Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 II 161



105 II 161

26. Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Juli 1979 i.S. Frischknecht
gegen Freisinnig-Demokratische Partei des Kantons Zürich (Berufung) Regeste

    Verletzung in den persönlichen Verhältnissen (Art. 28 ZGB).

    1. Wer sich bei seiner journalistischen Tätigkeit politisch
exponiert, kann grundsätzlich nicht dadurch in seinem Ruf als Journalist
beeinträchtigt werden, dass seine politische Einstellung bekanntgegeben
wird (E. 3a).

    2. Ob die in einer Pressemitteilung enthaltene ungenaue Darstellung
der beruflichen Tätigkeit eines Journalisten diesen in seinen persönlichen
Verhältnissen verletzt, hängt von den konkreten Umständen ab (E. 3b).

Sachverhalt

    A.- Die Freisinnig-Demokratische Partei des Kantons Zürich (FDP) liess
am 2. Dezember 1976 in ihrem Pressedienst folgende Mitteilung erscheinen:

    "Pressemitteilung zum Fall "Demokratisches Manifest"/E. Cincera

    Stellungnahme der Freisinnig-Demokratischen Partei des Kantons Zürich

    1. Seit einer Woche wird nun vom "Demokratischen Manifest" aufgrund
   gestohlener Dokumente eine systematische Hetzkampagne gegen Ernst
   Cincera geführt, obwohl die gerichtliche Untersuchung keineswegs
   abgeschlossen ist.

    Die Freisinnig-Demokratische Partei verurteilt auf's schärfste die

    Watergate-Methoden, die vom "Demokratischen Manifest" bei der
Beschaffung
   angewendet wurden, und das Verschwinden mit den entwendeten Dokumenten
   im

    "Untergrund", um sie in Ruhe ausschlachten und mit ihrer tropfenweisen

    Publikation die Kampagne während möglichst langer Zeit anheizen
zu können.

    2. Sie wendet sich nachdrücklich gegen den Versuch des "Demokratischen

    Manifests", mit allen Mitteln einen Fall Cincera hochzuspielen
und hinter
   dem so aufgezogenen publizistischen Vorhang die vielfältigen

    Machenschaften linksextremer Kreise gegen unsere Staats- und

    Gesellschaftsordnung - wie die Zellenbildung in den Betrieben,
das Wählen
   der Soldatenkomitees und die Gruppenbildung an den Hochschulen -
   abzuschirmen. Die Delikte des "Demokratischen Manifests" und sein

    Zusammenwirken mit linksextremen Organisationen, wie der POCH und der

    Revolutionären Marxistischen Liga, können und dürfen nicht verharmlost
   werden. Tatsache ist, dass POCH-Kantonsrat Bautz am Tatort anwesend war.

    Tatsache ist auch, dass Chef-Auswerter Jürg Frischknecht für die

    DDR-Zeitung "Wochenpost" und die kommunistische "Wiener Volksstimme"
   schreibt. Bekannt ist schliesslich, dass revolutionäre Organisationen
   längst jene Karteien führen, die man nun Ernst Cincera vorhält.

    3. ..."

    Die Mitteilung wurde in verschiedenen Zeitungen abgedruckt.

    Mit Eingabe vom 26. April 1977 erhob Jürg Frischknecht beim
Bezirksgericht Zürich gegen die FDP Klage mit folgenden Rechtsbegehren:

    "1. Es sei festzustellen, dass die im "Pressedienst" der Beklagten von
   anfangs Dezember 1976 publizierte Behauptung, der Kläger schreibe
   für die

    DDR-Zeitung "Wochenpost" und die kommunistische "Wiener Volksstimme"
   rechtswidrig sei:

    2. Es sei das Urteil im Dispositiv zu Lasten der Beklagten im

    "Pressedienst" der Beklagten zu veröffentlichen.

    3. Es sei des weiteren folgende persönliche Erklärung des Klägers
   ebenfalls im "Pressedienst" der Beklagten zu veröffentlichen:

    "Die FDP behauptet in ihrer Stellungnahme zum Fall Cincera anfangs

    Dezember 1976, ich schreibe für die DDR-Zeitung "Wochenpost" und
   die kommunistische "Wiener Volksstimme". Vom 2. Blatt höre ich zum
   erstenmal. Ob die "Volksstimme" je einen Artikel von mir abgedruckt
   hat, weiss ich nicht. Auf jeden Fall hat sie ihn nicht von mir
   erhalten. In der

    "Wochenpost" ist ein einziger Artikel von mir erschienen, nämlich
über den

    Deutschen Karl Friedrich Grau (Interlaken), dem
   der Bundesrat die Ausweisung aus der Schweiz angedroht hat. Der Beitrag
   geht auf einen Besuch von Zürcher Publizistikstudenten in der

    "Wochenpost"-Redaktion und eine Diskussion über objektiven bzw.
   parteilichen Journalismus zurück."

    Das Bezirksgericht Zürich (6. Abteilung) und das Obergericht des
Kantons Zürich (II. Zivilkammer) wiesen die Klage mit Urteilen vom
12. April und vom 19. Dezember 1978 ab.

    Gegen den zweitinstanzlichen Entscheid hat der Kläger beim
Bundesgericht Berufung erhoben mit dem Antrag, die Klage sei gutzuheissen.

    Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht gelangt im angefochtenen Entscheid zum Schluss,
der Kläger habe sich als bewusst extremer Journalist profiliert und aus
mehreren seiner Presseäusserungen sei eine betonte Sympathie für die DDR
zum Ausdruck gekommen. Diese zur Hauptsache auf der Würdigung verschiedener
Artikel des Klägers beruhende Feststellung ist tatsächlicher Natur. Soweit
sich der Kläger damit auseinandersetzt, ist auf die Berufung demnach
nicht einzutreten, zumal nicht geltend gemacht wird, die vorinstanzliche
Feststellung sei unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften
zustande gekommen, und nichts auf ein offensichtliches Versehen hindeutet
(Art. 63 Abs. 2 OG).

Erwägung 2

    2.- Der Kläger fühlt sich in seinen persönlichen Verhältnissen
dadurch verletzt, dass die Beklagte in ihrer Pressemitteilung die unwahre
Behauptung aufgestellt habe, er schreibe für die DDR-Zeitung "Wochenpost"
und die kommunistische Wiener "Volksstimme".

    Bei der Beurteilung der Äusserung der Beklagten ist davon auszugehen,
dass Art. 28 ZGB die Ehre in weitergehendem Masse schützt als das
Strafrecht, das nur die Geltung eines Menschen als sittliche Person
gewährleistet. Der zivilrechtliche Schutz der Ehre umfasst auch das
berufliche und gesellschaftliche Ansehen. Der Schutzbereich hängt damit
stark von der sozialen Stellung und Umgebung des Rechtsträgers ab.

    Ob das Ansehen, das jemand in der Gesellschaft geniesst, durch eine
Presseäusserung geschmälert werde, ist unabhängig vom subjektiven Empfinden
des Betroffenen, d.h. nach einem objektiven Massstab zu beurteilen. Es
ist mit andern Worten zu prüfen, ob das gesellschaftliche Ansehen vom
Standpunkt des Durchschnittslesers aus gesehen als beeinträchtigt erscheint
(BGE 103 II 164 E. 1a; 100 II 179 mit Hinweisen). Dabei spielt der Rahmen
der Presseäusserung eine bedeutende Rolle. Der Durchschnittsleser
wird nämlich beispielsweise aus Vorwürfen im Zusammenhang mit einer
staatspolitischen Auseinandersetzung weniger rasch Rückschlüsse ziehen, die
das Ansehen des Betroffenen mindern, als aus solchen, die das berufliche
oder private Verhalten betreffen (vgl. BGE 55 II 98 f. E. 1).

Erwägung 3

    3.- Die vom Kläger beanstandete Äusserung der Beklagten ist in einer
Pressemitteilung enthalten, die die Aktivitäten des "Demokratischen
Manifestes" im Zusammenhang mit der von Ernst Cincera angelegten
Kartei betrifft. Die Beklagte wirft dem "Demokratischen Manifest" in
ihrer Verlautbarung vor, es spiele mit allen Mitteln einen Fall Cincera
hoch, um die vielfältigen Machenschaften linksextremer Kreise gegen die
schweizerische Staats- und Gesellschaftsordnung abzuschirmen. Im Sinne
eines Beispiels für die Zusammenarbeit zwischen dem "Demokratischen
Manifest" und linksextremen Organisationen führt sie sodann an,
dass POCH-Kantonsrat Bautz bei der Entwendung der Dokumente Cinceras
anwesend gewesen sei und dass der der Auswertung des entwendeten Materials
vorstehende Kläger für die DDR-Zeitung "Wochenpost" und die kommunistische
Wiener "Volksstimme" schreibe.

    a) Der Kläger macht geltend, schon die Bemerkung, er schreibe für die
beiden erwähnten Zeitungen, an sich verletze ihn in seiner Ehre, da in der
Schweiz jedes Mitmachen bei kommunistischen Bewegungen allgemein und erst
recht beim Leser des freisinnig-demokratischen Pressedienstes als verpönt
gelte. Er scheint damit die Auffassung zu vertreten, es sei unerheblich, ob
der Hinweis auf eine solche Tätigkeit der Wahrheit entspreche oder nicht.

    Es trifft zu, dass kommunistische und extremistische Ansichten und
Aktivitäten in weiten Kreisen missbilligt werden und dass Leute, die
daran teilhaben, bei einem Teil der Bevölkerung an Ansehen einbüssen
und in Verruf geraten. Ein der Wahrheit entsprechender Hinweis auf eine
kommunistische oder extremistische Gesinnung stellt jedoch grundsätzlich
keine Verletzung der Persönlichkeitsrechte dar. Wer sich bei seiner
journalistischen Tätigkeit politisch exponiert, kann nicht dadurch in
seinem Ruf als Journalist - und um diesen allein geht es im vorliegenden
Fall - beeinträchtigt werden, dass seine politische Einstellung
bekanntgegeben wird. Eine Ausnahme mag dort vorliegen, wo letzteres
ohne jeden sachlichen Bezug und offensichtlich allein deshalb geschieht,
um dem Betroffenen grundlos zu schaden. Davon kann hier indessen nicht
die Rede sein.

    b) Es steht fest, dass der Kläger in der DDR-Zeitung "Wochenpost"
vom 13. August 1976 einen Artikel mit dem Titel "Bei Kommunisten sieht
(Karl Friedrich) Grau rot" veröffentlicht hat und dass dieser Artikel
auch von der kommunistischen Wiener "Volksstimme" am 19. September 1976
leicht gekürzt - abgedruckt wurde. Dass er zur Übernahme des Artikels durch
das österreichische Blatt sein Einverständnis gegeben hätte, bestreitet
der Kläger und ist auch nicht erstellt. Die Mitteilung der Beklagten,
der Kläger schreibe für die "Wochenpost" und für die "Volksstimme",
ist nach dem Gesagten in zweierlei Hinsicht ungenau. Einerseits erweckt
sie den falschen Eindruck, der Kläger sei für beide Zeitungen tätig
(gewesen), und andererseits drängt ihre Formulierung den Schluss auf,
der Kläger habe mehr oder weniger regelmässig, jedenfalls wiederholt,
in den erwähnten Zeitungen geschrieben und es sei anzunehmen, dass er
darin jederzeit weitere Artikel folgen lassen könnte.

    Diese Ungenauigkeiten vermöchten unter den gegebenen Umständen eine
Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Klägers indessen nur dann zu
begründen, wenn sie ihm als Journalisten in einem falschen Licht erscheinen
liessen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Wie das Obergericht feststellt,
hat der Kläger sich den Ruf eines extremen Journalisten geschaffen und in
mehreren Artikeln eine ausgeprägte Sympathie für die DDR offenbart. Durch
die - wenn auch tatsachenwidrige Verallgemeinerung, er habe wiederholt und
für zwei kommunistische Zeitungen geschrieben und könne dies allenfalls
jederzeit von neuem tun, wird dieses Bild nicht spürbar verfälscht, zumal
dem Kläger nichts unterschoben wurde, was er überhaupt nie getan hatte
oder wozu er nicht imstande wäre. Eine Verletzung in den persönlichen
Verhältnissen im Sinne von Art. 28 ZGB ist um so weniger zu bejahen,
als die beanstandete Presseäusserung im Rahmen einer von beiden Seiten
lebhaft geführten staatspolitischen Auseinandersetzung fiel.