wirft der Vorinstanz vor, eine solche Prüfung
unterlassen zu haben. Indessen trifft das nicht zu, weil das angefochtene
Urteil namentlich im Zusammenhang mit der Frage des Verkäuflichkeitspreises
Ausführungen macht, auf die sich anschliessend die Feststellung der
mangelnden Beweisbarkeit bezieht.

    Davon abgesehen, kann vorliegend auch nicht schlechthin von
Schadensschätzung im Sinn von Art. 42 Abs. 2 OR gesprochen werden. Was die
Klägerin im Prozess fordert, ist Ersatz für entgangenen Gewinn; dieser
beruht auf der Differenz zwischen dem mit der Beklagten vereinbarten
Vertragspreis einerseits und dem Preis, zu dem die Klägerin bei gehöriger
Belieferung die Waren hätte weiterverkaufen können. Dabei handelt es
sich aber regelmässig um eine hypothetische Frage, die ihrerseits nach
dem gewöhnlichen Lauf der Dinge beantwortet werden muss, wie das bei
Art. 42 Abs. 2 OR der Fall ist (BGE 104 II 201 E. b mit Hinweisen);
in diesem Sinn handelt es sich auch, von Art. 191 Abs. 3 OR abgesehen,
um eine Art abstrakter Schadensberechnung (BGE 89 II 219, 43 II 222). Das
Vorgehen des Handelsgerichts lässt sich deshalb durchaus mit Bundesrecht
vereinbaren. Das Ergebnis der Schätzung als solches wird von der Beklagten
nicht beanstandet.