Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 II 23



105 II 23

4. Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Februar 1979 i.S. Nussberger
gegen K. (Berufung) Regeste

    Kaufvertrag, Erklärungsirrtum.

    Art. 1 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 3 OR. Auslage von Waren in einem
Schaukasten ausserhalb des Geschäftslokales (E. 1).

    Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 OR. Erklärungsirrtum und Vertrauensgrundsatz
(E. 2).

    Art. 26 OR. Schadenersatzpflicht des fahrlässig Irrenden (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Werner Nussberger ist Juwelier und Goldschmied in Baden.  In einem
Schaukasten in der Nähe seines an der Obern Gasse in Baden gelegenen
Geschäftes stellte er im Herbst 1974 einen Damenring mit blauem Opal und
25 Brillanten aus. Den Preis für diesen Ring hatte er auf Fr. 13'800.-
festgesetzt; aus Versehen brachte aber eine Angestellte Nussbergers,
Silvia Meier, am Ring eine Preisetikette an, auf der ein Verkaufspreis
von Fr. 1'380.- vermerkt war. Am 15. Oktober 1974 betrat K. das Geschäft
Nussbergers und wünschte den ausgestellten Ring zu kaufen. K. wurde von
Jürg Jauslin bedient, der das "Garantie-Zertifikat" für den Ring ausstellte
und alsdann K. den Ring zu dem auf der Preisanschrift aufgeführten Preise
von Fr. 1'380.- überliess. Am folgenden Tage entdeckte Nussberger den
Fehler. Er erklärte K. gegenüber den Rücktritt vom Vertrage und forderte
ihn auf, den Ring gegen Erstattung des Kaufpreises von Fr. 1'380.-
zurückzugeben. Eine Einigung kam nicht zustande.

    B.- Im Januar 1975 erhob Nussberger gegen K. beim Bezirksgericht Baden
Klage auf Rückgabe des Ringes, Zug um Zug gegen Bezahlung des Kaufpreises
von Fr. 1'380.-. Eventuell sei der Beklagte zu verpflichten, dem Kläger
Fr. 12'420.- zu zahlen. Demgegenüber beantragte der Beklagte Abweisung
der Klage. In seinem "Widerklageschluss" erklärte er sich bereit, den
Ring dem Kläger gegen Erstattung des Kaufpreises sowie gegen Leistung von
Schadenersatz im Betrage von Fr. 2'120.- sowie der Erstattung der Kosten
eines von ihm eingeholten Gutachtens herauszugeben.

    Mit Urteil vom 29. Juni 1977 wies das Bezirksgericht Baden die
Klage ab, ebenso auf Appellation des Klägers hin das Obergericht
(2. Zivilabteilung) des Kantons Aargau am 29. Juni 1978.

    C.- Der Kläger hat gegen das obergerichtliche Erkenntnis die Berufung
erklärt, mit der er die Gutheissung seiner Klagebegehren sowie die
Abweisung der Widerklage verlangt. Der Beklagte hat keine Berufungsantwort
eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 7 Abs. 3 OR gilt die Auslage von Waren mit Angabe
des Preises in der Regel als Antrag. Das ist unter anderem auch dann
der Fall, wenn eine Kaufsache nicht nur im Geschäftslokal, sondern,
wie hier, ausserhalb von diesem in einem Schaukasten ausgestellt wird
(SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 28 zu Art. 7 OR). Aus dem angefochtenen Urteil
ergeben sich keine Anhaltspunkte, wonach der Beklagte erkannt hat oder doch
hätte erkennen müssen, dass der Kläger den Ring zu einem höheren als dem
auf der Preisetikette vermerkten Preis verkaufen wollte. Der Vertrag kam
somit zustande, als der Beklagte gegenüber dem Angestellten des Klägers,
Jauslin, die Annahme erklärte (Art. 1 Abs. 1 OR). Dass Jauslin einen
neuen Antrag gemacht hätte und dieser vom Beklagten angenommen worden
wäre, stellt die Vorinstanz nicht fest. Unter diesen Umständen kann
auf das Verhalten Jauslins nichts mehr ankommen. Hingegen muss sich
der Kläger die von seiner Angestellten Meier als Hilfsperson erstellte
falsche Preisanschrift so anrechnen lassen, wie wenn der Fehler ihm
selbst unterlaufen wäre; anderseits darf er sich auf den Irrtum dieser
Hilfsperson berufen.

Erwägung 2

    2.- a) Der Kläger macht Irrtum geltend. Fest steht, dass er den Ring
zum Preise von Fr. 13'800.- verkaufen wollte, während die Angestellte
Meier den Ring - aus Versehen - mit nur Fr. 1'380.- auszeichnete. Indem
das, wie erläutert, zum Abschluss des Vertrages mit dem Beklagten führte,
liess der Kläger sich eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfang
versprechen, als es sein Wille war (vgl. VON TUHR/PETER, Allgemeiner
Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Zürich 1979, S. 305). Darin
liegt ein wesentlicher Irrtum im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 OR,
so dass der Vertrag für den Kläger unverbindlich ist.

    b) Die Vorinstanz verwehrt dem Kläger die Berufung auf Irrtum, weil
derjenige, der sich verschrieben oder versprochen habe, nur dann Irrtum
geltend machen dürfe, wenn er nachweisen könne, dass die Gegenpartei beim
Vertragsschluss bösen Glauben gehabt habe. Für ihre Auffassung stützt
sich die Vorinstanz auf VON BÜREN (Schweizerisches Obligationenrecht,
Allgemeiner Teil, Zürich 1964, S. 235). In der Tat wird von einem
Teil der Lehre die Meinung vertreten, dass der Vertrauensgrundsatz
den Vertrag in jeder Hinsicht beherrsche. Dem Irrenden sei deshalb
die Berufung auf Irrtum versagt, wenn nach dem Vertrauensgrundsatz der
Vertrag als geschlossen betrachtet werden müsse (vgl. A. SIMONIUS, Über
die Bedeutung des Vertrauensprinzipes in der Vertragslehre, in: Festgabe
der Basler Juristenfakultät zum Schweizerischen Juristentag, Basel 1942,
S. 263 ff.; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 208 und 209 zu Art. 1 OR; VON BÜREN,
aaO, S. 235 ff.). Ob das zutrifft oder ob auch in einem solchen Fall die
Anwendung der Irrtumsregeln uneingeschränkt offen steht, ist indes eine
Streitfrage, die seit langer Zeit erörtert wird, wobei besonders in der
deutschen Lehre der erstgenannten Ansicht das Wort geredet wird (vgl.
SCHMIDLIN, Das Vertrauensprinzip und die Irrtumslehre im deutschen und
schweizerischen Recht, in: ZSR 89/1970, S. 225 ff.).

    Für das schweizerische Recht hat das Bundesgericht in dieser
Kontroverse bereits in BGE 34 II 531 E. 7 Stellung genommen, wo es zu
Art. 19 aOR, der dem geltenden Art. 24 OR entspricht, ausführte, in Fällen,
wo ein wesentlicher Irrtum vorliege, stelle das Gesetz auf den von der
Erklärung abweichenden Willen ab. Es berücksichtige nämlich "entgegen
den einseitigen Interessen der Verkehrssicherheit auch die Interessen
des Schuldners und findet den Ausgleich nicht in einer Beschränkung der
Anfechtungsmöglichkeit, sondern in der Schadenersatzpflicht" des fahrlässig
Irrenden. Später prüfte das Bundesgericht dann in einem Fall, in dem es
das Zustandekommen des Vertrages in Anwendung des Vertrauensgrundsatzes
bejaht hatte, ohne weiteres auch die Frage, ob der Vertrag allenfalls
infolge Erklärungsirrtums einseitig unverbindlich sei (BGE 64 II 11 E. 3
und 4; vgl. auch BGE 39 II 579 E. 2). Auf dieser Linie liegt schliesslich
auch ein neuerer Entscheid, wo dargelegt wird, der Umstand allein, dass
der Irrende den Irrtum seiner eigenen Fahrlässigkeit zuzuschreiben habe,
mache die Berufung auf Irrtum nicht missbräuchlich im Sinne von Art. 25 OR;
andernfalls verlöre Art. 26 OR, der den fahrlässig Irrenden zum Ersatz
des aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenen Schadens verpflichte,
seine Bedeutung (BGE 91 II 280 E. 3).

    Von der dargelegten Rechtsprechung abzugehen, besteht kein Anlass,
denn die gesetzliche Ordnung ist klar und unmissverständlich: Ein Vertrag
kommt zustande, wenn übereinstimmende gegenseitige Willensäusserungen
vorliegen (Art. 1 Abs. 1 OR). Ob das zutrifft, ist gegebenenfalls unter
Heranziehung des Vertrauensgrundsatzes zu ermitteln. Erst wenn feststeht,
dass dergestalt ein Vertrag zustande gekommen ist, stellt sich die weitere
Frage, ob er allenfalls wegen eines wesentlichen Irrtums für die eine
Partei unverbindlich ist (Art. 23 OR). Das entscheidet sich namentlich nach
den in Art. 24 OR niedergelegten Regeln und ist damit unabhängig von der
Frage, ob hinsichtlich des anzufechtenden Vertrages die Willenserklärungen
als übereinstimmend zu betrachten sind (vgl. OFTINGER, Bundesgerichtspraxis
zum Allgemeinen Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, 2. Auflage,
Zürich 1973, S. 100; VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen
Obligationenrechts, Band I, Zürich 1979, S. 307; GUHL/MERZ/KUMMER, Das
Schweizerische Obligationenrecht, Zürich 1972, S. 142; ENGEL, Traité des
obligations en droit suisse, Neuenburg 1973, S. 220).

    c) Auch wenn der Beklagte die Preisanschrift im Schaukasten in
guten Treuen als gültiges Angebot des Klägers verstanden hat, vermag
sich letzterer somit durch Berufung auf Irrtum von seinen vertraglichen
Pflichten loszusagen, da sein Irrtum erheblich im Sinne von Art. 24
Abs. 1 Ziff. 3 OR ist. Anhaltspunkte dafür, dass die vom Kläger erhobene
Irrtumseinrede missbräuchlich nach Art. 25 OR sei, sind nicht ersichtlich.

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 26 OR ist der Irrende, der den Vertrag nicht gegen sich
gelten lassen will, zum Ersatz des aus dem Dahinfallen des Vertrages
erwachsenen Schadens verpflichtet, wenn er seinen Irrtum der eigenen
Fahrlässigkeit zuzuschreiben hat. Dabei ist das Verhalten des Irrenden
mit einer gewissen Strenge zu beurteilen, weil Art. 26 OR ihn an sich
schon günstig behandelt und ihn von jeglicher Haftung befreit, wenn ihn
kein Verschulden trifft (BGE 69 II 239 E. 2).

    Der Kläger, der sich das Verhalten seiner Hilfspersonen anrechnen
lassen muss, hat den lrrtum der eigenen Fahrlässigkeit zuzuschreiben. Wer
als Geschäftsmann in einer Auslage eine Preisanschrift anbringt,
muss wissen, dass damit ein gültiger Antrag zum Abschluss eines
Kaufvertrages gemacht wird. Er hat somit alles vorzukehren, um ein
Versehen zu vermeiden. Gerade im vorliegenden Falle wäre für den Kläger
besondere Sorgfalt angezeigt gewesen, sollte doch in der Auslage ein
Ring mit einem hohen Wert zum Verkauf angeboten werden. Umstände, die
ihn entlasten könnten, vermag der Kläger nicht aufzuzeigen. Das Versehen
seiner Angestellten gereicht ihm somit ohne weiters zum Verschulden,
so dass er gemäss Art. 26 OR für den entstandenen Schaden haftet. Der
Beklagte macht denn auch mit seinem Widerklagebegehren Schadenersatz
geltend. Darüber brauchte die Vorinstanz angesichts ihrer Rechtsanschauung
nicht zu befinden. Im angefochtenen Urteil fehlen deshalb tatsächliche
Feststellungen, die eine Beurteilung des Schadenersatzbegehrens des
Beklagten erlaubten. Gestützt auf Art. 64 Abs. 1 OG ist es deshalb
aufzuheben, und die Sache ist zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichts
(2. Zivilabteilung) des Kantons Aargau vom 29. Juni 1978 aufgehoben und
die Sache zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen wird.