Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 II 234



105 II 234

39. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Juli 1979 i.S.
Landschaft und Gemeinde Davos gegen Schumacher (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Rechtsnatur der Beziehungen zwischen einer öffentlichen Anstalt und
deren Benützern.

    Die Beziehungen zwischen dem Elektrizitätswerk der Landschaft Davos
und dessen Energiebezügern sind öffentlichrechtlicher Natur.

Sachverhalt

    A.- Im Jahre 1953 erwarb die Landschaft Davos sämtliche Aktien
der AG Elektrizitätswerke Davos. Gemäss der vom Grossen Landrat am 31.
Juli 1953 erlassenen Verordnung über Organisation und Verwaltung des
Elektrizitätswerkes der Landschaft Davos wurde das Elektrizitätswerk
(im folgenden EWD genannt) von da an als selbständiges, von der übrigen
Gemeindeverwaltung getrenntes industrielles Unternehmen betrieben. Sein
Zweck ist die Versorgung der Landschaft Davos und der näheren Umgebung
mit elektrischer Energie. Seine Verwaltung ist der Oberaufsicht der
Gemeindebehörde unterstellt, wobei der Grosse Landrat insbesondere
sämtliche Tarife zu genehmigen hat. Im Reglement über die Abgabe
elektrischer Energie des EWD vom 12. Januar 1961 regelte der Grosse
Landrat generell das Verhältnis zwischen dem Werk und den Energiebezügern.

    B.- Im Mai 1976 musste das EWD in der Transformatorenstation "Meierhof"
Sicherungen ersetzen lassen, weil die Freileitungsdrähte von Lastwagen mit
aufgekippten Ladebrücken berührt worden waren, was Kurzschlüsse zur Folge
hatte. Als Ursache bezeichnete das EWD den Umstand, dass Hans Schumacher
unter seiner elektrischen Hauszuleitung mit einer Terrainaufschüttung
begonnen habe, ohne das Werk zu benachrichtigen. Aus Sicherheitsgründen
wurde in der Folge die betreffende Freileitung verlegt. Gestützt auf
Art. 6 Ziff. 10 des Reglementes vom 12. Januar 1961 stellte das EWD Hans
Schumacher am 28. Oktober 1976 für diese Verlegungsarbeiten Rechnung in
der Höhe von Fr. 2'811.65. Schumacher lehnte die Bezahlung des geforderten
Betrags ab.

    C.- Mit Klageschrift vom 25. Juli 1977 erhob das EWD beim
Bezirksgerichtspräsidium Oberlandquart gegen Hans Schumacher Klage auf
Bezahlung von Fr. 2'811.65. Mit Entscheid vom 10. Februar 1978 erklärte
sich der Gerichtspräsident als unzuständig. Eine Beschwerde des EWD gegen
diesen Entscheid wurde vom Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden am
13. Juli 1978 abgewiesen, im wesentlichen mit der Begründung, die Forderung
des EWD stütze sich auf öffentliches Recht, so dass die Zivilgerichte zu
deren Beurteilung nicht zuständig seien.

    D.- Gegen den Entscheid des Kantonsgerichtsausschusses führt die
Landschaft und Gemeinde Davos staatsrechtliche Beschwerde. Für den Fall
der Unzulässigkeit dieses Rechtsmittels beantragt sie, ihre Eingabe sei
als Nichtigkeitsbeschwerde entgegenzunehmen.

    Hans Schumacher beantragt die Abweisung der staatsrechtlichen
Beschwerde bzw. der Nichtigkeitsbeschwerde.

    Das Bundesgericht nimmt die Eingabe als Nichtigkeitsbeschwerde entgegen
und weist sie ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Kantonsgerichtsausschuss
habe auf den Streitfall mit dem Beschwerdegegner zu Unrecht das
(kommunale) öffentliche Recht angewendet. In Wirklichkeit unterstehe
dieser Streitfall dem Bundesprivatrecht, da die Beziehungen zwischen dem
EWD und dessen Benützern privatrechtlicher Natur seien. Diese Rüge kann,
da die Voraussetzungen für die Berufung mangels Erreichung des Streitwertes
nicht erfüllt sind (Art. 46 OG), nach Art. 68 Abs. 1 lit. a OG mit der
Nichtigkeitsbeschwerde erhoben werden, so dass die staatsrechtliche
Beschwerde unzulässig ist (Art. 84 Abs. 2 OG). Die Eingabe der
Beschwerdeführerin ist daher als Nichtigkeitsbeschwerde entgegenzunehmen.

Erwägung 2

    2.- Wie im angefochtenen Entscheid zutreffend ausgeführt wird, stellt
das EWD eine unselbständige Anstalt des öffentlichen Rechts dar, die
als Versorgerin der Gemeinde mit Elektrizität eine öffentliche Aufgabe
erfüllt. Das EWD untersteht somit dem öffentlichen Recht. Damit ist
jedoch nicht gesagt, dass auch das Verhältnis zwischen dem Werk und
den Energiebezügern vom öffentlichen Recht beherrscht sei. Die Frage
nach der Rechtsnatur der Beziehung zwischen einer öffentlichen Anstalt
und deren Benützern ist vielmehr kontrovers. Nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichts (BGE 76 II 104/105) ist diese Beziehung dann
öffentlichrechtlicher Natur, wenn durch sie ein besonderes Gewaltverhältnis
begründet wird, kraft dessen die Anstalt dem Benützer gegenüber mit
obrigkeitlicher Gewalt ausgestattet ist, was in jedem Einzelfall anhand
der konkreten Ausgestaltung der Benützungsordnung zu entscheiden
ist. Als Gesichtspunkte gelten dabei insbesondere die unmittelbare
Verfolgung öffentlicher Zwecke, im Vergleich zu denen die Absicht
auf Erzielung eines Gewinnes von untergeordneter Bedeutung erscheint,
sowie die einseitige, unabänderliche Regelung der Anstaltsbenützung
durch Gesetz oder Verwaltungsverordnung, im Gegensatz zur freien
Bestimmbarkeit der gegenseitigen Beziehungen der Beteiligten auf dem Boden
der Gleichberechtigung. Bei einem Elektrizitätswerk kommt es vor allem
darauf an, wie zwischen der Anstalt und den Bezügern die Bedingungen für
die Stromlieferungen festgelegt werden. Erfolgt dies einseitig durch die
Anstalt in zum vornherein feststehenden Bestimmungen in der Weise, dass
beim Vorliegen der gleichen Umstände ohne weiteres die gleichen Bedingungen
gelten, dann ist ein Verhältnis öffentlichrechtlicher Natur anzunehmen. Wo
aber die Benützungsordnung es gestattet, wesentliche Einzelheiten des
Bezuges, insbesondere das Entgelt, durch besondere Vereinbarung zwischen
der Anstalt und dem Bezüger von Fall zu Fall verschieden zu gestalten,
wobei die Einigung durch Unterhandlungen mit gegenseitigem Vor- und
Nachgeben herbeigeführt wird, hat man es mit Vertragsverhältnissen des
Privatrechts zu tun.

    Diese Rechtsprechung, die dem angefochtenen Entscheide zugrunde
liegt und die von der Lehre im wesentlichen gebilligt wird (vgl. GRISEL,
Droit administratif suisse, S. 118/119; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische
Verwaltungsrechtsprechung 5. Aufl., Bd. II Nr. 139), wird mit der
Beschwerde nicht beanstandet. Die Beschwerdeführerin macht vielmehr
geltend, die Vorinstanz habe die genannten Kriterien auf den vorliegenden
Fall unrichtig angewendet.

Erwägung 3

    3.- Ausgangspunkt für die rechtliche Qualifizierung des Verhältnisses
zwischen dem EWD und dem Beschwerdegegner bildet nach dem Gesagten somit
die Benützungsordnung des EWD. Diese ist in dem vom Grossen Landrat
erlassenen Reglement für die Abgabe elektrischer Energie des EWD vom
12. Januar 1961 niedergelegt. Nach seinem Art. 1 Ziff. 1 Abs. 1 bilden
das Reglement, die gestützt darauf erlassenen Vorschriften und die
jeweiligen Tarife die Grundlage für das Rechtsverhältnis zwischen dem
EWD und dessen Energiebezügern. Daraus ergibt sich unmissverständlich,
dass das Gemeinwesen die Bedingungen des Energiebezuges einseitig,
und zwar kraft eines Hoheitsaktes, festsetzt. Diesen Bedingungen
sind die Energiebezüger unterworfen, auch wenn sie mit ihnen nicht
einverstanden sind. Das EWD tritt somit seinen Kunden nicht auf dem Boden
der Gleichberechtigung gegenüber, sondern als übergeordnete Instanz. Das
folgt auch aus einzelnen besonderen Bestimmungen des Reglements. So setzt
das EWD nach Art. 4 Ziff. 1 die technischen Anschlussbedingungen von
sich aus fest. Ferner ist der Grosse Landrat nach Art. 14 berechtigt,
das Reglement unter Beobachtung einer zweimonatigen Frist jederzeit
abzuändern. Nach Art. 11 kann der Grosse Landrat auch die Tarife jederzeit
abändern, wobei eine Frist von drei Monaten einzuhalten ist. Entgegen
der Ansicht der Beschwerdeführerin kann darin nicht ein Kündigungsrecht
des Werkes erblickt werden, das auf den privatrechtlichen Charakter des
Benützungsverhältnisses schliessen liesse. Die jederzeitige Abänderbarkeit
sämtlicher Modalitäten des Anschlusses und des Energiebezuges durch den
Grossen Landrat beweist im Gegenteil, dass die Bezüger, die ihrerseits an
diesen Modalitäten in der Regel nichts ändern können, dem EWD bzw. den
Gemeindebehörden untergeordnet sind. Dass Reglement und Tarife nur
unter Beobachtung einer Frist abgeändert werden können, will nach den
zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz einzig gewährleisten, dass
sich die Bezüger auf die bevorstehende Änderung der Bezugsbedingungen
einrichten können und davon nicht überrascht werden. Treten sich aber
das EWD und die Energiebezüger nicht gleichberechtigt gegenüber, sondern
besteht ein Subordinationsverhältnis, so sind ihre Beziehungen nicht
privatrechtlicher Natur.

Erwägung 4

    4.- Unter dem Marginale "Vertragswirkung des Reglementes" heisst es in
dessen Art. 1 Ziff. 1 Abs. 2 freilich, die Tatsache des Energiebezuges
gelte als Anerkennung des Reglementes sowie der jeweils geltenden
Vorschriften und Tarife. Daraus könnte geschlossen werden, das Reglement
bilde in gleicher Weise, wie dies etwa bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen
der Fall ist, Bestandteil eines zwischen Werk und Bezüger abgeschlossenen
(privatrechtlichen) Energielieferungsvertrages. Die Formulierung ist
jedoch missverständlich. Das Reglement beansprucht in jedem Falle Geltung,
unabhängig davon, ob es der Bezüger kennt oder nicht. Vertragsinhalt
könnte es jedoch nur werden, wenn jeder einzelne Bezüger es - mindestens
konkludent - annehmen würde. Die blosse Tatsache des Energiebezuges würde
für die Unterwerfung unter das Reglement nicht genügen. Abgesehen davon
ist fraglich, ob ein Vertrag, bei dem die eine Vertragspartei sämtliche
Vertragsbedingungen nach Belieben einseitig abändern kann, überhaupt
gültig wäre. Im übrigen lässt sich die Bestimmung dadurch erklären,
dass bei der Revision des Reglementes im Gefolge der Übernahme des
Elektrizitätswerkes durch das Gemeinwesen offenbar Bestimmungen aus der
alten, privatrechtlichen Benützungsordnung übernommen worden sind.

Erwägung 5

    5.- Nach Ansicht der Beschwerdeführerin spricht vor allem
Art. 1 Ziff. 2 des Reglementes für die privatrechtliche Natur des
Benützungsverhältnisses. Nach dieser Bestimmung kann das EWD in besonderen
Fällen, z.B. für die Energielieferungen an Grossbezüger, für fakultative
Lieferungen und für die Bereitstellung von Ergänzungs- oder Ersatzenergie
sowie für die provisorischen Anschlüsse (Schausteller, Festanlässe,
Bauplätze usw.) besondere Anschlussbedingungen festsetzen und spezielle
Energielieferungsverträge abschliessen, die von den Bedingungen des
Reglementes und der allgemeinen Tarife abweichen. Die Beschwerdeführerin
stützt sich dabei auf BGE 76 II 106. In der Tat hat das Bundesgericht
in jenem Entscheid bei der Qualifizierung des Verhältnisses zwischen
einem kommunalen Elektrizitätswerk und den Energiebezügern entscheidendes
Gewicht darauf gelegt, ob die Benützungsordnung für besondere Verhältnisse
separate, von den allgemeinen Tarifbedingungen abweichende Vereinbarungen
zulasse. Es führte dabei aus, in einem solchen Fall stellten die Reglemente
und die darin vorgesehenen Tarife lediglich die Normalbedingungen
für die Stromabgabe dar, die nur insoweit Anwendung finden sollten,
als nicht durch besondere Vereinbarung eine andere Regelung getroffen
werde. Die reglementarischen Tarife seien danach lediglich subsidiär,
mangels abweichender Vereinbarung, anwendbar. Es fehle ihnen also gerade
das für das öffentlichrechtliche Verhältnis charakteristische Element der
durch die konkreten Umstände des Einzelfalles zwangsläufig und unabdingbar
bewirkten Anwendbarkeit.

    Im vorliegenden Fall setzt das Reglement aber nicht nur die
Normalbedingungen fest, die lediglich subsidiär, unter Vorbehalt
abweichender Vereinbarung, gelten sollen. Für den Normalbezüger -
und um solche handelt es sich bei der grossen Mehrheit der Kunden
des EWD - sind das Reglement und die gestützt darauf erlassenen Tarife
vielmehr unabdingbar. Nur in ganz besonderen Fällen darf davon abgewichen
werden. Dass für die Energielieferung an Grossbezüger, für provisorische
Anschlüsse und dergleichen besondere Anschlussbedingungen festgesetzt und
spezielle Energielieferungsverträge abgeschlossen werden dürfen, liegt in
der Natur der Sache und ist unvermeidlich, können doch diese Bedingungen
für solche Anschlüsse anders als diejenigen für Normalbezüger schon aus
technischen Gründen nicht ein für allemal zum voraus in einem Reglement
niedergelegt werden. Dass das EWD die Möglichkeit hat und haben muss, in
besonderen Fällen mit seinen Kunden Vereinbarungen über den Energiebezug
abzuschliessen, bildet somit keinen Beweis für die privatrechtliche
Natur des Benutzungsverhältnisses. Auch das öffentliche Recht kennt
rechtsgeschäftliche Vereinbarungen zwischen dem Gemeinwesen und dem Bürger
(verwaltungsrechtliche Verträge; vgl. z.B. BGE 103 II 318/319, wo die
Vereinbarung zwischen einer Gemeinde und einem Unternehmen betreffend
Lieferung von Trinkwasser zu besonderen Bedingungen als öffentlichrechtlich
qualifiziert wurde).

    Soweit in BGE 76 II 106 bei der Beurteilung eines Reglementes, dessen
Wortlaut nicht bekannt ist, eine abweichende Ansicht vertreten wurde,
ist daran nicht festzuhalten. Im übrigen erklärt sich jener Entscheid aus
dem Bedürfnis, dem Anstaltsbenützer zu ermöglichen, seine allfälligen
Ansprüche gegen die Anstalt vor dem Zivilrichter geltend zu machen, da
damals die Verwaltungsgerichtsbarkeit noch wenig entwickelt war (GRISEL,
aaO, S. 119). Diese Überlegung hat aber an Gewicht verloren, seitdem es
in den meisten Kantonen Verwaltungsgerichte gibt, die auf die Beurteilung
von öffentlichrechtlichen Streitigkeiten spezialisiert sind.