Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 III 135



105 III 135

28. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. April 1979 i.S.
Abtretungsgläubiger der Konkursmasse D. gegen F. (Berufung) Regeste

    Abtretung nach Art. 260 SchKG.

    Der Abtretungsgläubiger ist gestützt auf die Abtretung berechtigt,
aber nicht verpflichtet, anstelle der Masse in einen bereits hängigen
Prozess des Gemeinschuldners einzutreten. Dem Bundesrecht ist aber nur zu
entnehmen, dass der Prozesseintritt nicht bereits mit der Ausstellung der
Abtretungsurkunde oder mit der Mitteilung der Abtretung an das Gericht
bewirkt werde. Ob der Abtretungsgläubiger in der Folge den Prozess
tatsächlich aufgenommen habe, bestimmt sich nach kantonalem Prozessrecht
(E. 3).

    Mit dem Prozesseintritt übernimmt der Abtretungsgläubiger nach
Bundesrecht das ganze Prozessrisiko (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Am 5. Januar 1972 reichte D. gegen F. Klage auf Bezahlung von
Fr. 45'000.- nebst Zins ein. Bei dieser Forderung handelte es sich
um den Restkaufpreis für ein vom Kläger schlüsselfertig erstelltes
Einfamilienhaus. Die Beklagte machte wegen verschiedener Mängel einen
Minderwert von Fr. 45'000.- geltend und beantragte Abweisung der Klage. Das
zuständige Bezirksgericht hatte den Schriftenwechsel und verschiedene
Beweiserhebungen durchgeführt, als der Kläger am 28. Oktober 1975 in
Konkurs fiel. Der Forderungsprozess wurde deshalb gemäss Art. 207 SchKG
bis zehn Tage nach der zweiten Gläubigerversammlung sistiert. Diese fand
am 26. November 1976 statt und beschloss, dass die Konkursmasse nicht
in den Forderungsstreit eintrete. Drei Konkursgläubiger verlangten
die Abtretung des streitigen Anspruchs im Sinne von Art. 260 SchKG. Am
24. Dezember 1976 stellte das Konkursamt M. als Konkursverwaltung im
Konkurs D. die entsprechenden Abtretungsurkunden aus, und mit Schreiben
vom 29. Dezember 1976 orientierte es das Bezirksgericht über die erfolgten
Abtretungen. Einem Begehren des Gerichtspräsidenten vom 1. März 1977
um Zustellung von Kopien der Abtretungsurkunden kam das Konkursamt am
3. März 1977 nach.

    B.- Der Vertreter der Beklagten verlangte am 14. Februar 1977
beim Bezirksgericht, die Sistierung des Verfahrens sei aufzuheben und
der Gerichtsexperte anzuweisen, die Ergänzungsfragen der Beklagten zu
beantworten. In der Folge setzte der Gerichtspräsident mit Verfügung vom
8. März 1977 den Abtretungsgläubigern 1 und 2 eine Frist von acht Tagen
an zur Erklärung, ob der Prozess von ihnen aufgenommen werde oder nicht,
und zur allfälligen Stellungnahme zum Begehren der Beklagten. Da sich
die beiden Gläubiger innert Frist nicht vernehmen liessen, verfällte
sie das Bezirksgericht mit Beschluss vom 22. April 1977, zugestellt am
9. Mai 1977, in Ordnungsbussen von je Fr. 10.- und setzte ihnen eine
nicht erstreckbare Nachfrist von zehn Tagen an mit der Androhung, dass
im Säumnisfall Nichtaufnahme des Prozesses angenommen werde. Daraufhin
teilten die beiden Gläubiger dem Bezirksgericht am 18. Mai 1977 mit,
der Prozess werde von ihnen nicht aufgenommen.

    Der Abtretungsgläubigerin 3 war die Verfügung vom 8. März 1977 aus
Versehen nicht zugestellt worden. Mit dem Beschluss vom 22. April 1977
wurde ihr daher die achttägige Erklärungsfrist angesetzt, die ebenfalls
unbenützt verstrich. Das Gericht nahm in seinem Beschluss vom 26. Mai 1977
vom Verzicht der Gläubiger 1 und 2 Vormerk, verfällte die Gläubigerin 3
in eine Ordnungsbusse und setzte ihr eine Nachfrist von zehn Tagen an mit
der gleichen Androhung, die im Beschluss vom 22. April 1977 gegenüber den
Gläubigern 1 und 2 erlassen worden war. Die Gläubigerin 3 liess auch diese
Nachfrist unbenützt verstreichen, worauf das Gericht am 27. Juni 1977 den
Verzicht aller Abtretungsgläubiger auf die Prozessführung feststellte und
dem Gemeinschuldner eine zehntägige Frist zur Abgabe einer Erklärung über
die allfällige Wiederaufnahme des Prozesses ansetzte, mit der Androhung,
bei Stillschweigen werde auch sein Verzicht angenommen. Der Konkursit
gab keine Erklärung ab.

    C.- Mit Schreiben vom 13. Oktober 1977 reichte der Vertreter
der Beklagten seine Kostennote ein und ersuchte um Erlass des
Abschreibungsbeschlusses, wobei die Parteikosten dem Kläger bzw. seiner
Konkursmasse aufzuerlegen und der Beklagten der von ihr geleistete
Beweiskostenvorschuss zurückzuerstatten seien.

    Das Bezirksgericht schrieb den Prozess mit Beschluss vom 17. November
1977 als durch Klagerückzug erledigt ab, überband die nicht durch
Vorschüsse des ursprünglichen Klägers gedeckten Verfahrenskosten im
Betrage von Fr. 3'644.40 den drei Abtretungsgläubigern zu gleichen
Teilen unter solidarischer Haftbarkeit und verpflichtete diese, der
Beklagten eine Parteientschädigung von Fr. 7'734.20 zu bezahlen, die den
Abtretungsgläubigern ebenfalls zu gleichen Teilen unter solidarischer
Haftbarkeit auferlegt wurde.

    Die drei Abtretungsläubiger zogen diesen Beschluss an das Obergericht
des Kantons Aargau weiter, welches die Appellation mit Urteil vom
31. August 1978 abwies.

    D.- Die drei Abtretungsgläubiger haben beim Bundesgericht Berufung
eingereicht. Sie stellen die Anträge, das obergerichtliche Urteil
sei aufzuheben, der Prozess D. gegen F. sei infolge des Verzichts der
Konkursverwaltung und der Abtretungsgläubiger auf die Weiterführung
abzuschreiben und die bis zur Konkurseröffnung entstandenen
Verfahrenskosten seien im Konkursverfahren des D. zu kollozieren.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt das angefochtene Urteil
auf und weist die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Gemäss Art. 260 Abs. 1 SchKG kann jeder Konkursgläubiger
die Abtretung von Rechtsansprüchen der Masse verlangen, auf deren
Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet hat. Die
Rechtsnatur dieser Abtretung ist von der Literatur, der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung und dem obligatorischen Konkursformular Nr. 7 in dem Sinne
umschrieben worden, dass es sich um ein betreibungs- und prozessrechtliches
Institut sui generis handelt, das Ähnlichkeit mit der Abtretung gemäss
Art. 164 ff. OR und dem Auftrag gemäss Art. 394 ff. OR aufweist (BGE 93
III 63, 86 III 157/158, 84 III 43, je mit Hinweisen und Literaturzitaten;
FLACHSMANN, Die Abtretung der Rechtsansprüche der Konkursmasse nach
Art. 260 SchKG, Zürcher Diss. 1927, S. 6 ff.). Danach wird der Gläubiger
durch die Abtretung ermächtigt, den streitigen Rechtsanspruch anstelle
der Masse, in eigenem Namen und auf eigene Rechnung und Gefahr geltend zu
machen. Zur Abtretung können Ansprüche gelangen, die noch nicht Gegenstand
eines Prozesses bilden. In diesem Fall ist der Abtretungsgläubiger nach
feststehender Lehre und Rechtsprechung nicht verpflichtet, den Prozess
auch anzuheben und bis zum Urteil durchzuführen. Er kann vielmehr von
der Klageeinleitung überhaupt absehen, einen aussergerichtlichen oder
gerichtlichen Vergleich abschliessen oder aber eine eingeleitete Klage
wieder zurückziehen (BGE 102 III 30 mit Hinweisen).

    Der Gläubiger wird durch die Abtretung aber auch in die Lage
versetzt, anstelle der Masse als Partei in einen bereits hängigen
Prozess einzutreten und diesen in eigenem Namen und auf eigene
Rechnung und Gefahr weiterzuführen. Dabei handelt es sich ebenfalls
um ein Recht und nicht um eine Pflicht des Abtretungsgläubigers. In
der Abtretungsurkunde wird der Gläubiger denn auch nicht verpflichtet,
sondern lediglich ermächtigt, den angehobenen Prozess weiterzuführen. In
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 260 SchKG ist durchwegs
von einem Prozessführungsrecht und nirgends von einer entsprechenden
Pflicht oder von einer Übertragung des Prozessrechtsverhältnisses durch die
Abtretungsurkunde die Rede(BGE 93 III 63, 86 III 157, 61 III 2, 43 III 163,
41 III 76; vgl. auch das Urteil des Zürcher Obergerichts vom 12.12.67
in ZR 67/1968 Nr. 115; STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen
Zivilprozessordnung, N. 8 zu § 49). Es wäre auch nicht einzusehen,
weshalb der Abtretungsgläubiger wohl auf die Anhebung, nicht aber auf
die Fortsetzung eines Prozesses sollte verzichten können. In diesem
Zusammenhang ist auch auf BGE 84 III 44 zu verweisen, wo entschieden
wurde, eine Abtretung könne von der Konkursverwaltung widerrufen werden,
wenn der streitige Anspruch vom Drittschuldner anerkannt werde, bevor
der Abtretungsgläubiger zu seiner Realisierung irgendwelche Vorkehren
getroffen habe. Dasselbe muss auch gelten, wenn der Prozessgegner die
Klage anerkennt bzw. zurückzieht, bevor der Abtretungsgläubiger Schritte
zur Fortsetzung des Verfahrens unternommen hat. Muss dieser sich den
Widerruf der Abtretung gefallen lassen, so muss ihm folgerichtig auch das
Recht zugestanden werden, nach erfolgter Abtretung noch auf den Eintritt
in den Prozess zu verzichten.

    Die kantonalen Instanzen haben demnach im vorliegenden Fall Sinn
und Tragweite von Art. 260 SchKG verkannt, wenn sie davon ausgegangen
sind, dass bereits mit der Ausstellung der Abtretungsurkunde bzw. mit
der Mitteilung der erfolgten Abtretung an das Gericht der Eintritt des
Abtretungsgläubigers in den Prozess bewirkt werde. Insofern haben sie
gegen Bundesrecht verstossen. Über den Zeitpunkt des Eintritts des
Abtretungsgläubigers in den Prozess sagt das Bundesrecht indessen
nichts aus. Es ist ihm nur zu entnehmen, dass mit der Ausstellung
der Abtretungsurkunde nicht automatisch der Eintritt in den Prozess
vollzogen werde. Ob, wann und in welcher Form der Abtretungsgläubiger
den Prozess tatsächlich aufgenommen habe, ist eine Frage des kantonalen
Prozessrechts. Dieses hat zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen
ein Prozessrechtsverhältnis zwischen einer Partei und dem Gericht
bzw. der Gegenpartei zustande kommt. Die Vorinstanz hat somit auch
insofern Bundesrecht verletzt, als sie die Frage des Prozesseintritts
der drei Abtretungsgläubiger unter dem Gesichtspunkt des Bundesrechts
geprüft hat, anstatt das kantonale Prozessrecht anzuwenden (BGE 93 II
191). Das angefochtene Urteil muss daher aufgehoben und die Streitsache
an die Vorinstanz zurückgewiesen werden. Diese wird zu prüfen haben, ob
im vorliegenden Fall die drei Abtretungsgläubiger nach kantonalem Recht
in den Prozess des Gemeinschuldners mit der Beklagten eingetreten sind.

Erwägung 4

    4.- Kommt das Obergericht aufgrund seiner Prüfung zum Schluss, die
drei Abtretungsgläubiger seien in den Prozess eingetreten, so stellt sich
die Frage, wer das Risiko für die bereits aufgelaufenen Prozesskosten
zu tragen habe. Ob hiefür die Konkursmasse oder die Abtretungsgläubiger
haften, ist nach Bundesrecht zu beurteilen. Dabei ist zu beachten,
dass der Abtretungsgläubiger nach der Rechtsprechung zu Art. 260 SchKG
den Prozess in eigenem Namen sowie auf eigene Rechnung und Gefahr
weiterzuführen hat. Er übernimmt somit das ganze Prozessrisiko. Gewinnt
er den Prozess, so kann er seine Forderung gegenüber dem Gemeinschuldner
aus dem Prozessergebnis vorweg befriedigen (Art. 260 Abs. 2 SchKG) und hat
ihm der Prozessgegner eine Parteientschädigung zu bezahlen. Er ist daher
nur recht und billig, dass der Abtretungsgläubiger, wenn er den Prozess
verliert, die gesamten Prozesskosten - auch die vor seinem Prozesseintritt
aufgelaufenen - und die Kosten der Gegenpartei zu tragen hat. Sollte
sich demnach im vorliegenden Fall ergeben, dass die Berufungskläger nach
kantonalem Prozessrecht in den Prozess des Gemeinschuldners eingetreten
sind, so bedeutet ihr Verzicht auf die Fortführung des Prozesses einen
Klagerückzug, weshalb ihnen die Verfahrenskosten aufzuerlegen und sie
zur Leistung einer Entschädigung an die Gegenpartei zu verpflichten sind.