Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 II 268



105 II 268

44. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. November 1979
i.S. S. gegen B. (Berufung) Regeste

    Einrede der abgeurteilten Sache.

    1. Diese Einrede darf dem Kläger nicht entgegengehalten werden, wenn
er im ersten Prozess nicht berechtigt war, die Sicherheit für eingetretene
Verluste zu beanspruchen, im zweiten diese Voraussetzung aber erfüllt,
weil er sich die streitigen Forderungen inzwischen zedieren liess.

    2. In der Zession ist diesfalls kein blosser Revisionsgrund, sondern
eine Änderung des Klagegrundes zu erblicken.

Sachverhalt

    A.- B. wurde 1971 für Kompetenzüberschreitungen, die er als Verwalter
einer Bank AG bei der Kreditgewährung begangen hatte, verantwortlich
gemacht; die Kontrollstelle fand insbesondere, dass die internen
Rückstellungen für gefährdete Kundenguthaben um rund Fr. 300'000.- zu
niedrig seien. Als Hauptaktionär stellte S. der Bank AG eine Bankgarantie
des Schweizerischen Bankvereins über Fr. 300'000.- aus. B. seinerseits
übergab der Bank AG bereits am 5. Juni 1970 einen Wechsel mit den Klauseln,
dass er bei Sicht "gegen diesen Eigenwechsel an die Order... die Summe von"
Fr. 270'000.- zahlen werde und dass der "Wert zur Deckung finanzieller
Ausfälle der Bank" bestimmt sei. Die Orderklausel wurde später durch
den Namen und den Wohnort des S. ergänzt. In einem Begleitschreiben vom
gleichen Tage bestätigte B., dass der Wechsel als Sicherheit zugunsten der
Bank AG oder des S. zu betrachten sei, falls auf gefährdeten Bankguthaben
Verluste eintreten sollten und S. dafür aufkommen werde.

    Am 22. Juni 1971 trat die Bank AG Kundenguthaben von Fr. 965'000.-
sowie Kassenobligationen an S. ab, während dieser ihr eine
Inhaberobligation über Fr. 1'000'000.- aushändigte, die durch eine
Grundpfandverschreibung der Baugenossenschaft Z. sichergestellt war. Am
folgenden Tag zedierte S. die Kundenguthaben, zu denen auch Forderungen
gegen die Satex AG und Adami AG gehörten, an die Baugenossenschaft. Die
Bank AG trat ihren Kunden gegenüber weiterhin als Gläubigerin auf. Als
die Satex AG und die Adami AG 1972/73 in Konkurs fielen, wurden ihr
Verlustscheine von über Fr. 340'000.- ausgestellt.

    B.- Da B. sich weigerte, den Wechsel einzulösen, klagte S. im
September 1973 gegen ihn auf Zahlung von Fr. 270'000.- nebst Zins. Das
Amtsgericht Luzern-Land und auf Appellation hin am 26. Februar 1975 auch
das Obergericht des Kantons Luzern wiesen die Klage ab, weil der Kläger
die durch den Wechsel sichergestellten Guthaben an die Baugenossenschaft
Z. abgetreten habe. Auf Berufung des Klägers entschied das Bundesgericht
am 26. November 1975 im gleichen Sinne.

    S. liess sich daraufhin die Verlustscheinforderungen gegen die Satex
AG und die Adami AG von der Baugenossenschaft zurückzedieren.

    Im September 1976 belangte er B. erneut für die Wechselsumme samt
Zins. Amtsgericht und Obergericht wiesen die Klage wiederum ab. Das
Obergericht verneinte in seinem Urteil vom 8. November 1978, dass die
Forderung verjährt sei; es hielt die Einrede der abgeurteilten Sache aber
für begründet.

    Auf Berufung des Klägers hat das Bundesgericht dieses Urteil des
Obergerichts am 20. November 1979 aufgehoben und die Sache zur neuen
Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht geht zutreffend davon aus, dass nach Bundesrecht
ein früheres Urteil einer neuen Klage nur entgegensteht, wenn die
Parteien des Vorprozesses dem Richter den gleichen Anspruch aus gleichem
Entstehungsgrund erneut zur Beurteilung unterbreiten. Es anerkennt
ferner, dass die Identität der Ansprüche zu verneinen ist, wenn zwar
aus dem gleichen Rechtsgrund wie im Vorprozess geklagt wird, aber neue
erhebliche Tatsachen geltend gemacht werden, die seitdem eingetreten sind
und den Anspruch in der nunmehr eingeklagten Form erst entstehen liessen;
denn diesfalls stützt sich die neue Klage auf rechtsbegründende oder
rechtsverändernde Tatsachen, die im früheren Prozess nicht zu beurteilen
waren. Diese Auffassung entspricht nicht nur der Rechtsprechung (BGE 97
II 396/7 mit Hinweisen), sondern auch der herrschenden Lehre (GULDENER,
Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. Aufl. S. 377/8; KUMMER, Das Klagerecht und
die materielle Rechtskraft im schweiz. Recht, S. 130/31; STRÄULI/MESSMER,
N. 7 zu § 191 zürch. ZPO).

    Der Kläger ist grundsätzlich nicht anderer Meinung. Er erblickt aber
darin, dass er nach Abschluss des Vorprozesses die Verlustforderungen
der Bank gegen die Satex AG und die Adami AG sich zurückzedieren liess,
eine entscheidende Änderung des Klagegrundes, weil er nun wieder selber
aus den Forderungen berechtigt sei. Er wirft dem Obergericht vor, die
Bedeutung dieser Tatsache verkannt zu haben.

    a) Was in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Gegenstand des
Vorprozesses gewesen ist, ergibt sich aus dem Urteil des Bundesgerichts vom
26. November 1975 und dem vom Obergericht festgestellten Sachverhalt, der
diesem Urteil zugrunde liegt. Danach war der vom Beklagten am 5. Juni 1970
ausgestellte Wechsel ausschliesslich zur Sicherung von Verlusten bestimmt,
welche gemäss Schreiben des B. vom gleichen Tage auf näher angeführten
Krediten der Bank AG zu entstehen drohten. Das eine wie das andere war
dem Kläger als Wechselnehmer bekannt. Fest stand ferner, dass die Bank
im Konkurs der Satex AG und der Adami AG tatsächlich solche Verluste
von insgesamt Fr. 340'000.- erlitten hatte. Das Obergericht hat damals
die Klage gleichwohl abgewiesen, weil der Kläger die ihm von der Bank
zedierten Guthaben umgehend an die Baugenossenschaft Z. abgetreten habe,
welche deshalb allein berechtigt sei, die Sicherheit für die eingetretenen
Verluste zu beanspruchen.

    Vor Bundesgericht versuchte der Kläger darzutun, dass er
in Wirklichkeit Gläubiger der Bankguthaben geblieben sei. Was er
zur Begründung seiner Auffassung vorbrachte, erwies sich jedoch als
unzutreffend. Nach dem, was in tatsächlicher Hinsicht feststand, gehörten
die Verlustscheinforderungen der Baugenossenschaft, von welcher der Kläger
sie nur durch schriftliche Rückzession wieder hätte erwerben können. Eine
solche Zession hatte der Kläger nach der Feststellung des Obergerichts
im Vorprozess jedoch weder behauptet noch bewiesen.

    b) Im zweiten Prozess bezeichnete der Kläger die von ihm inzwischen
beigebrachten Rückzessionen als neue Beweise im Sinne von § 266 ZPO,
was vom Obergericht dahin ausgelegt wurde, es werde lediglich ein
Revisionsgrund geltend gemacht. Diese Auslegung geht schon deshalb fehl,
weil eine nach Abschluss des Vorprozesses eingetretene Tatsache sich
nicht als Revisionsgrund ausgeben lässt (vgl. BGE 86 II 386 und dort
angeführte Urteile). Das Obergericht hat sich mit den neuen Beweisen
denn auch auseinandergesetzt, sie insbesondere unter dem Gesichtspunkt
der Rechtskraftwirkung untersucht. Es hält die Rückzessionen aber
für unerheblich, weil die gleiche Wechselforderung wie im Vorprozess
geltend gemacht werde und diese sowie allenfalls die Forderung
aus dem Grundverhältnis nicht identisch seien mit den rückzedierten
Verlustscheinforderungen; die beiden ersten hätten entgegen dem Eindruck,
den das Urteil des Vorprozesses erweckt haben möge, unabhängig vom
Eigentum an den letzteren bestanden. Die neuen Tatsachen seien weder
rechtsbegründend noch rechtsverändernd, vermöchten folglich die Identität
des neuen mit dem bereits rechtskräftig abgewiesenen Klageanspruch nicht
aufzuheben.

    Damit übergeht das Obergericht die bereits im Vorprozess festgestellten
Tatsachen, dass der Beklagte den Wechsel ausschliesslich zur Sicherung
gegen Verluste aus Kundenguthaben der Bank ausgestellt und der Kläger
diese Garantieverpflichtung, die das Grundgeschäft ausmachte, gekannt
hat. Nach diesem Sachverhalt erweckten die Urteile des Obergerichts und
des Bundesgerichts nicht nur den Eindruck, sondern machten deutlich, dass
der Kläger nur insoweit anstelle der Bank die Wechselforderung geltend
machen könne, als er auch selber für Verluste aufzukommen habe. Das
war damals zu verneinen, weil er die Verlustscheinforderungen an die
Baugenossenschaft abgetreten hatte und es dabei bewenden liess. Bei dieser
Anspruchsgrundlage des Vorprozesses geht es nicht an, dem Kläger das Recht
auf ein neues Verfahren mit der Begründung abzusprechen, die Rechtskraft
eines Urteils beziehe sich weder auf die Feststellung von Tatsachen noch
auf die Beurteilung von Rechtsfragen. Das entbindet den Richter nicht
von der Prüfung, ob der eingeklagte Anspruch mit dem früher beurteilten
identisch sei; das aber kann nur gesagt werden, wenn die tatsächlichen und
rechtlichen Grundlagen der beiden Prozesse miteinander verglichen werden
(BGE 97 II 396, 71 II 284).

    Der Kläger hat dadurch, dass er sich die beiden
Verlustscheinforderungen am 29. April 1976 von der Baugenossenschaft
zurückgeben liess, den Sachverhalt des Vorprozesses entscheidend verändert;
denn damit hat er die tatsächliche Voraussetzung geschaffen, deren Fehlen
1975 zur Abweisung der Klage geführt hat (GULDENER, aaO, S. 378 Anm. 64;
KUMMER, aaO, S. 130). Ob unter dieser Voraussetzung der Anspruch auf
die Wechselsumme begründet sei, ist im vorliegenden Prozess zu prüfen,
weshalb das Obergericht die zweite Klage zu Unrecht als abgeurteilte Sache
behandelt hat und das angefochtene Urteil aufzuheben ist. Da der Beklagte
an weiteren Einwendungen festhält, welche vom Obergericht übergangen
wurden und über die das Bundesgericht schon mangels tatsächlicher
Feststellungen nicht selbst entscheiden kann, ist die Sache an die
Vorinstanz zurückzuweisen. In seinem neuen Urteil wird das Obergericht
frei prüfen können, wieweit der Anspruch auf die Wechselsumme vom
Eigentum an den Verlustscheinforderungen abhängt; nur das ist der Sinn
der von ihm zitierten Erwägung aus BGE 102 II 288 und 99 II 174, wonach
Entscheidungsgründe an der Rechtskraft des Urteils grundsätzlich nicht
teilnehmen. Dabei wird die Vorinstanz sich freilich davor hüten müssen,
ihrer einlässlich begründeten Rechtsauffassung im Vorprozess, welche vom
Bundesgericht übernommen worden ist, leichthin zu widersprechen.