Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 II 35



105 II 35

6. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. März 1979 i.S. Sutter
gegen Tomazzini und Appellationsgericht (Ausschuss) des Kantons Basel-Stadt
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Weisseln der Decken einer Wohnung beim Auszug des Mieters.

    Art. 4 BV; Art. 271 Abs. 2 OR und Art. 5 BMM. Unter der Herrschaft des
BMM ist es selbst bei entsprechenden vertraglichen Abreden willkürlich,
den Mieter zu verpflichten, bei seinem Auszug die Kosten für das Weisseln
der Decken der gemieteten Wohnung zu übernehmen.

Sachverhalt

    A.- Eduard Sutter mietete vom 1. April 1965 bis zum 30.  September
1976 im Hause der Maria Tomazzini in Riehen eine Fünfzimmerwohnung.
Gemäss § 15 des von den Parteien verwendeten "Basler Mietvertrages"
hat der Mieter bei seinem Auszug für die vom Vermieter zu übernehmenden
"ortsüblichen Instandstellungs-Arbeiten" eine Entschädigung von 15%
des Jahresmietzinses zu entrichten. Letzterer belief sich zuletzt auf
Fr. 11'760.-, so dass Sutter entsprechend den getroffenen Abreden bei
Beendigung des Vertrages der Vermieterin unter dem Titel "Instandstellung"
Fr. 1'764.- hätte zahlen müssen.

    B.- Am 18. März 1977 klagte Maria Tomazzini gegen Sutter beim
Zivilgerichtspräsidenten von Basel-Stadt auf Zahlung von Fr. 2'318.90. Als
"ordentliche Instandstellungskosten" verlangte sie die Erstattung von Fr.
1'764.-, für Heizung und Warmwasser Fr. 554.90. Der Zivilgerichtspräsident
sprach der Klägerin am 30. Januar 1978 Fr. 1'909.10 zu, nämlich
Fr. 416.30 für Heizungskosten und Fr. 1'492.80 für die Reinigung der
Wohnung und das Weisseln der Decken. Eine vom Beklagten gegen das Urteil
des Zivilgerichtspräsidenten erhobene Beschwerde wies der Ausschuss des
Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt am 3. April 1978 ab.

    C.- Gegen das Urteil des Appellationsgerichtsausschusses führt Sutter
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV. Er verlangt
die Aufhebung des angefochtenen Urteils.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt das angefochtene
Urteil auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer rügt das angefochtene Urteil als
willkürlich. Willkür ist nach der Rechtsprechung erst dann gegeben
wenn ein kantonaler Entscheid nicht nur unrichtig, sondern schlechthin
unhaltbar ist, namentlich wenn er einen klaren und unumstrittenen
Rechtsgrundsatz offensichtlich schwer verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 102 Ia 3 E. 2a, 100 Ia 6 E. 3b,
468 mit Hinweisen).

Erwägung 3

    3.- In seiner staatsrechtlichen Beschwerde anerkennt der
Beschwerdeführer ausdrücklich, der Beschwerdegegnerin Fr. 789.50 nebst Zins
zu schulden. Es betrifft dies Heizungskosten im Betrage von Fr. 416.30
sowie eine "Pauschale für das Putzen" von Fr. 373.20. Beanstandet wird
mit der Beschwerde hingegen, dass das Appellationsgericht die Auffassung
des Zivilgerichtspräsidenten schützt, wonach der Beschwerdeführer der
Beschwerdegegnerin die Kosten für das Weisseln sämtlicher Decken der
seinerzeit gemieteten Wohnung zu erstatten habe, was bei einem Ansatz von
Fr. 9.- pro Quadratmeter und einer Wohnfläche von 124,4 m2 einen Betrag
von Fr. 1'119.60 ergibt.

Erwägung 4

    4.- Das Appellationsgericht hält fest, dass der Mietvertrag der
Parteien unter anderem am 30. November 1973 abgeändert worden sei. Zu Recht
schliesst es sodann aus Art. 5 BMM, dass Art. 271 Abs. 2 OR unter diesen
Umständen für das Mietverhältnis der Parteien zwingendes Recht darstellt,
indem diese Bestimmung "vertraglich weder wegbedungen noch zuungunsten
des Mieters abgeändert werden" darf. Gemäss Art. 271 Abs. 2 OR haftet der
Mieter nicht "für die aus der vertragsgemässen Benutzung sich ergebende
Abnutzung oder Veränderung". Der Beschwerdeführer stellt sich nun auf den
Standpunkt, es sei willkürlich, wenn ihn der Zivilgerichtspräsident und
mit ihm das Appellationsgericht trotz dieser Bestimmung dazu verpflichten,
die Kosten für das Weisseln zu übernehmen.

    a) Unter Hinweis auf SCHMID (N. 19 und 20 zu Art. 271 OR) hält
das Appellationsgericht dafür, dass § 15 des Basler Mietvertrages,
der den ausziehenden Mieter zur Bezahlung einer Pauschale für
"Instandstellungs-Arbeiten" verpflichtet, unter der Herrschaft des BMM
zumindest insoweit nichtig sei, als er sich auch auf Kosten beziehe,
die Folgen einer aus vertragsgemässem Gebrauch sich ergebenden Abnützung
sind. Das ändere indes nichts daran, dass der Mieter gemäss Art. 271
Abs. 1 OR die Mietsache nach Massgabe des Ortsgebrauchs in dem Zustande
zurückzugeben habe, in dem er sie seinerzeit empfangen habe. Durchaus
zulässig sei es deshalb, dem Mieter gestützt auf § 15 des Vertrages
die Kosten für eine gründliche Reinigung der Wohnung in Rechnung zu
stellen. In gleicher Weise sei aber auch die Auffassung vertretbar,
beim Weisseln der Decken handle es sich "um die ortsübliche und einzig
denkbare Art der Reinigung von Decken". Dem Mieter dürften deshalb auch
die entsprechenden Kosten auferlegt werden.

    b) Wenn Art. 271 Abs. 2 OR eine Haftung des Mieters "für die aus der
vertragsgemässen Benutzung sich ergebende Abnutzung oder Veränderung"
ausschliesst, schränkt er insoweit auch dessen Pflicht zur Rückgabe der
Sache "nach Massgabe des Ortsgebrauchs" gemäss Abs. 1 derselben Bestimmung
ein. Ebenso sind weitergehende Abreden der Parteien unbeachtlich, wenn
Art. 271 Abs. 2 OR, wie hier, zwingenden Rechtes ist.

    Entscheidend ist nun für den Ausgang dieses Verfahrens, ob das Weisseln
der Decken als blosse Reinigung aufgefasst werden darf, für das der Mieter
nach Art. 271 Abs. 1 OR aufzukommen hat, oder ob das Weisseln vielmehr
von Abs. 2 der erwähnten Bestimmung erfasst wird.

    Bei der Reinigung beschränkt man sich darauf, Schmutz von einer
Sache zu entfernen, was mittels verschiedenster Flüssigkeiten,
Textilien sowie Geräten aller Art geschehen kann. Dergestalt werden
die Abnützungserscheinungen, die sich aus dem bisherigen Gebrauch der
Sache ergeben haben, jedoch nicht beseitigt. Nicht mehr um Reinigung
geht es aber, wenn auf die vom Schmutz befreite Sache eine neue auf ihr
verbleibende Schicht aufgetragen wird, seien es Farben, Lacke oder andere
Streichmittel. Durch einen solchen Vorgang werden Abnützungserscheinungen
einer Sache ganz oder teilweise behoben. Mit Reinigung hat das nichts
mehr zu tun. Vielmehr liegt darin der Versuch, die abgenützte Sache
wieder in einen Zustand zu versetzen, der sich dem Neuzustand zumindest
annähert. Das trifft insbesondere auch zu hinsichtlich des Weisselns von
Wänden und Decken, wird doch hier ein weisser Anstrich aufgetragen, der
die durch den bisherigen Gebrauch hervorgerufenen Abnützungserscheinungen
beseitigt und die Sache wieder als neuwertig erscheinen lässt. Das geht
offensichtlich über eine blosse gründliche Reinigung hinaus, der Art. 271
Abs. 2 OR nicht entgegensteht und zu welcher der Mieter deshalb auch
unter der Herrschaft des BMM durchaus angehalten werden darf. Selbst für
den Fall, dass eine Reinigung aus technischen Gründen nicht möglich sein
sollte, lässt Art. 271 Abs. 2 OR es nach seinem klaren Wortlaut nicht zu,
die Kosten für eigentliche Instandstellungsarbeiten auf den Mieter zu
überwälzen und ihn anstelle des Vermieters die Folgen der vertragsgemässen
Benutzung der Sache tragen zu lassen. Unhaltbar ist demnach die Auffassung,
da Decken von Wohnräumlichkeiten anders nicht gereinigt werden könnten,
sei das Weisseln "die einzig denkbare Art der Reinigung von Decken".
Werden dem Mieter die Kosten für derartige Tüncharbeiten in Rechnung
gestellt, so lässt man ihn entgegen Art. 271 Abs. 2 OR "für die aus der
vertragsgemässen Benutzung sich ergebende Abnutzung" haften und damit
für Aufwendungen einstehen, für die der Vermieter über die Miete bereits
entschädigt worden ist (vgl. BGE 48 II 387 E. 2). Trotzdem wurde der
Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren verpflichtet, die Kosten für
das Weisseln sämtlicher Decken der von ihm gemieteten Fünfzimmerwohnung
zu übernehmen. Das widerspricht offensichtlich dem in Art. 271 Abs. 2 OR
verankerten klaren Rechtsgrundsatz.

    c) Freilich übernimmt das Appellationsgericht die beanstandete
Rechtsauffassung des Zivilgerichtspräsidenten seinerseits nicht
vorbehaltlos. Unter den geschilderten Umständen durfte es sie aber auch
nicht als vertretbar bezeichnen, sondern hätte Willkür bejahen müssen. Das
ist derart eindeutig, dass auch der Entscheid des Appellationsgerichts
als willkürlich erscheint und daher aufzuheben ist.