Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 II 218



105 II 218

37. Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Juni 1979 i.S. X. gegen X.
(Berufung) Regeste

    Art. 50 OG.

    Der Entscheid, mit dem ein oberes Gericht den Prozess zur Aussprechung
der Scheidung und zur Regelung der Nebenfolgen an die erste Instanz
zurückweist, ist ein selbständiger Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne
von Art. 50 OG (E. 1; Änderung der Rechtsprechung).

    Art. 142 Abs. 2 ZGB.

    Wann ist die Berufung auf Art. 142 Abs. 2 ZGB
rechtsmissbräuchlich? (E. 3, 4).

Sachverhalt

    A.- Die Ehe der Eheleute X., aus der zwei Kinder hervorgegangen
sind, wurde 1951 geschlossen. Eine erste Scheidungsklage des Ehemannes
wies das Bezirksgericht am 16. April 1970 und das Obergericht am 25.
Februar 1971 wegen überwiegenden Verschuldens des Klägers ab. Dieser
hatte sich ungefähr ab 1957 fortlaufend Ehebrüche mit verschiedenen
Frauen zuschulden kommen lassen, nachdem es schon vorher gelegentlich zu
ehebrecherischen Beziehungen gekommen war, von denen die Ehefrau aber
keine Kenntnis erhalten hatte. 1966 war er aus der ehelichen Wohnung
ausgezogen und hatte bis zum Abschluss des Scheidungsprozesses mit einer
anderen Frau zusammengelebt.

    Nachdem dieses Verhältnis in die Brüche gegangen war, knüpfte der
Ehemann 1971 oder 1972 Beziehungen zu einer Frau Y. an, mit der er
heute noch zusammenlebt und die er im Falle einer Scheidung zu heiraten
gedenkt. Mit Verfügung des Eheschutzrichters vom 31. Oktober 1974,
teilweise abgeändert durch Rekursentscheid des Obergerichts vom 8. Januar
1975, wurde er ermahnt, zu seiner Ehefrau zurückzukehren; gleichzeitig
wurde dieser gemäss Art. 170 Abs. 1 ZGB das Getrenntleben bewilligt.

    B.- Am 1. November 1975 leitete der Ehemann eine neue Scheidungsklage
ein, die das Bezirksgericht mit Urteil vom 24. Februar 1977 im wesentlichen
mit folgender Begründung abwies: Es könne offen gelassen werden, ob die
Voraussetzungen des Art. 142 Abs. 1 ZGB erfüllt seien, weil den Kläger an
einer allfälligen Zerrüttung nach wie vor das weit überwiegende Verschulden
treffe und der Widerstand der Beklagten gegen die Scheidung nicht als
rechtsmissbräuchlich bezeichnet werden könne.

    Der Kläger zog dieses Urteil ans Obergericht weiter. Dieses fand die
Berufung am 28. September 1978 für begründet und beschloss:

    "Das Urteil des Bezirksgerichtes vom 24. Februar 1977 wird aufgehoben
und
   der Prozess zum neuen Entscheid im Sinne der Erwägungen sowie allenfalls
   zur Durchführung eines ergänzenden Beweisverfahrens über die scheidungs-
   und güterrechtlichen Nebenfolgen an die Vorinstanz zurückgewiesen".

    Das Obergericht bejahte das Bestehen einer tiefen und unheilbaren
Zerrüttung, die eine Fortsetzung der Ehe für den Kläger als unzumutbar
erscheinen lasse. Zwar sei dieser an der eingetretenen Zerrüttung nach wie
vor als der überwiegend schuldige Teil zu betrachten; indessen erweise sich
der Widerstand der Beklagten gegen die Scheidung als rechtsmissbräuchlich,
so dass deren Berufung auf Art. 142 Abs. 2 ZGB nicht zu berücksichtigen
und die Ehe in Gutheissung der Klage gestützt auf Art. 142 ZGB zu scheiden
sei. Die Scheidung könne jedoch vom Obergericht nicht selbst ausgesprochen
werden, weil das nur im Zusammenhang mit der Regelung der scheidungs- und
güterrechtlichen Nebenfolgen geschehen könne. Scheidungsrechtlich gehe es
zwar lediglich noch um Leistungen des Klägers aufgrund von Art. 151 ZGB
an die Beklagte; doch müssten die verschiedenen Komponenten dieser Rente
noch näher bestimmt werden, insbesondere auch die Frage einer allfälligen
Genugtuungsleistung. Auch stehe noch nicht fest, inwieweit diese Leistungen
allenfalls vom Ergebnis der güterrechtlichen Auseinandersetzung abhängen
könnten, so dass im heutigen Zeitpunkt noch nicht entschieden werden
könne, ob eine Verweisung der güterrechtlichen Auseinandersetzung in
ein besonderes Verfahren zulässig sei oder nicht. Zu allen diesen Fragen
werde sich vorerst das Bezirksgericht auszusprechen haben.

    C.- Die Beklagte hat gegen den obergerichtlichen Beschluss die
Berufung ans Bundesgericht erklärt, mit der sie Aufhebung des angefochtenen
Entscheids und Abweisung der Scheidungsklage beantragt. Der Kläger lässt
beantragen, auf die Berufung sei nicht einzutreten, eventuell sei diese
abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Beschluss ist kein Endentscheid im Sinne von
Art. 48 OG, da er den Scheidungsprozess nicht zum Abschluss bringt, sondern
den Fall an das Bezirksgericht zu neuer Beurteilung zurückweist. Ein
derartiger Vor- oder Zwischenentscheid ist gemäss Art. 50 OG mit Berufung
nur anfechtbar, wenn dadurch sofort ein Endentscheid herbeigeführt und
ein so bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges
Beweisverfahren erspart werden kann, dass die gesonderte Anrufung des
Bundesgerichtes als gerechtfertigt erscheint. Ob die Voraussetzungen
dieser Bestimmung im vorliegenden Fall erfüllt seien, ist zwischen den
Parteien streitig. Die Beklagte bejaht die Frage, der Kläger verneint sie.

    a) Ein selbständiger Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 50
OG liegt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dann vor, wenn in ihm
eine materiellrechtliche Anspruchsvoraussetzung urteilsmässig erledigt
worden ist, und zwar unabhängig davon, ob das im Urteilsdispositiv
ausdrücklich gesagt wird oder ob dieses auf Rückweisung an die erste
Instanz zu neuer Beurteilung "im Sinne der Erwägungen" lautet (BGE 91
II 204/205). Der zitierte Entscheid macht allerdings unter Hinweis auf
BGE 81 II 399 einen Vorbehalt für den Scheidungsprozess. In der Tat
hat das Bundesgericht im zuletzt genannten Urteil in Anlehnung an BGE
78 II 398 entschieden, wenn in einem Scheidungsprozess ein kantonales
Berufungsgericht den Streit mit Bezug auf den Scheidungspunkt und die
Nebenfolgen zu neuer Beurteilung an die erste Instanz zurückweise, liege
kein selbständiger Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 50 OG vor,
und zwar auch dann nicht, wenn in den Erwägungen des oberinstanzlichen
Rückweisungsentscheides die untere Instanz verbindlich angewiesen werde,
in ihrem neuen Urteil die Scheidung auszusprechen. Beiden zitierten
bundesgerichtlichen Urteilen lag der gleiche Sachverhalt zugrunde wie dem
vorliegenden Fall. Das Bezirksgericht hatte die Scheidungsklage abgewiesen;
das Obergericht gelangte demgegenüber zum Ergebnis, die Voraussetzungen
für eine Gutheissung der Scheidungsklage seien erfüllt, es könne jedoch
die Scheidung nicht selbst aussprechen, weil vorerst die erste Instanz
sich zu den Nebenfolgen der Scheidung äussern müsse. Damit aber hat das
Obergericht in allen drei Fällen über die materiell-rechtliche Frage
der Scheidung ein endgültiges und abschliessendes Urteil gefällt. Das
Bezirksgericht hat im neuen Urteil nicht mehr die Wahl, ob es die Scheidung
aussprechen wolle oder nicht, sondern ist an die verbindliche Weisung
des Obergerichtes, die Scheidungsklage gutzuheissen, gebunden. Nach der
eingangs aufgeführten bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt somit ein
selbständiger Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 50 OG vor,
der grundsätzlich der Berufung ans Bundesgericht unterliegt, sofern die
beiden weiteren Voraussetzungen der genannten Bestimmung erfüllt sind,
dass nämlich im Falle der Gutheissung der Berufung sofort ein Endentscheid
herbeigeführt und damit ein so bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für
ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden kann, dass die gesonderte
Anrufung des Bundesgerichtes gerechtfertigt erscheint.

    b) Die Argumente, mit denen in den beiden Präjudizien BGE 78 II 398
und 81 II 398 die Anwendung von Art. 50 OG auf Fälle der vorliegenden
Art abgelehnt wird, vermögen nicht zu überzeugen. Dass das Obergericht
in beiden Fällen die Scheidung weder ausgesprochen hat, noch hätte
aussprechen können, ist unter dem Gesichtspunkt von Art. 50 OG unerheblich;
entscheidend ist allein, dass materiell über den Scheidungsanspruch des
klagenden Ehegatten verbindlich und abschliessend entschieden worden ist.

    Auch wo ein Vor- oder Zwischenentscheid einer kantonalen
Berufungsinstanz im Gegensatz zum erstinstanzlichen Urteil die Verjährung
verneint, die Aktivlegitimation bejaht oder die grundsätzliche Haftpflicht
feststellt, muss der Entscheid der Berufungsinstanz diesen Sachentscheid
nicht zwingend ausdrücklich im Dispositiv enthalten, sondern er kann sehr
wohl einfach auf Rückweisung zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen
lauten. Um solche Fälle handelte es sich beispielsweise in BGE 93 II 244
und 91 II 204; in BGE 100 II 429/430 E. 2 wurde ausgeführt, ein Vor- oder
Zwischenentscheid im Sinne von Art. 50 OG liege immer dann vor, wenn das
Bundesgericht im Falle der Gutheissung der Berufung ein Endurteil fällen
könne. Diese zuletztgenannte Voraussetzung war aber sowohl in BGE 78 II
398 wie in BGE 81 II 398 erfüllt, und sie ist entgegen den Ausführungen
in der Berufungsantwort auch im vorliegenden Falle gegeben. Gelangt
nämlich das Bundesgericht im Gegensatz zum Obergericht zur Auffassung,
die Voraussetzungen für eine Gutheissung der Scheidungsklage seien nicht
gegeben, so kann es diese abweisen, ohne dass es erforderlich ist, den
Fall ans Obergericht zurückzuweisen.

    Andere Gründe, dem vorinstanzlichen Entscheid die Berufungsfähigkeit
abzusprechen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann nicht
eingewendet werden, das Bezirksgericht müsse bei der neuen Beurteilung
der Scheidungsklage auch Tatsachen berücksichtigen, die nach dem
obergerichtlichen Urteil eingetreten seien. Es ist nicht einzusehen,
inwiefern neu eingetretene Tatsachen einen einmal begründeten
Scheidungsanspruch wieder hinfällig machen könnten. Aber auch wenn eine
solche Möglichkeit bestünde, vermöchte das nichts daran zu ändern, dass
eine Gutheissung der Berufung zu einem Endurteil fährt, womit die erste
in Art. 50 OG aufgestellte Voraussetzung erfüllt ist.

    Dazu kommt, dass ein Ehegatte, der sich der Scheidungsklage
widersetzt, ein schützenswertes Interesse daran hat, sich nicht in
ein langwieriges Beweisverfahren über die Nebenfolgen einlassen zu
müssen, um dann schliesslich vor Bundesgericht zu erreichen, dass die
Scheidungsklage doch abgewiesen wird. Es liegt somit auch im Interesse
einer allfälligen Rettung der Ehe, dass möglichst rasch abschliessend
über den Scheidungspunkt entschieden wird.

    Aus diesen Gründen ist die in BGE 78 II 398 und 81 II 398
eingeschlagene Rechtsprechung aufzugeben und Art. 50 OG auch im
Scheidungsprozess uneingeschränkt gleich anzuwenden wie in andern
Zivilprozessen.

    c) Es bleibt noch zu entscheiden, ob die zweite in Art. 50 Abs. 1
OG aufgestellte Voraussetzung erfüllt sei, dass durch die Zulassung der
Berufung ein bedeutender Aufwand an Zeit und Kosten für ein weitläufiges
Beweisverfahren erspart werden kann. Auch diese Frage ist in BGE 78 II 399
zu Unrecht verneint worden. Das Beweisverfahren über die Nebenfolgen der
Scheidung kann unter Umständen sehr weitläufig und kostspielig sein. Die
Abtrennung der güterrechtlichen Auseinandersetzung und ihre Verweisung
in ein besonderes Verfahren soll nach der konstanten Rechtsprechung des
Bundesgerichtes die Ausnahme bilden, und sie ist in jedem Falle dann
ausgeschlossen, wenn das Ergebnis der güterrechtlichen Auseinandersetzung
die Beurteilung von Entschädigungs- und Unterhaltsansprüchen
beeinflussen kann (BGE 98 II 345, 95 II 68). Aber auch die Regelung von
andern Nebenfolgen kann oft umfangreiche und zeitraubende Abklärungen
erfordern. Im vorliegenden Fall geht es, wie das Obergericht zutreffend
ausführt, um die Regelung von Entschädigungs- und Unterhaltsansprüchen der
Beklagten sowie um die Vornahme der güterrechtlichen Auseinandersetzung. Ob
die erwähnte Voraussetzung, die letztere in ein gesondertes Verfahren
zu verweisen, erfüllt ist, steht keineswegs fest. So oder so aber kann
mit einer Zulassung der Berufung unter Umständen ein Aufwand an Zeit
und Kosten eingespart werden, der die Anrufung des Bundesgerichtes als
gerechtfertigt erscheinen lässt. Auf die Berufung ist daher einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Soweit der obergerichtliche Beschluss das Vorliegen einer
Zerrüttung im Sinne von Art. 142 Abs. 1 ZGB bejaht, wird er von der
Beklagten zu Recht nicht angefochten. Dagegen wirft der Kläger dem
Obergericht vor, es habe ihm zu Unrecht ein überwiegendes Verschulden im
Sinne von Art. 142 Abs. 2 ZGB zur Last gelegt. Was er zur Begründung seines
Standpunktes vorbringt, reicht indessen nicht aus, das obergerichtliche
Urteil als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Seine Argumentation
erschöpft sich darin, durch den langen Zeitablauf sei sein ursprüngliches
Verschulden gemildert worden. Indessen hat bereits das Obergericht
eingehend und überzeugend dargelegt, die seit 1966 bestehende Trennung der
Ehegatten könne nicht als objektiver Zerrüttungsfaktor anerkannt werden,
weil sie nicht auf vom Willen der Parteien unabhängigen Gründen beruhe,
sondern auf der Tatsache, dass der Kläger die Familie verlassen habe und
seither mehr oder weniger ununterbrochen bis heute mit anderen Frauen im
Konkubinat lebe. Diese Betrachtungsweise steht mit der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung im Einklang (BGE 104 II 149/150).

Erwägung 3

    3.- Der Erfolg der Berufung hängt somit allein davon ab, Ob die
Annahme des Obergerichts haltbar sei, die Berufung der Beklagten auf Art.
142 Abs. 2 ZGB erscheine im vorliegenden Fall als rechtsmissbräuchlich.

    Das Recht des unschuldigen oder weniger schuldigen Ehegatten,
sich der Scheidungsklage seines überwiegend schuldigen Partners zu
widersetzen, findet seine Schranke wie jedes Recht am allgemeinen
Rechtsmissbrauchsverbot von Art. 2 Abs. 2 ZGB. Indessen macht das
Bundesgericht nur mit grosser Zurückhaltung von der Möglichkeit Gebrauch,
eine Anrufung von Art. 142 Abs. 2 ZGB wegen Rechtsmissbrauchs als
unzulässig zu erklären. Das rechtfertigt sich einerseits, weil Art. 2
Abs. 2 ZGB nur dem offenbaren Missbrauch eines Rechts den Schutz versagt,
andererseits weil das in Art. 142 Abs. 2 ZGB verankerte Recht, sich der
Scheidungsklage des überwiegend schuldigen Ehepartners zu widersetzen,
nicht durch eine allzu weitgehende Relativierung ausgehöhlt werden
darf (vgl. dazu BGE 104 II 151/152 mit Hinweisen). In seiner früheren
Rechtsprechung hat das Bundesgericht einen Rechtsmissbrauch nur dann
angenommen, wenn der die Scheidung ablehnende Ehegatte nicht gewillt war,
die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen, obwohl der andere Teil
hiezu bereit gewesen wäre und sein ehewidriges Verhalten aufgegeben hätte
(BGE 92 II 76). Nach dieser Rechtsprechung wäre die vorliegende Klage zum
vornherein abzuweisen, da der Kläger ja stets erklärt hat, er sei nicht
gewillt, sein Verhältnis zu Frau Y. abzubrechen und zu seiner Ehefrau
zurückzukehren. Indessen hat das Bundesgericht in verschiedenen nicht
publizierten neueren Entscheiden die Frage aufgeworfen, aber schliesslich
offengelassen, ob die in BGE 92 II 76 aufgestellte Regel nicht zu starr
sei. Mit BGE 104 II 152/153 hat sie diese schliesslich dahin gemildert,
dass eine rechtsmissbräuchliche Berufung auf Art. 142 Abs. 2 ZGB auch
dann vorliegen könne, wenn zwar der überwiegend schuldige Ehegatte nicht
bereit sei, sein ehewidriges Verhalten aufzugeben, das Festhalten des
schuldlosen oder weniger schuldigen Ehegatten an der Ehe aber als völlig
sinnlos erscheine und dieser Ehegatte keinerlei schützenswertes Interesse
an der Fortdauer der Ehe geltend machen könne. Nach diesem neuesten Stand
der Rechtsprechung ist der vorliegende Fall zu beurteilen.

Erwägung 4

    4.- Das Obergericht hält im angefochtenen Entscheid fest, die
Beklagte erkläre zwar nach wie vor, sie sei jederzeit zur Wiederaufnahme
der ehelichen Gemeinschaft bereit; doch habe das Obergericht aus
verschiedenen Vorfällen die Überzeugung gewonnen, eine echte Bindung an
die Ehe und den Kläger im allein entscheidenden persönlichen Bereich sei
bei der Beklagten nicht mehr vorhanden. Dabei handelt es sich entgegen
der Ansicht des Klägers nicht um eine tatsächliche Feststellung, sondern
um eine auf der allgemeinen Lebenserfahrung beruhende Schlussfolgerung,
die vom Bundesgericht frei überprüft werden kann (BGE 104 II 152).
Tatsächlicher Natur und daher für das Bundesgericht verbindlich sind nur
die Feststellungen über die einzelnen Vorfälle, auf die sich die Annahme
des Obergerichts stützt.

    a) Das Obergericht wirft der Beklagten vor, sie habe nicht das
Geringste unternommen, um den Kläger zurückzugewinnen, als dieser vor
einigen Jahren von seiner früheren Freundin Z. verlassen worden war
und noch nicht mit Frau Y. zusammenlebte. Dabei liess das Obergericht
offen, ob diese Zwischenzeit entsprechend der Darstellung des Klägers
zwei Jahre oder gemäss Behauptung der Beklagten nur sechs Monate gedauert
habe. Jedenfalls sei der Erklärungsversuch der Beklagten, der Kläger sei
damals sehr viel mit einer Frau W. zusammengewesen, nicht plausibel; die
Beklagte habe selbst zugeben müssen, dass es sich dabei nur um Vermutungen
gehandelt habe, weshalb die Aussagen des Klägers zutreffen dürften, diese
Frau sei nicht mehr als eine normale Bekannte gewesen. Es kann offen
bleiben, wieweit es sich bei diesen Ausführungen des Obergerichtes um
verbindliche Feststellungen oder um blosse Vermutungen handelt. Jedenfalls
wirft das Obergericht der Beklagten nicht vor, die angeblich harmlose Natur
der Beziehungen des Klägers zu Frau W. sei ihr bekannt gewesen. Wenn die
Beklagte aber vermutete, es habe sich auch dabei um ein Liebesverhältnis
gehandelt - und dazu hatte sie nach allem, was vorgefallen war, hinreichend
Anlass -, so war ihr nicht zuzumuten, sich während dieser Zeit intensiv
um eine Rückgewinnung des Klägers zu bemühen. Abgesehen davon kann einer
Ehefrau, die von ihrem Ehemann jahrelang mit den verschiedensten Frauen
betrogen wird, wohl nicht verübelt werden, wenn sie nicht in jeder kürzeren
oder längeren Pause zwischen zwei Verhältnissen ihres Mannes versucht,
diesen zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft zu bewegen.

    b) Der Kläger wollte 1973 ein landwirtschaftliches Grundstück
im Ausmass von rund 4000 m2 an die Gemeinde verkaufen, wozu er die
Zustimmung der Ehefrau (offenbar einen Verzicht auf das Vorkaufsrecht
gemäss EGG) benötigte. Diese Zustimmung soll die Beklagte einige Zeit
hinausgezögert haben. Dass die Verzögerung ein Jahr gedauert habe,
schliesst das Obergericht daraus, dass die Beklagte die entsprechende
Behauptung des Klägers "nicht substantiiert" bestritten habe. Die
Berufung rügt, diese Feststellung sei in Verletzung von Art. 158
Ziff. 1 ZGB zustandegekommen. Wie es sich damit verhält, kann offen
bleiben. Auch wenn die Beklagte sich ein ganzes Jahr lang überlegt
haben sollte, ob sie diese Zustimmungserklärung abgeben wolle oder
nicht, so könnte daraus jedenfalls nicht auf eine ehewidrige Gesinnung
ihrerseits geschlossen werden. Es ist nicht einzusehen, was die ihr von
der Vorinstanz vorgeworfene "nicht geringe Verkennung der Besonderheiten
dieses Verkaufes" mit der Frage zu tun haben soll, ob es der Beklagten mit
ihrer Versicherung, an der Ehe festhalten zu wollen, ernst sei. Wenn sie
der Meinung war, der vereinbarte Kaufpreis sei zu niedrig, und ausserdem
grundsätzliche Bedenken gegen die Veräusserung von Grundstücken hatte,
so waren das Beweggründe, die jedenfalls nichts Verwerfliches an sich
haben. Nicht gerade liebenswürdig, aber in Anbetracht des Verhaltens
des Klägers verständlich war die Bemerkung der Beklagten anlässlich der
Befragung vor Bezirksgericht, sie sei nicht dafür, dass man alles verkaufe,
um das Geld an Mätressen ihres Mannes zu geben.

    c) Nicht anders verhält es sich mit der angeblichen Weigerung der
Beklagten, den Kläger Bilder aus dem Haus an der ...strasse wegnehmen
zu lassen. Vorerst ist festzuhalten, dass die tatbeständlichen
Feststellungen der Vorinstanz auch in diesem Punkt sehr vage und
unbestimmt sind. Jedenfalls ergibt sich aus den Akten, dass die vom
Obergericht erwähnte tätliche Auseinandersetzung in die Zeit vor
dem ersten Scheidungsprozess fällt und somit in diesem Zusammenhang
Ohnehin unbeachtlich ist. Ob es nach rechtskräftiger Erledigung der
ersten Scheidungsklage noch zu Differenzen zwischen den Parteien über
die Wegnahme von Bildern gekommen ist, ergibt sich jedenfalls aus ihren
Aussagen in der persönlichen Befragung - und andere Beweismittel zu dieser
Frage existieren nicht - keineswegs eindeutig. Vor allem aber hat die
Beklagte stets geltend gemacht, der Kläger habe ihr versprochen, am Haus
an der ...strasse nichts zu verändern. Auch wenn das Haus und die darin
befindlichen Bilder im Eigentum des Klägers stehen, durfte sie sich auf
dieses Versprechen berufen, ohne dass ihr deswegen der Vorwurf gemacht
werden könnte, ihre Bindung an die Ehe sei erloschen.

    d) Durch Verfügung des Eheschutzrichters vom 31. Oktober 1974 wurde
die Liegenschaft ...strasse der Beklagten zur unentgeltlichen Benutzung
zugewiesen und der Kläger verpflichtet, Reparatur- und Unterhaltskosten
zu bezahlen. Wenn die Beklagte dem Kläger, obwohl dieser reichlich
bemessene Unterhaltsleistungen erbrachte, gelegentlich auch geringfügige
Reparaturrechnungen zur Bezahlung zustellte, so mag das vielleicht als
kleinlich erscheinen. Ebenso wenig grosszügig aber war es, wenn der Kläger
die Bezahlung dieser geringfügigen Beträge ablehnte und sich deswegen
mit der Beklagten stritt. So oder so kann jedenfalls auch daraus kein
schwerwiegender Vorwurf an die Adresse der Beklagten konstruiert werden.

    e) Den Gründen, die die Beklagte für ihr Festhalten an der Ehe
anführt, misst das Obergericht selbst "nicht entscheidende, höchstens
das Bild abrundende" Bedeutung zu. Indessen ist auch dazu festzustellen,
dass die von der Beklagten vorgebrachten Argumente zumindest beachtlich
und jedenfalls nicht abwegig sind. Sie will an der Ehe wegen der Kinder
festhalten und befürchtet, im Falle einer Scheidung breche der Zusammenhalt
der Familie auseinander; weiter befürchtet sie, der Kläger erliege im
Falle einer Scheidung den ungünstigen Einflüssen seiner Mutter und seiner
Schwester, und daraus könnte sich schliesslich eine Benachteiligung der
Kinder ergeben. Man mag mit dem Obergericht darüber orakeln, wieweit diese
Befürchtungen objektiv gerechtfertigt sind oder nicht. Jedenfalls aber
handelt es sich nicht um eine Argumentation, die das Festhalten der
Beklagten an der Ehe als rechtsmissbräuchlich erscheinen liesse. Auch
wenn sie die Situation objektiv falsch einschätzen sollte, so wäre ihr
jedenfalls subjektiv zuzubilligen, dass sie durchaus achtbare und plausible
Motive für ihren Widerstand gegen die Scheidung ins Feld führt.

    f) Auch dass die Beklagte das Gefühl hat, der Kläger brauche sie noch
in einer gewissen Hinsicht und sie könnte ihm in mancher Beziehung eine
Stütze sein, lässt in keiner Weise auf den Verlust jeglicher ehelicher
Gesinnung bei ihr schliessen, im Gegenteil. Auch hier ist es unerheblich,
ob diese Meinung der Beklagten objektiv gerechtfertigt ist oder nicht. Es
kommt allein darauf an, ob ihre Motive subjektiv als achtenswert erscheinen
und ob ihre Beteuerungen ehrlich gemeint sind. Dass das nicht der Fall sei,
kann ihr jedenfalls nicht nachgewiesen werden und wird vom Obergericht
denn auch nicht behauptet.

    Zusammenfassend sind die vom Obergericht angeführten Argumente
weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit ausreichend, um den Widerstand der
Beklagten gegen die Scheidung als offenbaren Rechtsmissbrauch im Sinne von
Art. 2 Abs. 2 ZGB erscheinen zu lassen. Der obergerichtliche Entscheid,
die Scheidungsklage des Klägers sei gutzuheissen, erweist sich somit als
bundesrechtswidrig. Die Berufung ist daher zu schützen, der angefochtene
Entscheid aufzuheben und die Scheidungsklage abzuweisen.