Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 II 104



105 II 104

19. Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. Januar 1979 i.S. A. gegen Y.
(Berufung) Regeste

    Schenkung durch Anweisung.

    1. Art. 466 f. OR. Anweisungsverhältnis und Grundverhältnis. (E. 2).

    2. Art. 242 Abs. 1 OR. Schenkung von Hand zu Hand durch Anweisung
(E. 3a)?

    3. Art. 243 Abs. 1 OR. Erfordernis der Schriftform für das
Schenkungsversprechen (E. 3b).

    4. Art. 243 Abs. 3 OR. Nach dem Tode des Schenkers kann ein
formungültiges Schenkungsversprechen nicht mehr vollzogen werden (E. 3c).

    5. Art. 470 Abs. 1 und 2 OR. Vollzug eines Schenkungsversprechens
durch Anweisung (E. 3c und d).

Sachverhalt

    A.- Durch letztwillige Verfügung vom 11. April 1974 regelte Frau
X. ihren Nachlass und setzte Rechtsanwalt A. als Willensvollstrecker ein.
Sie starb am 28. August 1974. Tags darauf, am 29. August 1974, traf bei
der B.-Bank in Zürich ein vom 26. August 1974 datierter und von Frau
X. an diesem Tage unterschriebener Zahlungsauftrag ein, wonach ihr
"gekündigtes ... Festgeldkonto" aufzulösen, Fr. 100'000.- davon auf
ein Konto des Y. und der Restbetrag auf ein weiteres Konto, das Frau
X. bei der Zürcher Kantonalbank unterhielt, zu überweisen seien. Dieser
Zahlungsauftrag war von Y., der Taxichauffeur in Zürich ist und Frau
X. seit Jahren gekannt hatte, aufgesetzt worden.

    Bei der Sichtung des Nachlasses von Frau X. durch die Erben und
den Willensvollstrecker war auch Y. zugegen. Die an ihn gelangte Zahlung
von Fr. 100'000.- erwähnte er dabei aber nicht. Hievon erfuhren die Erben
und der Willensvollstrecker erst am 16. September 1974. Dazu befragt,
antwortete Y., die Summe sei ihm von Frau X. geschenkt worden. Die vom
Willensvollstrecker geforderte Rückerstattung lehnte er ab.

    B.- Als Willensvollstrecker der Frau X. erhob A. im Februar 1976
gegen Y. Klage auf Zahlung von Fr. 100'000.- nebst Zins. Diese wurde am
29. Oktober 1976 vom Bezirksgericht Zürich gutgeheissen, auf Appellation
des Beklagten hin vom Obergericht (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich
mit Urteil vom 3. März 1978 hingegen abgewiesen. Auf eine vom Kläger gegen
das obergerichtliche Erkenntnis erhobene Nichtigkeitsbeschwerde trat das
Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 19. September 1978
nicht ein.

    C.- Der Kläger hat gegen das Urteil des Obergerichts Berufung eingelegt
mit den Anträgen, es aufzuheben und die Klage gutzuheissen; eventuell
sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Der Beklagte stellt den Antrag, es sei die Berufung abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Kläger verlangt vom Beklagten die Fr. 100'000.- gestützt
auf Art. 62 OR zurück, weil sie diesem ohne gültigen Grund zugekommen
seien. Demgegenüber macht der Beklagte geltend, die Fr. 100'000.- seien ihm
von Frau X. geschenkt worden; hilfsweise stellt er sich auf den Standpunkt,
Fr. 50'000.- beträfen die Vergütung für geleistete Dienste und lediglich
die weiteren Fr. 50'000.- seien ihm von Frau X. zum Geschenk gemacht
worden. Das Obergericht bejaht eine gültige Schenkung hinsichtlich der
ganzen Fr. 100'000.- und weist deshalb die Klage ab.

Erwägung 2

    2.- Mit der am 26. August 1974 unterzeichneten Erklärung ersuchte Frau
X. die B.-Bank, dem Beklagten "zu Lasten meiner Rechnung" Fr. 100'000.-
zu überweisen. Eine solche Erklärung begründet ein Anweisungsverhältnis
im Sinne der Art. 466 ff. OR. Dadurch wurde die Bank als Angewiesene
ermächtigt, den Betrag dem Beklagten als Anweisungsempfänger auszubezahlen,
während dieser ermächtigt wurde, die Summe im eigenen Namen zu erheben
(Art. 466 OR). Indes liegt in der Anweisung der blosse Versuch (BGE 95 II
183 E. 5) des Anweisenden, dem Anweisungsempfänger über den Angewiesenen
Geld, Wertpapiere oder andere vertretbare Sachen zu verschaffen. Sie kann
deshalb als Mittel herangezogen werden, um eine vertragliche Verpflichtung
zu erfüllen, beschlägt aber in einem solchen Fall weder deren Zweck
noch deren Grund (GUHL/MERZ/KUMMER, Schweizerisches Obligationenrecht,
6. Auflage, S. 475). So ergibt sich aus der Anweisung an sich noch nicht
das Recht des Anweisungsempfängers, auf den Anweisenden zurückzugreifen,
wenn der Angewiesene die Leistung verweigert; vielmehr bleibt ihm
in einem solchen Falle nur die Möglichkeit, seine Ansprüche aus dem
Grundverhältnis geltend zu machen (BGE 95 II 182 E. 5, 80 II 87 E. 4,
40 II 408). Umgekehrt findet die gestützt auf eine Anweisung empfangene
Leistung ihren Rechtsgrund nicht im blossen Anweisungsverhältnis,
sondern ausschliesslich in einem gültigen Grundverhältnis. Der Ausgang
des Prozesses hängt somit davon ab, ob der Beklagte einen gültigen Grund
im Sinne von Art. 62 Abs. 2 OR nachzuweisen vermag.

Erwägung 3

    3.- Der Beklagte macht in erster Linie geltend, Frau X. habe ihm
die Fr. 100'000.- geschenkt. Das einzige Schriftstück, auf das er sich in
diesem Zusammenhang beruft, ist der Zahlungsauftrag der Frau X. an die Bank
vom 26. August 1974. Dass die Vollziehbarkeit dieser Schenkung im Sinne
von Art. 245 Abs. 2 OR auf den Tod der Schenkerin gestellt worden wäre,
behauptet keine der Parteien. Zu prüfen ist deshalb nur, ob vorliegend
eine unentgeltliche Zuwendung unter Lebenden angenommen werden kann.

    a) Nach Art. 242 Abs. 1 OR erfolgt eine Schenkung von Hand zu
Hand durch die Übergabe der Sache vom Schenker an den Beschenkten. In
diesem Vorgang liegt ein Vertrag, dessen Abschluss mit seiner Erfüllung
zusammenfällt (CAVIN, in: Schweizerisches Privatrecht, Band VII/1,
S. 187) und bei dem die "Wertbewegung durch den Schenkungsakt selbst
vorgenommen" wird (BECKER, N. 1 zu Art. 242 OR). Indem Frau X. dem
Beklagten den an die Bank gerichteten Zahlungsauftrag übergab, erfüllte
sie eine allfällig mündlich vereinbarte Schenkungsverpflichtung indes
noch nicht, da die Zuwendung an den Beklagten davon abhing, ob die Bank
die Anweisung annehmen und die Zahlung ausführen werde (Art. 468 Abs. 1
und Art. 469 OR). Das war vorliegend erst am 5. September 1974 der Fall,
während Frau X. die Schenkung bereits am 26. August 1974 versprochen haben
soll. Ein Zusammenfallen von Vertragsschluss und Erfüllung, wie das für
eine Schenkung von Hand zu Hand erforderlich wäre, scheidet unter diesen
Umständen aus. Nach der Rechtsprechung ist zwar eine Schenkung von Hand
zu Hand durch Besitzeskonstitut oder Besitzesanweisung möglich (BGE 63
II 395, 52 II 368). Diesen Formen der Übertragung einer Sache darf jene
durch obligationenrechtliche Anweisung aber nicht gleichgestellt werden,
weil hier der Anweisende seiner Zahlungspflicht nicht schon mit seiner
blossen Erklärung an den Angewiesenen nachkommt;, vielmehr wird er davon
erst dann entbunden, wenn der Angewiesene auf Grund der Anweisung die
Zahlung tatsächlich vornimmt (Art. 467 Abs. 1 und 2 OR).

    b) Es fragt sich alsdann, ob Frau X. mit dem Zahlungsauftrag vom
26. August 1974 an die Bank gleichzeitig ein Schenkungsversprechen
zugunsten des Beklagten im Sinne von Art. 243 Abs. 1 OR abgegeben
hat. Nach dieser Vorschrift bedarf ein solches zu seiner Gültigkeit
der schriftlichen Form. Dergestalt soll der Schenker von unbedachtem
Handeln abgehalten werden (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 5 zu Art. 243 OR;
CAVIN, aaO, S. 188; VON BÜREN, Schweizerisches Obligationenrecht,
Besonderer Teil, Zürich 1972, S. 270). Von diesem Zweck der Formvorschrift
ausgegangen, erscheint es als zwingend, dass die Schriftform jedenfalls
das Versprechen des Schenkers erfasst, dem Beschenkten eine Zuwendung
zu machen (vgl. OSER/SCHÖNENBERGER, N. 5 zu Art. 243 OR). Aus der auf
einem Formular der Bank abgegebenen schriftlichen Erklärung der Frau
X. vom 26. August 1974 ergibt sich nun aber kein derartiger Hinweis;
vielmehr beschränkt sie sich auf einen blossen Auftrag an die Bank, dem
Beklagten Fr. 100'000.- zu vergüten. Das ist nicht mehr als eine Anweisung
im Sinne von Art. 466 OR, aus der allein sich ein Anspruch des Beklagten
auf die angewiesene Summe noch nicht herleiten lässt. Ein nach Art. 243
Abs. 1 OR gültiges Schenkungsversprechen liegt deshalb nicht vor.

    c) Die Anweisung ist ein Mittel, um eine Zahlungsverpflichtung,
so auch eine Schenkungsverpflichtung, zu erfüllen. Das der Anweisung
zugrundeliegende Verhältnis ist diesfalls der Schenkungsvertrag zwischen
Anweisendem und Anweisungsempfänger (vgl. VON BÜREN, aaO, S. 272 und
310). Auf Grund der Anweisung der Frau X. wurden dem Beklagten von der Bank
die Fr. 100'000.- am 5. September 1974, d.h. etwa eine Woche nach dem Tode
der Anweisenden, gutgeschrieben. Dazu war die Bank befugt, denn der Tod der
Frau X. führte noch nicht zum Dahinfallen des in der Anweisung enthaltenen
Auftrages an die Angewiesene (GAUTSCHI, N. 6a zu Art. 470 OR). In gleicher
Weise blieb auch der Beklagte über den Tod der Frau X. hinaus im Sinne
von Art. 466 OR ermächtigt, von der Bank die Fr. 100'000.- zu erheben. Zu
prüfen bleibt aber, ob ein allfälliges formungültiges Schenkungsversprechen
auch nach dem Tode der Schenkerin auf diese Weise noch vollzogen werden
konnte und ob das Verhältnis daher gestützt auf Art. 243 Abs. 3 OR als
Schenkung von Hand zu Hand zu beurteilen ist.

    Bei der Schenkung von Hand zu Hand sieht das Gesetz von einer
Formvorschrift ab, weil hier die eigentliche Zuwendung der Vermögenswerte
an die Stelle einer besonderen Form tritt und daher dem Schenker die
Tragweite seines Handelns genügend vor Augen zu führen vermag (CAVIN,
aaO, S. 187). Ganz ähnlich verhält es sich, wenn der Schenker ein
formungültiges Schenkungsversprechen vollzieht; indem er dem Beschenkten
die Vermögenswerte zukommen lässt, anerkennt und bestätigt er sein
früheres Schenkungsversprechen (BECKER, N. 5 zu Art. 243 OR; vgl. VON
BÜREN, aaO, S. 270). Eine Schenkung von Hand zu Hand nach dem Tode des
Schenkers ist undenkbar, weil hier Abschluss und Erfüllung des Vertrages
zusammenfallen. Entsprechendes muss auch in dieser Hinsicht für den
als Schenkung von Hand zu Hand geltenden Vollzug eines formungültigen
Schenkungsversprechens gelten, bei dem, wie bei jener, eine die Form
ersetzende Bekräftigung der Schenkungsabsicht in der tatsächlichen
Zuwendung der Vermögenswerte liegt. Wenn der Vollzug aber diese Bedeutung
hat, setzt das voraus, dass es der Schenker ist, der ihn eintreten lässt,
was dann nicht der Fall sein kann, wenn er im Zeitpunkt des Vollzuges
nicht mehr lebt. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Schenkung -
von dem in Art. 245 Abs. 2 OR erwähnten, hier aber nicht vorliegenden
Sonderfall abgesehen - ein Rechtsgeschäft unter Lebenden ist (Art. 239
Abs. 1 OR). Wird ein formungültiges Schenkungsversprechen gemäss Art. 243
Abs. 3 OR aber erst nach dem Tode des Schenkers vollzogen, so kann
von einem Rechtsgeschäft unter Lebenden nicht mehr gesprochen werden,
weil erst im Vollzug des Schenkungsversprechens der Wille des Schenkers
rechtsgenügend zum Ausdruck kommt.

    d) Hat der Anweisende die Anweisung zum Vorteil des Empfängers erteilt,
so kann er sie ihm gegenüber nicht widerrufen (Art. 470 Abs. 1 OR). Bei
einer schenkungshalber erteilten Anweisung ist ein Widerruf gegenüber
dem begünstigten Anweisungsempfänger jedoch solange möglich, als nicht
ein Schenkungsversprechen vorliegt, das den Erfordernissen des Art. 243
Abs. 1 OR genügt, da andernfalls die zum Schutze des Schenkers aufgestellte
Formvorschrift durch Erteilung einer einfachen Anweisung umgangen werden
könnte (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 5 zu Art. 470 OR; GAUTSCHI, N. 3b zu
Art. 470 OR). Lag hier aber ein formgültiges Schenkungsversprechen nicht
vor, so hätte Frau X. die zugunsten des Beklagten erteilte Anweisung
widerrufen können, bis die Bank diesem gegenüber die Annahme erklärte
(Art. 470 Abs. 2 OR). Das geschah vorliegend durch schlüssiges Handeln
erst nach dem Tode der Frau X., am 5. September 1974, indem dem Beklagten
der Betrag von Fr. 100'000.- gutgeschrieben wurde (vgl. Art. 468 Abs. 3
OR). Frühestens in diesem Zeitpunkt kann somit das allfällige formungültige
Schenkungsversprechen der Frau X. als vollzogen gelten. War das aber
erst nach ihrem Tode der Fall, so bleibt nach dem Gesagten kein Raum,
um diesen Vorgang im Sinne von Art. 243 Abs. 3 OR als Schenkung von Hand
zu Hand zu beurteilen.

Erwägung 4

    4.- Schenkung kommt unter diesen Umständen für die dem Beklagten
zugekommene Zahlung nicht als gültiger Grund im Sinne von Art. 62 Abs. 2
OR in Betracht. Seiner Zahlungspflicht hielt der Beklagte im kantonalen
Verfahren darüber hinaus auch entgegen, er sei mit den Fr. 100'000.-
von Frau X. wenigstens zum Teil für geleistete Dienste entschädigt
worden. In der Berufungsantwort nimmt er darauf nicht mehr Bezug;
indes sind beide Parteien an der heutigen Berufungsverhandlung davon
ausgegangen, dass der Beklagte an dieser Darstellung festhält. Da das
angefochtene Urteil jedoch keine tatsächlichen Feststellungen enthält,
die eine Beurteilung in dieser Hinsicht erlaubten, ist es gestützt auf
Art. 64 Abs. 1 OG aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird alsdann auch zu prüfen haben,
ob die weiteren, vom Beklagten bestrittenen rechtlichen Voraussetzungen
für eine Zahlungspflicht gegeben sind (Art. 64 OR).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichts
(II. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 3. März 1978 aufgehoben und die
Sache zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen wird.