Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 III 43



105 III 43

10. Auszug aus dem Urteil der staatsrechtlichen Abteilung vom 17. Januar
1979 i.S. L. gegen Einwohnergemeinde Zollikofen und Appellationshof des
Kantons Bern (Staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Rechtsöffnung für Steuerforderungen.

    1. Die definitive Rechtsöffnung darf nur erteilt werden, wenn der
Rechtsöffnungstitel das zur Vollstreckbarkeit gehörende Erfordernis der
formellen Rechtskraft aufweist; insbesondere muss die Zustellung einer
Steuerveranlagungsverfügung nachgewiesen sein.

    2. Bestreitet der Betroffene die Zustellung einer mit einfachem
Brief versandten Verfügung, dann genügt eine Rechtskraftbescheinigung der
verfügenden Behörde nicht zum Nachweis der Zustellung. Der Nachweis kann
indessen gestützt auf die gesamten Umstände erbracht werden.

Sachverhalt

    A.- Die Einwohnergemeinde Zollikofen betrieb Milan Lusser am
11./22. Mai 1978 für Gemeindesteuern aus den Jahren 1971 und 1972
im Betrage von Fr. 2'451.25. L. erhob Rechtsvorschlag, worauf die
Finanzverwaltung Zollikofen unter Vorlegung eines Auszuges aus dem
Steuerregister, einer Rechtskraftbescheinigung der Veranlagungsbehörde
Bern-Mittelland und einer Beglaubigung der Unterschriften durch den
Regierungsstatthalter von Bern um definitive Rechtsöffnung ersuchte. Dem
Begehren wurde entsprochen. Der Appellationshof des Kantons Bern
bestätigte diesen Rechtsöffnungsentscheid. L. erhebt staatsrechtliche
Beschwerde, welche das Bundesgericht gutheisst.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer hatte vor beiden kantonalen Instanzen gerügt,
dass der Gemeinde Zollikofen Rechtsöffnung erteilt worden sei für eine
Steuerschuld, für die er nie rechtskräftig veranlagt worden sei, denn die
Veranlagungsverfügung sei ihm nie rechtsgültig eröffnet worden. Diese Rüge
hätten die kantonalen Behörden nicht geprüft und ihm aus diesem Grund
das rechtliche Gehör verweigert. Der Appellationshof des Kantons Bern
führt im angefochtenen Entscheid aus, die befreienden Einwände gegen
einen definitiven Rechtsöffnungstitel seien in Art. 81 Abs. 1 SchKG
abschliessend aufgezählt. Da kein solcher Befreiungsgrund gegeben sei,
müsse die Beschwerde abgewiesen werden. Der Beschwerdeführer stützte
sich im kantonalen Verfahren indessen nicht auf Art. 81 Abs. 1 SchKG,
sondern er machte geltend, es fehle ein definitiver Rechtsöffnungstitel
im Sinne von Art. 80 Abs. 2 SchKG, so dass die definitive Rechtsöffnung
aus diesem Grunde verweigert werden müsse.

    a) Gemäss Art. 80 Abs. 2 SchKG sind, innerhalb des Kantonsgebiets,
die über öffentlich-rechtliche Verpflichtungen (Steuern usw.) ergangenen
Beschlüsse und Entscheide der Verwaltungsorgane den vollstreckbaren
gerichtlichen Urteilen gleichgestellt, sofern der Kanton dies vorsieht. Das
Bundesgericht hat wiederholt erkannt, dass Verwaltungsverfügungen über
öffentlich-rechtliche Verpflichtungen kantonalen Rechts nur dann als
Rechtsöffnungstitel im Sinne von Art. 80 Abs. 2 SchKG anerkannt werden
dürfen, wenn sie, wie gerichtliche Urteile, das zur Vollstreckbarkeit
gehörende Erfordernis der formellen Rechtskraft nach den dafür geltenden
allgemeinen Grundsätzen aufweisen. Der Rechtsöffnungsrichter hat von Amtes
wegen zu untersuchen, ob die Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit erfüllt
sind (BGE 61 I 359; so auch Art. 5 des von allen Kantonen unterzeichneten
Konkordats über die Gewährung gegenseitiger Rechtshilfe zur Vollstreckung
öffentlichrechtlicher Ansprüche - SR 281.22). Insbesondere fordert die
Rechtsprechung, dass die zu vollstreckende Verfügung dem Betroffenen in der
gesetzlich vorgeschriebenen Weise eröffnet worden ist (BGE 63 I 295 E. 2;
61 I 5 ff.; 60 I 358 E. 4 mit Hinweisen; so auch Art 6 des Konkordats). Die
Eröffnung eines Verwaltungsaktes ist eine empfangsbedürftige einseitige
Rechtshandlung. Der Beweis für den Empfang der Verfügung obliegt der
Verwaltung (BGE 99 Ib 359 ff. mit Hinweisen). Diese Beweislastverteilung
folgt aus der allgemeinen Regel, wonach grundsätzlich derjenige das
Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen hat, der aus ihr
Rechte ableitet (Art. 8 ZGB).

    Art. 169 StG stellt die Verfügungen und Entscheide einschliesslich der
rechtskräftig gewordenen Steuerregister, durch die eine Steuerforderung
endgültig festgestellt worden ist, den vollstreckbaren gerichtlichen
Urteilen gleich. Die kantonalen Behörden machen geltend, die
Veranlagungsverfügung sei dem Beschwerdeführer am 15. Dezember 1977 mit
einfachem Brief zugestellt worden. Sie legen zum Beweis eine Bescheinigung
der Veranlagungsbehörde ein, wonach dem Steuerpflichtigen die Veranlagung
an diesem Datum eröffnet und dagegen innert Frist keine Einsprache
eingegangen sei. Die Veranlagungsbehörde kann indessen nur bestätigen,
dass der einfache Brief an diesem Datum der Post übergeben worden sei. Die
Postaufgabe beweist nicht zwingend, dass der Steuerpflichtige den Brief
auch empfangen hat. Ein Fehler bei der Postzustellung liegt nicht derart
ausserhalb jeder Wahrscheinlichkeit, dass mit dieser Möglichkeit nicht
gerechnet werden müsste (BGE 102 Ia 311; 61 I 7). Daraus folgt, dass
mit der Bescheinigung des Versandes allein die rechtmässige Eröffnung
der Veranlagungsverfügung nicht bewiesen werden kann.

    b) Im vorliegenden Fall ist die Rechtskraftbescheinigung
freilich im Anschluss an den Steuerregisterauszug ausgefertigt
worden und sie trägt die beglaubigte Unterschrift des Vorstehers
der Veranlagungsbehörde. Dieser Umstand vermag indessen einen Mangel
bei der Eröffnung der Veranlagungsverfügung nicht zu heilen. Selbst
eine Bescheinigung des Steuerregisterführers oder ein Eintrag der
Rechtskraftbescheinigung im Steuerregister würde für den Nachweis
nicht genügen, dass die mit einfachem Brief versandte Einschätzung dem
Rechtsöffnungsschuldner formrichtig eröffnet worden ist (I. BLUMENSTEIN
Komm. zum bern. StG 1948 N. 1a zu Art. 169 StG; REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER
Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, N. 13 zu § 78).

    Gemäss Art. 169 StG werden zwar die Steuerregister den vollstreckbaren
Urteilen gleichgestellt, aber nur unter der Voraussetzung, dass sie
rechtskräftig geworden sind. Nach Art. 152 Abs. 2 StG wird der Eintrag
nach dem unbenützten Ablauf der Einsprachefrist rechtskräftig (FLÜCKIGER,
Bernisches Steuerrecht, 1956, N. 2 zu Art. 152 StG). Die Einsprachefrist
beginnt mit der gehörigen Zustellung der Veranlagungsverfügung zu laufen
(Art. 135 Abs. 1 StG). Im vorliegenden Verfahren ist streitig, ob die
Verfügung eröffnet worden, das heisst, ob das Register rechtskräftig
geworden ist. Solange diese Frage nicht entschieden ist, darf die
Rechtsöffnung nicht erteilt werden. Bei dieser Sachlage kann dahingestellt
bleiben, Ob und unter welchen Voraussetzungen Steuerregister als
Rechtsöffnungstitel zulässig sind und dem bundesrechtlichen Erfordernis
des Art. 80 Abs. 2 SchKG genügen, wonach ausschliesslich Beschlüsse und
Entscheide als definitive Rechtsöffnungstitel zugelassen werden (vgl. BGE
51 I 109).

Erwägung 3

    3.- Es ist nicht zu verkennen, dass die dargelegte Regelung der
Beweislast in Einzelfällen zu Missbräuchen führen könnte. Diese Gefahr
besteht insbesondere dann, wenn die Veranlagungsverfügung kurz vor
dem Ablauf der Verjährungsfrist zugestellt wird. In solchen Fällen
empfiehlt es sich, die Veranlagungsverfügung eingeschrieben Oder gegen
Empfangsbestätigung zu versenden. Der Nachweis der Zustellung kann freilich
auch aufgrund von weiteren Indizien oder gestützt auf die gesamten Umstände
erbracht werden. So kann sich aus der Zahlung der Forderung oder aus der
mit den Steuerbehörden gewechselten Korrespondenz oder aus dem Verhalten
des Steuerpflichtigen ergeben, dass und wann die Verfügung eröffnet worden
ist (REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, aaO, N. 13 zu § 78 StG). In der Regel
darf angenommen werden, dass sich der Steuerpflichtige gegen wiederholte
unberechtigte Mahnungen und Steuerrechnungen zur Wehr setzt und nicht
zuwartet bis er betrieben wird. In einem so späten Zeitpunkt wäre der
Einwand, er habe die Veranlagungsverfügung nie empfangen, wenig glaubhaft.

    Was den vorliegenden Fall betrifft, hat der Beschwerdeführer der
Veranlagungsbehörde Bern-Mittelland erst am 20. April 1978 geschrieben,
er erhalte in der letzten Zeit Steuerrechnungen und Mahnungen, für die
er keine Veranlagungsverfügung empfangen habe. Zudem dürfte sich aus
der Korrespondenz ergeben, das der Beschwerdeführer die Verjährung
angestrebt hat. Er wusste als Jurist wohl auch, dass die Behörde
für die Zustellung der Veranlagungsverfügung beweispflichtig ist. Im
weiteren konnte die Veranlagungsbehörde immerhin den Versand des Briefes
bescheinigen. Diese Bescheinigung begründet zwar keine Vermutung für
den Empfang des Briefes (REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, aaO, N. 13 zu §
78 StG); sie gibt indessen einen Hinweis dafür und darf neben andern
Indizien angemessen berücksichtigt werden. Es ist aus diesen Gründen nicht
ausgeschlossen, dass den Behörden vorliegend der Nachweis der Zustellung
aufgrund der Korrespondenz und der gesamten Umstände gelingt.

    Die kantonalen Akten stehen dem Bundesgericht nicht vollständig zur
Verfügung; insbesondere fehlen die vom Beschwerdeführer im Schreiben vom
20. April 1978 erwähnten verschiedenen Mahnungen und Steuerrechnungen. Da
der rechtserhebliche Sachverhalt für eine möglicherweise substituierbare
Begründung des angefochtenen Entscheids nicht abgeklärt werden kann,
muss die Beschwerde ohne nähere Prüfung der Frage, ob die Eröffnung der
Veranlagungsverfügung nachgewiesen sei, gutgeheissen werden (BGE 103 Ia
36 E. 3a).