Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 III 4



105 III 4

2. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
vom 24. Januar 1979 i.S. L. & Co. (Rekurs) Regeste

    Anfechtung der Steigerungsbedingungen, Kaufsrecht, Verrechnung
im Konkurs

    1. Die Frist für die Anfechtung der Steigerungsbedingungen beginnt
grundsätzlich mit dem Tag ihrer öffentlichen Auflegung zu laufen. Ausnahmen
von diesem Grundsatz (E. 2).

    2. Das Konkursamt darf ein im Grundbuch vorgemerktes und ins
Lastenverzeichnis aufgenommenes Kaufsrecht nach Ablauf der Vormerkungsdauer
ohne weitere Förmlichkeit im Lastenverzeichnis streichen (E. 3).

    3. Mit der Einräumung eines Kaufsrechts erwirbt der Verkäufer keine
bedingte Forderung auf Bezahlung des Kaufpreises, sondern lediglich eine
Anwartschaft. Mit einer blossen Anwartschaft des Gemeinschuldners kann
der Gläubiger seine Konkursforderung nicht verrechnen (E. 4b).

Sachverhalt

    A.- Mit Vertrag vom 10. September 1965 räumte die W. & Co.  der L. &
Co. an der Liegenschaft Parz. Nr. 515 in Stallikon ein Kaufsrecht
zum Preise von Fr. 230'000.- ein, das für die Dauer von 10 Jahren
im Grundbuch vorzumerken war; vom Kaufpreis sollte in Abzug gebracht
werden, was die W. & Co. bzw. ihre beiden Gesellschafter der L. & Co.
allenfalls schuldig sein würden. Am 5. November 1965 wurde über die
W. & Co. der Konkurs eröffnet. Im Lastenverzeichnis vom 31. Januar
1968 über die Liegenschaft Parz. Nr. 515 in Stallikon anerkannte die
Konkursverwaltung unter Ordnungsnummer 62 folgende Last:

    "Vormerkung:

    Kaufsrecht zugunsten L. & Co. Maschinenfabrik, 8011 Zürich, zum

    Preise von Fr. 230'000.-. Vormerkungsdauer: bis 10. September 1975.

    Der Kaufpreis ist anlässlich der Eigentumsübertragung - Fertigung - in
   bar zu bezahlen, sofern die Grundeigentümerin bzw. die Herren W. und
   E., beide von Brienz, in Bassersdorf, persönlich allen Verpflichtungen
   gegenüber der Firma L. & Co., Maschinenfabrik, 8011 Zürich, nachkamen,
   andernfalls unter Abzug dessen, was die Firma L. & Co., Maschinenfabrik,

    8011 Zürich, bei voller Erfüllung dieser Verpflichtungen bis zu diesem

    Zeitpunkt zu gute hätte. Der gleiche Abzug ist auch gegenüber jedem
   künftigen Eigentümer der Kaufparzelle vorn statthaft.

    Weitere Bestimmungen gemäss Kaufrechtsvertrag vom 10. September 1965."
Mit Schreiben vom 24. Oktober 1972 an die Konkursverwaltung erklärte
die L. & Co., die im Konkurs eine Darlehensforderung von Fr. 219'029.40
eingegeben hatte, das Kaufsrecht ausüben zu wollen "zu den Bedingungen,
wie im Vertrag vom 10.9.1965 vereinbart, also den gleichen Bedingungen,
wie im Grundbuch vorgemerkt, und im Lastenverzeichnis des Konkurses W. &
Co. durch Verfügung Nr. 62 der Konkursverwaltung vom 31.1.1968 anerkannt
und rechtskräftig geworden". In der Folge klagte die Konkursmasse W. &
Co. gegen die L. & Co. auf Bezahlung des Kaufpreises von Fr. 230'000.-. Mit
Urteil vom 25. März 1977 wies das Bundesgericht in letzter Instanz die
Klage ab, im wesentlichen mit der Begründung, die Beklagte habe das
Kaufsrecht nur unter der für die Klägerin erkennbaren Voraussetzung
ausgeübt, dass sie ihre Konkursforderung von Fr. 219029.40 mit ihrer
Kaufpreisschuld von Fr. 230'000.- verrechnen könne; sie könne daher nicht
auf Bezahlung des vollen Kaufpreises belangt werden.

    Am 10. Februar 1978 setzte das Konkursamt Schlieren im Auftrag der
Konkursverwaltung die Versteigerung der Liegenschaft (neue Nr. 1525
und 1527) auf den 15. März 1978 fest. In den Steigerungsbedingungen
wies es darauf hin, das im Lastenverzeichnis unter Ordnungsnummer 62
vorgemerkte Kaufsrecht zugunsten der L. & Co. werde "infolge Zeitablaufes"
gelöscht. Die Steigerungsanzeige wurde ordnungsgemäss publiziert und die
Steigerungsbedingungen lagen samt dem abgeänderten Lastenverzeichnis vom
20. Februar bis 1. März 1978 auf.

    B.- Mit Eingabe vom 13. März 1978 führte die L. & Co. beim
Bezirksgericht Zürich als unterer kantonaler Aufsichtsbehörde
über Schuldbetreibung und Konkurs gegen die vorgesehene Steigerung
Beschwerde. Zur Begründung machte sie im wesentlichen geltend, das
Kaufsrecht habe im Lastenverzeichnis nicht gestrichen werden dürfen;
zudem sei es bereits ausgeübt worden, so dass die Versteigerung einem
nochmaligen Verkauf gleichkomme.

    Das Bezirksgericht gewährte der Beschwerde aufschiebende Wirkung und
setzte die auf den 15. März 1978 angesetzte Steigerung ab. Mit Entscheid
vom 12. April 1978 trat es nicht auf die Beschwerde ein. Ein Rekurs gegen
diesen Entscheid wurde vom Obergericht des Kantons Zürich als oberer
kantonaler Aufsichtsbehörde am 12. Dezember 1978 abgewiesen.

    C.- Gegen den Entscheid des Obergerichts rekurrierte die L. & Co. an
die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Diese weist
den Rekurs ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die kantonalen Behörden gingen davon aus, die Beschwerde
sei verspätet, weil sie mehr als 10 Tage nach der Publikation
der Steigerungsanzeige und der Auflegung der Steigerungsbedingungen
eingereicht worden sei. Sie prüften daher nur, ob ein Nichtigkeitsgrund
vorliege. Die Rekurrentin macht nicht geltend, diese Betrachtungsweise
verstosse gegen Bundesrecht. In der Tat beginnt die Frist für die
Anfechtung der Steigerungsbedingungen nach der Rechtsprechung mit dem
Tag ihrer öffentlichen Auflegung zu laufen (BGE 51 III 179), unabhängig
davon, ob der Beschwerdeführer von der Publikation der Steigerungsanzeige
Kenntnis genommen und dadurch von der Auflegung der Bedingungen erfahren
hat (als blosse Inhaberin eines Kaufsrechts hatte die Rekurrentin keinen
Anspruch auf eine Spezialanzeige; vgl. Art. 257 Abs. 3 SchKG, Art. 71
KOV und Art. 129 Abs. 2 VZG). In BGE 99 III 70 E. 3 hat das Bundesgericht
von diesem Grundsatz indessen eine Ausnahme gemacht für den Fall, dass
die Steigerungsbedingungen das Lastenverzeichnis abändern. Mit einer
derartigen (in der Regel unzulässigen) Abänderung muss kein Beteiligter
rechnen. Es kann ihm daher nicht schaden, wenn er keinen Einblick in die
Steigerungsbedingungen nimmt und dagegen nicht fristgerecht Beschwerde
führt.

    Mit ihrer Beschwerde machte die Rekurrentin unter anderem geltend,
das Konkursamt Schlieren hätte die Vormerkung des Kaufsrechts im
Lastenverzeichnis nicht streichen dürfen. Insoweit hätten die kantonalen
Aufsichtsbehörden daher auf die Beschwerde eintreten müssen.

Erwägung 3

    3.- Die Rüge ist jedoch unbegründet. Mit seiner Streichung hat das
Konkursamt nicht gegen den Grundsatz verstossen, dass die Konkursverwaltung
ein rechtskräftiges Lastenverzeichnis nicht abändern darf (vgl. hiezu
BGE 96 III 78/79). Materiell liegt nämlich gar keine Änderung des
Lastenverzeichnisses vor. Entsprechend der Vorschrift von Art. 683 Abs. 2
ZGB war die Dauer der Vormerkung des Kaufsrechts zum vornherein auf 10
Jahre befristet. Mit dem Ablauf dieser Frist, also am 10. September 1975,
fiel der Vormerkungsschutz dahin, ohne dass es einer förmlichen Löschung
bedurft hätte. Das Kaufsrecht belastete die Liegenschaft nicht mehr und
verlor seine dingliche Wirkung, so dass ein allfälliger Erwerber nicht
daran gebunden gewesen wäre. Art. 72 Abs. 1 GBV schreibt deshalb vor,
dass die Vormerkungen persönlicher Rechte im Grundbuch von Amtes wegen zu
löschen sind, wenn die in der Vormerkung angegebene Zeit abgelaufen ist. Es
kann daher dem Konkursamt nicht verwehrt sein, sondern dient im Gegenteil
der Klarheit, dem Ablauf der Vormerkungsdauer Rechnung zu tragen und die
obsolete Vormerkung im Lastenverzeichnis zu streichen. Die Rekurrentin
ist dadurch auch gar nicht beschwert. Ob die Vormerkung gestrichen wird
oder nicht, ändert nichts daran, dass das Kaufsrecht dem Ersteigerer
nicht entgegengehalten werden kann, weil es eben mit dem Ablauf der
Vormerkungsdauer seinen realobligatorischen Charakter verloren hat.

Erwägung 4

    4.- Soweit sich die Beschwerde gegen die Anordnung der Versteigerung
als solche bzw. gegen die Steigerungsbedingungen richtet, haben sie
die kantonalen Instanzen zu Recht als verspätet betrachtet. Bei dieser
Sachlage könnten die Aufsichtsbehörden nur eingreifen, wenn die Anordnung
der Versteigerung geradezu nichtig wäre, d.h. wenn sie gegen eine
Vorschrift verstiesse, die im öffentlichen Interesse oder im Interesse
eines unbestimmten Kreises Dritter aufgestellt und daher schlechthin
zwingend ist (BGE 103 III 74, 101 III 45, je mit Hinweisen). Das ist
indessen offensichtlich nicht der Fall.

    a) Nichtig ist die angefochtene Verfügung schon deswegen nicht,
weil sie nur in die persönlichen Interessen der Rekurrentin eingreift und
ausschliesslich deren allfällige schuldrechtliche Ansprüche verletzt. Dies
gilt selbst dann, wenn man annehmen wollte, die Rekurrentin habe das
Kaufsrecht mit ihrer Erklärung vom 24. Oktober 1972 gültig ausgeübt. Mit
der Ausübung des Kaufsrechts wurde die Rekurrentin nicht Eigentümerin des
Grundstücks, sondern sie erwarb gegenüber der Konkursverwaltung nur einen
obligatorischen Anspruch auf Übertragung des Eigentums, der für die Dauer
der Vormerkung freilich dinglich gesichert war. Diesen Anspruch hat die
Rekurrentin indessen nie durchgesetzt, und der Vormerkungsschutz fiel
nach dem in Erwägung 3 Gesagten mit dem Ablauf der Vormerkungsdauer
dahin. Die Rekurrentin hat daher heute keinerlei dingliche Rechte
am streitigen Grundstück. Die Verletzung bloss obligatorischer
Rechte würde der Versteigerung des Grundstücks aber nicht zwingend
entgegenstehen. Selbst wenn also der Vorwurf der Rekurrentin zutreffen
sollte, die Konkursverwaltung habe das Grundstück "zweimal verkauft",
so hätte dies nicht die Gutheissung des Rekurses zur Folge.

    b) In Wirklichkeit war jedoch die Ausübungserklärung der Rekurrentin
vom 24. Oktober 1972 unwirksam, und zwar deswegen, weil die mit der
Ausübung des Kaufsrechts bezweckte Verrechnung des Kaufpreises mit
der Konkursforderung der Rekurrentin gegen Art. 213 Abs. 2 Ziff. 2
SchKG verstösst. Es kann dahingestellt bleiben, ob über die Frage der
Zulässigkeit der Verrechnung bereits ein rechtskräftiger Entscheid
vorliegt, wie dies die Vorinstanz annimmt. Immerhin haben sich das
Obergericht des Kantons Zürich in seinen Urteilen vom 13. Mai 1975
betreffend Kollokation (E. III) und vom 19. Oktober 1976 betreffend
Forderung (E. 2 und 3) sowie das Bundesgericht im Urteil vom 25. März 1977
(E. 1) dazu geäussert. Angesichts dessen kann die Rekurrentin im Ernst
nicht erwarten, die Betreibungsbehörden würden die Frage der Zulässigkeit
der Verrechnung anders beurteilen als die Zivilgerichte. Entgegen ihrer
Ansicht sind sie auch nicht der "zuständige Richter" für die Beurteilung
dieser materiell-rechtlichen Frage (vgl. hiezu BGE 103 III 83 E. 3,
117 E. 4, 102 III 36, 100 III 66, 70, 97 III 130). Was die Rekurrentin
vorbringt, ist im übrigen nicht geeignet, die diesbezüglichen Erwägungen
der Gerichte als unrichtig erscheinen zu lassen. Nach der Rechtsprechung
trifft es zwar zu, dass der Gläubiger seine Konkursforderung auch mit
einer bedingten Forderung des Gemeinschuldners verrechnen kann, wenn die
Bedingung im Laufe des Konkurses eintritt (BGE 95 III 57, 21 S. 879). Der
W. & Co. stand jedoch im Zeitpunkt der Konkurseröffnung gegenüber der
Rekurrentin keine bedingte Forderung auf Bezahlung des Kaufpreises zu,
so wenig wie die Rekurrentin mit dem Erwerb des Kaufsrechts bereits einen
bedingten Anspruch auf Übertragung des Eigentums erworben hatte. Wenn das
Bundesgericht in verschiedenen Urteilen den Kaufrechtsvertrag als (durch
die Ausübung des Kaufsrechts) suspensiv bedingten Kaufvertrag bezeichnete
(BGE 102 III 23, 94 II 111, 88 II 159, 86 II 36), so wollte es damit
nicht sagen, Käufer und Verkäufer seien schon von Anfang an, also mit
der Einräumung des Kaufsrechts, (bedingt) verpflichtet, den Kaufpreis zu
bezahlen, bzw. das Eigentum an der Sache zu übertragen. In BGE 94 II 112
hat es im Gegenteil ausgeführt, der Kaufvertrag werde erst perfekt mit der
Erklärung des Berechtigten, sein Kaufsrecht ausüben zu wollen. Solange
eine solche Erklärung nicht vorliege, sei die andere Vertragspartei
nicht zur Übertragung des Eigentums (und der Käufer somit auch nicht zur
Bezahlung des Kaufpreises) verpflichtet. Der Kaufrechtsvertrag begründe
lediglich eine Anwartschaft. Hatte aber die W. & Co. im Zeitpunkt der
Konkurseröffnung bloss eine Anwartschaft auf die Kaufpreisforderung und
entstand diese Forderung erst mit der Ausübung des Kaufsrechts, also nach
der Konkurseröffnung, so kann sie die Rekurrentin nach Art. 213 Abs. 2
Ziff. 2 SchKG nicht mit ihrer Konkursforderung verrechnen (BGE 95 III
57). Dass die Konkursverwaltung im Lastenverzeichnis die Vormerkung des
Kaufsrechts "gemäss Kaufrechtsvertrag" als Last anerkannt hat und dieser
Vertrag die Verrechnung vorsieht, ändert daran nichts. Die Aufnahme der
Vormerkung ins Lastenverzeichnis erfolgte nur, um zu gewährleisten,
dass das Kaufsrecht im Falle einer Veräusserung des Grundstücks dem
Erwerber überbunden werde. Über die Modalitäten der Tilgung der damals
noch gar nicht entstandenen, sondern erst als Anwartschaft bestehenden
Kaufpreisforderung hatte sich das Lastenverzeichnis nicht auszusprechen
und konnte es auch nicht tun. Dementsprechend hätte über den Bestand des
Verrechnungsrechts auch kein Lastenbereinigungsprozess durchgeführt werden
können. Abgesehen davon hätte die Konkursverwaltung mit der Anerkennung
des Verrechnungsrechts auf die Geltendmachung eines (zukünftigen)
Aktivums verzichtet, was nicht leichthin angenommen werden darf und
wofür es überdies der Zustimmung der Gläubigergesamtheit bedurft hätte
(vgl. hiezu BGE 103 III 11). Aus der Rechtskraft des Lastenverzeichnisses
kann die Rekurrentin deshalb nichts für sich ableiten.

    Entfaltete aber die Ausübungserklärung der Rekurrentin vom 24. Oktober
1972 keine Wirkungen, so bestand zum vornherein kein Anlass, mit der
Versteigerung des Grundstücks zuzuwarten. Ein nicht ausgeübtes Kaufsrecht
stünde der Verwertung nicht entgegen, selbst wenn es noch vorgemerkt wäre
(BGE 102 III 23).